Die Bestie und das Biest [Unterwasser-RPG]

  • "500 Handelstaler und keinen Kupferling mehr, oder Oril soll mich holen!"
    "Abgemacht!"
    Per Handschlag wurde der Handel besiegelt, der Käufer begab sich im Beisein des Sandjägers zur sündentempeleigenen Bank und überreichte ihm das Geld. Shocai halbierte es und zahlte es für sich und Lahiko wieder ein, da sie beide keine Taschen bei sich trugen und es auch nicht ratsam war, solcherlei Geldmengen mit sich spazieren zu tragen.


    Lahiko beugte sich derweile über das Fass, während er leise mit der Giftstachlerin sprach. "Mach dir keine Sorgen, das gehört alles zum Plan! Du solltest von unserem Kapitän aus versklavt werden, aber wir holen dich da raus. Geh zunächst brav mit dem Kerl mit und du bekommst was von unserem Anteil. Übrigens ... deine kurzen Stacheln sehen sehr verwegen aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf."


    Shocai kehrte mit dem Mann zurück.
    "Und?"
    "Fünfhundert."
    "Äh, wie jetzt! Für jeden oder was?"
    "Für uns beide."
    "Ja, bist du denn von allen Sinnen?" Lahiko warf theatralisch die Arme in die Luft, nur um sich dann mit allen Fingerspitzen an die Stirn zu fassen. "Du hast eine junge, gesunde, exotische Sklavin gerade zum Preis einer zahnlosen alten Kuh verkauft!"


    Der Käufer, ein drahtiger, älterer Frostalb mit Haaren bis zu den Kniekehlen grinste breit und grabschte in das Fass, um Astroides hinauszuziehen. "Ich habe einen Arbeitsplatz in der Lebertrandestille für dich. Den Saft aus den Walen zu holen, ohne die Kadaver extra an Land verfrachten zu müssen, spart einiges an Kleingeld. Und wenn du brav bist, darfst du in meinem Brunnen bei den Stören übernachten. Im Norden wird es dir gefallen."


    Lahiko zwinkerte Astroides zu und Shocai nickte mit hochgezogener Stirn.

  • Astroides starrte Lahiko ungläubig an. Ein Plan? Was für ein Plan?
    Er schien sich nicht die geringsten Sorgen zu mache, steckte aber auch nicht wie eine Sardelle in der Dose fest und sollte gleich versklavt werden!
    Als er ihre Stacheln erwähnte, funkelte sie ihn empört an. Bevor sie jedoch dazu kam, ihm ihre Meinung zu geigen, tauchten zwei weitere Gestalten auf.
    Die Sardelle schnappte hörbar nach Luft: „Shocai!“
    Dabei klang ihre Stimme mehr wie ein Zischen, als ein fröhlicher Überraschungsausruf.


    Obwohl einiges an Zeit vergangen war, erinnerte sie sich noch allzu gut an das letzte Treffen mit ihm und wie es geendet hatte. Offensichtlich hatte auch er es nicht vergessen, und wollte sich nun für die Demütigung rächen, wobei Astroides noch immer der Meinung war, dass dieser aufgeblasene Kerl es verdient hatte, nachdem er sie mir nix dir nix für einige kokettierende Weiber hatte stehen lassen.


    „Was soll das?“, fauchte sie aufgebraucht aus ihrem Fass heraus, erhielt jedoch keine weitere Aufmerksamkeit.
    „Schön, du hast mir einen Schrecken eingejagt. Du hattest deine Rache. Und jetzt bring mich zurück in den Ozean!“, forderte sie von dem Sandjäger.
    Im nächsten Moment kam auch schon der Frostalb auf sie zu und griff nach ihre Arm.
    Astroides Ärger verwandelte sich nun urplötzlich in Angst, als die beiden Shezem keine Anstalten machten, sich für sie einzusetzen.
    „Shocai? Bitte, es tut mir doch Leid“, rief sie verzweifelt und versuchte sich ihrem Käufer zu entwinden.
    „Jetzt hab dich net so, Kleine“, knurrte dieser, „beweg dich aus deinem Fass raus. Du gehörst jetzt mir! Oder muss ich nachhelfen?“


    Panisch blickte sich Astroides nach einem Ausweg um, doch es gab keinen. Im nächsten Moment zerrte der Kerl ruckartig an ihr, der Körper der Giftstachlerin flutschte über den Rand des Fasses hinweg und klatschte unbeholfen zu Boden.
    Verdattert starrte der Frostalb auf ihre Flossen, dort wo seiner Meinung nach Beine hätten sein sollen.
    „Verflucht!“, knurrte er und wandte sich zu Shocai um, „warum ist sie n Fisch? Bring das sofort in Ordnung!“
    „Wasser“, japste unterdessen Astroides und rang nach Sauerstoff.

  • Ja ... warum war sie ein Fisch?
    "Verwandle dich in einen Landgänger", blaffte Shocai, doch Astroides hörte nicht auf ihn. In ihre Panik glibberte sie nur herum wie ein riesiger an Land gezogener Fisch, schlug sinnlos mit ihrer Flosse und katapultierte sich ein paar mal durch die Gegend. Shocai verstand nicht, warum sie nicht auf ihn hörte. Trotz? Rache?
    "Sie ist nicht voll funktionstüchtig", urteilte der Frostalb. "Was soll ich mit einer Arbeiterin, die nicht mal den Kopf aus dem Wasser strecken kann, ohne zu ersticken? Wie soll der Tran eurer Meinung nach vom Wal in die Destille gelangen, hä? Ich will mein Geld zurück!"
    "Kommt gar nicht in Frage!"
    Während Shocai und der Alb stritten, hüpfte Astroides nach Luft schnappend über die Wiese. Besorgt beobachtete Lahiko sie in ihrem Treiben. Zum Glück war das Gras weich, so dass sie sich nicht weiter verletzen würde. Hüpf ... hüpf ... hüpf ...
    "Herr Nyel nochmal!", rief Lahiko. "Hör auf zu streiten, zu zahnloser Ammenhai! Die Dame muss zurück ins Wasser, danach könnt ihr gerne weitermachen! Würdest du also bitte deine Muskelkraft bequemen?"
    "Er hat angefangen", verteidigte Shocai sich und zeigte mit dem Finger auf den Frostalb, der vor lauter Wut das Fass umstieß. Nun gab es für Astroides keine rasche Hilfe mehr.
    "Bei allem, was dir heilig ist, sie wird ersticken", rief Lahiko.
    "Mir ist nichts heilig. Und sie hat außerdem mit 'nem anderen angebändelt. Mein Stolz ist verletzt!", erklärte Shocai.
    "Ja - und?!"
    "Mein Stolz", brüllte Shocai. "Aber das verstehst du natürlich nicht!"
    Astroides hüpfte noch immer auf der Wiese hin und her.


    Da erhob sich aus dem Brunnen des Sündentempels das Wasser in einem Stück, wie ein riesiger schwebender Wackelpudding. Der Wasserklotz kam näher gechwebt, senkte sich auf Astroides herab und nahm sie in sich auf.
    Shocai glotzte verständnislos. Lahiko gab ein entzücktes leisen Quieken von sich. Aus den Reihen der Umstehenden war ein hochgewachsener, abnorm hässlicher Shezem getreten. Er war klapperdürr. Seine Haut war pechschwarz und glänzend, als sei er nur ein mit Folie überzogenes Gerippe. Aus seinem Hintern wuchs ein extrem langer Schwanz, den er wie ein Schal mehrfach um Hals und Schultern gewickelt hatte, damit er nicht störte. Dazu trug er eine schwarze Toga. Sein Unterkiefer stand unschön nach vorn, so dass die spitzen Zähne vor der Oberlippe waren. Er schien schief zu grinsen, aber das war nicht so einfach zu erkennen. Mit einigen Bewegungen seiner spinnenartigen Finger sorgte er dafür, dass der Klotz sich mit Astroides mitbewegte und sie nicht mehr versehentlich hinausflutschen konnte.


    "Gestatten, Kahash Xashir`zhee Cui-Vahec Nash", stellte er sich vor. "Schwimme in Richtung des Meeres, ich folge dir mit dem Wasser."
    "Und meine Arbeiterin?", brüllte der Alb.
    "Und mein Geld?", erboste sich Shocai.
    "Meine Nerven!", rief Lahiko.

  • Im ersten Augenblick realisierte die Shezem nicht was geschah, als das Wasser sie wie ein kühler Mantel umhüllte und mit weichen Armen in seine Umarmung aufnahm. Ihr ganzer Leib war von Schnittwunden übersät, die höllisch brannten, was jedoch nichts war im Vergleich zu ihren Lungen. Gierig sogen sie den Sauerstoff über die Kiemen in sich auf, um es danach ihrem rasenden Herzen zu überlassen, die lebensspendende Energie über den gesamten Kreislauf weiter zu verteilen.
    In ihrer Panik und durch das Rumgewedel ihrer Flosse hätte sich Astroides beinahe wieder aus ihrer überdimensionalen Wasserblase katapultiert, doch ihr Retter war wirklich geschickt und beherrschte seine Magie vortrefflich, so dass sich der Wasserpudding mit den Bewegungen der Giftstachlerin mitbewegte.
    Noch immer völlig aufgewühlt versuchte Astroides nichts desto trotz einen klaren Kopf zu bekommen, was ihr jedoch schwerfiel. Ihr Blick huschte unstet umher und versuchte sich an etwas festzuklammern, doch die Welt ausserhalb der Blase wirkte durch ihre sprunghaften Bewegungen verzerrt. Ihre Aufregung nahm immer weiter zu und so begann sie schliesslich vor lauter Nervosität enge Kreise zu drehen, von denen einem nur schon beim Zuschauen schwindlig werden konnte. Flusch…flusch…flusch… flitzte der rotweisse Körper immer wieder an den Zuschauern vorbei.


    "Gestatten, Kahash Xashir`zhee Cui-Vahec Nash", erklang da plötzlich eine unglaublich hohe Stimme, die durch das Wasser etwas abgestumpft wurde.
    "Schwimme in Richtung des Meeres, ich folge dir mit dem Wasser."
    Protestrufe erklangen, doch Astroides hatte nur Gehör für ihren Retter, der sich als schwarzer Schlinger entpuppte.
    Ruhig, du musst dich beruhigen… beruhige dich!
    Das Meer, das Meer… ja in welcher Richtung befand es sich überhaupt?

    Freundlicherweise begann sich der Wasserpudding langsam in besagte Richtung zu bewegen, so dass Astroides einen Anhaltspunkt hatte.
    Die Leute staunten nicht schlecht, als das Gebilde langsam an ihnen vorbeiwabbelte.
    Ob Shocai ihr folgen würde? Im Grunde war er ihr eine Erklärung schuldig. Und eine Entschuldigung!
    Doch sie konnte nur Schemen erkennen durch die Wasserwand hindurch, so dass sie einfach dem Ozean entgegenschwamm, wie es ihr Retter geraten hatte.


    „Du bist ein grosser Magier. Danke, dass du mich aus meiner misslichen Lage befreit hast. Vermutlich wäre ich an diesem unsäglichen Ort gestorben und niemand hätte sich darum geschert. Alles tut weh, mein Körper, meine Lungen... und meine Stacheln sind…“, sie brach ab und schlang ihre Arme schützend um den Körper, während sie stumm weiterschwamm.
    Endlich konnte sie die blaue Weite des Meeres erkennen, die immer grösser zu werden schien, je näher sie ihr kamen.
    „Mein Name ist Astroides, ich lebe eigentlich in Coralys. Aber ich habe keine Ahnung, wo ich hier gelandet bin. Und wie ich wieder nach Hause komme“, sogar durch den Wasserpudding hindurch konnte man die Verzweiflung in ihrer Stimme wahrnehmen.
    „Dieses unsägliche Haifischmaul! Ich hätte auf die Erzählungen hören sollen… Sandjäger sind hinterhältige, egoistische Biester!“