Aisoru schaute erschrocken nach unten, wohin Kakko eben verschwunden war. An derselben Stelle hörte er einen klappernden Karren davonfahren, auch wenn er nicht viel erkennen konnte. Wahrscheinlich war Kakko auf diesen Karren gefallen, denn er wirkte keinesfalls so idiotisch, Aisoru erst einzuladen und sich gleich danach offensichtlich mit voller Absicht in den Tod zu stürzen, und das Geräusch eines aufklatschenden Körpers war auch nicht zu hören gewesen. Aisoru würde jedenfalls zum vereinbarten Treffpunkt gehen, dort würde er schon die Bestätigung für seine Vermutung bekommen.
Jetzt musste er wieder nach unten und plötzlich fiel ihm die Leiche wieder ein, die dort am unteren Ende der Treppe lag. Die hatte er beinahe vergessen, oder vielleicht vielmehr ausgeblendet, in dem angenehm duftenden Laden. Während er durch die Wolke aus Totengestank lief, hielt er sich das kleine Päckchen vors Gesicht, um möglichst nur dessen angenehmen Duft in der Nase zu haben. Wie gut und frisch das roch! Der Duft war nicht genau zuzuordnen, aber es musste irgendein Heilkraut sein. Dem Geruch nach wohl etwas, das den Hals freimachte. Er machte kurz die Augen zu, um dem Toten nicht ins Gesicht sehen zu müssen, und trat auf die stockfinstere Straße.
Diese verflixte Leiche. Hoffentlich räumte sie jemand weg, denn er wollte nicht wieder und wieder an ihr vorbei müssen, während er seine Botengänge erledigte. Er nahm sich vor, den Apotheker beim nächsten Mal darauf anzusprechen, wenn sie bis dahin nicht verschwunden war.
Ohne Kakko fühlte er sich in der finsteren Gasse völlig verloren. Er drehte sich kurz um sich selbst und wusste noch nicht einmal, aus welcher Richtung sie zuvor gekommen waren. So hatte er keine Wahl, als jemanden nach dem Weg zu fragen, also sprach er einfach gleich den erstbesten Passanten an, der war so gut wie jeder andere. Es war ein Kerl, der aussah wie ein buckliger Matrose, vielleicht kam er ja gerade vom Hafen.
Aisoru hielt ihn an und fragte, wie er zurück zu den Docks käme. Der Mann, offenbar wirklich ein Matrose, gab mit rauer Stimme bereitwillig Auskunft. Da er so wenig abweisend wirkte, fragte ihn Aisoru auch gleich noch nach einem Laden auf dem Weg, in dem man Lebensmittel und Getränke kaufen konnte.
"Versuch's direkt an der Ecke, wenn du von hier aus zum Hafen rauskommst", antwortete der Matrose, "da ist ein großer Kaufmannsladen, du erkennst ihn an dem roten Banner über der Tür."
Aisoru bedankte sich und machte sich sofort auf den Weg, penibel darauf bedacht, bloß keine falsche Abzweigung zu nehmen. Immer wieder musste er an dem Päckchen schnuppern, weil es so wundervoll roch und den unangenehmen Geruch der Stadt übertönte.
Endlich öffnete sich die Gasse vor ihm und er sah wieder Tageslicht. Einen kleinen Ausschnitt vom Meer und in den Himmel ragende Schiffsmasten ebenso. Erleichtert atmete er auf - er hatte es geschafft, sich nicht verlaufen und musste jetzt nur noch die richtige Richtung zum Leuchtturm einschlagen.
Den von dem Matrosen vorgeschlagenen Laden fand er sofort. Es war eher eine Lagerhalle, vollgestellt mit einem chaotischen Sammelsurium an Kisten, Körben und Regalen. Lange nicht so einladend wie die kleine Apotheke, und auch nicht mit solch angenehmen Düften gefüllt. Aus einer Ecke roch es nach frischem Gebäck, aus einer anderen nach Gewürzen, aber ebenso schwebte der unangenehme Geruch von Fisch und Innereien in der Luft.
Aisoru wollte Kräuterlimonade und Gewürze aus seiner Heimat kaufen, aber von keins von beidem hatte er eine Ahnung, wo er es finden sollte. Deshalb ging er gleich direkt zum Tresen, der sich in der Ecke vorne neben der Tür befand, und fragte. Schließlich kaufte er ein paar Beutelchen voll Gewürze, die sich zum Grillen eigneten, und dazu zwei Flaschen Kräuterlimonade. Die Gewürze waren leider recht teuer, aber damit hatte er gerechnet. Es war in Ordnung für ihn, sie würden so oder so eine Weile reichen und er wollte Kakko und sich selbst einen Gaumenschmaus bereiten. Er fand, das hatten sie sich verdient nach der ganzen Aufregung.
Während er noch ein Brötchen aß, das er für sich selbst gekauft hatte, da ihn inzwischen nagender Hunger quälte, lief er an den Docks entlang in die von Kakko angegebene Richtung.
Hier erstreckte sich ein weiter, heller Strand, auf dem leider einiges an Plunder herumlag, der aber immer noch einer der angenehmsten Anblicke sein mochte, die diese Stadt zu bieten hatte. Aisoru stapfte direkt durch den Sand. Kurze Zeit glaubte er, dem schlimmsten Gestank der Stadt entkommen zu sein. Aber das war leider ein Trugschluss, denn nun trug ihm ein dünner Wind vom Festland her das bestialische Aroma einer Mülldeponie entgegen. Er seufzte resigniert. Warum musste ihm Obenza auf alle möglichen Arten zeigen, dass seine Träumereien Unfug gewesen waren? Er nahm wieder das Päckchen in die Hand und hielt es sich vors Gesicht, genüsslich den frischen Geruch inhalierend, bis der verfallene kleine Leuchtturm in Sichtweite kam.
Ein hübsches Fleckchen war das, musste er zugeben, und die Müllkippe konnte er hier auch nicht mehr riechen. Er rief nach Kakko und freute sich darauf, ihm etwas heimatliche Kochkunst zu zeigen.