Systematisches Testen auf Schwachstellen
Die Akademie kann ich aus heutiger Sicht ausstattungstechnisch als topp bezeichnen, aber ein Gefängnis war es trotzdem. Für uns drei kristallisierte sich ein Bild heraus. Zur eigentlichen Akademie, gehörten zahlreiche Säle, in denen es wirklich alles gab. Wie im Regenwaldbiotop waren auch hier überall Wächter zugegen, allerdings auch einige von uns – sprich Adelige oder reiche gut situierte Bürger unseres Alters.
Sie trugen die gleiche Kleidung und die Hundemarke. Mit einigen suchten wir das Gespräch, was nicht immer gelang. Manche die sich in ihrer Konzentration gestört fühlten, verscheuchten uns Neuankömmlinge rüde. Es gab aber auch welche, die in der Art gelangweilter Müßiggänger einem kleinen Tratsch nicht abgeneigt waren. Sie erteilten uns anstandslos Auskunft.
In den Kuppeln gab es Erholung nach dem Training, sie boten jeden Luxus und sogar Abenteuer und Vergnügen, wenn man sich das verdient hatte. Ein Purie wie ich der dort eine Zeit leben dürfte, würde es als Kur-Urlaub empfinden. Aber ein anderer Purie würde auch nicht an meinem Training teilnehmen müssen. Oder können. Wenn höchstens einmal.
„Dieser Ort… ich hab kein gutes Gefühl dabei“, maulte Kunwolf.
„Ich auch nicht, hier ist was oberfaul. Es ist doch fast 12 Uhr, ich empfinde dass es 12 Uhr sein muss. Warum wird nicht zum Mittagessen geläutet? Ein Service ist das hier…“, grübelte Brandur.
Kunwolf öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, überlegte es sich anders und zog nur die Stirn kraus. Zu der Zeit saßen wir auf der Veranda eines kleinen Imbisses, direkt neben einem hohen künstlichen Wasserfall, dessen Rauschen ein etwaiges Abhören unserer Unterhaltung erschwert hätte.
„Ein Kerker mit Zimmerbrunnen, herrlich ich bin begeistert!“, fauchte Kunwolf und bewarf den Imbissbuden-Heini mit den weißen kleinen Kieseln die er aufhob und nach diesem schleuderte.
Der Kerl hatte keine Peilung wer ihn da gerade verarschte und wir drei mussten loslachen. Wir waren trotz allem ja blöde Jungs.
„Jedenfalls werden sie hier nicht hehre Absichten haben um die Sicherheit Naridiens zu verbessern“, antwortete ich.
„Dun ich teile Deine Einschätzung vollinhaltlich“, lachte Kunwolf.
„Du klingst wie ein Politiker“, prustete Brandur und spuckte das Wort Politiker förmlich aus.
„Der ich ja wohl auch bin. Demokratisch werde ich mich selbst wählen, von mir selbst eingesetzt, nachdem ich alle Verwandten, Gegenwähler und den nutzlosen naridischen Rat abgeschlachtet habe“, lachte sich Kunwolf kringelig.
Er strich sich über den Schädel und deutete dann anklagend auf mich.
„Und Du nicht minder Du Besserwisser“, lachte er.
„Pöh“, war nur mein Kommentar, weil er meine Gedanken schon gelesen hatte.
Brandur starrte uns beide an. Auf seinem Gesicht lag eine Mischung aus Unglauben und Besorgnis über unseren Geisteszustand.
„Pöh? Was pöh? Hat es Dir die Sprache verschlagen Großmaul?“, grinste mich Kunwolf an.
„Halt einfach die Fresse“, gab ich zuckersüß zurück und schmiss eine Handvoll Kiesel nach ihm, erwischte aber einen Shezem mitten in die Fresse. Stinksauer starrte sich das Vieh um und Kunwolf deutete anklagend auf den Nebentisch mit Engelsmiene.
Fast zeitgleich entlud sich die Aggressivität von dem Shezem mit den anderen Wachen in einem lauten Streit, welches schnell in einer Prügelei mündete. Brandur war aufgesprungen, nahm Kampfhaltung ein und stand unschlüssig da.
`Raus hier!´, bellte Kunwolf in unsere Gedanken und verpasste uns eine knallharte mentale Kopfnuss. Einfach um damit an unser wahres Wesen der Hohenfelde zu erinnern.
Die Geste erzielte die passende Wirkung. Wir nahmen Vernunft an und folgten Kunwolf durch den Imbiss zum nächstliegenden Ausgang.
Mittlerweile wurde an allen Ecken und Enden in dem Bereich gerauft, jedoch nicht nach dem Prinzip harmlose Kneipenschlägerei, sondern Shezem schenkten sich nichts. Die Brutalität und Gefährlichkeit der Attacken nahm sekündlich zu. Wurfgeschosse folgen durch die Luft, Einrichtungsgegenstände wurden zu Waffen umfunktioniert.
Knochen brachen knackend, Blut spritze und schon gab es die ersten Schwerverletzten.
Kunwolf der Holzkopf führte uns mitten durch den schlimmsten Trubel. Brandur und ich mussten unsere ganze Nahkampfkunst einsetzen, um unbeschadet nach draußen zu entfliehen.
So liefen wir noch eine Weile nebeneinander weiter, auf dem weichen Sand eines idyllischen, von zedernartigen Bäumen gesäumten Strandes. Am Horizont, der nicht real war, sank eine blutrote Sonne ins spiegelglatte Meer. Das Biotop gefiel Brandur auf Anhieb. Wer immer es gestaltet hatte, hatte keine Abneigung gegen Kitsch.
Als Kunwolf spürte, dass seine Angriffslust abgeklungen war, blieb er stehen und knuffte mich.
„Hey Dunwin, bist Du in Ordnung?“, fragte er geradezu fürsorglich.
„Wieso, hast Du vor es zu ändern?“, antwortete ich sarkastisch.
„Nein, wegen Großmaul, tut mir leid Bruder“, räumte er ein und knuffte auch Brandur.
„Vergiss es einfach“, antwortete Brandur tonlos und latschte ins Wasser.
„Aber nein warum Brandur… sei nicht so. Denk doch nur, nach unserer nervtötenden perfekten Harmonie hatten wir so etwas wie unseren ersten Streit ohne dass einer verletzt ist oder umkam! Das zeigt Zuneigung, so steht es geschrieben! Durchaus erfrischend“, lachte Kunwolf.
„In der Tat, durchaus erfrischend“, karikierte ich seine Sprechweise und schleuderte ihn ins Wasser.
Prustend und strampelnd kämpfte er sich zurück an den Strand und musterte mich giftig ehe er sich schlapp lachte, mir vor die Schulter boxte und seine Gedanken übermittelte. Er war nicht sauer, er fand es lustig.
„Was meinst Du? Wodurch wurde diese Streitlust ausgelöst?“, fragte ich grübelnd.
„Eine Handvoll Steine in einer Fischfresse?“, schlug Brandur vor, so dass wir drei loslachen mussten.
„Wisst Ihr eines steht fest, wir haben schon oft genug an Vaters Behandlungen teilgenommen. Unfreiwillig und ohne jemals vorab informiert worden zu sein. Also warum nicht mal ein bisschen heimzahlen?“, grinste Kunwolf.
„Das ist gegen das Dogma“, antwortete Brandur.
„Schon möglich, aber gegen das Dogma ist auch mich hungern zu lassen. Was ist das da vorne für ein Schuppen Jungs?“, fragte ich beide und kniff die Augen zusammen.
„Hm ein Schuppen. Gehen wir hin und finden es heraus!“, schlug Kunwolf vor und machte sich sofort auf den Weg.
Wir schlichen also zu dem Schuppen rüber und spähten hinein. Es war einer der Versorgungsschuppen. Für uns war ja alles neu.
`ESSEN!´, übermittelte Brandur und deutete hinein.
„Wir müssen dort hinein gelangen“, stellte Kunwolf fest.
Ich versuchte die Tür zu öffnen, aber sie war abgeschlossen.
„Zu schön um wahr zu sein. Tür aufbrechen, los“, schlug ich vor und Kunwolf grinste noch breiter. Absolute Zustimmung im Gesicht.
Niederschmetternd in einen Raum voller Fressalien starren zu können, aber nicht ans Futter zu kommen. Brandur hockte sich unter das Fenster und kauerte sich ganz klein zusammen. Futter scheinbar zum Greifen nah und dennoch unerreichbar, dachte er betrübt.
„Versuchen wir es doch mal mit Gewalt“, schlug ich vor.
Wir stellten uns zusammen auf, nahmen so viel Anlauf wie wir konnten und rannten wie die Irren los. Wir warfen uns gegen die verfluchte Tür, immer und immer wieder, die Beulen und Verletzungen einfach ignorierend, bis der Verschluss brach und die Tür aufschwang.
„Na bitte! Dunwin Du hast Recht. Manchmal ist nicht Subtilität gefragt, sondern einfach pure Gewalt“, grinste Kunwolf.
Humpelnd und glücklich machten wir uns in den Schuppen auf und hockten uns zwischen die Fressalien. Wir fraßen so viel wir herunter bekamen. Keine fünf Minuten später war einer der Wachleute da und starrte uns an.
„Jungs, Ihr seid wirklich grade erst zugereist ja? Mit Euren Hundemarken bekommt Ihr am Imbiss alles zu fressen oder zu trinken was Ihr wollt. Es wird natürlich vermerkt, wer was wie viel frisst, falls er erkrankt. Ihr braucht hier keine Nahrung zu stehlen. Zudem gibt es fünf Mal am Tag in der Mensa für Euch Futter! Jedes Mal der gleiche Scheiß mit den Neulingen. Raus da jetzt und macht das Ihr weg kommt.
Und fürs nächste Mal, Unbotmäßigkeit wird streng geahndet“, er tippte auf unsere Hundemarke.
„Damit haben wir Euch im Griff. Aber das sollte Euch nicht stören, Ihr lebt hier wie Zuhause – wie die kleinen Paschas! Also folgt den Anweisungen“, sagte der Wächter.
„Was passiert denn, wenn sich jemand hartnäckig den Anweisungen widersetzt?“, fragte Brandur vorsorglich.
„Das möchtest Du nicht wissen. Und solltest Du es ausprobieren, wird es Dir leidtun kleiner Magier. Und jetzt haut endlich ab, oder soll ich doch eine Meldung machen?“, zischte der Kerl. Wir waren schneller weg, als er gucken konnte.
So vergingen die ersten Wochen. Frühstücken, Schule, Trainieren, Mittag, Trainieren, Abendbrot – Freizeit, 23:00h Einschluss. Wenn man nichts verbrochen hatte oder zur Untersuchung zitiert wurde. Eines Abends beim Futtern erzählte uns Kunwolf dass er etwas Besonderes entdeckt hatte.
„Heute als ich im Zentrum war, habe ich ein kleines Luftschiff gesehen. Brandur halt ja die Schnauze! Ich weiß nun wie wir nach draußen gelangen. Wir müssen nach oben. Wir müssen in den verbotenen Bezirk, ich wette mit Euch, dass es oben einen Zugang zum Draußen gibt. Ich wette fünfhundert Taler dass wir dort einen Blick auf nach draußen werfen können!“, verkündete Kunwolf stolz.
„Die 500 Taler halte ich“, nahm ich die Wette an und Brandur schüttelte nur den Kopf.
„Es wäre schon spektakulär, könntest Du mich in Erstaunen versetzen und da wäre was. Da ist nichts! Sie brauchen Luftschiffe von dort nach hier. Wenn es einem bewohnten Gebiet gäbe zwischen unserem Anwesen und dieser Akademie, außer dem üblichen Mist bräuchte man keine Luftschiffe! Aber gut, ich gehe mit und wehe Du drückst keine 1.000 Taler ab Kuni, dann wirst Du leiden, dass schwöre ich Dir", zischte Brandur giftig, was mich loskichern ließ.
„Ist der denn so aggro drauf? Beruhig Dich Brand man, piano“, wunderte sich Kunwolf.
Also aßen wir schleunigst auf und machten uns auf den Weg. Brandur und ich irrten uns. Es gab die Luftschiffe. Aber vorerst wanderten wir los.
Durchschritten eine Art Triumphbogen, opulent geschmückt mit marmornen Reliefs voller Blumen und Ranken und gelangten auf eine sandfarben gepflasterte Straße.
„Wer stellt so einen ekligen Bogen auf? Die haben doch den Knall nicht gehört. Wer wohnt hier Kunwolf?“, fragte Brandur angewidert.
„Vermutlich wandern wir geradewegs zur Schlachtbank, aber dann lernen wir nicht das Draußen... oder besser gesagt die Fremde kennen, sondern den Nexus“, prustete ich.
„Jau und wir haben auch einen Geistmagier als Binder dabei oder einen Nekro, welch ein Glück. Ob man entschwebt bestraft wird?“, grübelte Brandur belustigt.
„Nur wenn Du nach Deinem Verrecken über die Absperrung schwebst ohne Erlaubnis oder in verbotenen Bereichen rumschwebst, sonst nicht“, erklärte ich großzügig und bei dem blöden Gesicht dass er zog mussten Kunwolf und ich loslachen.
Wir hatten gute Laune und wanderten einfach weiter.
Und plötzlich brach einfach die Landschaft jäh nach unten weg. Wir stutzten und beugten uns über die Kante ohne Geländer. Wir drei Jungs starrten staunend in die Tiefe und sahen gewaltige Stelen, auf denen sich unten Plattformen befanden. Unten gab es auch Straßen aber dort schien alles aus Metall zu sein. Die Häuser hatten seltsame Formen.
Aber das war es nicht, was Kunwolf so faszinierte, sondern ein Luftschiff. Ein gewaltiges, seltsam geformtes Schiff von einem Ausmaß wie wir es nie gesehen hatten stand dort unten. Bewacht von zig gewaltigen Tieflingen. Es sah aus wie eine riesige Rauchstange.
Ein Mann unbestimmbaren Alters trat aus dem Luftschiff.
Eine für uns fast mit organischen Augen sichtbare Aura von Autorität, Arroganz und Skrupellosigkeit umgab ihn. Zugleich wirkte er nicht richtig menschlich, und wir hatten schon viele Menschen, Humanoide und Volksgruppen studieren müssen. Vater vertrat die Meinung – kenne Deinen Feind!
Es waren seine seltsamen Bewegungen, die ihn wie aus der Art geschlagen wirken ließen, so als sähe er nur aus wie ein Mensch oder imitierte ihn.
Gut das dachten da die richtigen Drei. Unsere Familie war für andere ebenfalls seltsam.
„Zehn Stück, wie bestellt“, schnarrte er, wobei er einen Tiefling nach dem anderen aus kalten, fast schwarzen Augen musterte.
„Darf ich Ihnen die Lieferung abnehmen?“, fragte einer der Tieflinge geradezu schleimig. Obwohl er ein Vielfaches von der Körpermasse des Menschen hatte, erschien der Tieflinge neben dem Mann wie ein Wurm, der zu einem Raubvogel aufblickte.
„Hab ich das Manuskript erhalten? Ich hab das Manuskript nicht erhalten!
Hab ich das Manuskript erhalten, erhaltet Ihr die Bestellung. Sollte ich umsonst hergeflogen sein... tjaaa“, lachte der Kerl und ließ den Satz unvollendet.
Dabei faltete er die Finger seiner Hände in einer extrem komplizierten Geste zusammen, was den Tieflinge extrem beunruhigte.
„Das Manuskript! Wo zum Abgrund ist das verdammte Manuskript?“, brüllte der Tiefling. Doch das wäre nicht nötig gewesen, denn zwei seiner Helfer waren schon losgestürmt beim ersten Anzeichen des Unmutes ihres Gastes.
Leider konnten meine Brüder ihn nicht auslesen, aber wir fragten uns, warum ein Kerl den die Tieflinge geradezu vergötterten und in den Arsch krochen, nach einem Manuskript verlangte.
Den Tag hatten wir nicht vergessen und Kunwolf plante was er immer plante, er wollte das Draußen... sprich die Fremde sehen, die Welt kennenlernen und all diesen Schwachsinn.
Die Sichtung von dem fremden Kerl hatte seine Vermutung bestätigt. Es musste die Fremde geben. Andere Länder hatten wir im Unterricht noch nicht kennengelernt, sie wurden uns nicht vorgestellt. Vielleicht auch um Fernweh zu vermeiden. Aber mit Vaters Nichtinformation erreichte er bei Kunwolf genau das Gegenteil. Je weniger er wusste, je mehr wollte er selbst herausfinden.
Erneut etwas später.
Ich erinnere mich daran, dass wir im Freizeitsektor unterwegs waren und Kunwolf zu einem Untersuchungstermin beordert wurde. Brandur und ich starrten ihn besorgt an, Kunwolf reagierte nicht. Er wurde mehrfach gerufen, aber er zeigte keine Reaktion.
Zwei Sicherheitsleute erschienen um ihn an seinen Termin zu „erinnern“. Brandur flehte ihn an sich zu fügen und ihnen zu folgen, ehe sie ihn züchtigen würden.
Entgegen meiner sonstigen Art, stimmte ich an dem Tag Brandur absolut zu. Diese Order hatte man nicht zu ignorieren, es sei denn man wollte auf die Platte gestellt werden. Das ist vergleichbar mit einem Tanzbären, nur steht man selbst barfuß auf einer glühenden Metallplatte. Abgrundartige Schmerzen.
Kunwolf wäre nicht Choleriker-Kunwolf, hätte er auf uns gehört oder Vernunft angenommen.
Statt einer Antwort, sprintete Kunwolf los, auf die Wärter zu und zwischen den beiden hindurch. Sie standen einige Meter auseinander und hatten keine Waffen gezogen, daher dachte er, das Risiko eingehen zu können.
Die Kerle hielten ihn nicht auf, doch ein weiterer Wärter – einer der Tieflinge, der in der Nähe eines Luftschiffes stand, brüllte ihn an stehen zu bleiben. Ohne abzubremsen oder zu verlangsamen sprintete Kunwolf auf das Luftschiff zu.
Klar was er wollte, das Ding kapern. Kunwolf rannte einfach weiter, auf einem Kurs, der ihn in mehreren Metern Abstand an dem Fettsack vorbeiführen würde. Das Vieh betätigte etwas, dass er auf seiner Armrüstung trug. Augenblicklich zog sich die Hundemarke um Kunwolf Hals enger zusammen.
Es schnürte tief ins Fleisch, drückte ihm den Atem ab. Er zerrte daran, konnte es aber nicht lockern, geschweige denn abreißen. Vergeblich nach Luft japsend, schleppte er sich noch einige Schritte Richtung Luftschiff und stürzte da zu Boden.
Ich dachte er würde ersticken, wenn sie das verdammte Würgehalsband nicht wieder lockerten. Ich wusste schon warum ich Magie und Magier hasste.
Sie ließen ihn noch eine Zeit lang liegen, bis er aufhörte sich zu wehren und nur noch nach Luft schnappte.
„Bist keiner von der hellen Sorte hä?“, antwortete der Tieflinge und tätschelte Kunwolf den Schädel.
Unfähig zu antworten, bäumte sich Kunwolf auf. Ich dachte mir nur Respekt Kuni, ändert aber nichts am Endresultat. Er starrte den Tieflinge noch einige Sekunden hasserfüllt an, senkte aber dann Blick wie es Pflicht ist wenn man einem der Wächter gegenüber steht.
Blick auf die Fußspitzen, kein Blickkontakt zum Wachpersonal. Blickkontakt wird als versuchter Angriff gewertet.
Was verständlich ist, wer mit gesundem Verstand würde einem Geistmagier in die Augen starren?
„Auf den Bauch, sofort“, bellte der Fettsack und Kunwolf gehorchte mit gefletschten Zähnen. Der Tieflinge betätigte etwas. Die Hundemarke weitete sich ein wenig, so dass Kunwolf Luft bekam.
„Steh auf. Raus hier und sofort zurück hinter die Absperrung. Ich hoffe Du hast Deine Lektion gelernt“, donnerte der Kerl und verpasste Kunwolf eine schallende Ohrfeige.
Kunwolf nahm sie hin ohne einen Ton zu sagen und gehorchte. Er trottete zurück zu mir und Brandur. Kaum hinter der Absperrung dehnte sich die Hundemarke wieder.
Die einzigen Worte die Kunwolf aus seiner geschundenen Kehle presste waren –
beim nächsten Mal… bist Du tot…
Erneut vergingen Wochen, nach diesem Vorfall.
Müßig alle Kleinigkeiten aufzuzählen, ich bleibe beim roten Faden – nämlich dem Plan von Kunwolf.
Als hätte ich nicht schon genügend Sorgen gehabt, fing nun Kunwolf an, sich irrational, ja richtig wahnsinnig zu gebärden. Brandur verhielt sich weiterhin völlig normal. Um ihn musste ich mich nicht sorgen. Aber sicher war sicher, ich behielt beide im Auge, denn für Verfehlungen wurde stets das gesamte Trio bestraft. Gruppenfestigung nennt man diese Form der Folter.
Kunwolf klapperte alle „Sehenswürdigen“ ab, suchte scheinbar wahllos Biotope auf, führte Gespräche von unterschiedlicher Dauer mit anderen "Gästen", Wachpersonal wenn sie sich drauf einließen, oder anderen Insassen. Wozu sie da waren, verrieten sie uns nie. Kurzum er recherchierte verdeckt wie ich es selbst kaum besser hätte machen können.
Zwischendurch ruhte er stets nur wenige Stunden. Meist schlief er zwei oder drei Stunden irgendwo. Er benötigte nicht viel Schlaf, oder konnte nicht richtig schlafen.
War er in Brandurs Abtastreichweite, dann überwachte er seine Gedanken. Kunis Gedanken schwankten gelegentlich in Richtung eines merkwürdigen tranceartigen Zustands – nämlich immer dann, wenn er etwas Unerlaubtes anstellte, von Tieflinge oder anderem Wachpersonal erwischt und via Hundemarke abgestraft wurde.
Dessen ruckartiges Zusammenziehen registrierte Brandur, desgleichen die resultierende Atemnot, Brand war mit Kunwolf mental verbunden. Hingegen fehlten die Anzeichen für Schmerz oder Panik, die damit hätten einhergehen sollen. Anders ausgedrückt, dass Kunwolf zu ersticken drohte ließ ihn kalt.
Brandur erklärte mir, dass nichts auf Drogenkonsum hinwies.
Brand vermutete eine schlagartig aufgetretene geistige Störung.
Als sei ihm vollkommen egal, dass er bei diesen gewagten Selbstversuchen Kopf und Kragen riskierte, probierte er immer wieder aus, wie weit er gehen konnte.
Zwar griff er keine Tieflinge oder Wachen an. Aber er überschritt jede Absperrung, die er finden konnte, obwohl diese eindeutig markiert waren. Mutwillig und gezielt, natürlich nur dann wenn auch ein Wächter guckte!
Gänzlich durchgedreht war er nicht, denn er ließ sich jedes Mal im letzten Moment bändigen und fügte sich. Dann zog er sich zurück, wechselte die Position und kaum hatte er sich erholt, provozierte er anderswo erneut.
Kunwolf legte eine bemerkenswerte Ausdauer an den Tag. Er versuchte sogar den Grenzfluss am Perimeter der Kuppel zu durchtauchen, mit roher Gewalt Sicherheitstüren aufzubrechen oder sonst wie in Bereiche einzudringen, die nur dem Personal vorbehalten waren.
Vergeblich, erwartungsgemäß fruchtete nichts davon, dennoch gab der Kerl nicht auf.
Was bezweckte er? Das fragten Brandur und ich uns fast jeden Abend.
"Weshalb weigert er sich, die Nutzlosigkeit seiner Vorstöße einzusehen? Ist er lebensmüde geworden? Oder hat er eine Krankheit?", fragte Brandur nicht zum ersten Mal.
Brandur und mir bereitete Kunwolf durch sein wahnsinniges im wahrsten Sinne des Wortes halsbrecherisches Verhalten erhebliche Probleme.
Die Überwachung bemerkte irgendwie alles. Wie oft ein Insasse aus der Reihe tanzt, nicht rechtzeitig zu einem Termin erschien, seine Befugnisse überschritt oder sonst wie Vorschriften verletzte, so dass er mit Stressband gemaßregelt werden musste.
Dreimalige Auffälligkeit mit Maßregelung innerhalb einer Woche, Tanzplatte für das ganze Trio.
Da weder Brandur noch ich der Tanzplatte etwas abgewinnen konnten, war bald unsere Freizeitbeschäftigung Kunwolf an seinen Aktionen zu hindern.
Kurz vor Einschluss war es Brandur leid und bat Kunwolf endlich mit dem Wahnsinn aufzuhören, oder ihn einfach direkt umzubringen per Genickbruch. Er hätte keine Lust mehr auf den Psychokrieg.
Kunwolf schaute ihn kurz verständnislos an, ehe so etwas wie Verstehen in seinen Augen aufblitzte.
"JUNGS… Friede. Ich dachte Ihr versteht dass", erklärte er.
"Ich verstehe nur, dass ich nicht mehr kann und nicht mehr will und die Schnauze von Dir gestrichen voll hab", antwortete Brandur, kroch in seine Koje und rollte sich zusammen.
Ich schaute Brandur kurz nach und in dem Moment war ich wirklich stinkig. Kunwolf spürte dass ich ihn angreifen wollte und unterdrückte meine Wut, überlagerte sie mit sinnlosen Gedanken, nur damit ich von meinem Stressband nicht stranguliert wurde.
"WAS SOLL DAS?", schrie ich ihn an.
"Ich teste das Gebäude systematisch auf Schwachstellen. Heute hab ich sofort die Pläne der Regenanlage gezogen hinterm Fluss. Und die Bestrafung ist eine Lüge Dunwin! Egal was ich tat, egal wie oft ich eine Verfehlung beging, sie hatten niemals wirklich die Absicht mich zu töten!
Die Todesstrafe durch Erdrosselung ist ein Bluff! Ich stehe noch, ich lebe noch! Wir können fliehen! Und Dunwin, ich weiß den Weg nach draußen", erklärte er mir so freundlich und leise, dass ich zusammenzuckte.
Ich wusste nicht ob es wegen der Information war, oder weil mich seit Jahren das erste Mal wieder jemand wirklich freundlich behandelte.
"Fliehen? Raus? Raus wohin raus?", fragte ich total perplex.
"Hör Dir den Wahnsinn nicht an! Er redet von der Fremde. Niemand kann ohne passende Ausbildung die Welt verlassen und in die Fremde gehen. Und warum? Weil man dort verreckt, sie ist tödlich!", schnauzte Brandur.
"Armes Ding, Du glaubst auch alles was man Dir erzählt", zischte Kunwolf.
"Ja dafür glaubst Du rein gar nichts. Sagt man guten Morgen, guckst Du doch als Erster ob nicht Nacht ist. Dunwin geh lieber schlafen eh der Apell kommt", sagte Brandur.
"Morgen trainieren wir im Besteigerzimmer", lachte Kunwolf.
"BERG-STEIGER-ZIMMER! Besteigerzimmer, Vollpfosten", fauchte Brandur.
"Ja oder da. Egal. Haltet Euch bereit", forderte Kunwolf.
"Wofür?", hakte Brandur nach.
"Draußen", antwortete Kunwolf und legte sich in seine Koje.
Ich musterte die beiden Streithähne eine Weile, als ich Schritte auf dem Flur hörte und schleunigst machte, dass ich in die eigene Koje kam.
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