Kaltes Eisen
Der Morgen war grau und frostig, als ich mich zur Schreibstube des Kommandanten begab. Ich klopfte an die schwere Holztür, und nach einem Moment ertönte von innen seine tiefe, befehlsgewohnte Stimme.
«Herein!»
Die Schreibstube von Garlyn Meqdarhan war schlicht, aber funktional eingerichtet. Ein großer Holztisch dominierte den Raum, bedeckt mit Landkarten, Pergamentrollen und Federkielen. Ein tragbarer Eisenofen spendete genug Wärme, um die Kälte in Schach zu halten. An den Wänden hingen dreckige Banner, Kriegsbeute vergangener Schlachten, die sich in der aufsteigenden Wärme langsam bewegten.
Der Kommandant saß hinter seinem Tisch, auf einem Stuhl, der mit einem Schaffell gepolstert war. Seine schmalen grünen Fuchsaugen sahen mich durchdringend an. «Ich hoffe, du weißt, warum du hier bist.»
Ich nickte. «Ja, Kommandant. Es war ein Fehler, betrunken ins Lager zurückzukehren.»
Meqdarhan neigte den Kopf leicht zur Seite. «Ein Fehler? Ich nenne das Disziplinlosigkeit! Fehler passieren jedem, aber Disziplinlosigkeit passiert nicht einfach. Man entscheidet sich bewusst dafür. Deine Trunkenheit gefährdet uns alle. Wir befinden uns im Niemandsland, wir können jederzeit überfallen werden. Wie soll ich mich auf meine Männer verlassen, wenn sie sich nicht einmal selbst kontrollieren können?»
«Es wird nicht wieder vorkommen, Kommandant», versprach ich, obwohl ich mir bewusst war, dass meine Worte so hohl klangen wie ein Troll-Ehrenwort.
«Das wird es verdammt nochmal nicht!» Er schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Tintenfässer klirrten. «Du bist hier nicht mehr bei deinen Räubern! Nach zehn Jahren müsste man annehmen, dass du solche grundlegenden Dinge weißt. Fürs Erste bist du vom Einsatzgeschehen suspendiert. Deine Strafe wird sein, in der Werkstatt zu helfen. Dort kannst du dich für alle nützlich machen, ohne andere zu gefährden. Vielleicht erinnerst du dich dort daran, wie man sich in einer militärischen Einheit zu benehmen hat.»
Ich straffte meine Haltung noch weiter, um nicht vor Enttäuschung zusammenzusinken. «Ja, Kommandant. Darf ich eine Frage stellen?»
«Spuck`s aus.»
«Wann werde ich wieder Teil von Trupp zwei sein dürfen?»
«Wenn Jurland mit dir zufrieden bist, prüfe ich - vielleicht - deine Reaktivierung. Bis dahin kann viel Zeit ins Land ziehen. Stell dich auf eine lange Zeit in der Werkstatt ein.»
Diese Worte waren wie der Axthieb eines Henkers. Nun war ich kein Schwertkämpfer mehr, sondern degradiert zum Gehilfen! «Verstanden, Kommandant.»
«Und Serak,» fügte er hinzu, «wenn ich dich noch einmal betrunken erwische, werden die Konsequenzen noch weitaus ernster sein. Ist dir das klar?»
«Klar wie Schnaps, Kommandant», antwortete ich.
Meqdarhan musterte mich mit zusammengekniffenen Augen, bevor er sagte: «Du kannst wegtreten.»
Ich drehte mich um und verließ die Schreibstube. Mein Kiefer war angespannt, und ich konnte das leise Knirschen meiner Zähne hören. So eine harte Strafe für ein bisschen Trunkenheit? Es war lächerlich! Ich hatte all die Jahre meine Pflicht getan, gekämpft wie ein Vieh, und dann gönnte ich mir einmal ein paar Bier. Aber nein, Meqdarhan musste ja unbedingt ein Exempel an mir statuieren. Wahrscheinlich hatte Rex bei seinem Bericht maßlos übertrieben!
Meine Hände waren zu Fäusten geballt, die kalte Luft biss in meine Knöchel, als ich die Werkstatt schließlich erreichte. Das Holzgebäude war alt und trug die Narben von zahllosen Reparaturen. Ein robustes Schild über der Tür verkündete «Werkstatt». Für jene, die nicht lesen konnten, was fast alle waren, waren auch noch ein Schraubenzieher und ein Hammer dazu gemalt.
Ich schnaubte. Dass er mich zum Dienst in der Werkstatt verdonnert hatte, fühlte sich wie eine persönliche Beleidigung an. «Von wegen Garlyn der Fuchs», grummelte ich leise. «Garlyn der räudige Hund müsste er heißen!»
Meine Wut konnte ich kaum zurückhalten, doch ich wusste, dass ich keinen weiteren Ärger riskieren durfte, wenn ich Teil der Eisenfalken bleiben wollte. Beherzt öffnete ich die Tür und trat in die warme, nach Öl und Metall riechende Luft.
Jurland, der Waffenmeister, war ein narbiger Veteran aus Almanien, der seit einem Treffer auf den Schädel nicht mehr in der Lage war, noch in den Kampf zu ziehen. Er humpelte und hielt den Kopf schief. «Na, der Held des Tages», begrüßte er mich.
Ich ignorierte den Spott. «Was soll ich tun?»
Er wies auf einen Tisch, der voller Rüstungsteile war. «Bei all diesen Teilen müssen die Lederriemen ersetzt werden. Bei der Gelegenheit kannst du auch die Ösen kontrollieren.»
Knurrend machte ich mich an die langweilige Arbeit, die mit eiskalten Fingern besonders wenig Spaß machte. Sie dauerte den gesamten Vormittag. Als ich fertig war, musste ich gebrauchte Nägel geradeklopfen, den Rost abschleifen und die restaurierten Nägel ölen. Am nächsten Tag ging es mit dem Schleifen von Waffen weiter. Das regelmäßige Schaben des Steins über das Metall war hypnotisch, beinahe einschläfernd. Jeder Strich des Wetzsteins erinnerte mich qualvoll daran, dass ich hier in der Werkstatt war, weil ich die Regeln gebrochen hatte. Jurland hatte in all der Zeit nichts zu erzählen. Wie denn auch? Er erlebte ja nichts mehr als diesen langweiligen Alltag. Er verbrachte die meiste Zeit mit Schmiedearbeiten.
Die Tage in der Werkstatt schlichen dahin wie eine Schnecke auf einem Salzfeld. Manchmal stellte ich mir Blut und Schreie vor, und Feinde, die nicht mehr aufstanden. Sie blickten zu mir hinauf und ich auf sie hinab. Ich erinnerte mich an meine Siege, an das großartige Gefühl, besser gewesen zu sein als der Gegner.
Und wo saß ich jetzt? Wem hatte ich das zu verdanken?
Die stumpfe Klinge spiegelte mein gelangweiltes Gesicht wider. Der Wetzstein schliff über das Metall.
Jurland drosch rhythmisch den Hammer auf ein Werkstück, dass die Funken stoben. «Beweg dich ein bisschen schneller, Serak», rief er zwischen zwei Schlägen. «Du kommst viel zu langsam voran! Bist du überhaupt bei der Sache?» Der Rauch des Schmiedefeuers erinnerte mich an einen Grillabend und mein Magen knurrte.
Ich biss mir auf die Zunge und versuchte, mich besser auf die ermüdende Arbeit zu konzentrieren. Mein Zorn auf Rex und den Kommandanten wuchs mit jeder Minute, die ich hier litt, doch eigentlich müsste ich nur auf mich selbst wütend sein. Ich kannte die Regeln und hatte sie bewusst übertreten.
Als ich zu den Bolzen überging, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass diese Strafe ein Ende nehmen würde. Die Werkstatt war für mich zu einem Kerker geworden, in dem ich mithilfe von Langeweile langsam zu Tode gefoltert wurde.
Ich brütete in trostlosen Gedanken, als die Tür aufschwang und kalte Luft hereinströmte. Ich hob den Kopf, als Rex eintrat, seine blauen Augen funkelten vor Vergnügen. Das raspelkurze, dunkelbraune Haar wurde an den Schläfen schon etwas grau und die ersten Falten zeigten sich. Auch sein Bauch war nicht mehr so flach, wie er das vielleicht in jungen Jahren gewesen war.
Er schlenderte langsam durch den Raum. «Na, Serak», begann er mit einem süffisanten Grinsen, «wie läuft’s so in der Werkstatt?»
Ich knurrte leise und konzentrierte mich auf die Klinge vor mir, den Wetzstein fest in der Hand. «Was willst du, Rex?» Die Frage war unnötig. Wir wussten beide, dass er nur hier war, um mich leiden zu sehen.
Er zuckte mit den Schultern und tat, als würde er die verschiedenen Gerätschaften in den Regalen begutachten. «Ach, nichts Besonderes. Wollte nur mal sehen, wie unser großer Krieger sich so schlägt.»
Ich versuchte, meine Wut zu unterdrücken. «Ich mache meine Arbeit, und ich mache sie gewissenhaft. Das kannst du Garlyn so ausrichten, falls er dich geschickt hat.»
Rex lehnte sich mit dem Hintern gegen meine Werkbank und verschränkte die Arme vor der Brust. «Jeder bekommt, was er verdient. Ich musste deinen Suff melden, sonst hätte ich mir selbst Ärger eingebrockt. Kapierst du das?»
«Genieß es, solange du kannst, Rex. Irgendwann wirst auch du mal dran sein. Niemand ist ohne Fehler.»
Er lachte und schüttelte den Kopf. «Vielleicht. Aber bis dahin werde ich jede Minute davon genießen, dich hier schuften zu sehen.»
Das Hämmern verstummte. Jurland kam hinter seinem Amboss hervor. «Jetzt hör mal zu, Rexar», brummte er. «Garlyn war so freundlich, mir den Gehilfen an die Seite zu stellen, um den ich ihn gebeten hatte. Ich bin mit Seraks Arbeit sehr zufrieden, ich habe ihm Arbeiten anvertraut, die ich allein nicht mehr schaffe. Dass deine Rüstung so gut sitzt und dir der Schwertgurt nicht mehr über deinen dicken Hintern rutscht, verdankst du ihm. Er hat das in Ordnung gebracht. Deine Ausrüstung war wieder mal in einem unmöglichen Pflegezustand eingetroffen. Falls du nur hier bist, um dich über Serak lustig zu machen, kannst du verschwinden!»
Ich sah Jurland überrascht an. Fast tat es mir nun leid, dass ich die Arbeit so sehr hasste.
Rex errötete vor Zorn, doch seine Stimme blieb ruhig. «Ich bin aus einem anderen Grund hier. Eigentlich wollte ich mit dir sprechen, Jurland, und nicht mit deinem Gehilfen.»
«Schön, hier bin ich. Worum geht es?»
«Du hast einige interessante Gerätschaften dort im Regal. So was habe ich noch in keiner Werkstatt gesehen.» Rex näherte sich einem Regal und griff nach einer Flasche, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Darin schwammen verschiedene kleine Fläschchen, gefüllt mit farbenfrohen Substanzen. Jede Miniflasche trieb auf einer anderen Höhe. «Das hier zum Beispiel. Was ist das?»
«Das ist ein Gasanalysator, um die Zusammensetzung der Atemluft zu messen. Ich benutze ihn, da ich hier mit offenem Feuer arbeite. Manchmal drückt der Wind den Rauch zurück in die Esse. Bevor wir ersticken, sehe ich das Problem an diesem Gerät.»
«Und woher hast du das Gerät?», fragte Rex scharf.
Jurland lächelte. «Ich habe meine Quellen. Und du bist ziemlich neugierig, finde ich.»
«Aus gutem Grund!» Rex gestikulierte aufgebracht. «Normalerweise nutzen nämlich Reliktjäger so was, wenn sie in versunkenen Tempeln und Katakomben nach Beute suchen. Bekanntlich sind Reliktjäger keine netten Leute! Es sind Grabräuber, Hehler, Schmuggler und meistens sogar Mörder.»
Jurland hob die Brauen. «Gut geraten. Ich habe den Gasanalysator tatsächlich von einem Reliktjäger erworben. Einem, der verletzt war und Geld für einen Heiler benötigte. Darum habe ich einige seiner Ausrüstungsgegenstände für einen Spottpreis erhalten.»
Rex ballte die Fäuste. «Damit hast du wahrscheinlich seine Heilung finanziert, und jetzt treibt der Kerl weiter sein Unwesen.» Er regte sich richtig auf! «Wann hast du das gekauft? Und wo, hier in Unwrain? Und wie hieß der Kerl? Beschreibe ihn, damit wir ihn töten können, wenn er uns auf einem Kontrollmarsch begegnet.»
«Jetzt reicht es aber», brummte Jurland. «Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, und ich unterstütze auch keine Selbstjustiz. Mir hat der Reliktjäger nichts getan. Er brauchte Geld und ich brauchte das Gerät. Raus jetzt, du hältst uns von der Arbeit ab.» Er wies mit dem Schmiedehammer zur Tür.
Rex sah aus, als wolle er noch etwas sagen, verkniff es sich dann aber und verschwand.
Gerade wollte ich in meiner Arbeit fortfahren, da erklang draußen das Signalhorn.