Hey und guten Abend!
Vielen Dank für deine mega ausführliche Rückmeldung! So was ist ein wahrer Schatz für jeden Autor. Das hilft mir, die Geschichte einzuschätzen und bei der Überarbeitung noch zu optimieren.
Und auch vielen Dank für deine tiefgründigen Gedanken zu Grauzonen, das war für mich sehr interessant zu lesen.
Jeder ist sehr auf sich fokussiert und es ist durchaus in Ordnung, wegen vermeintlichen Kleinigkeiten zu leiden - das ist etwas, was viele sich vielleicht erst zugestehen müssen. Trotzdem hilft es oft auch, den Blick hochzunehmen und zu versuchen, sich in andere hineinzuversetzen.
Im Prinzip soll sich der Kontrast durch das ganze Buch ziehen.
Genau, das ist wie eine Waagschale, Selbstaufgabe versus Egozentrik, die von einem Extrem ins andere kippt. Ein gesundes Mittelmaß zu finden ist sowohl für Vanessa als auch für Marie sehr schwer. Besonders bei Marie wird die Entwicklung deutlich. Anfangs hat sie sich selbst verloren, da sie nur noch für die Familie lebt, im Laufe der Geschichte schlägt es ins ganze Gegenteil um, sie denkt nur noch an sich, bis sie am Ende - vielleicht - durch Marie gelernt hat, ein gesundes Mittelmaß zu finden. Ob sie es langfristig halten kann, bleibt offen.
Was auch ganz subtil mitschwingt, ist Vanessas Trinkverhalten. Es wird kaum hervorgehoben, da aus der Sicht Vanessas erzählt wird, die nicht merkt, dass es evtl kritisch sein oder werden könnte und die Maries Geschichte natürlich auch nicht so detailliert kennt. Im Grunde aber hat bei Marie alles ähnlich harmlos angefangen, wie bei Vanessa. So gesehen ist Vanessas Ende auch in mehrere Richtungen offen: wir sie Jan wieder lieben können? Wird sie ihr altes Leben wieder annehmen können? Hat sie ihr Trinkverhalten weiterhin oder wieder im Griff? Und natürlich auch: wird sie Marie wiedersehen?
Mir ist ihr Trinkverhalten tatsächlich sofort aufgefallen, und ich würde das auch nicht mehr als harmlos bezeichnen, aber ich habe dafür auch ein sehr feines Radar. Ob Vanessa es schaffen wird, ihr Leben in der Waage zu halten, egal in welcher Hinsicht, bleibt offen, aber sie hat nun wieder die Chance, die bestehenden Konflikte vernünftig zu klären - eine Fähigkeit, die ihr verloren gegangen war, da sie alles in sich hinein fraß, bis alles auf einmal zusammenbrach und sie unter sich begrub.
Letztlich habe ich erst mal gestrichen, da mir das offene Ende passender erschien, für Marie, als auch für die emotionale Wirkung.
Auch wenn der Epilog eine sehr schöne Idee ist, gefällt es mir so auch besser, da es Maries "Unfassbarkeit" unterstreicht. Wir wissen nicht, woher sie kommt und wohin sie geht. Sie war nur kurz da, wie die Flut, wie eine Springflut vielleicht, und dann war sie wieder fort. Mir gefällt das sehr.
Es freut mich sehr, dass ich dich berühren und dadurch offenbar die gewünschte Stimmung in den Absatz bringen konnte. Das ist wahrscheinlich das größte Lob, das man kriegen kann.
Auch wenn es irgendwie komisch ist, sich darüber zu freuen
Nö, das ist völlig legitim und das geht wohl den meisten Autoren so.
Ich hoffe, du schreibst "hatte", weil ihr keinen Kontakt mehr habt, und nicht, weil sie ein schlimmes Ende genommen hat
Sie war irgendwann kaum noch nüchtern, oder überhaupt nicht mehr. Sie war nicht mehr sie selbst, redete Unsinn, beklaute mich und hat Wahnvorstellungen entwickelt. Sie wollte in diesem Stadium keine Freundschaft mehr, weder zu mir noch zu sonst jemandem, alle waren wegen irgendwelchem Kleinscheiß plötzlich ihre Feinde. Man kommt dann nicht mehr ran, solche Leute fangen dann auch an, das Umfeld zu manipulieren, mit dem Ziel, einen zu zerstören, da hilft nur noch rigoroser Kontaktabbruch, ohne jeden Kompromiss, und gegebenenfalls auch der juristische Vorschlaghammer.
Was ich außerdem noch überlege ist, ob ich die angesprochenen Stürme doch Schaden nehmen lasse. Aktuell verpuffen sie komplett. Es muss ja nichts Schlimmes sein wie Haus abgedeckt, aber evtl. ein paar unangenehme Stiche.
Ich denke, das würde der Geschichte guttun.
Ich selbst habe bisher keine direkten Berührungspunkte mit Abhängigkeit gehabt, doch es ist ein Thema, das mich wahnsinnig fesselt und bewegt und über das ich schon viel gelesen habe.
Möge es so bleiben!
Ich hoffe natürlich, dass ich mit so einer Geschichte Menschen berühren kann, auch solche, die selbst schlimme Erfahrungen gemacht haben, am Ende aber soll trotzdem kein allzu negatives Gefühl bleiben, im Idealfall sogar ein wenig Trost.
Mir hat sie, wie gesagt, sehr gefallen!
Wie findest du es, dass Vanessa sich am Ende trotz Maries Anwesenheit betrinkt? Ist das drüber? Ich das realistisch?
Es kommt drauf an, wie stark ihre eigene Suchterkrankung schon fortgeschritten sein soll. Im Augenblick handelt sie besorgniserregend. Vanessa ist für mich momentan eine "schwache" Protagonistin, die von außen den Anstoß braucht, dass sich etwas ändern muss - das erledigt Marie für sie, indem sie sich Vanessas Zugriff entzieht. ie sieht es bei der Versuchung des Alkohols aus? Um sie nicht ganz so schwach dastehen zu lassen, wäre es vielleicht ratsam, dass sie wenigstens in diesem Punkt standhaft bleibt - dass sie ihre Lektion (für dieses Mal) gelernt hat.
Wenn du dich zurückerinnerst (du musst nicht nachlesen), wie dominant oder extrem findest du Vanessas Gefühle nach der Rückkehr aus dem Urlaub aus jetziger Sicht?
Extrem und aus meiner Sicht nicht mehr gesund. Aber ich hatte das Gefühl, dass das so sein soll. Großartig fand ich die anfängliche Beschreibung von Maries Händen bei der Küchenarbeit. Es könnte, um es vielleicht weniger fanatisch wirken zu lassen, sondern gefühlvoller, auch passend sein, Vanessas Erinnerungen und Wünsche so spezifisch und "nah" darzustellen wie sie Marie ganz am Anfang wahrgenommen hat, mit einem Blick fürs Detail, was übrigens auch gut dazu passt, dass sie im künstlerischen Umfeld arbeitet.
Wenn man fies sein will, könnte es - wenn sie nicht bisexuell ist, sondern tatsächlich eher zum lesbischen Ende des Spektrums tendiert - auch so sein, dass sie Jan auf die gleiche Weise wahrnimmt und wie plump/grob/etc. er ihr in all seinen Details auf einmal erscheint, was auch veranschaulichen würde, warum sie nicht mehr mit ihm schlafen möchte.
Es kann natürlich aber auch sein, dass die Anziehungskraft, die von Marie ausgeht, primär seelischer Natur ist, genau so wie die wachsende Distanz zu Jan, dann würde ich den Fokus noch etwas mehr darauf scharf stellen, um ihre Besessenheit von Marie besser zu erklären. Und zum Ende hin, als auch Jan an sich gearbeitet hat, schwindet die Distanz wieder, während die innere Distanz zu Marie mit all ihrer Kompliziertheit wächst - was die Basis für eine Versöhnung mit Jan bildet.
Oder vielleicht ist es auch eine Kombination aus allem oder nichts von dem, das weißt allein du.
- Sind dir offene Fragen geblieben, die noch aufgelöst werden sollten?
Ich hätte gern mehr über Jan erfahren. Zudem würde ich gern früher erfahren, wie Vanessa heißt, wie sie aussieht und wie generell ihre Familie aussieht. Am Anfang hatte ich etwas Mühe mit dem Kopfkino, sobald die Figuren im Fokus standen und nicht die Umgebung.
Funfact: Außerdem fand ich Ronnie cool. Warum? Weil ich in einem meiner Projekte auch einen Ronny habe und seither alle Ronnys einen riesengroßen Bonus genießen. Logik? Nicht vorhanden. Es ist der Ronnybonus. *gg*
Aber unabhängig davon:
Ich hätte mir gewünscht, dass hintergründig Ronnies Freundschaft zu Jan etwas mehr vertieft wird, auch, damit Jan sozial nicht so in der Schwebe hängt, da er ja ein sehr geselliger Mensch ist. Momentan gehen aber alle Kontakte von Vanessa aus. Wenn es eine richtige Männerfreundschaft ist, könnte es zum Beispiel sein, dass Ronnie Vanessa ein paar bitterböse Nachrichten mit wachsender Intensität schickt, so als Gegenstück zur lieben Mama und zur besorgten Saskia. Außerdem schürt er dann sicher auch Jans Misstrauen, trifft sich oft mit ihm, um ihm beizustehen. Vielleicht ist er ja selbst mal von seiner Ex betrogen worden und seither wittert er überall Untreue - und hat auch noch Recht.
Auch bei mir: gibt es etwas, das du ersatzlos streichen würdest?
Nö. Ich würde die Geschichte sogar noch weiter ausgewalzt haben wollen, nicht in die Länge, sondern in die "Breite", z. B. noch mehr Wettersymbolik, noch mehr spürbare Romantik (das fand ich wirklich niedlich) und mehr soziale Vernetzungen.
und die zweite von dir geklaute Frage: wer ist Deine Lieblingsfigur?
Marie. Besonders am Anfang, als auch Vanessa noch ganz von ihrem Zauber gefangen ist, und du sie so liebevoll beschreibst, aber auch gegen Ende, als sie eine enorme Stärke beweist. Auch ihre Rastlosigkeit, ihre Flüchtigkeit, all das hast du wunderbar beschrieben.
Gerade gegen Ende wird mir aber auch Jan immer sympathischer.
Und wenn Ronnie wie oben den Advokatus Diaboli verkörpern dürfte, würde ich den wahrscheinlich auch extrem feiern.
Obwohl ich viel gelitten habe und mich teilweise quälen musste, bin ich sehr zufrieden mit dem Resultat. Es gab häufig Momente, in denen ich richtig grinsen musste, weil ich eine gelungene Passage noch einmal gelesen habe, oder weil mir eigenfallen ist, wo ich gut einen Hinweis verstecken kann. Das ist mir bisher noch nicht so oft beim Schreiben passiert. In der Vorbereitung auf den Nano hatte ich mal gesagt, dass diese Geschichte sich nach außen drängt, und ich denke, das habe ich dann auch gemerkt.
Das ist großartig zu hören und freut mich sehr, wenn es sich SO anfühlt, ist das genial, das hat man leider nicht so oft, aber diesen NaNoWriMo hatten wir das wohl beide. Es gibt Geschichten, die müssen geschrieben werden. "There is no greater agony than bearing an untold story inside you."
Trotzdem, wie gesagt, ohne dich und den Nano als Format hätte ich es niemals geschafft, diese Geschichte so weit zu bringen. Manchmal tut es eben doch der Zwang, gepaart mit ausreichend Motivation und Zuspruch.
Mir hat beides auch sehr geholfen, der "Druck" ebenso wie deine sofortige Rückmeldung und deine lieben Worte, aber auch die Freude, nicht allein zu schreiben, sondern auch deine Geschichte lesen und kommentieren zu dürfen. Der gesamte Austausch hat dazu beigetragen.
Vielen Dank, dass du dir auch noch mal so viel Zeit für meine Fragen genommen hast! Ich hoffe, ich konnte es würdig ausgleichen.
Dass am Ende Serak als Protagonist zu deiner Lieblingsfigur geworden ist, freut mich besonders! Zum einen, weil er mir sehr am Herzen liegt und ich mich freue, wenn ich dieses Gefühl an den Leser transportieren kann. Zum anderen hatte ich dir ja geschrieben, dass er in seiner Jugend für mich nicht leicht zu schreiben war.
Deine Idee für Arvida gefällt mir sehr gut, ich werde mal tüfteln, wie ich sie einbauen kann. Es kommt wahrscheinlich noch einiges an Plotarbeit und mehrere Zusatzkapitel hinzu, au weia. Das sind wirklich gute Impulse.
Was Znorla Bruchzahn betrifft, finde ich deine Variante, dass man ihn zwar als anonyme Bedrohung spürt und ab einem bestimmten Punkt die Anwesenheit des wütenden Artgenossen ganz klar erahnen kann, aber ihn nicht leibhaftig sieht, ganz hervorragend! Das werde ich so umsetzen.
Dass ausgerechnet die Zeitrafferkapitel deine Lieblingsstelle sind, hat mich erstaunt, belustigt und gleichermaßen beruhigt, weil ich immer große Zweifel bei Zeitraffern habe, seit ich mal die Rückmeldung erhalten hatte, dass es sich anfühlen würde, als sei da bei einer Geschichte ein Stück rausgeschnitten, um das der Leser sich damals betrogen fühlte. Allerdings ist das jetzt auch schon ein paar Jahre her, vielleicht war die Stelle damals einfach wirklich schlecht. *ggg* Lustig, dass ausgerechnet dieser Part nun von dir als Highlight empfunden wird. Vielleicht, weil ich mir aufgrund der früheren Kritik diesmal besondere Mühe dabei gab.
Wir lesen uns die Tage wieder - und dem NaNo im nächsten Jahr bin ich auch alles andere als abgeneigt!
Sehr gern, ich werde wie jedes Jahr am Start sein, ob ich Zeit habe oder nicht. Das gehört für mich einfach dazu, auch wenn es manchmal nur Mikrogeschichten werden, wie in dem einen Jahr, als ich nur 13.000 Wörter schaffte. Und zu zweit macht es viel mehr Spaß.
Nächstes Jahr ist übrigens mein zehnjähriges NaNo-Jubiläum.
Bis die Tage!
Bax