Dimicus
Die Traumlosigkeit seines Scheintodes ließ Dimicus wie ein Geist schwebend in der Schwärze seines Unterbewusstseins verharren. Der Trank hatte volle Wirkung entfaltete und es dem Künstler ermöglicht, seinen Körper zu verlassen. In der Finsternis des Unbekannten verweilte er meditierend, darauf wartend wieder zu seinem Körper zurückkehren zu können. Nur Dimicus und seine Gedanken tauschten sich aus, dachten über alles nach, was sie von nun an tun würden. Sein Verstand war losgelöst von allen irdischen Bürden. Wie ein Traum, geschützt in seinem eigenen Bewusstsein, ließ er alle Ereignisse des Tages an sich vorbeiziehen. Niemand schaffte es, die Wirkung des Mittels zu durchbrechen, nur sein eigener Körper würde den Bann brechen können.
Drum durchbrach plötzlich Licht seine Augenlider, als er aus der wohligen Dunkelheit herausgerissen und die Kälte der Realität geworfen wurde. Seine Körper bäumte sich auf und keuchender Husten überkam Dimicus. Weit riss Dimicus seine Augen auf, als er sich zur Seite bewegte und in einem Gefühl der Übelkeit sich auf den Boden übergab. Doch war es nicht der erste madige Geruch, der den Raum durchzog, so stand Emilia keine zwei Meter von ihm entfernt. Sie hatte das selbige Schicksal ereilt. Doch der dickliche Mann ignorierte seine einstige Gefährtin komplett, seine Priorität lag auf Dimicus und seinen Gebrechen. Mit gekonnten Handgriffen drückte der Gelehrte, nachdem sich der Künstler im wahrsten Sinne die Seele aus dem Leib gekotzt hatte, ihn zurück in eine liegende Position.
„Ihr habt viel durch und Euer Körper muss vollkommen wach werden, bewegt Euch nicht!“
Der junge Mann verstand zuerst nicht ganz. Seine Ohren klingelten und sein kompletter Körper fühlte sich taub an, als ob er zu viel getrunken hätte. Doch ließ er sich von den Händen fixieren, während er immer wieder zu hören bekam, tief ein und wieder auszuatmen. Sekunden des Schweigens vergingen darauf und die Sinne Dimicus kehrten zu ihrer normalen Funktion zurück, wenn auch geschwächt.
„Die Wirkung wird spätestens morgen vollständig abgeklungen sein, macht keine Dummheiten bis dahin.“, erklärte der Dicke, ehe er einen Schritt zur Seite tat. Dimicus hingegen blieb liegen, genoss den Moment der Ruhe. Allerdings erfüllte ein seltsamer Geruch den Raum. Abgesehen von Tod und der bittere Geruch Erbrochenem, roch es nach Katze. Einer Katze die schon lang kein Bad mehr gesehen hatte.
Dimicus nickte dem Gelehrten zu, ohne ein weiteres Wort zu sagen trat er an Emilia heran, tippte sie an und deutete auf Dimicus. Im selben Moment verschwand er zur Tür hinaus, genau in jenem Moment in dem sich der junge Mann aufzusetzen begann und mit einem müden Blick seiner verfilzten Freundin entgegenblickte.
Emilia
Emilia würgte ein noch einmal Mal, doch ihr Magen hatten nichts Weiteres an Inhalt preiszugeben. So von ihrer eigenen misslichen Lage abgelenkt, bemerkte sie nicht das zaghafte Zucken von Dimicus Augenliedern, als sein Geist langsam an die Oberfläche zurückkehrte.
Hingegen entging ihr nicht, wie die vermeintliche Leiche im nächsten Moment plötzlich aus ihrer Starre erwachte und beinahe von der Liege gerollt wäre bei der Bemühung, sich auf den Boden zu übergeben.
Ein Schrei entfuhr der jungen Frau und mit vor Schreck geweiteten Augen schnellte sie wie eine Sprungfeder an die nächste Wand zurück, um aus sicherer Entfernung das Unmögliche zu beobachten.
Ein Gespenst! Was hatte der Alte ihr da verpasst? Er hatte sie also doch vergiftet!
Panisch biss sich Emilia unwillkürlich fest in die eigene Hand und der Schmerz fuhr ihr bis in den Arm, so dass sie nach Luft schnappte. Als sie den Blick jedoch wiederum auf die Bahre legte, hustete das Dimicus-Gespenst gerade verzweifelt, bevor der Quacksalber ihn bestimmt auf das Bett zurückschob.
Aber… war es dann überhaupt ein Gespenst? Und wenn es kein Gespenst war, was hatte der Mönch dann erschaffen?
Emilia registrierte, wie sich der Mönch über das Wesen beugte, und mit ihm sprach. Sie musste von hier verschwinden, so lange er abgelenkt war und sie die Gelegenheit dazu hatte!
Die junge Frau wollte sich bewegen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Wie angewurzelt stand sie da.
Bei Ainuwar! Tote konnten doch nicht einfach so wieder zum Leben erwachen?!
Als der Gelehrte sich zu Emilia umwandte, gab sie ein ängstliches Geräusch von sich. Sie versuchte von ihm zurückzuweichen und fauchte ihn instinktiv an, als er näherkam. Er deutete jedoch bloss mit einem Schulterzucken auf das Gespenst, bevor er zur Tür hinaus verschwand und sie hinter ihm ins Schloss sprang.
Ich bin allein mit dem Untoten!
Oh nein, er sieht mich an... er bewegt sich!
Völlig ausser sich vor Furcht tastete die junge Frau sich weiter von der Bahre weg, immer schön die Sicherheit der Wand im Rücken. Leider befand sich das Dimicus-Gespenst zwischen ihr und der Tür und Emilia getraute sich nicht, an ihm vorbeizulaufen.
Vorerst blickte das Wesen sie jedoch nur müde an, es schien noch nicht ganz in der Wirklichkeit angekommen zu sein.
Denk nach, denk nach… vielleicht ist es nur eine Halluzination!
Emilia versuchte sich einzureden, dass der Quacksalber sie vergiftet hatte, oder vielleicht war das auch schon zuvor geschehen durch Shazeem?
Immer wirrer wurden ihre Gedanken.
Oder sie war eigentlich gar nicht hier.
Vermutlich lag sie noch immer zu Hause in der Dunkelheit ihres Zimmers und die Entbehrung machte ihr schon so sehr zu schaffen, dass sie Traum und Realität nicht mehr voneinander zu unterscheiden vermochte!
Dagegen sprach jedoch die Bisswunde an ihrer Hand, die mehr Ähnlichkeit mit dem Gebiss einer Katze aufwies als von Menschenzähnen gemacht.
Und wenn das wirklich Dimicus ist?
Gleich schüttelte sie den Kopf ab ihrer eigenen Dummheit. Tote erwachen nicht zu neuem Leben!
Doch es galt herauszufinden, ob das Wesen vor ihr existierte oder eine blosse Wahnvorstellung war.
Emilias Blick huschte durch den Raum und sie erkannte unweit entfernt einen Tisch. Ohne den Gespenster-Dimicus aus den Augen zu lassen, taumelte sie dorthin, griff sich den nächstbesten Gegenstand und warf ihn schwungvoll nach dem menschenähnlichen Untoten auf der Bahre.
Dimicus
Sichtlich verwirrt über die Reaktion Emilias, entglitten Dimicus sämtliche Gesichtszüge. Was war denn mit ihr los?
Er selbst war nicht ganz auf der Höhe und verstand nicht auf Anhieb, was plötzlich um ihn geschah. Oder besser gesagt, was mit Emilia geschah. Für einen Moment dachte er darüber nach, schaute sie nur weiter verdutzt an, ehe er wirklich begriff warum sie so ängstlich war. Darauf hätte er auch eher kommen können, so wahr es sehr unüblich das Tote ohne das Zutun eines Nekromanten wieder erwachen konnten.
Zuallererst wollte Dimicus beschwichtigend seine Hände heben, Worte mit seinen Lippen formen und somit Emilia zur Ruhe auffordern. Sein Plan wurde jedoch ihrerseits schnell durchkreuzt, als ein nicht gerade weicher Gegenstand in seine Richtung geflogen kam.
Seinem angeschlagenem Zustand geschuldet, spürte er schon im nächsten Moment einen metallenen Gegenstand an seiner Stirn aufkommen. Ein dumpfer Schmerz durchzuckte sofort seinen kompletten Kopf und er stöhnte auf. Er purzelte nach hinten, verlor den halt und schlug obendrein noch mit dem Hinterkopf gegen den steinernen Altar auf. Seine Sicht wurde schwammig und seine Hände versuchten verzweifelt die Schmerzen durch das Auflegen zu lindern, selbstverständlich ohne Erfolg.
Mühevoll krümmte er sich, nicht nur dass ihm übel war, geschweige denn sein kompletter Körper streiken wollte, da bewarf ihn auch noch seine eigentliche Verbündete mit metallenen Zangen.
Was war denn in sie gefahren?! Warum war sie überhaupt dort?
Schnell überkam ihn seine Müdigkeit, sie zerrte an seinen Kräften und versuchte ihn zu verschlingen, ihn zurück in die Bewusstlosigkeit zu führen. Trotz der Schmerzen gelang es ihm aber, sich wieder aufzurichten, das Gesicht schmerzverzerrt und gezeichnet von einem Unwohlsein. Die Züge wirkten angespannt, jeder Muskel war verkrampft um seine Mühen wiederzugeben. Nur mit größter Not hielt er sich schließlich wieder in der sitzenden Position.
Um seinen Kopf zu klären, schüttelte der junge Mann diesen und gewann so etwas Kontrolle zurück, ehe er die Hände beschwichtigend hob und die Worte aussprach, sie er zuvor sagen wollte: „Emilia! Beruhige … beruhige dich! Ich bin es doch nur!“
Er hoffte sie erreichen zu können, ganz zum Trotze ihrer Angst. Von weitem konnte er trotz seiner Benommenheit erkennen, dass sie sich ansatzweise verwandelte, genau so wie die Wunde an ihrer Hand ihr kostbares Blut auf dem Boden vergoss.
Emilia
Ein Volltreffer!
Ob das jedoch positiv oder negativ zu werten sei, blieb unklar, denn das musste ja folglich bedeuten, dass es sich bei dem Wesen nicht um eine Halluzination, sondern um die Realität handelte!
Erst einmal schien die Gefahr jedoch gebannt, denn der Untote war hintenübergekippt wie eine Puppe und mit dem Hinterkopf auf den Altar geknallt.
Eindeutig musste das Wesen Schmerzen empfinden, sein Gesichtsausdruck und die Geste seiner Hände waren Anzeichen genug, ganz zu schweigen davon, dass es sich nun auf der Bahre krümmte.
Anstatt jedoch Reissaus zu nehmen, starrte die junge Frau die Gestalt mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu an. Wie sehr der Untote sie doch an ihren Freund zurückerinnerte.
Doch was nun?
Gerade als sie der Meinung war, dass der Zeitpunkt gekommen sei, um aus der Tür zu stürmen, richtete sich der lebendige Leichnam wankend wieder auf. Seine Stirn war aufgeplatzt und Blut rann ihm übers Gesicht und auch sein Hinterkopf musste mindestens eine riesige Beule davongetragen haben.
Es war dann auch der Geruch, welcher Emilia als Erstes irritierte. Noch bevor Dimicus die Worte an sich zu richten vermochte, sog sie die Duftnote tief in ihre Lungenflügel hinein. Schwach konnte sie den Geruch wahrnehmen, den sie sowohl von seinen Gemälden, als auch von ihm selbst kannte.
Roch eine Leiche so nach Lebendigkeit? Wo war der Verwesungsgeruch abgeblieben, der bereits eingesetzt haben musste?
Ihre innere Löwin leckte sich die Lefzen und Emilia erinnerte sich unwillkürlich daran, wie sie Dimicus über die Hand geleckt hatte, nachdem sie ihn damals verletzt hatte.
„Emilia! Beruhige … beruhige dich! Ich bin es doch nur!“
Würde ein Untoter zu ihr sprechen? Wohl kaum…
Dimicus?, sie formte seinen Namen zu einer tonlosen Frage und ein sanfter Hoffnungsschimmer funkelte in ihren minzgrünen Augen.
Trotzdem wollte sie sich ihm nicht nähern. Zu gross war ihre Angst davor sich zu irren.
Dann erkannte sie jedoch seinen besorgten Blick, der eindeutig nicht zu einer gefährlichen Bestie passen wollte, die sich am liebsten sogleich auf sie stürzte.
Als der geschwächte Mann wiederum wankte und drohte das Gleichgewicht zu verlieren, stürzte sich Emilia plötzlich nach vorne.
Ihre beschützerische Löwin verdrängte sie zu der ängstlichen Katze in eine Ecke ihres Seins.
Kaum spürte sie den warmen Körper in ihrer Umarmung und den Geruch seiner Haut in ihrer Nase, gab es keine Zweifel mehr. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, und kaum konnte sie ihr Glück begreifen, während wiederum Tränen über ihre Wangen strömten. Die Emotionen drohten sie wie eine Flutwelle mit sich zu reissen, so überwältigend war ihre Gefühlslage.
Erst als Dimicus sich unter ihrer stürmischen Berührung regte, wandelte sich die Euphorie der Erleichterung in eine weitere neue Gemütsbewegung. Im nächsten Augenblick trommelte sie mit ihren Fäusten schwach auf seine Brust ein, hilflos und wütend zugleich über ihre Unfähigkeit, ihm all ihr Gedankenchaos einfach an den Kopf schmeissen zu können.
Dimicus
Etwas verwundert beobachtete Dimicus das Schauspiel dort vor sich. Wieso war sie denn so verwirrt, wo er eindeutig als lebendig und nicht gefährlich einzustufen war?
Eigentlich hatte er angeordnet, dass Shazeem sie in Sicherheit, aber nicht direkt zu ihm bringen sollte. Der alte Gauner hatte damit sicherlich etwas bezwecken wollen. In seinem wackligen Zustand war es nicht wirklich gesund, sich dem Stress dieser Begegnung auszusetzen. Zu allem Überfluss spürte er noch, wie ihm etwas Warmes an der Stirn hinablief. Der Wurf hatte also gut gesessen.
Seine Sicht verschwamm für einen Moment und Dimicus konnte sich kaum aufrecht halten. Beinahe drohte er wieder nach hinten zu fallen, doch plötzlich spürte er einen Luftzug. Überraschende Wärme und Zuneigung schmiegte sich an seinen Körper, von der er vollkommen überrumpelt wurde. Schluchzen durchzuckte den Raum und seine Nase empfing den Geruch einer Katze nur noch schärfer.
„Hey, ist doch gut.“, sprach er mit brüchiger Stimme, dabei vergaß er, dass Emilia taub war. Sie schien vollkommen verwirrt, doch ihre Tränen zeugten von Freude und Erleichterung.
Diese Reaktion und das Wissen, welches er von Shazeem erhalten hatte, bestätigten nur die Zusammenhänge. Sie hatte ihn nicht verraten, ganz im Gegenteil. Es war allein Wilfried, der die junge Katze auch noch misshandelt hatte.
„Es ist vorbei, deine Angst unbegründet.“
Sanft ergriff er ihre auf seiner Brust trommelnden Fäuste, schloss seine Hände um diese und schlich sich in ihre Handflächen, nur um seine Finger mit den ihrigen zu verschränken.
Er war erleichtert, dass es Emilia dennoch geschafft hatte. Für die erste Zeit hatte er es geschafft, ihren Verlust zu akzeptieren und sie abzuschreiben. Dennoch hatte er sich Tag für Tag nach ihrem Duft gesehnt, die Zuneigung ihrerseits und einfach die Aura, welche sie mit in sein Leben brachte. Von Anfang an hatte er gespürt, welche Wirkung sie auf ihn gehabt hatte. Wie er ein verlorenes Kind, ihre Geschichten konnten nicht unterschiedlicher sein, doch waren die Schicksale identisch.
So umschlossen sie sich in ihrer Umarmung, er spürte wie je in diesem Moment das Band zwischen ihnen stärker wurde. Sein Verstand hatte sich bereits zurückgezogen, nur die schwachen Empfindungen und Wahrnehmungen herrschten vor, die sonst kaum sein Selbst bestimmten. Doch sein Körper war schwach, ohne sich weiter aufrecht halten zu können, ließ er sich nach hinten fallen, zog Emilia dabei mit sich und hielt sie fest in seiner Umarmung. Seine Händen streichelten sanft ihren Rücken entlang, sie sollte sich beruhigen. Es tat ihm weh, sie so zu sehen.
Emilia
Emilia spürte die Arme, welche sie tröstlich umschlossen und bevor sie sich versah hatte Dimicus sie mitgezogen, als er sich geschwächt nach hinten fallen liess. Im ersten Moment versteifte sich ihr Körper ab der neuen Nähe, die sich zugleich ungewohnt, aber auch angenehm anfühlte. Dann jedoch traf ihr Blick seine sanften blauen Augen und die Spannung fiel wie eine Altlast von der jungen Frau ab. Sie schmiegte sich an ihn und genoss die Berührungen seiner Hände an ihrem Rücken, konnte spüren, wie sie über ihrer Kleidung der Wirbelsäule entlangstrichen.
Deutlicher als je zuvor nahm sie die Wärme wahr, welche er ausstrahlte und wo sie bis vor Kurzem noch Todeskälte geglaubt hatte. Sein Herzschlag pochte deutlich spürbar, als sie den Kopf an seine Brust legte, die sich unter seinen Atemzügen hob und senkte. In diesem Augenblick konnte es kein schöneres Gefühl geben. Er war unbestreitbar am Leben!
Ihre Tränen waren versiegt, als sie sich schliesslich etwas von ihm löste und sich auf ihren Unterarmen abstütze. Er wirkte müde und abgekämpft, doch sie selbst mochte auch keinen besseren Eindruck machen. Ausserdem konnte sie ihren muffelnden Eigengeruch noch deutlicher wahrnehmen, als seine männliche Duftnote. Bei dem Gedanken verzog sich ihr Gesicht kurz peinlich berührt zu einer Grimasse, dann schob sie ihn jedoch beiseite. Dimicus war es offensichtlich egal, dass sie nicht nach Rosen roch.
Hatte er die Augen geschlossen?
Es schien ihr so zu sein. Noch immer streichelten seine Hände beruhigend ihren Rücken, doch die Erschöpfung war ihm anzumerken und die Bewegungen waren träger geworden.
Emilia beobachtete sein Gesicht wie es ihr schien mit ganz neuen Augen. Dabei fielen ihr die Stoppeln auf, die Wange und Kinn zierten. Ohne darüber nachzudenken hob sie verwegen ihre Hand an, und strich mit den Fingerspitzen über den kratzigen Dreitagebart. Es fühlte sich borstig an und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, bis sie die Finger auch schon wieder rasch zurückzog, als sie seinen Blick auf sich spürte.
Im selben Moment wusste sie, dass sie ihn angelogen hatte mit den letzten Worten, die sie ihm geschrieben hatte. Sie brauchte diesen Mann sehr wohl in ihrem Leben.
Dimicus
Mehr als jemals zuvor gelang es Dimicus, die zarten Berührungen eines anderen Menschen genießen zu können. Es war einer der Dinge, die ihm furchtbar gefehlt hatten und als er es nach einer gefühlten Äonen wieder zu spüren bekam, stahl sich diese Emotion mehr und mehr in seinen Geist. Es löste sich in ihm, es durchtränkte ihn noch bis zur letzten Haarspitze und dachte erst gar nicht daran, ihn loszulassen. Seine Lider schirmten seine Augen vor dem Licht des Raumes ab, während er einfach nur dort lag, es genoss wie Emilia in seine Nähe trat.
Neben seinen eigenen Herzen, fügte sich ein weiteres in seinen Kreislauf ein, seine feinen Sinne für das Detail nahmen allein schon mit seinen Fingern das Klopfen ihres Herzens war.
Die Katze war wie ein Geschenk, welches ihm von Shazeem gebracht und zu versiegen seiner Wunden gedacht war. Seine Mundwinkel verzogen sich neckisch, jeder seiner Muskel entspannte sich trotz der Schmerzen. So fühlte es sich also an, das Gefühl einem Menschen nahe sein zu können, ohne ihn zu töten oder zu misstrauen.
Sein Bewusstsein schwebte zart durch ihre Zweisamkeit, die er noch nie mit einer anderen Person hatte teilen können. Es beschrieb ein Gefühl, welches aber nicht ansatzweise einer Erinnerung in ihm wach rief, sondern völlig neue erschuf. Erst als er plötzlich die weiche Kuppen Emilias Finger in seinem Gesicht spürte, durchzuckte ihn ein seltsames Gefühl. Ein Kribbeln, im Bauch welches an der Aufregung erinnerte, welche er vor jedem seiner Kunstwerke verspürte. Seine Lippen verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln und er öffnete die Augen, doch die junge Frau wurde scheinbar verunsichert.
Auf ihr zurückschreckende Reaktion hin, kam er nicht umhin zu kichern und sie offen anzublicken. Von einer Welle des Mutes erfasst, erwiderte er die freche Bewegung, legte offensiv seine Hand auf ihre Wange und streichelte mit seinem Daumen an ihr entlang. Nur für einen kurzen Moment, der reichte um weitere Nähe herzustellen und doch nicht überzeugend genug, seine inneren Geister zufrieden zu stellen. Emilia wirkte auf Dimicus Geste auch irritiert und sein Kopf schallte ihn einen sentimentalen Idioten. Doch diese Stimme war klein, gedämpft durch die warmen Flammen ihres Beisammenseins.
Dennoch fasste Dimicus sich ein neues Ziel, denn eines stand fest: Er wollte weg. Der Geruch des Erbrochenem auf dem Boden nahm allmählich Überhand und überreizte seine Nase. Genau so wie die Stimmung der Totenhalle etwas kaltes in sich bargen, welches der Kühle einer Totenstarre gleich kam. Mit gewonnener Stärke richtete sich der junge Mann auf, richtete dabei auch Emilia auf und blickte sie mit wärmenden Funkeln in den Augen an.
„Es wird Zeit das wir nach Hause kommen, meinst du nicht auch? Hilf mir, so helfe ich dir. Heute werden wir uns gemeinsam stützen, wie einst im Wald.“
Zwar war Dimicus die Blässe ins Gesicht geschrieben und sein Körper zitterte etwas, aber das Feuer in seinen Augen brannte, schrie danach seinen Worten Taten folgen zu lassen.
Emilia
Eine feine Röte schlich sich in das blasse Gesicht des Mädchens, als seine Hand ihre Wange berührte. Dieselben Finger, welche sowohl Pinsel als auch Dolch mit Leichtigkeit führten, streichelten für einen Moment über ihr Gesicht. Ein warmer Schauer durchlief ihren Körper, doch fühlte er sich angenehm und willkommen an. Gleichzeitig irritierte diese Geste die junge Frau, welche seit dem Tode ihres Vaters kaum mehr ehrliche Zuneigung erfahren hatte, was wohl auch in ihren Augen zu erkennen war, denn Dimicus unterbrach sein Tun.
Am liebsten wäre Emilia noch für längere Zeit hiergeblieben, genau an dieser Stelle. Der Moment erschien ihr unwirklich, wie in einem Traum. Sie lagen mitten in einer Totenhalle auf einem steinernen Bett und doch war sie so glücklich, dass sie am liebsten zufrieden geschnurrt hätte. Als Dimicus sich also aufrichtete und sie ebenfalls dazu bemüssigt wurde, rutschte sie hastig von ihm herunter und setzte sich neben ihn auf die Barre. In diesem Moment war sie dankbar dafür, dass sie vom Sprechen befreit war, denn sie hätte nicht gewusst, ob und was sie zu ihm sagen sollte.
Als er ihr vermittelte, dass er aufbrechen wollte, nickte Emilia ihm zu. Nach Hause… wo war ihr zu Hause jetzt?
Doch er hatte Recht, hier zu bleiben kam ebenfalls nicht in Frage. Auch das Duftöl vermochte den ranzigen Geruch des Erbrochenen nicht mehr zu neutralisieren und er kratzte die Gestaltwandlerin unangenehm in der empfindlichen Nase.
Sie nickte ihm deshalb zu, betrachtete ihn dann jedoch zweifelnd. Wie sollten sie unauffällig von hier wegkommen?
Noch immer trug er die Klamotten, welche ihn als Gefangenen auswiesen und sein Haupt war von ihrem Wurfgeschoss mit Blut beschmiert, was ihr sogleich die Schamesröte ins Gesicht trieb.
Emilia blickte sich in dem Raum um. Vorsichtig kam sie auf ihre Füsse. Kurz wurde ihr schwindelig, doch sie fing sich rasch wieder. Hätte sie den Stärkungstrunk doch bloss nicht direkt wieder erbrochen!
Auf einem Regal hatte sie Leinentücher entdeckt, um die Toten damit zu bedecken. Einen Moment zögerte sie, dann nahm sie sich eine Schere und schnitt ein Stück aus dem grossen Tuch heraus. Nun, Sachbeschädigung war bestimmt tolerierbarer als Diebstahl…
Dimicus hatte sie verwirrt beobachtet, doch als sie bei ihm angelangt war, befeuchtete sie den Stofffetzen ohne Umstände mit ihrer Spucke und tupfte ihm vorsichtig das Blut vom Gesicht. Ja, so sah er immerhin wieder ein wenig gesellschaftstauglicher aus!
Dann zupfte sie mit fragendem Blick an seinem Kleidungsstück und half ihm schliesslich auf die Beine zu kommen. Das würde ein langer und umständlicher Weg werden, da war sich die Gestaltwandlerin sicher!
Im nächsten Moment wurde plötzlich die Tür aufgerissen und Emilia schreckte herum. Doch es war nur eine der Wachen, welche dort stand und die Nase krauszog, als er von dem unappetitlichen Geruch empfangen wurde. Dann begann er mit ernster Miene auf Dimicus einzureden. Die junge Frau stand verunsichert daneben, viel zu unkonzentriert, um dem Mann die Worte von den Lippen abzulesen. Schutzsuchend tasteten ihren kühlen Finger nach Dimicus Hand und sie fühlte sich sofort beruhigt, als er sie fest umschloss.