Genesung - 193 n.d.A.

  • Genesung - 193 n.d.A.


    Chevalier Curzio Santo Mancini spähte in das Zimmer seines Sohnes. Silvano war vor gut zwei Monaten von See mit einer grauenhaften Verletzung nach Hause zurückgekehrt. Er hatte sein linkes Auge verloren und dabei war ihm die Gesichtshälfte bis auf den Knochen aufgeschlitzt worden. Als er das Mancini-Anwesen erreichte, war er kaum bei Besinnung. Seinem Bord-Medicus verdankte Silvano sein Leben, doch es sah nicht gut um Curzios Spross aus.


    Die meiste Zeit lag Silvano besinnungslos im Bett, geschüttelt von Albträumen und Fieberschüben. Und wenn er erwachte, schüttelten ihn Weinkrämpfe und er ließ sich kaum beruhigen. Die Schmerzen die er auszustehen hatte, mussten unerträglich sein und es zerriss Curzio das Herz, seinen Sohn so zu sehen.


    Dennoch dämmerte ihm, dass die Tränen nicht allein der Verletzung geschuldet waren. Vano hatte ganz andere Schmerzen, die ihn neben der Verletzung plagten.


    Der Raum von Silvano war groß, weitläufig und hell. Es gab nicht viele Einrichtungsgegenstände im Quartier seines Sohnes. Betrat man das große Zimmer blickte man auf ein großes, prunkvolles mit goldener Farbe verziertes Bett, dass den Raum dominierte. Flankiert war es von zwei großen Fenstern, denn Vano konnte keinen Raum auf dem Festland ertragen, wo er nicht die Möglichkeit hatte in die Ferne zu blicken.


    Rechts neben dem Bett stand eine große Truhe und etwas weiter daneben befand sich eine Kommode. Links neben dem Bett gab es eine kleine Sitzgruppe bestehend aus zwei großen Ohrensesseln, einem Tisch und einem Kamin. Über dem Kamin hing das einzige Bild im Raum. Flankiert war er von zwei Kriegerischen Statuen, einer männlichen und einer weiblichen Skulptur.


    Der Boden war in weiß dunklen Mustern gefliest und griff somit die Marmorfarbenen Wände auf. Ein einziger großer, runder, edler Teppich in Weiß, Schwarz, Gold zierte den Fußboden.


    Unbestreitbar war der Raum schlicht und äußerst geschmackvoll eingerichtet. Aber wer genau hinsah erkannte, dass dieser Raum keinerlei persönliche Note besaß. Es war nicht mehr als eine Übernachtungsmöglichkeit, wenn auch eine sündhaft teure. Ein Zuhause war dies nicht, was Curizo schmerzte.


    Wie das Zuhause von Vano aussah, hatte sein Vater schon gesehen, ein bunter Mix aus einem liebevollen Chaos, indem sich wohl nur Vano selbst zurecht fand. Curzio hätte alles dafür gegeben, wenn er das gleiche Chaos in diesem Raum vorgefunden hätte. Lieber wäre er dreimal über irgendwelche Kisten gestolpert, als dass er den Nachhall seiner Schritte hörte wie in einer Wartehalle.


    Santo trat langsam an das Bett seines Sohnes heran. Silvano war ein Schatten seiner selbst. Dürre, geradezu ausgemergelt, so dass sich seine Adern tief blau unter seiner Haut abzeichneten. Seine blonden Haare, klebten an seinem Schädel, der Rest hing ihm verschwitzt im Gesicht. Die Narbe war ein grauenvoller blutroter-violetter Riss der seine linke Gesichtshälfte entstellte.


    Curzio zog sich einen der schweren Sessel heran und setzte sich zu seinem Sohn ans Bett. Die letzte Mahlzeit stand unangetastet auf der Kiste, so wie es die anderen Mahlzeiten auch getan hatten. Santo wusste sich keinen Rat mehr.


    Vor einigen Wochen war es Vano so schlecht gegangen, dass sie ihn zwangsernährt hatten. Die Quälerei wollte er seinem Sohn nicht erneut antun. Das meiste war ihm wieder hochgekommen, aber das was drinnen geblieben war hatte ihm trotz aller Proteste über den Berg geholfen.


    Vater zu sein war nicht immer leicht. Vor allem dann nicht, wenn man seinen Sohn in einem ähnlichen Zustand empfangen hatte und nun Angst hatte ihn gut zwanzig Jahre später so gehen zu sehen. Er erinnerte sich noch gut daran, als er Silvano adoptiert und mit nach Hause gebracht hatte. Wie er sich vor seinem eigenen Spiegelbild gefürchtet hatte. Wer konnte es ihm verdenken?


    Santo strich seinem Sohn ganz vorsichtig die Haare aus dem Gesicht, damit sie sich nicht im Narbengewebe verfingen. Vanos Hand schloss sich um das Handgelenk seines Vaters und er schlug blinzelnd sein Auge auf. Mancini schmunzelte seinen Sohn ab, obwohl ihm selbst nach Weinen zumute war, so kraftlos wie der Griff von Silvano war.


    "Hallo", sagte Santo sanft und fühlte Silvanos Stirn. Klamm aber nicht mehr ganz so heiß, stellte er etwas beruhigt fest, "Du hast wieder nicht gegessen Vano."
    "Ich bekomm nichts runter", antwortete Vano matt und versuchte sich aufzusetzen.


    Curzio stand auf, zog Vano hoch in die sitzende Position und stopfte ihm so viele Kissen wie möglich ins Kreuz, damit er aufrecht sitzen bleiben konnte. Silvano musterte seinen Vater dankbar, setzte an etwas zu sagen, schwieg und wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Santo nahm ihn fest in den Arm und wartete, bis sich sein Sohn beruhigt hatte.


    "So geht das nicht weiter. Sind die Schmerzen so schlimm?", fragte Mancini, zog seinen Sessel näher und legte Vano vorsichtig ab.
    "Ja...", kam die knappe, kaum hörbare Antwort.


    "Welche genau?", fragte Curzio fürsorglich, während Vano dazu überging sich die Haare vom Kopf zu ziehen. Santo löste seine Hände aus den Haaren und drückte sie ihm in den Schoss.
    "Nein!", sagte er ernst und unmissverständlich.


    Vano musterte ihn nur stumm, während ihm erneut Tränen über die rechte Wange liefen. Santo wischte sie mit dem Daumen ab.


    "Nicht, ist doch gut. Dein erster Offizier hat Dir etwas mitgebracht, was Dir gut tun wird. Das hoffe ich jedenfalls, bereit für eine Überraschung?", fragte sein Vater aufmunternd.
    "Nein", antwortete Vano ehrlich.
    "Du bekommst sie trotzdem, also bereit oder nicht, die Überraschung kommt", grinste Curzio.


    Er stand auf, ging zur Tür und öffnete sie weit. Ein schwarzer, haariger Blitz schoss in den Raum und sprang wie von Sinnen auf das Bett wo er fiepend und jaulend an Vano schnüffelte und sein Gesicht leckte. Vano schlang die Arme um den Hals von Fou Fou, küsste seinen Pudel auf den Kopf und wiegte ihn glücklich hin und her. Seit Ewigkeiten lächelte er wieder, was seinen Vater fast zum Weinen brachte. Santo schloss die Tür und setzte sich wieder zu seinem Sohn ans Bett.


    "Wir hatten erst Bedenken, aber wenn ich Dich so sehe, hätte ich Dir Fou Fou ehr geben sollen", schmunzelte Curzio.
    "Ja hättest Du, ich... Paps? Ich hab Hunger...", flüstere Vano und sein Vater starrte ihn wie vom Donner gerührt an. Er nickte langsam, sprang auf und brüllte nach draußen. Vano verstand nur etwas von Brühe, ehe sein Vater wieder bei ihm saß.


    Einige Minuten später kam ein Diener mit einer frischen Brühe herbei geeilt und reichte Santo die große Tasse. Mancini nahm sie entgegen, setzte sich damit aufs Bett und hielt die Tasse seinem Sohn an den Mund. Vano umklammerte die Tasse mit seinen dürren Händen und trank in winzigen Schlückchen.


    "Jetzt wird alles gut. Trink weiter, na los, ein paar sind noch drin", bat Curzio.
    "Langsam, sonst kommt es mir hoch", antwortete Vano matt und trank weiter, während Fou Fou es sich auf seinen Beinen bequem machte.


    "Davet war ein guter Schwiegersohn Vano", sagte Santo.
    "Davet? Wie kommst Du auf Davet? Wieso war er ein guter Schwiegersohn?", fragte Silvano beim Trinken.


    "Weil er meinen Sohn glücklich gemacht hat, darum Vano. Wir hatten Dir gemeinsam etwas für die Hochzeit fertigen lassen, nur kam ich bis jetzt nie dazu es Dir zu geben. Ich glaube, dass Geschenk würde Dir jetzt gut tun. Ein Portrait von Deinem Mann, ich dachte, dass kannst Du Dir ins Schlafzimmer übers Bett hängen", schmunzelte Curzio.
    "Danke. Das bedeutet mir viel, so kann ich ihn immer noch sehen", sagte Vano und befühlte bei den Worten seine Narbe.


    "Warte", bat sein Vater, verließ den Raum und kam nach einigen Minuten, bewaffnet mit einem Handspiegel wieder.
    "Jede Spekulation ist grausamer als die Wirklichkeit, schau Dich an", sagte Mancini und hielt seinem Sohn den Spiegel hin.


    Silvano nahm ihn entgegen und legte ihn auf die Bettdecke.


    "Die Narbe endete über meinem Mund... damals. Wo endet sie nun? Tipp dort bitte mal auf mein Gesicht Paps", bat Vano seinen Vater.
    "Unter Deinem Mund. Hier endet sie", sagte Santo und berührte ganz vorsichtig die Stelle wo die Narbe endete.


    "Wieso?", fragte Vano und nahm den Spiegel zur Hand.
    "Wundbrand, sie musste mehrfach ausgeschnitten werden, aber so langsam heilt sie. Keine Angst, es sieht schlimm aus Vano, aber nicht so schlimm wie Du es Dir wahrscheinlich vorstellst", sagte Curzio und strich Silvano über die gesunde Wange.


    Vano hob den Spiegel und schaute hinein. Stumm blickte er sein Spiegelbild an, er sagte nichts, er zuckte nicht zusammen und er weinte auch nicht. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos, was seinen Vater mehr beunruhigte als jeder Ausbruch.


    Silvano ließ den Spiegel sinken und schaute seinen Vater an.


    "Ich hab es für ihn getan. Ich hab es nicht gepackt. Ich konnte ihn nicht retten Paps und ich konnte ihn nicht rächen. Was soll er von mir denken? Ich vermisse ihn so...", flüsterte Vano und stellte die Tasse mit der Brühe beiseite.


    "Meinst Du er hätte gewollt, dass Du für ihn verhungerst? Er hat Dich über alles geliebt, er hätte gewollt dass Du kämpfst und wieder gesund wirst. Pass auf, ich stelle Dir sein Bild genau gegenüber vom Bett auf, dann vermisst Du ihn nicht ganz so dolle und dafür trinkst Du die Brühe aus.


    Abgemacht?", sagte Santo und drückte Vano.
    "Abgemacht", lächelte Vano.