Beiträge von Rósa vom Wolfsclan

    Habe die Dolche rausgestrichen :)


    Mit ernster Miene verfolgte Rósa Seweryns Gestammel. Ohne Zweifel war ihm anzusehen, dass er in einem Dilemma feststeckte. Einerseits wäre er am liebsten direkt aufgebrochen, um seine Schwester zu suchen, andererseits fühlte er sich verpflichtet bei den beiden Frauen zu bleiben.
    Rósa dachte erst einmal pragmatisch.
    „Hast Du schon gefragt, ob jemand diese mysteriöse Albin bereits einmal gesehen hat? Vielleicht ist sie hier gar nicht unbekannt? Bevor Du irgendwelchen Hinweisen nachläufst, solltest Du zuerst versuchen mehr über sie zu erfahren!“


    Dann wurde ihr Blick weicher und sie gab ihm einen freundlichen Klapps auf die Schulter.
    „Aber hey, ich verstehe Dich. Familie ist das Wichtigste. Ich würde ebenfalls jedem Zeichen nachgehen, wenn ich von Lysa getrennt würde. Du wirst Deine Schwester finden und wir werden Dir ganz bestimmt nicht im Wege stehen! Warten wir einmal ab, was Jeelens Bekannte mir für Informationen geben können. Aber sollte es für Lysa in Shohiro eine geeignete Akademie geben, wärst Du wieder ein freier Mann.“
    Sie grinste ihn an.


    "Was auch immer. Ich bringe euch, wie gesagt, in irgendeine Akademie. Meine Schwester kann warten. Sie hat schon lange gewartet, da kommt es auf ein paar Tage nicht an.".
    Dann wurde sein Blick hilfesuchend.
    "Was meinst du...wie kann ich Klein-Lysa das alles ordentlich beibringen? Zumal Jeelen ja nun auch schon weitermuss?"
    «Nun, Du sagst ihr, was Du mir auch gesagt hast und machst keine Versprechungen, die Du nicht einhalten kannst. Sie weiss von Deiner Schwester, oder? Dann wird sie es genauso verstehen wie ich. Sie hat euch beide gern bekommen. Ihr Vater fehlt ihr und manchmal denke ich, dass sie sich eine richtige Familie wünscht, wo sie bleiben und einfach Kind sein kann. Ihr zwei habt ihr ein wenig von dem Gefühl zurückgegeben auf unserer Reise. Nun denn, mach Dir keinen zu grossen Kopf um uns. Lysa und ich haben es zusammen von Thogrim übers Meer bis nach Asamura geschafft, da werden wir ein paar läppische Kilometer zu ner Akademie auch noch hinkriegen!»


    Die kleine Wassermagierin war unheimlich froh, dass der Abschied noch etwas hinausgeschoben wurde, was ihre Laune wieder etwas besserte. Auch die Aussicht auf Süsskuchen, Honigmilch oder Punsch taten ihr Übriges dazu.
    «Was passiert denn nun mit Moldi? Du darfst ihn nicht verkaufen Seweryn! Aber ich hab doch schon Fredo. Also musst Du ihn mitnehmen. Jeelen mag ihn bestimmt nicht behalten», bei ihren letzten Worten blickte sie den Goblin skeptisch an.
    «Gibt’s bei deiner Familie noch andere Kinder zum Spielen, Jeelen?», fragte sie schliesslich neugierig und begann sich langsam richtig auf das zu Hause ihres Freundes zu freuen.
    «Und gibt’s da Menschen, die so Sachen können wie Mama und ich? Oder wie Artok? Und leben da noch mehr Goblins? Und habt ihr Tiere?»
    Als sie durch die Stadt zottelten, musste Rósa die Kleine beinahe dazu zwingen, die beiden Männer loszulassen. Am liebsten wäre Lysa nämlich den ganzen Weg über Hand in Hand zwischen ihnen gelaufen.

    Erst im Schankraum besserte sich Lysas Laune wieder etwas auf, nur um dann wieder in den Keller zu sacken. Gerade noch hatte Seweryn gesagt, dass er nicht wisse, wie lange er noch bei ihnen bliebe und nun meinte Jeelen, dass er sie verlassen müsse.
    Lysa zog einen traurigen Flunsch und klammerte sich an Jeelen fest. Sie wollte nicht weinen, doch man konnte ihr ansehen, dass sie nicht mehr weit davon entfernt war.
    Rósa bemerkte die Lage ihrer Tochter, konnte sie jedoch auch nicht mehr trösten, als sie es bereits versucht hatte. Und es nützte schliesslich auch nichts, dem Kind etwas vorzumachen.
    Ihr Blick glitt zu Seweryn hinüber, wobei sie stutzte.
    Hatte sie etwas verpasst?
    „Alles in Ordnung mit Dir Sew?“, sprach die Norkara ihn direkt darauf an.
    „Du wirkst, als hättest Du einen Geist gesehen. Oder schlägt Dir das Frühstück auf den Magen?“


    „Nun, ich würde Dich gerne begleiten Jeelen, um einige Dinge in Erfahrung zu bringen. Vielleicht ist dies ja der geeignete Ort für Lysas Ausbildung. Oder wir werden uns bald wieder auf die Reise begeben, stimmts Kleines?“
    Lysa brummelte etwas Unverständliches und klammerte sich noch fester an Jeel fest, während ihre Augen sich hilfesuchend an Seweryn festhielten.
    „Begleitest Du uns Sew? Oder willst Du noch andere Besorgungen erledigen?“, wandte Rósa sich an den Almanen.
    Seine Unruhe besorgte sie leicht und sie spürte ihre mütterlichen Instinkte, welche bereits die ganze Gruppe miteinbeziehen wollten.
    „Vielleicht würde eine Tasse Tee Dir auch ganz gut tun“, meinte sie schliesslich grinsend.
    „Gibt’s bei deinen Freunden auch Punsch und Honigmilch?“, erkundigte Lysa sich nun doch wieder und blickte hoffnungsvoll ihren goblinischen Freund an.
    "Nun denn, lasst uns doch gleich aufbrechen. Vielleicht können wir auf dem Weg noch kurz beim Markt vorbeischauen, dann ist das Schleckermaul hier für eine Weile auch wieder glücklich!"

    Die weitere Reise war ruhig verlaufen und Rósa hatte kurz vor Shohiro sogar noch einmal die Gelegenheit wahrnehmen können, um sich zu verwandeln. So ganz behagte es der Gestaltwandlerin und Norkara nicht, mitten in eine dieser ummauerten Grossstädte vorzudringen. Zum einen war es unheimlich schwierig, den Überblick zu behalten, und zum anderen spielten ihre Sinne verrückt in dem Getummel. Vor Allem ihre Nase wurde sozusagen unbrauchbar ab all der Gerüche, die sie gleichzeitig malträtierten und juckte ständig unangenehm.
    Plötzlich wünschte Rósa sich wieder einige Tage zurück, als sie noch in der kleinen Gruppe auf einer holprigen Landstrasse entlangmarschiert waren. Zudem hatte die Mutter mit Freude beobachtet, wie Lysa in der Gesellschaft der beiden Männer aufblühte. Während sie Jeelen gerne zu Albernheiten anstiftete, sich einen Spass daraus machte, ihn mit ihrer Magie zu überrumpeln oder von ihm wissen wollte, wie man den kleinen Dolch benutzte (was ihre Mamma immer mit etwas Unbehagen beobachtete), wollte sie von Seweryn Lieder lernen und hatte urplötzlich ein immenses Interesse an den Kochkünsten entwickelt.
    Als die Stadt am Horizont auftauchte, hatte Rósa für einen Moment die Melancholie ergriffen. Hier würde ihre gemeinsame Reise also vermutlich enden und jeder seiner eigenen Wege gehen.


    Doch als sie an diesem Morgen aufwachte, spürten sie den warmen Körper ihrer kleinen Tochter neben sich und hörte das Schnarchen der beiden Kerle in zwei anderen Betten des geräumigen Zimmers. Sie hatten sich ein gemeinsames Schlafgemach besorgt, um etwas von dem Geld zu sparen. Ausserdem hatten sie unter freiem Himmel bereits viel näher nebeneinandergelegen.
    Rósa genoss die Annehmlichkeit der Taverne und spürte gleichzeitig, wie Lysa langsam erwachte und sich nur umso mehr in die Nähe ihrer Mamma kuschelte.
    Von dem kleinen Fenster her konnte sie bereits die ersten Stimmen hören und das Gerumpel der Karren. Bestimmt waren sie auf dem Weg zum Marktplatz. Rósa lächelte und küsste das goldgelockte Haupt ihres Mädchens. Dieses hatte bereits angetönt, dass sie alle zusammen einkaufen gehen sollten. Jetzt seien doch Süssigkeiten wieder erlaubt?
    Dabei hatte sie mit treuen Augen zu ihrer Mutter hochgeschaut, und als die Norkara einen Seitenblick auf Jeelen geworfen hatte, guckte er genauso unschuldig wie ein Lamm.


    Plötzlich hörte Rósa ein flüstern und spürte, wie sich der kleine Körper zu ihr umdrehte.
    „Mamma, werden Jeelen und Seweryn uns jetzt wieder verlassen?“, der Klang ihrer Stimme war eindeutig traurig und doch auch voller Hoffnung, dass dem nicht so sein möge.
    „Ich weiss es nicht genau Lysa. Aber vermutlich schon, ja. Aber wohin es unsere Freunde verschlägt, musst du sie schon selbst fragen.“
    Einen Moment war nichts zu hören.
    „Ich will nicht, dass sie weggehen“, nuschelte dann das Kind.
    Obwohl Rósa es ungern zugab, würde sie die beiden Kerle vermissen. Trotzdem antwortete sie Lysa darauf möglichst neutral: „Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass wir nur bis zu einem bestimmten Punkt mit den beiden reisen werden. Abschiede gibt es immer wieder Lysa. Aber du wirst auch immer wieder neue Freundschaften knüpfen. So ist der Lauf der Dinge.“
    Tatsächlich wusste aber auch die Norkara noch nicht so genau, was nun folgen würde. Jeelen hatte erzählt von einem Freund, der eine passende Akademie für die kleine Magierin kennen könnte. Das wäre nun einmal ihr erstes Ziel in dieser grossen Stadt. Und dann?


    Weiter musste sie jedoch nicht grübeln, denn da erklang bereits ein ausgedehntes Gähnen.
    Auch Lysa bemerkte, dass Seweryn erwachte und war schneller aus dem Bett gehüpft, als ihre Mutter blinzeln konnte.
    Ihre Trauer war vergessen, und sie sprang mit einem grossen Satz zu Seweryn aufs Bett. Er blickte noch etwas verschlafen drein, als er in die begeistert leuchtenden Augen von dem ungestümen Kind schaute.
    „Heute gehen wir auf den Markt! Dann gibt’s endlich wieder Süssigkeiten. Mamma hat es nämlich erlaubt“, Bestätigung heischend huschten ihre Augen zu Rósa hinüber, welche mit einem Schmunzeln auf den Lippen nickte.
    „Du Seweryn, was machst du denn jetzt, wo wir die Stadt erreicht haben? Gehst du weg von uns?“


    Von Jeelen war auch einige Minuten später nur ein brummliges Schnarchen zu vernehmen.
    „Er klingt wie ein Bär“, kicherte das Mädchen und gespannt lauschten die drei gemeinsam auf die Schlafgeräusche des Goblins.
    „Wir könnten ihn aufwecken!“, schlug Lysa plötzlich aufgeregt vor und schaute erwartungsvoll zu Seweryn hinüber in der Annahme, er hätte eine lustige Idee auf Lager.

    „Auf der anderen Seite kleben bleiben?“, Rósa starrte Jeelen verwirrt und erschrocken zugleich an. Sie warf einen Blick zu Lysa hinüber, die gerade von Seweryn ausgekitzelt wurde, dabei wild um sich zappelte und lachte.
    „Ich glaube, spätestens nun ist sie wieder im Hier und Jetzt“, lächelte ihre Mutter liebevoll.
    Tatsächlich überlegte sie zurück, ob sich das Kind jeweils auffällig verhalten hatte, doch sie konnte sich an keine seltsamen Aussetzer oder dergleichen erinnern.
    Doch Jeelens Freund schien ja auch ein Geistmagier zu sein und kein Wassermagier. Was Rósa sogleich wieder darin bestärkte, dass nur Elementarmagie geheuer war.
    Trotzdem fand sie die Idee nicht schlecht, diesen aufzusuchen. Solange er Lysa keinen gefährlichen Kram beibrachte, konnten sie vielleicht sogar einige Dinge von ihm in Erfahrung bringen.


    Lysa horchte auf, als Seweryn die Stadt erwähnte. Sie hatte sich inzwischen aus seinen Armen gewunden und beäugte ihn aus einiger Entfernung misstrauisch, so als erwartete sie eine neuerliche Kitzelattacke.
    Schliesslich huschte sie zu Jeelen hinüber, um sich bei ihm in Sicherheit zu bringen.
    „Vielleicht können wir dort auch wieder zusammen einkaufen gehen, wenn wir jetzt brav sind“, nuschelte sie ihm leise zu.


    Nach dem Frühstück wurden auch bereits wieder die Sachen gepackt. Lysa hatte es geschafft, den grössten Teil des Wassers aus den Kleidern herauszuziehen und liess es in Form kleiner Ameisen davonmarschieren, die aber zum Glück niemand bemerkte. Vermutlich hätte es bloss wieder einen Aufstand nach sich gezogen. Den Rest erledigten dann die Körperwärme und die ersten Sonnenstrahlen.


    Rósa lauschte Jeelens Erklärungen. Wie viel er immer wusste. Manchmal fasst zu viel. Bald drehte sich ihr der Kopf ab all den Namen und Fraktionen.
    Dass sie aber bald von viel Wald umgeben seien, behagte ihr nicht so sehr.
    Klar waren Wälder wunderbar, sie boten Schutz und Nahrung. Doch gleichzeitig hatten sie in ihrer Heimat eher karge Landschaften gehabt, wo man einen guten Überblick behalten konnte.
    Nun gut, sie würde sich damit arrangieren müssen. Vielleicht war es dafür auch einfacher, sich des Nachts einmal zu verwandeln und nicht gleich entdeckt zu werden.


    „Klingt ja eigentlich ganz gut. Von den hohen Herrschaften werden wir uns besser fernhalten, da hast du vermutlich Recht. Eine Zwergenstadt? Werden wir dort nicht unnötig auffallen?“, wandte sie dann vorsichtig ein.
    Sie waren bereits Zwergen begegnet, doch diese kleinen Männer waren ihr genauso suspekt wie die Goblins – abgesehen von Jeelen natürlich.
    Lysa hingegen hatte sie toll gefunden. Mit dem langen und äusserst kreativen Bartwuchs, der Kleinwüchsigkeit und ihrer manchmal drolligen Art, entsprachen sie genau ihrer Vorstellung von interessanten Bekanntschaften.


    Während sie ritten, streichelte Lysa immer wieder durch Moldis braune Mähne. Eine Zeit lang war es still geworden, doch irgendwann bettete das Kind bei Seweryn danach, dass er ihr nochmals ein Lied vorsinge.
    Als sie in den Himmel guckte, musste sie lachen.
    „Guck Mal, die Wolke sieht aus wie ein Eisbär!“, und sie deutete auf ein plüschiges Gebilde über ihnen. Nacheinander musste darauf alle beschreiben, was sie in den Wolken für Figuren ausmachen konnten. Lysa strahlte dabei wie ein kleiner Engel und es war zu sehen, dass sie sich pudelwohl fühlte.
    „Würdet ihr auch gerne Magier sein? Und was für welche? Artok sagte, dass es Leute gibt, die auch Feuer machen können. Oder die Erde bewegen oder den Wind anstossen“, fragte sie schliesslich in die Runde, während die beiden Braunen nebeneinander hertrotteten, die Lastponys im Schlepptau.
    „Mammas Magie ist auch ganz toll“, meinte sie schliesslich nachdenklich.
    Rósa winkte schnell ab: „Ja, es kommt mir selbst manchmal wie Zauberei vor, son freches Hühnchen gross zu ziehen!“

    Rósa starrte Jeelen noch immer skeptisch an, als Seweryn plötzlich ebenfalls aufschrie und wie ein Wilder auf den Boden einhieb.
    Was ist denn in die gefahren?
    Tatsächlich begann er nun von Schlangen zu faseln.
    Mäuse, Schlangen, was kam wohl als nächstes?
    Doch auch sie konnte nichts erkennen, denn kaum hatte der Almane auf das Wesen eingeschlagen, war Lysa erschrocken zusammengezuckt, und das Wasser im Boden versiegt.
    „Was soll das? Wollt ihr noch jemanden verletzen?“, knurrte die Norkara die beiden Männer an, welche beide vollbewaffnet und zum Angriff bereit vor ihr standen, obwohl weit und breit weder etwas zu sehen, zu hören oder zu riechen war.
    Rósa wandte sich vorsichtshalber zu ihrer Tochter, um zu kontrollieren, ob das Kind ausserhalb der Reichweite dieser zwei verrückten Kerle stand und bemerkte dann das belustigte Funkeln in den Augen des Mädchens.
    Im selben Moment ahnte die Mutter, was Sache war.
    „Lysa? Willst Du Dich nicht bei den beiden mutigen Kämpfern hier bedanken, die das Leben für uns aufs Spiel gesetzt haben, um sowohl Ratte als auch Schlange zu enthaupten?“
    Erschrocken und schuldbewusst zugleich flog der Blick des Kindes zwischen den Anwesenden umher, während ihre Mutter sie mit hochgezogener Augenbraue tadelnd musterte.
    „Ähm, ja… danke?“, murmelte Lysa.
    Doch dann platzte es plötzlich beinahe empört aus ihr heraus: „Die Ratte war gar nicht so gross wie ein Pony! Sie war nicht grösser als Pulga!“
    Bis anhin hatte Rósa versucht eine ernste Miene aufzusetzen, doch nun konnte sie nicht mehr an sich halten und lachte los.
    Verdutzt wurde sie von den beiden irritierten Männern angestarrt, hatte sie etwa auch zu viel getrunken?
    „Ihr wurdet an der Nase rumgeführt, Jungs. Also Jeelen, von Dir hätte ich erwartet, dass Du inzwischen Übung darin hättest, den Schabernack der kleinen Lady hier zu durchschauen. Und Du Sew… weisst doch eigentlich von ihren besonderen Fähigkeiten. Dachte ich zumindest?“
    Lysa begann nun auch wieder zu grinsen, nachdem es von ihrer Mamma keines auf den Deckel gab.
    „Das hat lustig ausgesehen, als Jeelen vom Stein gekullert ist“, lachte sie fröhlich.
    „Aber es gibt hier keine richtigen Dämonen, oder Mamma?“, leichte Sorge klang aus ihrer Stimme heraus und sie blickte sich nun doch etwas verunsichert herum.
    „Nein Liebes, ich glaube nicht. Und sonst kannst Du sie bestimmt für uns vertreiben. Schliesslich hast Du schon zwei gestandene Krieger in Angst und Schrecken versetzt!“


    Nachdem sich herausgestellt hatte, wer für den ganzen Spuk verantwortlich war, erklärte Rósa nun auch noch Jeelen, was es mit Lysas Fertigkeiten auf sich hatte, und auch endlich, was für eine Ausbildung sie für ihre Tochter im Sinn hatte.
    „Nun, ich möchte, dass sie eine richtige Wassermagierin wird. Sie soll lernen, damit umzugehen. Ich stelle mir das vor wie mit einem Messer. Wenn man weiss, wie es zu benutzten ist, wird es für den Träger um ein Vielfaches weniger gefährlich, als wenn man bloss unbedacht damit herumspielt.“
    Währenddessen hatte Lysa eine weitere Pfütze aufgespürt, so dass kurz darauf bunte Seifenblasen in den Himmel aufstiegen.
    „Nicht böse sein. Ich dachte nicht, dass Du Dich vor der Ratte fürchtest“, entschuldigte sich Lysa schliesslich doch noch bei Jeelen und ihre blauen Augen blickten ihn dabei unschuldig an.
    „Sie kann Dir nicht weh tun, Du wirst höchstens nass davon“, setzte sie dann schnell noch hinzu.
    Rósa nickte zufrieden.
    „Und die Schlange war bestimmt auch nicht giftig“, sie lächelte Seweryn an.

    Lysa hielt sich die Hände vor den Mund, um nicht laut loszuprusten, als Jeelen völlig verschreckt vom Stein kullerte. Für sie waren ihre Wasserfiguren das Natürlichste der Welt und sie konnte sich nicht vorstellen, wie jemand Angst vor einer kleinen Maus haben könnte oder diese gar für einen Dämon hielt.
    Dabei war das Mäuschen noch ganz harmlos.
    Als sie mit Artok unterwegs waren, hatte sie fleissig geübt und schaffte inzwischen sogar Wesen zu erschaffen, die nicht mehr nur die Grösse einer Handfläche hatten, sondern etwa das Ausmass eines Fuchses erreichten, wobei sie sich dabei schon stark konzentrieren musste.
    Leider war Jeelen bei seinem Sturz mitten auf ihrem Tierchen gelandet und hatte es „zerdrückt“.


    Als er begann Alarm zu schlagen, zuckte selbst Lysa zusammen.
    Im nächsten Moment standen auch schon ihre Mamma und Seweryn neben ihr und drückten sie instinktiv in den Hintergrund, wo sie sie in Sicherheit wähnten.
    Rósa hatte zerzauste Haare und man merkte ihr an, dass sie unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde. Nichts desto trotz hielt sie ihren Speer in der Hand und ihr Blick suchte aufmerksam nach der drohenden Gefahr, die der Goblin so laut angepriesen hatte.
    Selbst Seweryn wirkte etwas zerknautscht, hatte er schlecht geschlafen?
    „Was ist denn los?“, fragte die Norkara schliesslich, nachdem sie in unmittelbarer Nähe keine Bedrohung ausmachen konnte. Skeptisch schaute sie Jeelen an, der völlig durch den Wind war, mitten im Dreck hockte und etwas von Dämonen faselte.
    „Hattest Du zu viel Alkohol gestern Abend?“, meinte sie schliesslich, während sie noch einmal prüfend die Gegend beobachtete. Die Wolken lösten sich langsam auf und es schien ein friedlicher Morgen heranzubrechen.


    Als auch noch Seweryn begann, Witze über Jeelens Zustand zu reissen, bekam Lysa dann doch Mitleid und wollte ihn aus seiner misslichen Lage befreien.
    Die Erwachsenen beachteten sie gar nicht, weshalb sie sich nach einer weiteren Pfütze umschaute.
    Während die Anderen laberten, schlängelte sich eine vom Schmutzwasser leicht bräunlich gefärbte Schlange von etwa einem Meter Länge gemächlich von der Seite an Seweryn heran.
    Lysa war immer fasziniert vom Aussehen ihrer Wasserwesen, denn ihre Konsistenz und Färbung schienen ein Eigenleben zu besitzen. Manche waren beinahe durchsichtig, andere bläulich oder gar grünlich, andere Weiss, als würde das Wasser in ihrem Innern sich wie im Fluss bewegen.
    Gespannt war ihr Blick auf die beiden Männer gerichtet, als ihr plötzlich in den Sinn kam, dass Rósa ihre Aktion womöglich gar nicht so lustig finden würde.
    Doch in diesem Moment war es bereits zu spät, denn die Schlange wurde entdeckt!

    Rósa verstand die beiden Kerle gut. Ihre Berufswahl war nicht sehr kinderfreundlich. Aber dass beide es in Betracht zogen ihre Arbeit einzutauschen, um dafür eine Familie gründen zu können, machte sie gleich noch sympathischer.
    Für ihr Mädchen hätte die Norkara alles getan, sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als Lysa zu verlieren.
    „Ich würde mich sehr freuen, deine Zukünftige kennenzulernen, Jeel. Und ihr gleich Mal raten, sowohl das Kind als auch Dich immer im Auge zu behalten, wenn Süssigkeiten in Sichtweite sind.“


    „Habt ihr euch nie überlegt, an einem Ort zu bleiben und einem „gewöhnlichen“ Handwerk nachzugehen? Oder warum“, ihr Blick glitt prüfend zu Lysa, „tut ihr das, was ihr tut? Des Geldes wegen?“
    Rósa nickte bloss, als Seweryn Bericht zum Stand des Wetters und den Pferden erstattete.
    Gleichzeitig bemerkte sie aber auch Jeelens zwiegespaltene Miene.
    „Willst du uns etwas mitteilen Jeel?“, lachte sie.


    „Wie kann Musik nur als Zeitverschwendung angesehen werden. Es ist doch eher eine Möglichkeit, die Zeit zu verkürzen, wenn sie einem zu lange wird. Ausserdem sind Lieder in der Lage, eine Gruppe zusammen zu schweissen, anzutreiben oder kleine Kinder zu beruhigen“, meinte sie als Antwort auf Jeelens Aussage.
    Diese Goblins waren schon ein seltsames Völkchen. Doch sie hatte bereits gehört, dass sie eine relativ kurze Lebensspanne besassen, fleissig waren wie ein Bienenstock und keine Minute ungenutzt verstreichen liessen. Jeelen schien sich wohl etwas von seinen Artgenossen zu unterscheiden, zumindest was den Musikgeschmack betraf.
    „Nun, ich denke, dass die meisten Menschen Lieder kennen lernen auf ihrem Lebensweg. In meinem Volk im Norden werden bei Festen oder am Lagerfeuer Melodien gesungen und gespielt. Oftmals erzählen sie eine Geschichte von unseren Vorfahren, welche die Meere bereisten, bevor sie sich auf Thogrim niederliessen. Und so werden die Lieder von Generation zu Generation weitergegeben und die Ahnen geraten niemals in Vergessenheit.“


    Rósa nickte zustimmend, sie würde die erste Wache übernehmen. Das Feuerchen hatte inzwischen völlig aufgegeben und die Dunkelheit begann sie zu umhüllen. Viel Anderes als zu schlafen blieb ihnen gar nicht übrig.
    „Ich werde dann Mal Draussen wachen“, meinte Rósa und liess die drei Schemen im Unterschlupf zurück.
    Sie hatte beschlossen, Seweryn heute einen etwas ausgiebigeren Schlaf zu gönnen, denn sie verspürte schon den ganzen Tag eine innere Unruhe.


    Zuerst machte sie eine prüfende Runde um das Lager herum, um auf Nummer sicher zu gehen, dass keine unliebsamen Besucher in der Nähe waren.
    Dann achtete sie darauf, hinter einem Gestrüpp abzutauchen, das kaum zu sehen war von der Ruine aus, wo sie jedoch die Umgebung trotzdem im Blick haben würde. Sie lauschte auf jegliche Geräusche und schnupperte in der Luft.
    Keine Auffälligkeiten.
    Schliesslich entkleidete sie sich so rasch als möglich und legte das Bündel unter den Strauch, um es so etwas von dem Regen zu schützen, der bereits merklich nachgelassen hatte.
    Völlig nackt kniete sie sich schliesslich auf die feuchte Erde und schloss die Augen, um sich zu verwandeln.


    Rósa spürte, wie ihre Sinne sich mehr ausprägten. Obwohl sie nicht viel mehr sehen konnte, hörte sie nun jedes Knacksen und jeden Schritt in der Umgebung. Doch am allermeisten veränderte sich ihr Geruchsinn. Als Eisbärin konnte sie Robben unter der Eisdecke riechen und verwesende Tiere über mehrere Kilometer hinweg orten.
    Doch auch ihr Körper veränderte sich, nahm an Gewicht und Grösse zu, dichter, weisser Pelz bedeckte beinahe jeden Zentimeter, Nase und Mund wurden zu einer länglichen Schnauze mit kräftigen Kiefern, Ihre Hände und Füsse zu riesigen Pranken. Mit beinahe 300kg und zwei Metern Kopf-Rumpf-Länge legte sie eine ordentliche Masse auf die Waage.
    Wie gut es tat, wieder einmal den Boden unter ihren Tatzen zu spüren.
    Während sie aufmerksam schnupperte und lauschte, um sich nichts entgehen zu lassen, trottete sie in einem beträchtlichen Abstand, um die Pferde nicht aufzuschrecken, um das Lager herum ihre Runden. Sie traute sich nicht, in den nahen Wald zu gehen, wollte sie sich doch trotzdem nicht zu weit entfernen.
    Sie fühlte sich so wach und lebendig wie schon lange nicht mehr.


    Als sie einige Stunden später wieder ins Lager zurückkehrte, haftete ein animalischer Geruch an ihr, den auch der Regen nicht vollkommen abwaschen konnte.
    Sie weckte schliesslich Seweryn auf, der noch zu schlafen schien.
    „Hab Dir ne grössere Mütze schlaf gegönnt. Hätte noch nicht einpennen können“, murmelte sie ihm zu.
    „Keine Besonderheiten.“
    Dann mümmelte sie sich neben Lysa ein.
    Am nächsten Morgen würde der Regen auch noch die letzten Prankenabdrücke weggespült haben…



    Lysa wachte noch vor den anderen beiden Erwachsenen auf und spähte mutig aus ihrem Deckenknäuel hervor. Sie hielt nach Jeelen Ausschau, doch offensichtlich war er Draussen, um Wache zu halten. Schliesslich stand sie auf und tapste leise zum Ausgang. Da sah sie ihn in einiger Entfernung auf einem Stein hocken. Er beobachtete gerade den Sonnenaufgang, der spärlich hinter den Wolken zu erkennen war.
    Das Kind war gut gelaunt, denn das Gewitter war nun an ihnen vorbeigezogen und ein neckisches Funkeln trat plötzlich in ihre Augen.
    Sie sah sich um und entdeckte eine Pfütze, die sich in einer Kuhle im Boden gebildet hatte. Während sie sich konzentrierte, zog sich das Wasser zusammen und begann Form anzunehmen.
    Schliesslich schickte Lysa ihre Wasserratte, welche die Grösse von Pulga hat, auf die Reise zu Jeelen, während sie selbst ihn gespannt beobachtete. Die Wasserfigur kletterte geschickt den Stein hoch und stellte sich frech neben dem Goblin auf die Hinterbeine, gerade so als würde sie ihn beschnuppern.

    „Ich denke nicht, dass es gut ist, wenn einige sich über andere aufschwingen, um ihnen ihren Willen aufzuzwingen. Und auch wenn es manche Sklaven womöglich besser haben als die Freien, so ist es doch eine Sache des Stolzes und der Ehre, selbst über sein Leben bestimmen zu können, sich aussuchen zu dürfen, wo man leben und was man arbeiten möchte.
    Obwohl ich gehört habe, dass hier bei einigen Völkern die Frauen die Sklaven ihrer Männer sind. Auch sie bekommen keinen Lohn für ihre Arbeit. Bei uns Norkara übernehmen Frauen und Männer oftmals dieselben Aufgaben.
    Ich denke, dass ich selbst daran zerbreche würde, als Sklavin leben zu müssen. Meine Freiheit schätze ich sehr und ich möchte selbständig für meine Familie sorgen können. Ehre und Stolz sind meinem Volk sehr wichtig. Doch vor Allem möchte ich Lysa ein gutes Leben ermöglichen, sie soll die Freiheit haben, ihren Weg selbst auszusuchen.“


    Als der Blitz einschlug, zuckte auch die hartgesottene Norkara zusammen und blickte zu ihrer Tochter hinüber, die den Tränen nahestand.
    Auch Seweryn hatte dies bemerkt. Nachdem er Jeelen eine Flasche rüberreichte, die dieser nach einem kräftigen Schluck an Rósa weitergab, nahm er Lysa in den Arm und begann zu singen.
    Der Alkohol wärmte sie von Innen, doch auch zu sehen, wie die Gruppe sich zusammenschloss und sich gegenseitig unterstützte, liess eine wohlige Ruhe in ihr aufsteigen.
    Alle lauschten sie dem Lied und die Norkara bemerkte, wie das Mädchen sich beruhigte.
    Mit grossen Augen hörte Lysa Seweryn zu und vor ihrem Innern zogen die Bilder einer sicheren Burg auf, in deren Mitte eine Gruppe fröhlicher Gesellen vor dem Feuer sass, sich Geschichten erzählte und lachte, während vor den Zinnen ein Sturm tobte.
    „Das hat mir gefallen“, flüsterte Lysa zurück. Inzwischen schienen ihr die Lieder beinahe zuzufallen: „Singst Du es noch einmal?“
    Rósa lächelte und begann ihr aus der Decke eine Schlafstätte herzurichten.
    Sie gab Pulga dem Goblin zurück und achtete dann darauf, dass das Kind bequem zum Liegen kam.
    „Ich fand es auch sehr schön. Es stärkt den Zusammenhalt und zeigt auf, wie wichtig Freundschaft ist. Dann bist du auf einer Burg aufgewachsen?“, wandte sie sich dann an den Sänger.
    „Du wirst deine Schwester bestimmt wieder sehen“, meinte sie dann noch aufmunternd.


    Es war bestimmt nicht einfach für Seweryn, so ohne seine Familie. Immerhin hatte er vor Allem seine Schwester schon einige Mal erwähnt, und obwohl es oft eher nebenbei geschah, konnte Rósa die Liebe erkennen, welche er für sie hegte.
    Doch auch Jeelen reiste alleine durch die Welt und das obwohl er ebenfalls Leute hatte, welche für ihn einer Familie am nächsten kamen. Rósa war gespannt, ob sie in Shohiro einige seiner Freunde kennenlernen würden.
    Sie wurde immer neugieriger auf die Stadt und freute sich darauf.
    Gleichzeitig war sie unheimlich dankbar dafür, eine so wunderbare Tochter zu haben. Auch wenn die Umstände nicht gerade die einfachsten waren, so hatten sie trotzdem einander.
    „Hoffentlich lässt das Gewitter bald nach. So wäre die Weiterreise nicht gerade angenehm!“, murmelte sie dann eher zu sich selbst, während ihr Blick liebevoll auf dem Kind lag.
    Sie entdeckte den Wasserschlauch und hob ihn auf. Er war inzwischen abgekühlt, nachdem Lysa ihn nicht mehr mit ihrer Magie weiter erwärmt hatte.
    Es war faszinierend, was alles in ihr steckte. Vielleicht konnte sie ihnen auch mit der Kleidung behilflich sein, ging es ihr noch durch den Kopf.
    „Hey Jungs, wollt ihr auch Mal eigne Kinder haben? Oder ist die Planung noch in weiter Ferne?“, sie grinste die beiden Männer an.
    „Ihr würdet bestimmt ordentliche Väter abgeben. Und son kleiner Wicht mit deinen Goblinohren wäre bestimmt putzig!“

    Die Erzählungen von Jeelen lenkten Lysa etwas von ihrer Unruhe ab und so an Seweryn gekuschelt fühlte sie sich ganz wohl.
    Als der Goblin meinte, sie könne ja einfach einen Bohneneintopf aufessen, musste sie gar lachen.
    Hexer?
    Dieses Wort gefiel der Kleinen weniger gut. Die Kinder in ihrem Dorf hatten sie manchmal so genannt und es war eindeutig nicht freundlich gemeint gewesen.
    Sie entschied für sich, Magierin zu werden, keine Hexe.
    Dass es Magier gab, welche in den Kopf von anderen eindringen konnten, fand das Mädchen faszinierend, auch wenn sie nicht ganz begriff, wie das gehen sollte.
    Sie hatte es einmal versucht aus Neugier heraus als Artok noch mit ihnen reiste, aber der Geist von Menschen blieb ihr verschlossen. Nur allzu gerne hätte sie hinter die Türen in den Köpfen geschaut, von denen Jeelen erzählte.
    Als Elementarmagierin beherrschte sie das Wasser, wenn auch sie noch an den Anfängen stand. Sie konnte das Wasser spüren, wenn es sich in ihrer Nähe befand, es war beinahe greifbar. Lysa konnte es formen mit ihrem Willen, doch es kostete auch Energie und Konzentration.
    Sie dachte noch darüber nach, wie es sich wohl anfühlte, wenn jemand in ihrem eigenen Kopf herumlaufen oder herumstochern würde, während Jeelen nun über Shohiro sprach.


    Gemeinsam errichteten sie schliesslich nach Seweryns Anweisungen einen Unterschlupf, der sie tatsächlich vor dem gröbsten Regen verschonte.
    Die Pferde hatte Rósa mit einem Pflock in ihrer Nähe befestigt. Während die beiden Ponys in aller Seelenruhe an einigen braunen Grashalmen knabberten, schnaubten die beiden Braunen immer wieder unruhig, bewegten sich sonst aber nicht von der Mauer weg, welche etwas Schutz gegen den aufkommenden Wind bot.
    „Völker werden versklavt?“, Rósa wandte sich an Jeelen, nachdem sie das Gepäck entweder gut abgedeckt oder unter dem behelfsmässigen Dach verstaut hatten.
    Dieser Gedanke gefiel ihr nicht und war ihr fremd. Schliesslich zuckte sie jedoch mit den Schultern. Es wäre ja auch eine Illusion gewesen zu denken, dass hier das Paradies wäre. Überall gab es Ungerechtigkeiten, damit mussten sie umgehen.
    Solange ihre Tochter die Ausbildung erhielt und sie hier leben konnten, wollte sie nichts gegen die Sklaverei einwenden. Etwas Egoismus und auch Pragmatismus gehörten zum Leben.


    Immerhin hatten sie keinen Mangel an Wasser. Inzwischen regnete es nicht mehr bloss, nein ein ganzer Sturzbach schien vom Himmel zu prasseln. Rósa stellte den kleinen Kochkessel in den Regen und nach wenigen Minuten war er zur Hälfte gefüllt, so dass sie erst einmal ihre Trinkvorräte auffüllen konnten.
    Lysa hatte sich in Seweryns Nähe gesetzt und schlotterte am ganzen Leib, obwohl Rósa sie in eine Felldecke eingewickelt hatte.
    Da kam ihr eine Idee. Mit einem Lächeln füllte sie einen ledernen Trinkschlauch mit Wasser auf und drückte ihn dann dem Kind in die Hände.
    „Zum Aufwärmen“, flüsterte sie und zwinkerte ihrer Tochter verschwörerisch zu.
    „Ich vermisse bereits die murrende Klara“, wandte sie sich dann an die beiden Männer.
    „Vor Allem ein Krug warmer Met wäre jetzt nicht zu verachten!“
    Währenddessen presste Lysa den Wasserschlauch wie eine Bettflasche an ihren Körper. Er hatte inzwischen eine angenehm wärmende Temperatur erreicht, was ihrer Magie zu verdanken war.
    Schliesslich fühlte sie sich wieder so weit fit, Seweryn nach dem Kochen zu fragen und blickte ihn erwartungsvoll an.
    Das Feuer wollte einfach nicht richtig aufflackern, denn das Holz war völlig durchnässt und aufgeweicht. Das winzige Flämmchen schaffte es kaum, den kleinen Kochkessel mit Wasser zu erhitzen, doch nach einigen Minuten kochte es bereits. Lysa, die sich ganz nah beim Feuer platziert hatte, grinste Seweryn stolz an und Rósa musste sich ein Lachen verkneifen, als Jeelen etwas befremdlich ins Feuer starrte.


    Einige Zeit später war dann das ganze Ausmass des Gewitters über sie hereingebrochen. Der Donner grollte nun über ihnen und Blitze zuckten über den sturmgepeitschten Himmel. Inzwischen war Lysa die Lust am Kochen vergangen. Sie hatte sich in die hinterste Ecke des Lagers zurückgezogen, den warmen Wasserschlauch fest an den Körper gepresst. Unter der Decke war sie wie in einer Höhle eingemümmelt und nur ihre ängstlichen Augen schauten noch daraus hervor.
    Rósa wusste selbst nicht, warum das Kind solche Angst vor Gewittern hatte.
    "Bei Schneestürmen versucht sie Schneeflocken zu fangen und auch ein gewöhnlicher Platzregen freut sie mehr, als dass er sie ängstigt."
    Doch sobald sich die Wolken zu Bergen türmten, der Donner wie eine hereinbrechende Lawine erklang und die grellen Blitze zuckten, wurde aus dem Mädchen ein Nervenbündel.
    Normalerweise verwandelte sich Rósa in solchen Momenten in ihre Bärengestalt, was Lysa in irgendeiner Weise mehr Schutz zu versprechen schien, als ihre humanoide Gestalt. Am liebsten kuschelte sie sich dann an das weisse Bärenfell und vergrub die Finger im warmen Pelz.
    „Es passiert uns hier nix, Liebes. Sieh nur, dank Seweryn haben wir ein Dach über dem Kopf. Und sogar Fredo steht ganz still und hat keine Furcht. Du bist doch ein mutiges Mädchen!“
    Lysa nickte tapfer und schaute sich dann nach Jeelen um.
    „Hat Pulga keine Angst vor Gewittern?“

    Lysa hatte Seweryn aufmerksam gelauscht, als er ihr eine Geschichte erzählte, die er selbst erlebt hatte. Und genauso, wie sie sich zuvor darüber empörte, dass Niemand hungern sollte, entrüstete sie sich nun über die Leute, welche ihren Freund an der Nase herumführen wollten.
    Sein Versprechen, dass sie zusammen Kochen würden, liess ihre Augen wieder strahlen und dass er ihr sogar erlaubte, das Feuer auf ihre Art heiss zu machen, freute sie noch mehr.
    „Wir sagen ihnen einfach, sie sollen Holz sammeln gehen und währen sie suchen, können wir schon anfangen zu kochen!“, plante sie bereits voller Elan und wäre am liebsten direkt vom Pferd gesprungen, um die Rast vorzuverlegen.
    Lysa hatte den beiden Männern ebenfalls zugehört.
    „Müssen wir dann zuerst noch auf die Jagd gehen, um an das Frischfleisch zu kommen?“, fragte sie unschuldig in die Runde, denn auf dem Markt hatten sie vor allem Trockenfleisch und einige Würste eingekauft, die auch etwas länger gut blieben.
    Die Wolken behagten der Kleinen nicht so ganz. Einerseits mochte sie zwar den Regen, gleichzeitig fürchtete sie sich aber auch vor Blitz und Donner. Wenn der Himmel einem über den Köpfen einzubrechen drohte, hatte dies etwas Beängstigendes für das Kind. Misstrauisch beäugte sie deswegen die Wolkenberge und hoffte, dass sie bald einen sicheren Unterschlupf erreichen würden.


    Als Lysa und Seweryn mit ihrem Moldi ein Stück vor ihnen herritten, wandte sich Rósa zu Jeelen um.
    "Noch einmal wegen der Sache in der Stadt. Ich weiss, wie gewieft die Kleine sein kann und ich bin froh, dass Du sie mir heil wieder gebracht hast. Trotzdem wäre ich glücklich darüber, beim nächsten Mal zu wissen, wo sie ist und nicht erfahren zu müssen, dass sie anständige Leute bestiehlt. Und beim nächsten Mal, lass Dich nicht von ihr um den Finger wickeln! Sie wirkt zwar unschuldig und lieb, aber das Mädel ist gerissen wie ein Goblin", sie grinste ihn nun an.
    Rósa war schliesslich damit einverstanden, ihr Ziel auf Shohiro zu verlegen. Was sie hörte, gefiel ihr. Bei seiner Frage nach der Schulausbildung von Lysa zögerte sie einen Moment.
    Doch Lysa hatte seine Frage ebenfalls gehört.
    „Ich will den Menschen helfen“, begann sie zu reden, „ich möchte Heilerin werden. Oder etwas mit Tieren wäre auch schön. Aber lernt man in der Schule auch Kochen und Schneidern und Jagen? Das muss eine Norkara-Frau alles auch können!“
    Rósa grinste. Tatsächlich waren die Frauen in ihrem Dorf sehr vielfältig einsetzbar. Sie wurden nicht nur im Haushalt gebraucht, sondern mussten auch handwerkliche Tätigkeiten erlernen oder gingen mit auf die Jagd oder halfen zumindest beim Häuten der erlegten Beute.
    „Das wirst du auch alles noch lernen Lysa. Und wenn sie es Dir nicht in der Schule beibringen, dann werde ich das tun, keine Angst.“
    „Warst Du gar nicht in der Schule Jeelen? Hast Du nie Lesen und Schreiben gelernt?“, fragte da Lysa erstaunt.
    Sie selbst hatte gerade so die ersten Schreib-, Lese- und Rechenaufgaben hinter sich gebracht, als sie auch schon aus dem Dorf verreist waren.
    „Vielleicht werde ich ja auch einmal Jägerin, wie Mamma“, mutmasste die Kleine dann weiter. Sie kannte bloss die Berufe, welches auch in ihrem Dorf gab, was ihre Auswahl jedoch sehr einschränkte.
    „Oder ich will eine grosse Magierin werden wie Artok. Die konnte eine Stinkewolke aus dem Nichts erschaffen und mit ihren Gedanken die grossen Männer in die Knie zwingen!“, begeisterte sich da Lysa.
    Rósa presste die Lippen aufeinander. Die Magie von Artok hatte ihr im Gegensatz zu Lysa nie so richtig behagt, da sie nicht mit den Elementen verbunden schien. Sie war widernatürlich, doch sie behielt ihre Gedanken für sich.


    Sie waren bereits drei Stunden unterwegs, als aus dem Nichts ein Regenschauer losbrach. In der Ferne zuckten Blitze über den Himmel und in spätestens einer Stunde würde das ganze Ausmass des Gewitters über sie hereinbrechen. Lysa hatte sich eng an Seweryn gepresst und beobachtete ängstlich den Himmel, der immer wieder unheilvoll erleuchtet wurde.
    „Ich mag keine Gewitter. Meinst du Segira ist böse, weil Jeelen und ich Mist gebaut haben in der Stadt?“, fragte die Kleine mit aufgerissenen Augen.


    Rósa hielt unterdessen wie auch die anderen Ausschau nach einem Unterschlupf.
    „Schaut einmal dort!“, rief sie plötzlich.
    Etwas abseits der Strasse ragte der Umriss einer Hütte aus dem Boden empor – oder das, was davon übrig geblieben war. Es war mehr eine Ruine, wo die Mauerüberreste wie ein Gerippe aus dem Boden ragten. Der grösste Teil des Daches war zusammengestürzt, doch überall lagen auch noch Trümmerstücke herum, aus denen sie vielleicht behelfsmässig einen Unterschlupf basteln konnten. Ausserdem schirmten sie die Mauern gegen den gröbsten Wind ab.
    „Was meint ihr? Oder lieber Richtung Wald?“
    "Ich mag hier bleiben!", nuschelte Lysa und schob eine klatschnasse Strähne aus ihrem Gesicht.

    hey jungs


    tut mir leid, der post ist nicht sehr gehaltvoll geworden.


    bin etwas genervt, weil ich noch son blödes protokoll abtipseln musste und fotos bearbeiten für jemanden.
    und heut abend muss ich auch nochmals weg, was mich auch nervt :sauer:


    konnte mich deswegen nicht so gut konzentrieren, sorry. :-(

    Lysa war aussergewöhnlich still, als sie vor Seweryn auf dem Pferd hockte. Trotzdem war sie froh, dass sie mit ihm reiten durfte und nicht mit ihrer Mamma.
    Tatsächlich verwickelte sie Seweryn auch bald in ein Gespräch.
    „Ich wollte dem Jungen doch nur helfen“, erklärte sie nun auch Seweryn.
    „Es ist doch nicht in Ordnung, dass er hungern muss, während wir uns den Bauch vollstopfen können!“, sie klang ganz empört ob dieser Vorstellung.
    Dann erinnerte sie sich aber daran, dass ihre Mamma bestimmt nix davon hören wollte und sie fügte vorsichtshalber schnell an: „Ich werde nicht mehr klauen. Es ist nicht ehrenvoll. Beim nächsten Mal werde ich Dich, Jeelen oder Mamma danach fragen.“
    Lysa hoffte, dass sie nicht mehr in so einer Patsche landen würde, denn der Junge hatte ihr wirklich leidgetan.
    „Hilfst Du auch den Schwachen, Seweryn? So wie Segira es möchte? Mamma sagt, andere Völker verehren andere Götter. Segira ist manchmal sehr streng.“
    Vielleicht gab es ja noch eine Gottheit, die zu ehren nicht ganz so anstrengend war…
    Als er sie freundlich anstubste, zauberte er tatsächlich ein Lächeln auf ihr Gesicht.
    Seweryn erzählte vom Kochen und Lysa hörte interessiert zu.
    „Zeigst Du mir, wie Du kochst? Mamma kann nicht so gut kochen“, sofort blickte sie sich nach Rósa um, doch diese war ausser Hörweite.
    „Ich kann dafür das Wasser heiss machen! Ohne Feuer! Das geht viel schneller“, stolz strahlte sie ihn an.
    „Wenn Du beim nächsten Mal kochst, dann zeig ich Dir das“, dann erinnerte sie sich jedoch wieder an seine Warnung, „darf ich das, Sew?“


    Inzwischen beschäftigte sich Rósa mit der Frage nach dem Wohin ihre Reise denn nun konkret gehen sollte.
    „Shohiro...“, sie dachte über den Vorschlag nach.
    „Nun, ich habe mich in der Stadt vorsichtig erkundigt nach einer geeigneten Akademie. Tatsächlich soll es in Shohiro auch eine Akademie geben, welche für Lysa passend sein könnte. Aber was heisst in die entgegengesetzte Richtung? Wir sollten uns für einen Weg entscheiden. Was meint denn Seweryn dazu?“
    „Kann ich dann eine richtige Schule besuchen?“, hörte man die Kinderstimme begeistert rufen.
    „Werde ich dort nicht komisch angeguckt von den anderen Kindern?“

    Lysa schaffte zwar kein Lächeln, doch ihre treuherzigen blauen Augen konnten Eis zum Schmelzen bringen – nicht jedoch ihre Mutter.
    „Ein Missverständnis also? Seltsam, der Blick des Bäckers sagte mir da etwas Anderes!“, ihre Stimme klang drohend und ähnelte irgendwie dem Grollen einer Bärenmutter. Sie wollte keine Ausreden hören, sondern die Wahrheit.
    „Was habt ihr überhaupt auf dem Markt gesucht? Ihr seid einfach spurlos verschwunden, habt nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Euch hätte was weiss ich zustossen können! Seweryn und ich mussten euch suchen und wir haben uns Sorgen gemacht!“
    Lysa war schon fast hinter Jeelen verschwunden, doch dann hörte man plötzlich die Kinderstimme flüstern: „Ich wollte die Kakaobohnen. Jeelen kann nix dafür. Ich… habe ihn angeflunkert.“
    Rósas Mundwinkel zuckten unheilverheissend.
    „Und ich dachte, ich wäre hier mit zwei Männern unterwegs und nicht mit einem Mann und zwei Kindern! Jeelen, wegen der Süssigkeiten, ist das wahr?“


    Die Kleine schwieg betreten, doch aus Erfahrung wusste sie, dass es besser war, ehrlich zu sein, als ihre Mamma anzulügen.
    „Und was habe ich dir übers Lügen erzählen gesagt?“, streng blickte sie das Mädchen an, das seine Füsse plötzlich für unglaublich interessant befand.
    „Lügen haben kurze Beine“, meinte sie zerknirscht, „und eine Regel des Ehrenkodex von Segira heisst: Sei ehrlich, lüge und betrüge nicht.“
    Rósa nickte zufrieden ab dieser Antwort.
    „So, und was hat es nun mit der kleinen Diebin auf sich?“, ihr Blick wanderte zwischen Lysa und Jeelen hin und her.
    „Ich wollte das Brot für den hungrigen Jungen nehmen. Segira sagt doch auch, dass man die Schwachen und Armen beschützen soll!“, meinte sie dann plötzlich tapfer und schaute ihre Mamma mutig von unten herauf an.
    „Aber doch nicht, indem Du rechtschaffene Leute bestiehlst!“
    „Jeelen hat mir auch gesagt, dass niemand Diebe mag“, druckste sie schliesslich leise herum und blickte wieder beschämt auf ihre Füsse.
    Nun mischte sich auch Jeelen ein und erklärte der Norkara eilig, dass er Lysas Schulden beglichen und den Händler bezahlt hätte.


    Rósa schüttelte ab dem ungleichen Paar in gespielter Verzweiflung den Kopf. Trotzdem freute sie sich darüber, dass Lysa die Verantwortung übernahm und nicht den Goblin vorschob, um sie aus der Patsche zu ziehen.
    Gutes Mädchen, hat also doch was von mir gelernt, dachte die Mutter zufrieden.
    Ihre Miene blieb jedoch unnachgiebig, als sie nun ihr Urteil verhängte:
    „Wie Lysa bereits richtig erkannt hat, schätzt Segira keine Lügner und Diebe. Ihr Kodex gibt den Übeltätern jedoch auch die Chance, für ihre Fehler einzustehen, indem diese die Konsequenzen tragen.“
    Rósa wandte sich zu Seweryn um und zwinkerte ihm schliesslich zu: „Was meinst du Seweryn, welche Strafe wäre für die beiden angemessen? Keine Stadtbesuche mehr ohne Aufsicht?“
    Dann wandte sie sich wieder den beiden Übeltätern zu: „Nun gut, da die Wurzel des Übels die Süssigkeiten waren, werden diese gleich mal von Seweryn konfisziert! Bis auf weiteres… werdet ihr beiden Schleckermäuler auf Süsskram verzichten. Du bist jetzt mit einem blauen Auge davongekommen Lysa, doch wenn ich Dich noch einmal bei solchen Vergehen erwische, oder dabei, dass du deine Strafe umgehst…“
    Rósa liess den Satz unvollendet und drohend in der Luft stehen, dann durchbohrte ihr Blick den Goblin.
    „Ich kann Dir schlecht den Hintern versohlen, wenn ich Dich mit Süssigkeiten erwische. Doch ich hoffe, du erträgst die Konsequenzen wie ein Mann und stehst zu deinen Taten.“
    „Wir sind jetzt im selben Boot“, flüsterte Lysa Jeelen zu und drückte ermutigend seine Hand.
    „Nachdem wir das nun geklärt haben… sollen wir aufbrechen?“, schlug Rósa mit einem versöhnlichen Tonfall vor und grinste den mit Süsskuchen und anderem Kram vollbepackten Seweryn schief an.

    Als Rósa die Menschentraube erreichte, begann sie sich gerade aufzulösen. Suchend blickte sie sich um, doch weder das Kind noch der Grünling waren zu sehen.
    „Was war hier los?“, wandte sie sich an zwei Frauen, die miteinander tuschelten.
    „Ach, son Mädchen hat wohl den Bäcker bestohlen. Mit dem Kerl ist nicht gut Kirschen essen. Natürlich dürfen auch Kinder nicht stehlen, wo kämen wir denn hin. Aber das arme Ding war völlig verschreckt. Ich hoffe nur, dass der Goblin kein Schurke ist. Er sieht nicht gerade sehr gemütlich aus, aber sie ist mit ihm mitgegangen“, dann gingen die beiden Frauen ihrer Wege und liessen die Mutter alleine.
    Die Norkara bemerkte Seweryn und winkte ihm zu. Sie berichtete, was sie gerade in Erfahrung gebracht hatte.
    „Ein kleines Mädchen und ein nicht sehr vertrauenswürdig aussehender Goblin. Es wäre schon ein sehr grosser Zufall, wenn es sich dabei nicht um unsre beiden Ausbrecher handelt, meinst du nicht auch?“
    Rósa brodelte innerlich.
    Hatte Jeelen ihr Mädchen zum Steheln animiert? Das konnte doch nicht wahr sein! Lysa hatte noch nie etwas derartiges getan. Immerhin hatte er sie aus der Situation befreit, doch da würde sie noch ein Wörtchen mit den beiden zu reden haben!
    „Lass uns zur Taverne zurückkehren. Und wehe den beiden, wenn sie nicht denselben Weg eingeschlagen haben!“


    „Jeelen, es tut mir Leid. Ich wollte dem Bäcker nichts klauen. Aber der Junge… er war so mager und hungrig“, fast schon verzweifelt blickte sie den Goblin an und zottelte schafsbrav neben ihm her. Nicht einmal die Kakaobohnen mochte sie noch essen.
    „Ich habe ihm gesagt, dass du ihm bestimmt einen Kuchen abgeben würdest. Aber er will niemandem vertrauen und er…“, sie zögerte, dann murmelte sie leise, „er meinte, dass ich dir vielleicht auch nicht vertrauen solle. Wegen den ganzen Narben und so.“
    Sie wirkte total bedrückt und niedergeschlagen.
    „Und Mamma wird unglaublich wütend sein! Man darf doch nicht stehlen. Und geflunkert hab ich auch, Jeelen. Mamma wollte mir gar keine Bohnen kaufen.“
    „Jaa, mir geht’s gut. Mir ist nichts passiert“
    , antwortete sie.


    Als Lysa über ihre Schulter zurückblickte, meinte sie plötzlich einen Rotschopf hinter einer Ecke hervorblinzeln zu sehen.
    „Oh“, abrupt blieb sie stehen.
    „Ich… ich lasse das Brot hier“, sagte sie dann plötzlich zu dem Goblin und legte es gut sichtbar auf ein Fenstersims hin.
    „Er hat es bestimmt nicht böse gemeint. Und wir haben genug Brot“, verteidigte sie den Jungen unschuldig und zog den Goblin schliesslich weiter ohne zurückzublicken.


    In der Taverne warteten ihre Gefährten bereits auf das ungleiche Paar. Rósa hatte die Hände in die Hüften gestimmt und ihr Blick war unerbittlich.
    „Nun? Wer von euch beiden möchte mir erklären, warum meine Tochter auf dem Markt als kleine Diebin bezeichnet wird?“

    Rósa blieb stehen und wartete auf Seweryn.
    „Ich denke, sie sind auf dem Markt. So wie ich Lysa einschätze, hat sie Jeelen um den Finger gewickelt. Und so schnell wie sie verschwunden sind, hatte er sich wohl nicht lange dagegen erwehrt“, sie hatte eine Augenbraue hochgezogen.
    „Das verzögert natürlich unseren Aufbruch. Wir sollten zuerst bei den Süssigkeiten nachsehen. Diese verflixten Kakaobohnen“, murmelte sie dann und ging mit zügigem Schritt voran.
    „Tut mir Leid, dass du deine Zeit nicht mit deiner Khira verbringen kannst, sondern wir jetzt Kinder suchen müssen“, meinte sie dann mit einem schiefen Grinsen.
    „Du sagtest, dass du auch eine kleine Schwester hast. Wo ist sie denn gerade? Bestimmt musstest du als grosser Bruder auch immer auf sie aufpassen. Manchmal wünschte ich, Lysa wäre kein Einzelkind. Vielleicht hätte sie es dann weniger schwer. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie einsam ist.“
    Als sie den Markt erreichten, wurden sie von dem bunten Getümmel eingehüllt.
    „Sollen wir zusammenbleiben oder uns trennen?“, fragte sie und blickte sich gleichzeitig suchend um.
    „Treffpunkt ist auf jeden Fall die Taverne“, dann begannen sie mit der Suche.



    „Hey, Du“, Lysa wirbelte herum und hielt nach der Stimme Ausschau, die sie gerufen hatte.
    Vor ihr stand ein Junge, vielleicht drei Jahre älter als sie, mit strubbeligen roten Haaren, zerrissenen Hosen und stehend vor Dreck.
    „Hallo“, antwortete sie und betrachtete ihn neugierig.
    „Ich habe dich vorher gesehen mit dem Grünen am Süssigkeitenstand“, meinte er und beobachtete sie seinerseits, „er sucht jetzt nach Dir.“
    Lysa trat ungemütlich von einem Fuss auf den anderen.
    „Ich wollte nur kurz…“„Schon gut, du musst Dich vor mir nicht rechtfertigen. Wenn Du willst, kann ich Dich vor ihm verstecken, oder aber ich kann Dich zu ihm zurückbringen. Wenn Du mir vorher einen Gefallen tust.“


    Die Kleine hatte nicht vor, sich vor Jeelen zu verstecken, obwohl – bestimmt wartete Ärger auf sie, weil sie sich kurz von dem Goblin entfernt hatte, um an einem Stand die bunten Steine zu betrachten, die der Händler dort feilbot.
    Sie blickte sich suchend um, tatsächlich hatte sie ihn in dem ganzen Getümmel aus den Augen verloren. Ihre Mamma würde ihr den Kopf abreissen!
    „Du kannst mir helfen, ihn zu finden?“, fragte sie zaghaft.
    Der Junge grinste sie schief an und Lysa bemerkte, dass ihm ein Zahn fehlte.
    „Du hast hübsches Haar“, er lächelte sie freundlich an, „und du siehst lieb aus. Du bist perfekt.“
    Völlig verblüfft schaute ihn die Kleine an und stammelte unsicher: „Also, du hast auch schöne Haare.“
    Der Junge begann zu lachen.
    „Ich weiss selbst, wie ich aussehe. Wie ne Kanalratte. Also hilfst du mir nun?“
    Lysa nickte und fragte sich, was er wohl von ihr verlangen würde und was ihre Mamma sagte, wenn sie wüsste, dass sie mit dem Jungen sprach.


    „Da vorne, siehst du den Stand mit den Broten? Der Markthändler kennt mich und… nun ja, wir sind nicht gerade die besten Freunde. Doch du siehst so lieb aus und Dich kennt er auch nicht. Du kannst Dich also unbemerkt hinsteheln, Dir eines der Brote schnappen und wieder untertauchen in der Menge! Keiner wird etwas bemerken.“
    Seine Augen funkelten begeistert und Lysa starrte ihn einen Moment ungläubig an.
    „Ich soll klauen?“, sie dachte dabei an den wütenden Blick ihrer Mamma.
    „Nun, nein. Sagen wir, Du tust mir einen Gefallen. Ich habe seit vorgestern Nichts richtiges mehr gegessen. Und naja, mein Bauch knurrt“, tatsächlich sah er nicht gerade wohl genährt aus und Lysa bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie selbst erst noch so gut gefrühstückt hatte.
    „Jeelen würde dir bestimmt ein Brötchen spendieren. Er ist ein lieber Goblin“, meinte sie dann mit grossen unschuldigen Augen.
    „Ja, das mag sein. Aber ich traue niemandem über den Weg. Ausserdem sieht dein Freund auch nicht gerade wie ein guter Bürger aus. Weisst du denn überhaupt, woher er seine Narbe hat? Aber du scheinst ihm ja zu vertrauen!“
    Lysa starrte ihn verunsichert an. Nein, das hatte sie sich tatsächlich noch nie gefragt. Aber Jeelen war auch so lieb.
    „Na gut, ich helfe Dir. Aber nur ein Brot“, damit wandte sie sich ab und ging auf den Marktstand zu.


    Tatsächlich achtete Niemand auf das kleine Mädchen, welches sich durch die Leute zwängte und schliesslich am Rande des Standes stehen blieb. Die Brote dufteten wunderbar frisch, als wären sie direkt aus dem Ofen.
    Als der Verkäufer gerade einen anderen Kunden bediente, griff Lysa blitzschnell nach einem der mittelgrossen Brote.
    Sie wollte sich gerade abwenden und wieder zwischen den Menschen abtauchen, da rief eine Stimme nach ihr.
    „Hey! Hast du da gerade eines meiner Brote genommen! Kleine Diebin, leg es sofort zurück!“, im selben Moment rannte Lysa los.
    Sie konnte noch den Rotschopf sehen, der irgendwo um eine Ecke verschwand, dann wurde sie herumgerissen und landete hart auf ihren Knien. Das Brot rutschte ihr aus den Händen, und landete im Staub der Strasse, vor den Füssen des Verkäufers, der sie erbost anfunkelte.
    Der Pöbel wandte sich interessiert dem Schauspiel zu.
    „Diebstahl wird in La Grange nicht geduldet“, knurrte er das Kind an und spuckte verächtlich neben ihr auf den Boden.
    „Die Strafe dafür ist der Kerker!“
    Verzweifelt blickte sich Lysa nach Jeelen, Seweryn und sogar nach ihrer Mamma um.
    Ohje, das würde massig Ärger geben!

    Während Seweryn sich aufplusterte wie ein Gockel und dann zu seiner Henne hinüberstolzierte, hielt Rósa nach ihrer Tochter und dem Goblin Ausschau. Doch weder von Lysa noch von Jeelen war eine Spur zu erkennen. Nur auf dem Tisch lagen fein säuberlich gestapelt die Vorräte, die sie dem Mädchen anvertraut hatte. Die beiden waren doch nicht etwa…?
    Sie rauschte zur Tür hinaus, doch weit und breit war das ungleiche Paar nicht zu sehen. Rósa seufzte entnervt. Das hatte die Kleine bestimmt nicht von ihr gelernt!



    Währenddessen hüpfte Lysa frischfröhlich neben Jeelen her, mit einem Grinsen bis zu den Ohren. Ein wenig hatte sie schon ein schlechtes Gewissen darüber, dass sie geflunkert hatte, doch manchmal brauchte es einfach kleine Notlügen. Und so eine war es auf alle Fälle!
    Auf dem Markt war es für das gewiefte Kind ein Leichtes, den Stand mit den vielen bunten Bohnen wieder zu finden.
    Nebst den erflunkerten Kakaobohnen schaffte sie es ausserdem, den Goblin zum Kauf einer Bohnenbeerenmischung und einer Tüte karamellisierter Vanillebohnen zu überreden.
    Weiter erschnupperte sie einen Marktstand mit den unterschiedlichsten Gebäckwaren, wie Kuchen, Muffins, Vanilleröllchen, Süssbroten, Schokokugeln und vielem mehr.
    Während Jeelen sich der Bezahlung widmete, rauschte klein Lysa bereits weiter, wie ein Bienchen immer auf der Suche nach dem süssesten Honig.


    Als Jeelen sich schliesslich zu ihr umwandte, und ihr ein Stück Erdbeerkuchen anbot – war das Kind in der Menschenmenge verschwunden.

    „Aber Mamma, warum kann ich keine Kakaobohnen bekommen? Jeelen hätte mir bestimmt welche gekauft“, bettelte Lysa, als Rósa sie an der Hand weiterzog, weg von dem bunten Süssigkeiten. Die grossen Kinderaugen blickten traurig, doch ihre Mutter war sich das gewohnt.
    Gleich würde die nächste Phase kommen und tatsächlich: „Bitte bitte Mamma, dafür sitz ich auch ohne Murren von Anfang an aufs Pferd!“
    Rósa unterdrückte ein Lächeln ab den cleveren Bestechungsversuchen, und zog ihre Tochter dann zu einem Gemüsehändler hin. Dort kaufte sie eine grosse Handvoll Karotten, dazu Kartoffeln und einen Sellerie, denn die wurden nicht gleich schlecht. Auch einige Äpfel packte sie ein als Zwischenverpflegung.
    Mit einem Lächeln hielt sie Lysa einen der roten Äpfel hin, was diese empört ignorierte.


    Als nächstes steuerte sie den Fleischhändler an, welcher lange mit ihr feilschte, bevor er ihr einen 2kg schweren Sack mit Dörrfleisch verkaufte, sowie zwei paar feinste Räucherwürste.
    Inzwischen war der Korb überfüllt und auch Lysa musste etwas davon tragen.
    Ihre Stimmung hatte sich weiterentwickelt – in die Trotzphase.
    Sie würdigte ihre Mutter keines Blickes, während sie mit wütend stampfenden Schritten hinter ihr herzuckelte.


    Als sie die Taverne erreichten, war es bereits nach Mittag.
    Im selben Moment, wo Lysa Jeelen an einem der Tische entdeckte, rannte sie auch schon vollgepackt auf ihn zu.
    „Jeelen, Jeelen! Schau was wir gekauft haben!“
    Mit ihrem liebsten Kinderblick schaute sie ihn dann an, um in ihre letzte Phase überzugehen: „Duu Jeelen, sag mal… kommst du mit mir zum Markt? Ich habe da so suuuperleckere Kakaobohnen gesehen. Aber weil wir die Hände schon voll hatten, konnten wir keine mehr kaufen.“
    Ihr zuckersüsses Lächeln hätte sogar den Rosendämon aus den Socken gehauen.


    Rósa verschwand unterdessen mit den restlichen Vorräten zu den Ställen, wo auch schon der Rest ihres Gepäcks bereitstand. Geschickt begann sie das Essen auf die Gepäckstücke zu verteilen, so dass sie danach auf die beiden Ponys geschnürt werden konnten. Dann warf sie einen Blick aus dem Stall heraus, wo gerade Seweryn herbeigeschritten kam. Sie winkte ihm gut gelaunt zu und ging ihm ein Stück entgegen.
    „Wir haben Essen eingekauft und noch eine Salbe, falls es noch zu mehr solcher Wunden kommen sollte. Du hast Dich verarzten lassen, wie ich sehe“, ein eingehender Blick ruhte auf dem sauberen Verband, „sieht ordentlich aus. Ich hoffe, der Arztbesuch kam dich nicht zu teuer.“
    „Lass uns nach Jeelen und Lysa sehen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Kleine was im Schilde führt!“

    Rósa hatte sich erbarmt und war mit Lysa zweimal auf der Toilette gewesen, denn obwohl der Goblin nur dösen wollte, hatte der Alkohol sein Übriges getan und so schnarchte er nun in seinem Bett wie ein zufriedener Kater – und so einen würde er bestimmt auch zurückbehalten.


    Am Morgen liess Lysa sich jedoch nicht davon abhalten, zu Jeelens Bett zu stürzen und ihm ein guten Morgen ins Ohr zu hauchen, worauf er wie von der Tarantel gestochen hochfuhr.
    „Na, gut geschlafen?“, grinste ihn Rósa an und fuhr fort, „gut, dass du gerade aufgewacht bist. Lysa muss nämlich zur Toilette.“
    Obwohl die Kleine einräumte, dass sie den Weg bei Tag selber finden würde, wollte ihre Mutter sie nicht alleine durch die Gänge streifen lassen.
    „Du hast Glück Goblin. Da wir zwei Ladys nun sowieso runtergehen, kannst du dir noch etwas Zeit zum Wachwerden lassen. Muss ja eine lange Nacht geworden sein. Und wo Seweryn abgeblieben ist, muss ich ja wohl nicht fragen“, sie zwinkerte ihm zu, denn obwohl sie ihm den Kater gönnte, hatte sie nur ihre Verantwortung gegenüber ihrer Tochter vom selben Schicksal bewahrt.
    „Jeelen, kämmst du mir die Haare?“, zur Auswahl hielt ihm das Mädchen eine Haarbürste und einen Kamm entgegen.


    Etwas später sassen die beiden Frauen unten im Schankraum. Es herrschte noch eine angenehme Ruhe, die meisten Gäste schliefen ihren Rausch aus, oder waren bereits bei den ersten Sonnenstrahlen wieder aufgebrochen.
    „Mamma, wo ist Seweryn?“, fragte Lysa zwischen zwei Bissen Butterbrot und leichte Sorge klang in ihrer Stimme mit.
    „Mit dem ist alles in Ordnung, Liebes. Er hat wohl ein weicheres Bett zum Schlafen gefunden. Aber am besten fragst du ihn gleich selbst, wenn er wieder auftaucht“, sie lächelte.
    Die beiden Frauen waren gerade kichernd und prustend dabei, ihre Münder so weit als möglich in die Milch zu tauchen und dann abzuschätzen, wer den grösseren Schnauz ums Maul hatte, als Jeelen hereintrudelte.
    Lysa winkte ihm begeistert zu, konzentrierte sich dann aber wieder auf das Spiel, während Rósa sich den Mund abwischte.
    Jeelen wirkte nicht sonderlich gesprächig und lächelte nur etwas gequält, als Lysa ihm vorschlug, doch auch mitzumachen.
    „Pssst, Liebes. Wir machen ein neues Spiel… ab jetzt dürfen wir nur noch ganz leise sprechen. Wer zuerst laut wird, hat verloren. Jeelen ist der Richter“, flüsterte sie leise und zwinkerte dem Goblin zu.


    Nachdem sie sich noch eine Zeit lang im Flüsterton unterhalten hatten, vor Allem Lysa und Rósa, erhoben sich die beiden Ladys.
    „Wir gehen in die Stadt. Ich habe von der Wirtin erfahren, dass am Dalis morgens auf dem Rathausplatz immer ein Markt stattfindet. Grüss Seweryn von uns. Vielleicht sehen wir uns ja in der Stadt und sonst treffen wir uns einfach wieder hier, wenn alle ihren Kram haben“, sie winkten Jeelen zu und verschwanden dann mit einem Korb für ihre Einkäufe aus der Gaststätte.