Lucian von Dornburg
"Wir verlassen Sturmfels noch nicht, nur die Schmiede. Wir besuchen einen alten Bekannten. Ezio di Aminotti, wohnhaft in Löwenfels", erklärte Lucian.
Allein die Information hatte etwas Entgültiges. Fallon wünschte sich den Einstieg in die Familie und zwar als Sklave. Er hatte ihm deutlich erklärt, dass ihre Sklaven tatsächliche Sklaven waren. Das jene fleischlichen Gegenstände rein gar nichts mit dem "Sklaven" in Freudenhäusern und Sexclubs zu tun hatten.
Das Sklavendasein dort war ein Spiel, eine Rolle die man einnahm und bestenfalls nach dem Abspritzen wieder verließ.
Der Zirkel verließ ein Sklave niemals. Selbst im Tode gehörte er dem Ring und diente entweder den Beissern oder seinen Sklavenkollegen als Nahrung. Sie verschwendeten nichts. Kein Fleisch, keinen Knochen, keine Sehne.
Wer als Sklave in den Zirkel eintauchte, wurde verschlungen und verließ die ihm bis dato bekannte Welt. Dafür lernte er eine andere kennen, die ab dem Tag seine wurde. Wo Schmerz und Demut allgegenwärtig waren. Wo das Wort des Herren die Macht hatte über Leben und Tod zu entscheiden. Das Wort des Herren war Gesetz, selbst wenn sich dieses alle fünf Minuten ändern sollte.
Ein echter Sklave wollte Fallon werden, degradiert zu einem Ding....
Nun gut, es war seine Wahl. Lucian konnte es nicht nachvollziehen wie man sich selbst freiwillig derart aus der Hand geben konnte.
Gebrochen gab man irgendwann jeden Widerstand auf, fügte sich weil das Maß der erträglichen Schmerzen derart überstiegen wurde, dass selbst der Tod eine Gnade darstellte.
Beisser kannten keine Gnade.
Ihre Welt folgte klaren und festen Regeln. Eine davon lehrte, wie man mit Beute umzugehen hatte.
Lucian verließ die Schmiede und äugte misstrauisch zum Nachthimmel hoch, auf dem sich das erste Morgenrot abzeichnete.
Der junge Beisser lief durch Sturmfels, als hätte er keine Ahnung wo er sich befand. Er lief die eine Straße hoch, nur um sie dann wieder hinab zu laufen. Sie spazierten im Kreis, sahen Denkmäler und Tempel mehrfach, ehe sie in eine Gegend einbogen in der die Bedrohung förmlich in der Luft lag.
Und genau hier entspannte sich Lucian.
Mit beschwingt Schritten näherte er sich einem großen, verfallen Gebäude. Einst vermutlich eine Taverne.
Vor dem eingestürzten Eingang stand eine Statue. Ein Löwe, der schräg einen Felsen erklommen hatte - Löwenfels.
Lucian quetschte sich durch einige herabgestürzte Deckenteile. Als Fallon ihm folgte, erkannte der Wandler, dass es sich dabei um einen geschützten Weg handelte.
Im Gebäude war es klamm, kalt und muffig. Es stank nach Unrat und alter Pisse. Ganz in der Nähe des Eingangs hatten sich abgehalfterte Obdachlose eingenistet.
Fallon sah, wie sie mit matten, ängstlichen Augen aus der Dunkelheit zu ihnen herüberstarrten. Lucian störte sich nicht an ihnen. Er schwand in einem Schacht, der steil abwärts führte.
Eine knappe Viertelstunde später standen sie in einem finsteren Gang vor einer Panzertür.
Ohne zu zögern hämmerte Lucian dagegen. Der Sehschlitz in der Tür wurde aufgezogen und gab ein Augenpaar preis.
"Was hast Du mitgebracht Bruder?", fragte die Stimme aus der Dunkelheit.
"Hunger", antwortete Lucian.
Die Tür wurde entriegelt und gab den Weg in absolute Finsternis frei.
Lucian ergriff Fallon und schob ihn vor sich durch die Tür, die sich hinter ihnen mit einem Geräusch der Endgültigkeit schloss.
Lucian zog Fallon mit sich. Die Reise ging weiter, der Gang öffnete sich und gab den Blick in einen geschlossenen Komplex frei, einem Bunker oder einem Dorf unter Tage gleich.
Lucian und Fallon standen im Atrium des Komplexes. Die Augen der Anwesenden ruhten misstrauisch auf Fallon.
Ein schlanker Kerl im schwarzen Mantel kam mit den tödlich geschmeidigen Bewegungen einer Raubkatze auf sie zu und entblößte seine messerscharfen Zähne.
"Kleiner", grüßte er gerührt und drückte Lucian an sich.
"Opa!", freute sich Luc und drückte Archibald fest an sich.
"Das ist Fallon, sein Wunsch ist es dem Zirkel als Sklave zu dienen", sagte Lucian tonlos.
"Das ist praktisch, selten gibt es Freiwillige. Die Verschläge müssen gereinigt werden, Leichen und Halbtote raus. Den Halbtote gibst Du den Rest. Den ganzen Scheiß kleinschneiden und ab in die Tröge der Überlebenden. Solange sie fressen, misste die Verschläge aus. Zur Entsorgung nimm Dir einen Fleischerhaken, so ziehst Du das Gammelfleisch aus den Verschläge. Schnell und effektiv. Du hast eine halbe Stunde, sonst teilst Du das Schicksal im Trog", erklärte Archibald lächelnd.
"Willkommen im Ring der Menschfresser Fallon", sagte Lucian.