Salz im Gesicht
"Wir beide haben stets offen miteinander gesprochen, Irving. Das ist nicht selbstverständlich und ich bin froh, dass wir beide das können. Unter all den Menschen habe ich viele zuverlässige Edle, welche die Lehen verwalten und die Schiffe als Capitanos über den Ozean lenken. Hofdamen, die freundlich grüßen, Diener, die mir jeden Wunsch von den Augen ablesen, wie meinen treuen Vianello. Ich habe auch eine Frau, die mich ebenso liebt, wie ich sie, und die mir einen wunderbaren Sohn schenkte. Ich sollte wahrlich ein glücklicher Mann sein, doch über mir schwebt tonnenschwer das Fallbeil der Götter.
Für all diese Menschen bin ich Tazio, der aus dem Eis wieder auferstand und die Krieger heimführte, der das Land nach dem Almanischen Bruderkrieg wieder aufbaut. Mein Reich ist wie ein murmelnder Bach, dessen Wasserstand sich in der Hitze manchmal zurückzieht, doch er pläschert immerfort und bleibt nie stehen. Das Leben in Ledwick geht weiter, auch nach den Wirren des Almanischen Bruderkrieges.
Doch unter all diesen Menschen habe ich nur einen, der nichts anderes ist als mein Freund. Der an mich keine Erwartungen stellt, bei dem ich nur Tazio sein kann, als wäre ich nie dazu bestimmt gewesen, diese schwarze Korallenkrone zu tragen."
Tazios Worte klangen bitter. Er saugte an seiner blutigen Unterlippe, während er an die Decke blickte. Er und Irving lagen auf großen Kissen in dem blauen Raum, in dem sowohl der Boden als auch die Wände durchgängig mit Matratzen gepolstert waren. Tazio hatte einen weiteren göttlichen Zustand hinter sich gebracht, doch wusste nichts mehr davon, was die Unsterblichen ihm mitgeteilt hatten. Wie immer hatte Irving die Prophezeiung für ihn schriftlich festgehalten, doch Tazio schämte sich nur noch dafür, was er brabbelte, wenn er die Kontrolle über seinen Verstand verlor. Die Zeilen ergaben für ihn selten Sinn und die Priester hatten stets lange damit zu tun, den wirren Worten eine bombastische Bedeutung zu entlocken. Ihm tat jeder Muskel und jedes Gelenk weh, da er sich wie ein Bogen nach hinten gekrümmt hatte. Wie ein C hatte er dagelegen, das Gesicht verzerrt. Die Anfälle kamen häufiger in letzter Zeit.
Irving reichte ihm einen warmen Tee mit Honig, den Tazio gierig austrank, dann stellte er das Glas wieder auf dem Tablett ab, das neben ihnen auf dem Boden stand. "Was genau liegt dir auf dem Herzen?", erkundigte Irving sich. "Sprich, wenn du reden möchtest. Momentan kreist du wie ein Sandjäger um den Fisch. Ich höre dir zu."
Tazio schüttelte traurig den Kopf, ohne damit Nein zu sagen. Es war eine Geste der Resignation. "Es ist kein angenehmes Thema. Ich ärgere mich über Linhard, der mich öffentlich demütigte, nachdem ich ihm die Hand reichte. Als hätte ich es in meinem Alter nicht schwer genug, mir Autorität zu verschaffen. Die Menschen haben meinen Vater trotz seiner zahllosen Fehler geliebt. Nun, da er nicht mehr ist, verehren sie ihn als den Stern des Südens, der den Schiffen den Weg über die See weist. Wir haben zu ihm aufgeblickt und tun es auch noch immer, sehen des Nachts hinauf zum Firmament, wo er gütig auf uns herab scheint. Ich hoffe, der große Feldherr hat endlich Frieden gefunden.
Wer aber bin ich? Kaum mehr als ein Knabe mit einem blassen Gesicht, der einen zu schweren Mantel trägt und eine Krone, die kaum auf sein Haupt passt. Ich weiß, wie sie über mich reden und dass dieser Staat nur funktioniert dank einiger Getreuen, die meinem Vater zuliebe dafür Sorge tragen, dass man mir Gehör schenkt. Wie sicher wäre ich ohne Ambrigio di Caldera? Ohne Mauro di Georgo? Die Admiräle kochen ihr eigenes Süppchen und offen gestanden bin ich froh darüber, wie selbstständig sie ihrer Arbeit nachkommen, aber habe ich sie unter Kontrolle? Sie sind doppelt so alt wie ich und wenn sie mit mir sprechen, dann höflich, aber ich spüre, dass sie mich nicht als obersten Befehlshaber des Heeres wahrnehmen. Um das zu erkennen, brauchst du nur einen Blick nach Ehveros werfen, wo die Oltremarini sich austoben."
"Und dann kommt obendrein auch noch Linhard von Hohenfelde und verhöhnt dich vor den Augen der Öffentlichkeit."
"Ja!" Tazios Gesicht war bleich vor Zorn, auch wenn er seine Stimme nicht erhob. Er war niemand, der schrie. "Ich habe ihn in meiner Ehe geduldet aus Rücksicht auf Verrill. Er spuckte mir ins Gesicht und verstieß offen gegen das Gesetz, nahm sich eine Frau als Hure nach der anderen. Er gefährdete die Gesundheit meiner Familie und besudelte ihr Ansehen, von dem Ansehen der geschändeten Familien ganz zu schweigen. All das waren ehrbare Leute gewesen, bis Linhard kam.
Als ich ihn zur Rechenschaft zog und ihm die Hand reichte, log er mir ins Gesicht, spielte Reue vor. Er reiste zurück nach Souvagne und fuhr dort mit seinen Umtrieben fort, gründete eine Familie neben der meinen, ohne auch nur Rücksprache zu halten. Wie sehr kann man einen Duca noch verhöhnen?
Ich weiß nicht, was ich mit ihm tun soll, Irving. Ich weiß nicht, was ich überhaupt noch tun soll. Ich dachte, er und ich könnten Freunde sein. Aber scheinbar habe ich alles falsch gemacht. Jeder kleine fremdländische Adlige lacht über mich. Sie amüsieren sich, warten darauf, wann ich das nächste mal versage. Delfio wird diesen Thron niemals bekommen, sie werden vorher putschen und ihn und seine Mutter ersäufen. Ich bin zu jung für dieses Amt."
Ein kurzer Krampf durchlief Tazio, doch er durchlitt keinen neuen Anfall. Wortlos zog Irving ihn in seine Arme und hielt ihn. Trost gab es nicht und er schwieg.