Kapitel 15 - Herbstliche Festtage

  • Herbstliche Festtage



    Verrill wachte früh am Morgen auf, Tazio neben ihr schlief noch tief und fest. Die Sonne ging gerade auf und zauberte erste Rot in die dunklen Wolken. Der Wind hatte aufgefrischt und ließ leise die Fensterläden klappern. Herbst, die bunte Jahreszeit hatte in Ledwick Einzug gehalten.


    Im Frühjahr dieses Jahres hatte sie Tazio geheiratet und war zu ihm nach Ledwick gezogen. Gekrönt zur Ducachessa stand sie ihrem Mann stolz zur Seite. Und was hatten sie alles in der kurzen Zeit erreicht, Feinde vernichtet und fest zusammen gehalten. Ledwick war auf dem Weg zur alten Blüte.


    Heute war in Souvagne ein besonderer Tag, der 30.09. war der Tag des Brotfestes. Im Anschluss folgte das Küchenfest vom 01.10. bis zum 03.10. und Verrill liebte diese Herbstfeste. Sie waren ein Zeichen dafür, dass die Natur am Ende des Jahres die harte Arbeit belohnte. Ebenso war Tazio vom Schicksal belohnt worden, dass er für sein Land so hart arbeitete.


    Behutsam strich sie ihm die Haare aus dem Gesicht. Er war ein hübscher Mann, der viel zu selten lächelte. Bis jetzt hatte er auch nicht gerade viel Grund zum Lächeln. Tazio hatte mehr Grauen und Leid gesehen, als es für einen Menschen gut war. Schuld daran waren die Zwerge und ihr falscher Stolz. Hochmut von einem buckligen Volk, dass kein Anrecht darauf hatte. Aber auch hier hatte Tazio den Spieß umgedreht, oder um es als Ledvicco zu sagen, das Ruder herumgerissen.


    Verrill fühlte dass die Zeit reif war, sie fühlte sich ausgeglichen, gesund und sie hatte Appetit und zwar auf ihren Mann. Tazio brauchte einen Stammhalter und sie brauchte ihn. Sanft rüttelte sie Tazio wach.


    "Ein frohes Brotfest und einen sonnigen Herbst", flüsterte sie ihm ins Ohr und stellte ihm ein kleines Geschenk auf den Nachttisch.



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    ****

  • Das Gemach war nur von einem Nachtlicht erhellt - Leuchtmotten, die in einer Korblampe lebten. Ein geruchloses, weißes Licht, das keine Atemluft verbrauchte und ohne Brandgefahr leuchtete. Tazio öffnete die Augen und blickte ins Antlitz seiner Gemahlin, die es schaffte, zu so früher Stunde und vor der morgendlichen Körperpflege bereits atemberaubend auszusehen. Er stützte sich auf die Unterarme, um das Geschenk in Augenschein zu nehmen. Draußen war es noch finster, es war lange vor der Zeit, zu der Vianello ihn sonst weckte. Neugierig drehte Tazio den weißen Apfel in der Hand.


    "Porzellan", mutmaßte er. "Wie schön er bemalt wurde."


    Nun kannte er Verrill gut genug, um zu wissen, dass sie ihm ein Geschenk nicht aus einem Impuls heraus aussuchte, sondern sich lange Gedanken darum machte. Als gebürtige Souvagnerin hatte sie zu Äpfeln einen besonderen Bezug, galt doch der Apfelbaum als Baum des Lebens und der Fruchtbarkeit.


    Fruchtbarkeit ... war dies das Stichwort? Nach der Entbindung hatte er intime Annäherungen unterlassen, um die Wundheilung nicht zu stören. Es war nicht so, dass ihm das gleichgültig gewesen wäre, er liebte seine Frau, ihr kluges, feinfühliges Naturell und ihre sphärische Schönheit übte auf ihn eine starke Anziehungskraft aus. Er hätte in der Zwischenzeit auf die Hofdamen zurückgreifen können oder Vianello damit beauftragen können, ihm eine passende Mätresse auszusuchen. Aber in ihrer Ehe ging es um mehr als um bloße Körperlichkeit. Auch wenn ihre Hochzeit die beiden Großherzogtümer nach dem Ende des Almanischen Bruderkrieges wieder hatte näher zueinanderrückeln lassen, war es keine rein politische Heirat gewesen. Vollkommen unpolitisch konnte ein Duca nicht heiraten, zumindest nicht, was die Erstfrau anbelangte. Aber Tazio hatte Glück gehabt, die Braut, um deren Hand er angehalten hatte, war in jeder nur denkbaren Hinsicht seine erste Wahl.


    Er liebte seine Ducachessa aus ganzem Herzen und er gedachte, diese Liebe zu pflegen und zu erhalten wie einen kostbaren Baum, damit sie Blüten trug und hoffentlich bald auch Früchte in Gestalt des Thronfolgers. Womit er gedanklich wieder beim Apfel war, den er nun in der Hand hielt.


    Lieben hieß nach Tazios Verständnis auch, warten zu können, anstatt die Lücke mit einem Ersatz zu stopfen. Es war ein Zeichen seines Respekts. Und Tazio hatte gewartet. Die Zeit des Wartens war nun vorbei und sie würde sich für Verrill in doppelter Hinsicht gelohnt haben - der sonst so zurückhaltende Tazio war vollkommen ausgehungert.


    Er zögerte nicht länger, nachdem er die Bedeutung des Apfels als Einladung begriffen hatte. Mit einem Lächeln legte er den Apfel auf den Nachttisch und kroch zu Verrill unter die Decke.