Niva
bahnte sich ihren Weg durch die Gassen. Kurz bevor sie bei Zendur
ankam, tippelte ihr eine kleine Ratte über den Schuh, kletterte an
dem Stoff ihrer Hose ihr Bein hinauf, an den Saum ihres Hemdes. Sie
umschloss das kleine Tier mit einer Hand und setzte es sich auf die
Schulter. Dort stellte es sich auf die Hinterbeine und rieb sich die
Schnauze mit den Vorderbeinen.
„Magaura.“,
flüsterte Niva. „Ich brauche deine Hilfe.“ Sie strich ihr mit
einem Finger über das strähnige, dunkle Fell. Die Tasthaare an
ihrer Schnauze zitterten.
„Zendur
muss eigentlich nichts davon wissen. Du weißt doch sicher noch, wo
sich K’halibat herumtreibt, nicht wahr?“ Die Tasthaare zitterten
noch aufgeregter und sie fiepte leise.
„Hey.“,
sagte Niva beruhigend, aber sie musste bei dem Gedanken an die
gebeugte, breite, hagere Gestalt selbst ihre Furcht herunter
schlucken. „Vertrau mir.“, sagte sie bekräftigend. Die kleine
Ratte krabbelte auf ihre ausgestreckte Hand und Niva setzte sie auf
den schmierigen Pflastersteinen ab.
Magaura
lief voraus und Niva musste sich bemühen ihr eilig zu folgen und sie
nicht aus den Augen zu verlieren. Während sich Magaura geschickt
einen Weg zwischen den Füßen der Leute hindurch bahnte, hatte Niva
mehr Mühe sich durch die Leiber hindurch zu schlängeln.
„Warte
auf mich!“, rief sie. Die kleine Ratte drehte sich kurz zu ihr um,
dann lief sie eilig weiter. Niva hatte sich durch die Leute geboxt
und sie erreichten schließlich einen Abgang in den Taudis. Niva
schluckte, als sie nicht weit entfernt stehen blieb. Ihr Blick kam
auf der Ratte zu ruhen und sie bewegte sich einen Moment lang nicht,
sah nur zu, wie sich der kleine Bauch der Ratte beim Atmen ausbeulte
und wieder einsog.
Es
war ein einfaches Loch im Boden, mitten und verloren irgendwo in der
Stadt. Selbst Niva erkannte die Wände der Häuser dort kaum wieder.
Es gab Orte die auch sie bevorzugt mied und ihre Existenz verdrängte.
Magaura fiepte schon wieder aufgeregt.
„Stimmt.“,
sagte Niva, „Ich muss mich beeilen.“ Magaura kletterte über
ihren Arm auf ihre Schulter und zog an ihren Haaren. „Au.“,
zischte Niva ungehalten. Sie war der Kleinen nicht wirklich böse,
aber es kribbelte unangenehm an ihren Nervenenden, als wollte ihr
eigenes Fleisch ihr eine Warnung aussprechen. Sie hob die Mütze über
ihrem Kopf an und stützte dem Tier den Hintern, damit es sich auf
ihren Kopf ziehen konnte. Sie setzte den Hut über Magaura wieder
auf.
„Gut
festhalten, aber wehe du bewegst dich auch nur ein bisschen!“,
warnte sie sie eindringlich. Sie bekam ein dumpfes, knappes Fiepen
zur Antwort. Aus dem Untergrund schlug ihr ein perverser Gestank
entgegen. Der Geruch der Grube war etwas an das man sich noch
gewöhnen mochte. Die Taudis war etwas ganz anderes. Da unten
tummelten sich noch dunklere Gestalten, noch finstere Geister fanden
dort unten Befriedigung ihrer gräulichsten Sehnsüchte. Und einer
von Ihnen war K‘halibat der Kinderfresser.
Nicht
zu vergessen, dass es einen riesigen, florierenden Schwarzmarkt gab.
Niva fasste sich ein Herz und appellierte an ihren Mut, als sie die
mit Rost, Schleim und getrockneter dunkler Flecken übersäte Leiter
berührte und auf die Sprossen kletterte. Schräg gegenüber des
diesseitigen Eingangs zum Untergrund lehnte eine bis auf die Knochen
abgemagerte Gestalt zwischen alten, ausgedienten Fässern,
Glasflaschen und angelaufenen, löchrigen Jutebeuteln. Ein Kind, kaum
älter als die kleine Magaura, mit starren Augen, die anklagend in
den Himmel starrten. Sie stieg von der Leiter zurück auf das
Pflaster und trat vorsichtig an das Bündel Knochen heran, bis sie
sich darüber beugen und es sich genauer ansehen konnte. Die fahle
Haut spannte sich über den Knochen. Sein Bauch war unter dem
zerschlissenen Leibchen aufgebläht. Sie hörte Magaura aufgeregt
fiepen. Sie musste es riechen. Sie kratzte über Nivas Kopfhaut, als
wollte sie ihr sagen, dass sie einfach schnell weiter gehen sollten.
„Hör auf.“, flüsterte Niva.
Die
Augen blickten deshalb in jener starren Intensität, weil sie
überhaupt nicht mehr da waren. Tiere mussten sie ihm ausgefressen
haben, mitsamt der Lider und Wimpern. Verurteilend ob ihres Plans,
starrten die dunklen Höhlen sie aus tiefen Schluchten an. Sie hielt
in grimmiger Entschlossenheit die Luft an. Die Fliegen säumten sich
an dem säuerlich stinkenden, verwesenden Körper. Eine kleine Fliege
krabbelte in den Mundwinkel des Jungen und drang in die Mundhöhle
hinein. Es gab kaum ein ekelhafteres Geräusch als dieses monotone
Summen der Insekten, das von Tod und Ende sprach, dass das Fleisch
der Toten auf das degradierte, was es war. Ausgedient und kaputt, als
hätte es sich niemals gerührt.
Sie
sammelte einen leeren Beutel auf und inspizierte ihn hastig. Die
Löcher waren zu groß und zu nah beieinander. Sie warf in achtlos
auf den Boden zurück und besah sich den nächsten. Sie versuchte so
behutsam wie möglich zu sein, als sie den Körper in einen halbwegs
geeigneten Beutel steckte. Die Haut war weich unter ihrem Griff. An
einer Stelle brachen ihre Finger unter dem Druck durch und sie atmete
zischend durch zusammengebissene Zähne ein, was sie gleich bereute.
Der Gestank und der dunkle Glibber an ihren Fingern trieben ihr
bitter die Galle in den Hals. Sie schmeckte den Geruch süßlich und
unvergleichlich auf ihrer Zunge. Sie musste sich zusammenreißen, um
nicht zu kotzen. Es schmatze als sie den Rücken aufhob und er sich
von seinem Grund löste. Eine Made quoll aus dem schmierig, rot,
schwarz, violetten Gammelfleisch von dem sich die Haut gelöst hatte.
Sie beeilte sich ihn zu verstauen, um es zumindest nicht länger
ansehen und anfassen zu müssen. Und sowie sie den Beutel eilig
geschlossen hatte und verzweifelt versuchte sich die Hände an den
anderen Jutebeuteln abzuwischen, übergab sie sich doch. Magaura
wühlte mit sich mit ihrer Schnauze unter der Mütze hervor, aber
Niva schob sie noch während sie würgte und sich erbrach eilig
zurück.
„Nicht.“,
krächzte sie knapp. „Schon wieder gut.“, hustete sie. Sie fuhr
sich mit dem Handrücken über den Mund.
Dann
zerrte sie den Beutel zu dem Schlund im Boden und hängte ihn sich
über die Schulter. Mit einer Hand hielt sie sich an der Leiter fest
und kletterte vorsichtig Sprosse um Sprosse nach unten.
Hier
unten roch es geballt faulig, nach Schimmel und aller möglichen
Verderbtheit. Feuchte Hitze, schwere und dicke Atemluft umgaben sie.
Neben gebeugten und geduckten Gestalten in langen Umhängen und
Kapuzen, die bis tief in die Gesichter gezogen waren, fühlte sie
sich nackt und verwundbar. Die anderen Gestalten, die sie aus ihren
unverhüllten Gesichtern und Leibern beinahe herausfordernd
anstarrten, als sie an ihnen vorüber trat, fühlte sie sich hilflos
ausgesetzt. Dort unten war das Licht schummrig. Sie hatte die
Schultern angezogen, während sie ging, als könnte sie das zumindest
ein bisschen von den neugierigen, gierigen Blicken abschirmen.
Frischfleisch, so sah sie die Spiegelung ihrer eigenen Gestalt in den
fremden Augen.
Sie
traute sich kaum eine dieser Gestalten anzusprechen und sie nach dem
Weg zu fragen. Aber sie hatte keine Wahl. Sie traute sich nicht eine
der unverhohlen herum stromernden Gestalten zu fragen, also zog sie
an dem Umhang einer Gestalt, die ganz in Dunkelheit verhüllt war.
Vielleicht war es ein magischer Trick. Aber selbst als das Licht, das
den geschlossenen Großraum von den Wänden her beleuchtete, direkt
unter die Kapuze schien, als die Gestalt den Kopf hob und wieder zu
Niva herabsenkte, sah sie nichts als dichte Schwärze.
„Wie
komme ich zu K‘halibat?“, fragte Niva schroff, um nicht
schwächlich daherzukommen.
„K‘halibat?“,
zischelte eine säuselnde Stimme mit schwerem Akzent. Sie hatte das
Gefühl eingehend gemustert zu werden, als wollte man abschätzen, ob
sie der Information wert war oder was man von ihr dafür verlangen
konnte.
„Du
bist ein töricht Ding, ihm das da zu bringen.“, sagte die Gestalt,
anstatt ihr auf ihre Frage zu antworten.
„Sag
mir nur, wo er ist.“, erwiderte sie unnachgiebig.
„Bitte
sehr.“, zischelte es, „Schenk mir ein Strähn von dein Haar. Dann
überlege ich, dir den Weg zu zeigen.“
Das
konnte keine gute Idee sein. Ein so minderer Preis, konnte am Ende
teurer sein, als ihr lieb sein sollte. Aber sie war jetzt dort. Und
wenn sie von jemandem wusste, der den Henker unter Garantie wieder
flicken konnte, war es K‘halibat. Aber sie fürchtete sich davor,
dass es wahr war, was die Gestalt gesagt hatte. Dass er das Bündel
Jungenleiche nicht brauchen konnte und sie am Ende eine andere
Bezahlung darbieten musste. Vielleicht würden sie ihn betrügen.
Aksoy könnte ihr vielleicht dabei helfen, ihn wieder loszuwerden,
wenn er seine Arbeit getan hatte.
„Gut.“,
willigte sie also ein. Sie zog sich mit einem Ruck ein paar dünne
Strähnen ihrer braunen Haare hinter ihrem linken Ohr aus, dass die
Stelle für einen Augenblick unter Protest brannte und streckte sie
der Gestalt entgegen.
„In
mein Gesicht.“, bat die Gestalt und Niva tat wie ihr geheißen und
streckte die Hand in die Schwärze unter der Kapuze. Erstaunt klappte
ihr der Mund auf, als die Schwärze ihre Hand verschluckte. „Jetzt,
lass Strähn fallen.“ Sie ließ das Büschel Haare los und zog die
Hand schleunigst zurück. In ihren Fingerspitzen und in ihrem
Handgelenk kribbelte es dumpf, als wäre ihr die Hand eingeschlafen.
Sie rieb sie sich an dem Stoff ihrer dunklen Hose. Die Gestalt
gluckste leise über einen Scherz den nur sie verstand.
„Komm
mit mir.“, sagte sie, „Komm, komm nur.“
Niva
folgte ihr, obwohl sich ihre Nackenhaare sträubten. Sie glaubte
Magaura kurz leise fiepen zu hören und hoffte, sie hätte es sich
nur eingebildet und die Gestalt hätte es nicht mitbekommen. Aber sie
glaubte auch, sie bereits wieder amüsiert glucksen zu hören.
Instinktiv zog Niva den Hut fester auf ihren Kopf. Ihr Herz klopfte
so stark, dass sie dachte, es müsste jeden Moment aus ihr
herausbrechen, während sie sich unter den vielen Gestalten bewegte,
die ihr alle immer größer erschienen und immer hässlichere Fratzen
zu ziehen schienen. Vielleicht bildetet sie es sich ein.
Sie
hielten mitten im Stück vor einer hölzernen Tür in der Wand. Sie
spähte durch einen der vielen Spalten zwischen den Brettern.
Dahinter tat sich ein langer, schmaler Flur auf, von zwei Fackeln
beleuchtet, die sich an den Wänden einander gegenüber hingen.
Ganz
nah an ihrem Ohr hörte sie die Stimme der dunklen Gestalt. Sie
zuckte zusammen. Sie spürte kühlen Atem in ihrem Nacken.
„Geh
nur hinein. Hinter der zweiten Tür ist K‘halibat.“, sagte sie.
Sie fragte gar nicht, ob die Gestalt mitkommen würde. Es war ihr
sowieso lieber, wenn sie sich nur mit einer gruseligen Erscheinung
zur Zeit herumschlagen musste.
Sie
drückte die hölzerne Tür hinter sich wieder zu und atmete tief
durch, bevor sie ihre wackligen Beine Schritt für Schritt näher an
die zweite Tür brachte.
Auf
ihr bemüht festes Klopfen hin, hörte sie hinter der Tür ein
mürrisches Brummen.
„Nicht
jetzt!“, fauchte jemand wütend. Sie musste sich sehr zusammen
nehmen, um noch ein weiteres Mal die geballte Faust gegen das Holz zu
schlagen. Sie hörte zornig stampfende Schritte und dann blickte sie
schneller als sie gehofft hatte in die grässlich vor Ärger
verzogene Fratze von K‘halibat. Seine lange Nase war gespalten, die
Stoßzähne herunter gesäbelt
„Ich
sagte doch, nicht jetzt!“, brüllte er ihr spuckend direkt ins
Gesicht. Dann zeigte seine Miene Überraschung. „Dich kenne ich
doch.“, murmelte er. Er beugte sich zu ihr herunter, kam ihr ganz
nah. Und Niva wäre am liebsten einen Satz zurückgesprungen. Ja, sie
war K‘halibat früher schon ein Mal begegnet und sie konnte von
Glück sagen, das sie so glimpflich davon gekommen war. Er musterte
sie argwöhnisch, als wollte er jede einzelne Pore unter die Lupe
nehmen.
„Du
bist sehr klein.“, säuselte er, als wäre es das größte
Kompliment, das er ihr machen konnte. „Beinahe wie ein Kind.“ Er
lächelte zufrieden, träumerisch. Dann jedoch streckte er sich und
die Freude darüber verlor sich in ernsteren Zügen.
„Beinahe
ist nicht genug.“, sagte er mehr zu sich selbst, als müsste er
sich daran erinnern, bevor er der Versuchung nachgab ihr den Hals
aufzuschneiden und sie aufzuhängen. Sie ballte ihre zitternden Hände
zu Fäusten. Er wies auf den Beutel.
„Du
hast mir etwas mitgebracht?“, fragte er. Niva nickte, presste die
Lippen fest aufeinander.
„Weil
ich Hilfe brauche.“, erklärte sie.
„Ach.“
Für einen Moment schien es, als wollte er es hinterfragen, aber er
besann sich. Sein Blick glitt immer wieder zu dem verschlossenen
Jutebeutel. Er klatschte plötzlich in die Hände und tat seine
Aufregung kund. „Nun zeige mir schon, was es ist!“, verlangte er
strahlend. Niva ließ den Beutel gehorsam vor seine Füße gleiten.
Der
Troll hob den Beutel auf und zurrte ihn auf. Er schlug sich die Hand
vor die Nase als ihn die geballte Ladung Verwesungsgestank traf. „Wie
blasphemisch!“, schimpfte er wutentbrannt und zog wieder diese
grässliche Fratze, bei der eine Ader auf seiner Stirn hervortrat. Er
schleuderte den Beutel durch den Gang gegen die Holztür zum Saal. Er
traf polternd auf die Bretter, die unter dem Aufprall einen Moment
lang bebten. Niva dachte schon, sie würden aus den Angeln springen
und auseinander purzeln.
„Kindchen!“
Drohend hatte er einen seiner zwei langen Finger erhoben. Sie tat vor
Schreck einen heftigen Atemzug, wich zurück, weil er ihn ihr direkt
unter die Nase hielt.
„So
etwas kann ich nicht brauchen!“, erklärte er und wand sich
schwungvoll wieder von ihr ab, um in seine Werkstatt zurückzugehen.
„Wieder weich geworden und Getier zehrt schon von ihm. Es ist zu
spät.“, sagte er. Er schloss die Augen und summte eine
eigentümliche Melodie, während er mit den Fingern auf die steinerne
Oberfläche des Tisches trommelte, der in der Mitte des Raumes
aufgebahrt war.
„Sein
Blick ist wie lieblicher Gesang, aber zu mehr taugt er nicht. Eine
Zeile reicht nicht für ein Lied, Kindchen, Kindchen. Nein, nein.
Aber eine wunderbare Erinnerung, allemal.“ Er tänzelte durch den
Raum um den Tisch herum und an lauter entstellten Gebeinen vorbei,
die er zu scheußlichen Figuren zusammengefügt hatte.
„Nimm
in wieder mit, wenn du gehst.“, sagte er, als er die Augen öffnete
und machte eine unterstützende, wegwerfende Handbewegung. Niva
nickte bedrückt. „Okay.“, versuchte sie zu sagen, aber ihr war
die Kehle zu trocken und sie verschluckte sich an ihrer eigenen
Spucke, hustete, bevor sie noch einmal mit kräftigerer Stimme
zustimmte.
„Du
wirst mich schon anders bezahlen können. Nun sag mir, was du
brauchst.“, verlangte er zu wissen. Seine Augen starrten sie klein
und tief aus seinem Gesicht heraus an.
„Mädchen,
Mädchen sprich!“, verlangte er. Er hatte sich mit seinen langen
Armen auf den Tisch gestützt auf dem andere Leichenteile gebart
lagen, gläserne Säulen mit Flüssigkeit, Binden, Fäden, Drähte,
Nadeln, Zangen und Knochensägen und Schläuche und Wachs,
verschiedene scharfe, glänzende Klingen. Niva schluckte und fasste
sich an den Schirm ihrer Mütze.
„Ein
Hundebiss und ein Messerstich-“, setzte Niva an.
K‘halibat
legte den Kopf in den Nacken und stöhnte, stieß sich von dem Tisch
ab, richtete sich auf und funkelte sie an. „Langweilig, unwürdig.“,
fauchte er abschätzig. „Du willst meine Zeit verschwenden.“
Er
entblößte seine geschärften, spitzen Zähne. „Dafür brauche ich
etwas unglaublich Inspirierendes. Ich sehe sicher etwas, das ich
will. Versprich mir nur, dass du es mir gibst, wenn ich es will,
Kindchen, Mädchen, versprochen, versprochen?“ Seine raue, schrille
Stimme hob und senkte sich von den Wänden widerhallend, rasselte ihr
in den Ohren. Sie nickte kurzerhand.
„Wenn
es etwas ist, dass ich dir geben kann.“, wand sie jedoch ein, um
sich zumindest ein kleines Hintertürchen offen zu halten. Dabei war
es wohl kaum ein Türspalt, den sie sich offen hielt.
Er
verzog den Mund und die vernarbten Mundwinkel zu einem Schmollen. Es
waren drei Narben auf jeder Seite.
„Liebes
Mädchen.“, sagte er, „liebes, liebes Mädchen. Enttäusche mich
nicht.“ Es war eine Warnung. Er lächelte.
Sie
nickte. „Will ich nicht.“, sagte sie.
Als
sie ihren Weg aus dem Taudis heraus bestritten, begegneten sie nicht
wieder diesem seltsamen Wesen aus Dunkelheit und Schatten, das Niva
den Weg geleitet hatte und irgendwie war sie froh darüber. Sie hatte
den Jutebeutel mit der verwesenden Jungenleiche wieder über die
Schulter gehängt und trug ihn an die Oberfläche der Grube zurück.
Sie legte ihn kurzerhand ab, wo sie ihn gefunden hatte, wagte aber
nicht den Beutel zu öffnen und ihn wieder herauszuholen. So wurde
der fein löchrige, aufgeraute Stoff zu seinem Sarg. Und vielleicht
war das besser als offen dem Himmel ausgesetzt irgendwo in einer
Gasse herumzuliegen, redete sie sich ein.
Sie
führte den verunstalteten, breitschultrigen Troll durch die Gassen.
Er ging erhoben, lächelte milde, als sonnte er sich in den
verstohlenen Blicken, die eigentlich nichts bedeuteten. In seiner
Welt jedoch war es Anerkennung und Ehrfurcht und er war etwas ganz
Besonderes und offensichtlich ganz verliebt in das Material, das ihm
sogar der eigene Körper für seine Modifikationen bot. Seine Haut
schimmerte lilafarben, wie eine Blume. Niva sah Blumen nicht sehr
häufig. Selbstgefällig erwiderte der Troll ihren musternden Blick
und sie sah schnell weg.
Grettas
Haus war der schmale Verschlag in dem sie mit ihrer Mutter unter
vielen anderen in den Slums gehaust hatte. Es fiel kaum Licht hinein,
also konnten auch nicht viele Augen so einfach hinein spähen, um
ihre Neugierde zu befriedigen, was die fremden Tieflinge anging, die
früh am Tag angekommen waren und seither nicht wieder verschwunden
waren.
Der
Henker lag ausgestreckt auf einer alten, rauen Matte am Boden, Aksoy
hockte daneben. Mit ihm darin sah der Verschlag noch viel kleiner
aus, als er war. Fast hätten sie nicht alle ganz herein gepasst,
stellte Niva fest, als sie dort ankam, in Begleitung des
Kinderfressers.
„Das
ist K‘halibat, der-“ Sie brach ab. Es erschien ihr äußerst
ungeschickt den Ruf, den K‘halibat sich auf der Straße eingefangen
hatte in dieser Sache zu erwähnen.
„Der
helfen wird.“, vollendete sie also ihren Satz.
„Kinderspiel,
Spielchen, Kinderspielchen.“, säuselte der Troll und grinste schon
wieder vergnügt. Niva wünschte er würde damit aufhören. Bei
seinem Singsang trat bei ihr kalter Angstschweiß aus und seine Zähne
waren die eines selbsternannten Raubtieres.
„Und
wenn ich fertig bin, kriege ich deine Ohren.“, bestimmte er
unvermittelt freiweg, als hätte er ihr gesagt, dass morgen ein
angenehmer Schauer die Straßen spülen würde und grinste Niva
süffisant an. Sie schluckte und fiel ungeschickt auf den Hosenboden.
Aber sie tat, als hätte sie sich ohnehin gerade setzten wollen. Der
Troll machte sich daran eine Lampe zu suchen, um für Beleuchtung zu
sorgen. Niva war jeder Zug im Gesicht entglitten. Magaura fiepte
leise, nur ganz leise und kratzte ihr schon wieder über den Kopf,
wie um sie zum weglaufen zu bewegen. Niva räusperte sich lautstark
und beobachtete den Troll, der nicht den Anschein machte, als hätte
er die Ratte gehört. Niva ruckelte an ihrer Mütze und Magaura saß
wieder still. K‘halibat hatte ein kleines Talklicht aufgetrieben.
„Das
reicht nicht aus.“, murrte er frustriert und öffnete die riesige,
lederne Tasche, die er mitgebracht hatte. Sie war hässlich,
offensichtlich selbst gefertigt und Niva konnte sich nur zu gut
denken, woraus sie gemacht war. Er barg daraus ein größeres Licht,
das er Aksoy entgegenstreckte.
„Halt
das.“, verlangte er.