Beiträge von Garlyn Meqdarhan

    Die Freiheit schmeckte bitter. Missgünstiges Beamtentum hatte Garlyn um das Geld gebracht, dass ihm sein ehemaliger Herr vermacht hatte. Bald sehnte er sich zurück in die Sklaverei. Der Zufall wollte es, dass ein Trupp Werber ihm begegnete, als er bei einem Schmied um Obdach für die Nacht ersuchte. Da er verloren war und Hunger hatte, folgte er der Verlockung klingender Münze und begleitete die Werber anstelle des Schmiedegesellen, den sie eigentlich hatten mitnehmen wollen. Hier in Naridien nahm Garlyns kriegerische Karriere ihren Anfang, wo er als ordentliches Mitglied der Republikanischen Armee des Hohen Rates diente, der"Radhora" .


    Kriegerherz - Ein Rückblick

    Die Radhora Trux


    Der Weg zur Armee war lang und steinig, er führte fort von der naridischen Zivilisation auf auf felsigen Gebirgspfaden nach Norden, wo der Wind kalt und feucht an den Kleidern riss. In einem entlegenen Grenzposten bei Trux fand man Verwendung für Garlyn. Die Bergwerksstadt mit ihren Hochöfen und Schloten, ihren Köhlereien und Gießereien war kein heimischer Ort, doch er speiste das naridische Militär mit Eisen. Darum wurde Trux von einem eigenen Außenposten geschützt: der "Radhora Trux" unter dem Widderbanner.


    Als Garlyn eintraf, waren seine Schuhe nicht mehr zu gebrauchen, doch er war voller Tatendrang. Mit loderndem Herzen trat er durch das schmucklose Tor. Hier roch man den Rauch der zahllosen Öfen noch immer, doch das Wasser aus der Zisterne war sauberer. Der Quartiermeister stattete den neuen Rekruten mit allem aus, was er benötigte, vom Bettzeug bis zur Rüstung. Scharfe Waffen erhielt er noch nicht, sondern hölzerne Duplikate mit Eisenkern, die doppelt wogen. Gleiches galt für den Übungsschild. Eine scharfe Waffe erhielten nur die Soldaten und er war noch lange nicht so weit.


    Im Gruppenschlafraum der Ausbildungskompanie wählte er eins der freien Betten, das zu seiner großen Freude frei von Schimmel und Wanzen war. Was für ein wunderbares Bett, die Matratze war mit frischem Stroh gefüllt und knisterte sanft, als er nach einem anstrengenden Tag seinen erschöpften Körper hineinschmiegte. Seit dem Tod seines Herrn war er als heimatloser Landstreicher unterwegs gewesen und nun erschien ihm dieses Bett wie Luxus.



    Ausbildung


    Bereits am nächsten Tag begann sein Dienst. Bei der Grundausbildung zeigte Garlyn sich tüchtig. Ihm brannten die Muskeln und Gelenke wie die Glut in den Hochöfen von Trux, doch sein Wille, im Dienst vor seinen Offizieren zu glänzen und sich ein neues zu Hause zu erarbeiten, half ihm darüber hinweg. Er sollte dem Lehrplan nach an allen Waffen ausgebildet werden, doch er merkte bald, dass dieser nicht eingehalten wurde, weil dafür keine Zeit blieb. In Anbetracht seiner beachtlichen Körpergröße und schweren Statur wies man ihn den Schwertkämpfern zu, lange vor dem Zeitpunkt, da die Auswahl hätte stattfinden müssen. Doch ihm war das recht. In der linken Hand trug er fortan den gewölbten Rundschild, der mit mehreren Lagen gehärtetem Leder bespannt war, was ihn stabiler machte. Mit der Rechten führte er das Kurzschwert, die Hauptwaffe der Naridier, bestens geeignet für den Kampf in engen Formationen.


    Neben der Kunst des Krieges wurde Garlyn auch in alltäglichen Pflichten unterrichtet, so lernte er, kaputte Kleider zu nähen und kleinere Schäden an der Ausrüstung zu reparieren. Abends aßen die Mitglieder jeder Kompanie gemeinsam und genoss eine Stunde Ruhe, ehe der Hornist den Abendruf blies und sie in ihre Betten krochen. Auf den Mauern der Garnison hingegen musste unter den Sternen noch der eine oder andere Soldat Wachdienst schieben.



    Türme aus Steinen


    In den ersten Tagen vertrat Garlyn sich während der Ruhestunde die Beine außerhalb der Garnison, da er Ruhe und Einkehr suchte. Er folgte einem Pfad, den er noch nicht gegangen war, um den steinigen Hang herum. Da fand er eine Hochebene, schützend umgeben von Hängen mit hartem Gebirgsgras und weißen Blumen. Arglos betrat er den idyllischen Ort. Jäh schlug ihn der Anblick der frischen Soldatengräber auf den Boden der Tatsachen zurück. Garlyn blieb stehen. Fassungslos blickte er auf die Steintürmchen, von denen nach naridischem Brauch jedes die Ruhestätte eines Gefallenen markierte. Darüber flatterten die naridische Flagge und das Banner der Radhora Trux. Dies war ein Soldatenfriedhof und er war gefüllt mit hunderten Gräbern, die in vielen Fällen nicht alt aussahen.


    Eine Hand senkte sich auf seine Schulter. "Nimm es nicht schwer", sagte eine vertraute Stimme. "Sie wussten, wofür sie ihr Blut gaben."


    Garlyn drehte sich herum und sah in das Gesicht von Kommandant Tjark Tinsky mit den Widderhörnern am Helm, der ihn nun klopfte. Er war ihm lautlos gefolgt, sicher weil er geahnt hatte, welche Wirkung es haben würde, wenn Garlyn diesem Pfad bis zu seinem Ende folgte. In der Tat war Garlyn froh, dass jemand bei ihm war, um den Schrecken abzufedern.


    "Wurden ihre Familien informiert?", wollte er wissen.


    "Aber natürlich. Und den Angehörigen wurde eine großzügige Abfindung bezahlt. Wer der Radhora dient, muss sich keine Sorgen um seine Lieben machen, falls er nicht mehr heimkehrt. Finanziell ist für alles gesorgt."


    "Und wer wird deine Abfindung erhalten?", fragte Garlyn.


    "Meine Frau und unsere Kinder, mögen die Götter verhüten, dass es so weit kommt. Aber warum fragst du?"


    "Weil ich keine Familie habe. Darum frage ich mich, wer das Geld bekommt oder ob es verfällt."


    "Es verfällt natürlich nicht! Wo denkst du hin? In der Radhora sind alle gleich. Wir sind schließlich keine dreckigen Almanen, denen nur der Adel etwas wert ist und der Bauer nichts. Wer deine Abfindung erben soll, das kannst du selbst entscheiden. Halte es am besten in einem Testament fest. Manche Kameraden setzen einen Tempel oder ein Waisenhaus als Erben ein. Du musst deinen Willen nur bei deinem Offizier hinterlegen. Lerne weiter tüchtig, damit es nie gebraucht werden wird. Bislang machst du dich gut."


    "Danke."


    Dann befahl Tjark Tinsky ihn zurück zu den Lebenden.


    Garlyn sagte sich, dass die Zahl der Gräber vermutlich nicht sehr groß war, sondern normal. Er war kein Feigling, der den Tod fürchtete, seine Sorge galt stets eher anderen. Als ehemaliger Sklave fühlte er sich besonders dafür verantwortlich, seinen Vorgesetzten keinen Ärger zu bereiten und sie zu entlasten, weshalb er sich oft für verschiedene Zusatzdienste freiwillig meldete. Wie hätte er damals ahnen können, dass er in eine der gefährlichsten Regionen versetzt worden war? Dass er dafür angedacht war, in einem Abnutzungskrieg aufgerieben zu werden? All dies wusste Garlyn nicht, denn es drangen kaum Informationen nach Trux. Die Soldaten wussten nur, was die Offiziere sie wissen ließen. Mit der Zeit empfand Garlyn eine angenehme Klarheit in seinem Kopf. Er lebte nun ganz und gar in der Gegenwart und sein Geist blieb fokussiert an dem Ort, wo er sich befand. Alles andere besaß keine Bedeutung mehr, als gäbe es nur diesen Ausschnitt der Welt, nur noch die Radhora Trux.


    Als er bereit war für den Kampf, wurden aus Kameraden Brüder, die gemeinsam dem Tod ins Auge sahen und gemeinsam bluteten. Sie schützten einander und standen für den anderen ein. Sie wurden sein Leben und wer diese Erfahrungen einmal gemacht hatte, wusste, dass es danach keine Rückkehr ins Zivilleben mehr gab. Selbst wenn man die Armee einst verlassen sollte, würde man im Herzen für immer Krieger sein.



    Unter dem Widderbanner


    Die Verbundenheit unter den Soldaten wurde seitens Tjark Tinsky gefördert. Sie trugen gemalte Widderhörner auf den Schilden und als Tinte unter die Haut gestochen, meist auf der Brust oder auf den Schulterblättern. Zwei steinerne Widder fanden auch ihren Weg rechts und links neben das Tor der Garnison. Der Fähnrich trug ein Widderfell als Schleier über dem Rücken, während er das Banner hielt, gekrönt von echten Widderhörnern, wie jene auf dem Helm des Kommandanten. Das Wappentier wurde zum Totemtier, wurde zum schützenden Geistwesen. Ein Widderkult ersetzte bei vielen die alte Religion.


    Es verging keine Woche, in der sie ohne ein Gefecht blieben und sie benötigten diesen Halt. Manchmal kämpften sie täglich. Zu jener Zeit war Naridien in einen Krieg mit den Söldnern der Grünen Kader verwickelt, Horden von Fahnenflüchtigen und Kriminellen, die sich an den Dörfern in Grenznähe bereicherten, schwer bewaffnet und noch schwerer zu fassen. Dieser Feind schien wie geschaffen dafür, die militärische Disziplin der Naridier in den Pausen zwischen den wichtigeren Kriegen aufrechtzuerhalten; kein anderes Einsatzgebiet schärfte den Mut der Soldaten mehr. Es hieß, wer in der Radhora Trux unter dem Widderbanner gedient hatte, der hätte den Tod besiegt. Andere Einheiten lechzten sehr danach, ihre Soldaten anzufordern und sie genossen großes Ansehen, doch es starben viele und die Überlebenden zehrte dieses Leben auf.


    Garlyn war von den ersten Tagen an mit dem Töten und dem Tod konfrontiert und er lernte, sich seiner Haut zu erwehren. Er lernte auch, kein Mitleid mit Feinden zu empfinden, sondern sie als Gefahr für seine Kameraden wahrzunehmen, die neutralisiert werden musste. Tjark Tinsky förderte seine Entwicklung mit Wohlwollen. Garlyn hatte seinen Kameraden voraus, dass er von Anfang an keine Schonung kannte. Manche, die erst später unter den Widder versetzt worden waren, hatten es schwerer. In Daijian hatten viele die Vergnügungen des Stadtlebens, die üppige Versorgung mit Luxusgütern zu Lande und zu Wasser erlebt, bevor sie nach Trux versetzt worden waren. Der fürstliche Reichtum hatte die Soldaten eher bereichert als sie leistungsfähiger gemacht. Besonders unter dem Kommando von Sulandrim Kones, der die Rhadhora Daijian unter dem Hummer führte, wurden sie nachlässig und undiszipliniert, und so erteilten ihnen der rauer Marsch durch Nordnaridien und ein kriegerischerer Feind eine dringend benötigte Lektion. Zu den Krebsscheren, die sie auf ihre Hände tätowiert trugen, gesellten sich die Widderhörner, und so erzählte die Haut eines jeden seine Geschichte.



    Im Angesicht des Feindes


    Im rauen Bergland der Kandoren gab es alles, was einen Soldaten auf die Probe stellen konnte: ein raues und schwieriges Land, gebirgige Höhen, die zu sichern die Männer ebenso viel Mühe kostete wie den Feind von ihnen zu vertreiben und steile, enge Straßen, auf denen immer die Gefahr eines Hinterhalts bestand. Dazu ein leicht bewaffneter Feind, der sich schnell bewegte und plötzlich zuschlug, der keinen Ort und keine Stunde Ruhe zuließ. Jeder Angriff auf eine befestigte Stellung des Grünen Kaders war mit viel Mühe und Gefahr verbunden. Aus dem Land war hier im Norden nur wenig zu holen, und die Soldaten mussten sich notdürftig ernähren, da sie nur wenig Beute machen konnten.


    Folglich gab es keine Gefolgsleute, kein ausgedehntes Gepäcktransportnetz; es gab nichts außer den Waffen und den Männern, auf die allein sie angewiesen waren. An Konflikten mangelte es nie, denn auch die durch ihre Armut getriebenen Eingeborenen pflegten die Felder ihrer Nachbarn zu plündern; sie lieferten sich jedoch nie eine Schlacht mit der Radhora Trux, so dass es bei Polizeiaufgaben blieb. Das größere Problem waren die Söldner des Grünen Kaders.


    Nach mehreren schweren Gefechten gelang es ihrer Einheit, den berüchtigten Söldnerführer Yarigo Gatiano zu besiegen. Tjark Tinsky nahm seine Kapitulation an. Garlyn half, seine Männer zu entwaffnen. Nicht alle wollten sich dieser Forderung beugen, denn allzu oft hätte ihre Haut eine Geschichte von Verrat erzählt und man hätte sie ihnen abgezogen. In versprengten Gruppen, zumeist unbewaffnet, flohen sie über unwegsames und felsiges Gelände, wohin ihnen der Feind nicht folgen konnte, und entkamen auf diese Weise über die Kandoren nach Süden. Garlyn gehörte zu jenen, welche die Verfolgung aufzunehmen hatten und durfte erstmalig das Kommando über einen Trupp führen. Die gut geübten Soldaten ließen den Söldnern keine Ruh. Diejenigen, die in ihrem Lager ausgeharrt hatten, wurden umzingelt und gefangen genommen oder vertrieben. Doch auch jetzt ließen sie ihnen keine Verschnaufpause. Garlyn führte seinen Trupp gemeinsam mit zahlreichen anderen über die Kandoren. Auf den Bergen griffen sie die heimatlos gewordenen Söldner an, belästigten sie ständig mit Scharmützeln, so wie die Söldner es ihrerseits zuvor bei der Rhadora Trux getan hatten. Schließlich zwangen sie die Reste dieses Grünen Kaders zu einer offenen Feldschlacht, in der die Söldner vollständig besiegt wurden. Diesmal gab es keine Möglichkeit zur Kapitulation.


    So wurde die Region für viele Jahre befriedet. Auch wenn die Grünen Kader nie vollständig ausgelöscht werden konnten, weil es so viele von ihnen gab und sie immer neuen Nachwuchs erhielten, so waren sie lange Zeit in Nordnaridien keine Bedrohung mehr. Das Land, was so lange hatte brachliegen müssen, konnte endlich wieder bewirtschaftet werden und dies war der Verdienst der Radhora Trux.



    Wie es weiterging


    Der Grüne Kader konnten erst wieder erstarken, als der Almanische Bruderkrieg den Hohen Rat zum Eingreifen zwang, und Garlyn in die Radhora Katamaris versetzt wurde. Und dort, unter dem Banner des Hechts, dass nicht den Weg unter seine Haut fand, und einem unerfahrenen Kommandanten namens Basil Wartha, geriet Garlyn in souvagnische Kriegsgefangenschaft. Erst nach dem Ende des Krieges und dem Ableisten seiner Zeit in der souvagnischen Strafkompanie schloss er sich, enttäuscht von den Ländern und ihren Regierungen, den Grünen Kadern an. Er zog nach Süden, weit weg von Trux, um nie gegen seine alten Kameraden kämpfen zu müssen, und hisste das Banner des Rotfuchses über seinem Lager.


    Doch das ist eine andere Geschichte.

    Er saß in der Kneipe und nippte an seinem Bier, als ein Mann sich ihm gegenüber setzte. Er war ein Fremder in dieser Stadt, das konnte Garlyn sofort sehen. Seine Kleidung war zerschlissen und staubig, als wäre er weit gereist. Aber was ihn am meisten interessierte, waren die Waffen, die er trug: zwei Schwerter und ein Dolch, alle mit verzierten Griffen.


    „Guten Abend", sagte Garlyn. „Mindestens eins deiner Schwerter sieht aus, als hätte es schon lange keinen Gebrauch mehr gehabt." Er musterte ihn. „Du bist gut bewaffnet für einen Fremden", ergänzte er vorsichtig. „Was führt dich in unsere Stadt?"


    „Oh, ich bin auf der Suche nach Arbeit", antwortete der Fremde leichthin. „Ich bin Schwertkämpfer von Beruf und dachte mir, hier könnte ich vielleicht etwas finden."


    „Hm", machte Garlyn unbestimmt. Dann stand er auf und griff nach seinem Umhang. „Komm mit", sagte er bestimmt. „Ich glaube, du hast Glück - gerade ist ein Job frei gewoden." Der Mann folgte ihm ohne zu zögern und sie verließen die Taverne. Garlyn führte ihn durch die Straßen der Stadt, während der andere sich umsah und offensichtlich versuchte, alles in sich aufzunehmen. Sie erreichten schließlich einen großen Platz, wo eine Gruppe von Männern stand, die rauchten und redeten.


    „Das sind sie", sagte Garlyn knapp und deutete auf sie. „Sie suchen nach einem Schwertkämpfer für ihre nächste Mission."


    Der Mann nickte und trat vor, um seine Fähigkeiten zu demonstrieren.


    „Du hast den Job", sagte der Anführer schließlich. Ein Handschlag besiegelte das Geschäft.


    Garlyn wandte sich an den neuen Schwertkämpfer: „Herzlichen Glückwunsch! Du wirst es hier nicht bereuen."


    Er grinste zurück: „Danke dir! Ich werde mein Bestes geben."


    Garlyn nickte zufrieden und wandte sich dann ab, um zurück zum Hauptquartier zu gehen. Der neue Schwertkämpfer würde sich gut in ihre Gruppe einfügen, da war er sicher. Vor allem machte er ihn um fünfhundert Scudi reicher. Schließlich saß er nicht ohne Grund jeden Abend allein in dieser Kneipe, sondern war für das Söldnerlager stets auf der Suche nach neuen Talenten.


    Während Garlyn durch die Straßen lief, dachte er über seinen eigenen Werdegang nach. Er hatte schon viele Missionen erfolgreich absolviert und dabei seine Fähigkeiten immer weiter verbessert. Doch es gab noch so viel zu lernen - das wusste er nur allzu gut. Aber heute wollte er nicht an seine eigene Weiterentwicklung denken. Heute ging es darum, einen neuen Kameraden willkommen zu heißen und ihm bei seinem Start in ihrer Gemeinschaft zur Seite zu stehen.


    Und wer wusste es schon zu sagen? Vielleicht konnte auch Garlyn etwas von ihm lernen - schließlich hatte jeder von ihnen seine Stärken und Schwächen.


    So setzte Garlyn seinen Weg fort mit dem Wissen im Hinterkopf: Zusammen waren sie stark.

    "Kann man so sagen, Eo."


    Die letzten Momente mit dem Halbork, an die Garlyn sich erinnerte, waren positiv. Im Gegensatz zu vielen anderen Kameraden war Sodo ihm niemals betrunken aufgefallen. Er hatte ihn zwar bisweilen als Schwätzer in Erinnerung, jedoch schien das vor allem Sodos fantasievollem Hang zum Geschichtenerzählen geschuldet zu sein denn der Angeberei oder gar der bewussten Täuschung. Diese Eigenart mochte man oder man mochte sie nicht, spätestens des Abends am Lagerfeuer hörten viele ihm gern zu.


    Vor allem aber war Sodo Mio eins:


    "Der beste Mann für den Untergrund. Eine eher spezielle Qualifikation, aber was Höhlen oder gar den Taudis anbelangt, kenne ich niemanden, der sich besser darin zurechtfindet. Also falls unsere Truppe zufällig mal in einen Gully fällt ..."


    Garlyn kratzte seinen Bart.

    "Ich vermute, der Kerl wurde um die siebzig Öcken geprellt, sonst würde es hier anders aussehen." Garlyn patschte Eorur von hinten auf die schweißnasse Schulter. Leise sagte er: "Den kenne ich, das ist ein Söldner. Der war unter der alten Leitung Späher und Kundschafter. Den brauchen wir."

    "Ein guter Ansatz, von Kumpel zu Kumpel. Das machen wir. Ich glaube, wir beide haben einen Freund bitter nötig.


    Es gibt da eine Sache. Würde ich dir nicht vertrauen, bräuchten wir das Ganze nicht versuchen. Darum sollst du es erfahren. Ich war, wie bereits angedeutet, einst Sklave, Eorur. Damit meine ich keine raue Variante des Liebesspiels, sondern ich habe leibhaftig einem Menschen gehört. Mit seinem Testament hat er mich frei gelassen.


    Man merkt mir das heute nicht mehr an, ich wirke ja wie ein großer, starker Bursche, der mit beiden Beinen im Leben steht. Der Weg dahin war weit. Das solltest du wissen, ehe du es über einen Umweg erfährst, beim Baden meine Narbe siehst, die mich als Eigentum eines Toten kennzeichnet oder indem jemand mir damit droht, dieses Geheimnis zu offenbaren. Ich beuge dem vor, indem ich es nicht zu einem Geheimnis mache."

    Garlyn hatte sich Eorur schon zugewandt, als dieser erzählte, wie er beinahe an seiner ungesunden Liebe gestorben wäre. Wie er gekämpft hatte, um davon loszukommen und nicht unterzugehen. Dass er es einem völlig Fremden erzählte, sprach eine unmissverständliche Sprache. Es musste raus, Eorur hatte zu lange schweigen müssen. Garlyn kannte die toxische Sorte Mann dank Vittorio ebenfalls zur Genüge. Eine Erfahrung, auf die er hätte verzichten können.


    Als Eorur ihn drückte, hielt Garlyn ihn fest. "Lass es ruhig raus, wir brauchen kein Bier dafür. Wir reden einfach so, ohne hackedicht zu sein. Du bist mein Kamerad und ich bin deiner, wir stehen füreinander ein, auch wenn einer mal durchhängt. Ich fang dich auf, hm?"

    Garlyn ließ ab von der Ruine und knuffte Eorurs Faust.


    "Auf uns.


    Nein, meinen Herrn hätte ich nicht verspeist, falls es so weit käme, dass der Hunger so unkontrollierbar wird, würde ich das Weite suchen. Ich habe leider nicht gewusst, dass ihm der Kredithai irgendetwas bedeutet hat, der hätte ja auch mal den Mund aufmachen können, bevor es zu spät ist. Nicht meine Schuld.


    Dass du die Flasche abgelegt hast, Hut ab. Das schaffen nicht viele. Die meisten wollen es ja nicht einmal. Da ich keinen Alkoho trinke, bist du bei mir in guter Gesellschaft und wir werden unseren Männern nicht gestatten, innerhalb des Lagers einen Tropfen zu trinken, der kein reines Wasser ist, oder ihre Vorräte mit hereinzuschleppen. Ich werde da hinterher sein, da ich nicht will, dass du wieder in Versuchung kommst. Einverstanden?"

    Garlyn rieb sich den Kinnbart und musste grinsen, als er sah, wie Eorur versuchte, ernst zu bleiben. "Verdient hätte der Kerl es hundert- und tausendfach. Es wäre also kein Drama gewesen, hätte mein alter Herr und Meister nicht ein Auge auf den Kerl geworfen gehabt. Seither mag er mich nicht mehr sonderlich gut leiden."


    Sein Grinsen wurde noch breiter. "In einer Sache irrst du, denn wir sind Kameraden, folglich stimmt es nicht, dass du zu niemandem gehörst. Viele finden ihr wahres zu Hause bei den Streitkräften. Einer meiner Lieblingsrekruten war so einer, der hätte nicht mal die Strafkompanie verlassen, wäre es nach ihm gegangen. Der wollte für den Rest seiner Tage dort bleiben, im Ödland zwischen Zivilisation und Rakshanistan.


    Wir sind schon zwei Chaoten. Das Söldnerlager wird gut. Mir fällt gerade ein, dass es in Obenza eine, hm, Lieferkette für Ghulfutter gibt, vornehm ausgedrückt. Also bis wir das erste Mal in die Schlacht ziehen, könnte ich mir dort mein Fleisch organisieren."

    "Hm. Also halten wir fest, dass keiner von uns beiden irgendetwas richtig gut kann, als die Klinge schwingen oder Rekruten anbrüllen. Familie ist bei dir vermutlich nicht vorhanden, sonst hättest du sie erwähnt. Bei mir auch nicht. Wir haben es wirklich bitter nötig, unter ein Dach zu kommen."


    Er atmete tief durch und blickte an dem verfallenen Haus hinauf, tätschelte dann den verkohlten Stein.


    "Hast du Bekannte hier vor Ort, die man anhauen könnte? Ich kannte mal einen, der uns einen Kredit hätte geben können, aber den habe ich verputzt."

    "Alles hat seinen Preis, Eo. Auch die Unsterblichkeit. Vampire vertragen kein Tageslicht mehr und manche haben sogar mit dem Mondlicht Probleme. Sie sind dazu verdammt, einen umgekehrten Rhythmus zu leben wie jeder andere. Und ein Ghul ist zum Dasein als Kannibale verdammt. Es muss nicht täglich ein Kilo sein, aber bekomme ich allzu wenig zu futtern, wird es unappetitlich."


    Er hob die Brauen. "Woher ich das Fleisch bekam ist nicht schwer zu erraten bei einem Söldner. Lass mich dann am besten einfach allein, nimm die Jungs und verzieht euch."


    Damit spazierte Garlyn zu einem der abgebrannten Gebäude des Komplexes.


    "Der Dachstuhl wird eine Herausforderung. So lange wir kein Geld haben, brauchen wir Freunde. Kennst du irgendeinen Zimmermann? Oder andere Handwerker? Was hast du gelernt, bevor du eine Mietklinge wurdest?"

    "Vergessen sollen sie sein", bestätigte Garlyn und damit erwähnte er die beiden nicht mehr. "Ein bisschen Eigenarbeit? Keine schlechte Idee. Zeit habe ich unendlich viel, so lange die Welt nicht endgültig in Asche versinkt. Packen wir es an."


    Er griff Eorurs Hand und drückte sie fest.


    "Der Knackpunkt ist das Essen. Ein Kilo Fleisch die Woche ist das absolute Minimum, wenn ich menschlich bleiben möchte, aber besser ist diese Menge am Tag. Man merkt es mir sonst an und niemand will einem hungrigen Ghul in die Quere kommen, selbst wenn er den Appetit zügelt. Kurzum, ich werde bei Hunger unausstehlich. Das war ich allerdings schon zu Lebzeiten."


    Er klopfte auf seinen Bauch, der keineswegs so flach war, wie die meisten es von einem Söldner erwarten würden.

    "Danke für deinen Zuspruch. Ghule sind nicht eben beliebt, weshalb ich das in der Regel für mich behalte. Und das liegt, wie du richtig sagst, an der Diät. Da ich zum Henker nicht tauge und als Bestatter vor Langeweile zugrundegehen würde, bleibt mir nur der Beruf als Soldat oder Sölder, um dann und wann zu naschen. Aus Rücksicht auf meine Mitmenschen und auf meine Gesundheit tue ich das unbemerkt."


    Garlyn drehte sich in aller Ruhe eine Rauchstange. Er ließ sich dabei Zeit und weil sie ihm nicht gefiel, unternahm er mehrere Versuche.


    "Ich kann dir die Narbe der Wunde, die mich umbrachte, bei Gelegenheit zeigen. Als Ghul regeneriere ich zwar vollständig, wenn ich genügend zu futtern habe, aber diese Narbe ist geblieben. Den Namen meines Mörders behalte ich für mich. Das Letzte, was ich möchte, ist, ihm ein Denkmal zu setzen, Kamerad.


    Den Laden wieder aufbauen? Wäre sofort dabei. Ich bilde wieder aus und du machst die Leute zum Tier, wenn sie nicht spuren. Wie kommt man nur darauf. Haben wir denn das nötige Kapital?"


    Dass er selbst ebenso zu devotem Verhalten neigte, verschwieg er besser, sonst rannte Eorur wohl schreiend davon und tauchte so tief unter, dass er nie wieder herauskam. Die genannten Vorlieben waren etwas, was ihn den Ex von Eorur in Beißerkreisen verorten würde.

    "Vergib mir, dass ich etwas grinse. Ich mache mich nicht über dich lustig, sondern über mich selbst. Da sitzt vor mir so ein Ledvigiano mit dunklen Augen und erzählt mir, wie wichtig es für ihn war, unterzutauchen. Und mein Ex, tja ... der war ein Ledvigiano mit dunklen Augen, der mir regelmäßig abhanden kam. Ihn anzuleinen und zum Haustier zu machen, hätte das vielleicht kuriert. Rauchst du?"


    Garlyn bot ihm eine Lederrolle voller Pfeifenkrautblätter an. Auch ein Feuerzeug, das mittels Funkenschlag betrieben wurde, gab es dazu.


    "Ich bin hier, da ich dachte, dass ich doch einmal wieder als Söldner anfangen könnte. Ich musste damals hier fort nachdem ich getötet worden war. Du hast richtig gehört, man hat mich umgebracht, ein Irrer, der mich aufschlitzte vom Brustbein bis runter zum Schwanz, und dann ausweidete. Der wäre vielleicht der passende Gegenpart gewesen für deinen Süßen, denn ich hätte auf diese Behandlung gut verzichten können. Doch wie du siehst - hier bin ich. Lebendig und doch nicht. Ich bin ein Ghul, Eo."

    "Wollen wir doch mal schauen, ob hier noch ein Flecken für uns taugt." Er schlenderte durch die Ruinen und schaute in die Reste der alten Gebäude. "Wer sagt es denn. Hier treffen sich scheinbar manchmal Leute zum Trinken." Ein Tisch und zwei Bänke standen noch immer in einem alten Mannschaftsquartier, drumherum lagen alte Trinkschläuche und zerborstene Tonflaschen.


    Garlyn ließ sich etwas umständlich und ächzend nieder. "Machen wir es uns bequem. Berichte mir, Eorur: Was hast du hinter dir gelassen? Wie hast du den Überfall überlebt? Danach erzähle ich dir, warum ich noch lebe, obgleich ich tot sein müsste." Er blinzelte freundlich.

    Regenmond

    Garlyn beobachtete, wie Robere sich auf seinem Feldbett wälzte. Der Sturm, der an der Bretterwand rüttelte, verwandelte den Schlaf seines Schützlings scheinbar in einen Alptraum. Robere warf den Kopf hin und her, stöhnte. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß.


    Im Schlaf wimmerte er seine alte Leier. Als ein Donnerschlag dröhnte, erwachte er mit einem Schrei. Als Robere sich keuchend aufsetzte, starrte er in die Dunkelheit des Mannschaftsquartiers, das allein von den Körpern seiner Kameraden beheizt wurde. Brennmaterial war zu wertvoll, um es für die Schlafenszeit zu vergeuden. Eine Weile saß Robere in eingewickelt in seine Wolldecke da und starrte seine Füße an. Als es erneut donnerte, kroch er samt der Decke unter das Bett. Das Ausbleiben seines Wimmerns verriet, dass er da unten nicht mehr einschlief.


    Garlyn beschloss zu handeln. Mürrisch wuchtete er sich aus dem Bett.


    Wenig später stand er mit Robere am Rand des Dubis, wo der zitternde Rekrut eine weitere Lektion durchleben musste. Ein Blitz spaltete den Himmel wie ein gleißender Riss.


    „Der Himmel bricht auseinander.“ Roberes schmale schwarze Augen waren geweitet.


    „Unsinn. Es ist nur ein Unwetter“, maulte Garlyn. „Ein bisschen heftiger als in Souvagne, aber trotzdem nur ein Wetterphänomen. Das ist doch nicht dein erster Regenmond.“


    „Alle Kameraden sind in den Baracken“, sagte Robere, ohne auf die Feststellung einzugehen. „Nur wir stehen draußen.“ Fragen stellte er schon längst nicht mehr, das hatte Garlyn ihm zeitig abgewähnt. Doch nun äußerte Robere stattdessen Feststellungen und hoffte, dass sein Ausbilder ihm daraufhin die Welt erklärte und sie wieder in Ordnung brachte.


    „Ich bin nicht dein Kindermädchen“, sagte Garlyn, „sondern dein Ausbilder. Lerne endlich, mit deinen Problemen allein klarzukommen, anstatt dich an irgendjemandes Rockzipfel zu klammern. Das andere macht nur Probleme.“


    „Das musste ich zu lange. Und ich habe deswegen nur Mist gebaut. Ich brauche ... Hilfe.“


    „Die bekommst du gerade. Aber du lernst nicht daraus. Deine Zeit hier in der Strafkompanie ist begrenzt, meine nicht. Eines Tages werde ich nicht mehr für dich da sein können.“ Er zuckte mit den nassen Schultern. „Da nützt kein Gejammer. Man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen.“


    Vor ihren Stiefeln spülten die Wellen braunen Schaum an das Ufer. Die andere Seite des Flusses war nicht zu sehen. Die sovagnische Strafkompanie war während des Regenmonds von ihrem Heimatland abgeschnitten. Garlyns Blick verweilte in die Ferne und er schwieg. Als ehemaliger Sklave, der plötzlich mit seiner Freiheit konfrontiert gewesen war, wusste er, wie es war, sich nach Führung zu sehnen, nach jemandem, der in Güte über einen wachte. Er wusste auch, wie es sich anfühlte, wenn dieser Jemand plötzlich fehlte und man allein zurückblieb. Gegen den Tod gab es keine Macht und auch ihn konnte es jederzeit treffen. Er sah in Robere vieles von dem, was auch er einst gewesen war und wollte ihm die unangenehme Wendung ersparen.


    „Du sagst nichts“, stellte Robere fest. „Bist du traurig, Kommandant?“


    Garlyn schüttelte den Kopf. „Ich habe nachgedacht.“


    Eine kalte Sturmbö riss sie fast von den Füßen, schleuderte ihnen Regen ins Gesicht. Garlyn konnte Robere gerade noch an den Kleidern festhalten, damit er nicht in den Schlamm stürzte. Es folgte ein Donnerschlag, den Garlyn in den Tiefen seiner Eingeweide spürte. Kurzzeitig fiepte es danach in seinem Ohr, ein Blitz und ein weiterer Donnerschlag folgten.


    „Ich mag das Wetter nicht“, schrie Robere gegen den Wind.


    „Danach fragt aber keiner!“


    „Ich glaube, wir sind gerade extrem verwundbar, Kommandant. Die Wachposten sehen nichts. Für die Kundschafter ist es zu gefährlich. Wir sind nach außen fast blind, wir verschanzen uns, aber haben keine Burg, die uns schützt. Die Rakshaner könnten hundert Meter weiter mit einer Heerschaar lauern und wir würden sie nicht sehen. Wir können im Notfall nicht einmal zurück nach Hause fliehen!“


    „Das können wir sowieso nicht, Robby.“ Garlyn legte ihm die Hand auf die Schulter und stemmte sich gegen den Wind, der seinen roten Zopf peitschen ließ. Das Heulen des Sturms bot ihnen Sicherheit vor unerwünschten Lauschern. „Keiner von uns beiden hat ein anderes zu Hause als dieses Feldlager. Du musst deine Schuld reinwaschen und für mich gibt es nirgendwo einen anderen Platz auf der Welt.“


    Obwohl Robere ihn bei der Berührung erschrocken ansah, beließ er die Hand dort. Er wusste, dass sein Schützling es mochte, weshalb Garlyn damit geizte, damit er nicht verweichlichte. „Und nun hör mir gut zu, was ich dir über die Rakshaner erzähle, vor denen du solche Angst hast. Der Brand hat vor zwei Wochen ihre Familien und Herden auseinandergetrieben, nun fliegen ihnen auch noch die Zelte davon. Wir sind allein hier draußen, während unsere Familien sicher in Souvagne sitzen. Die Familien der Rakshaner aber haben keine Häuser. Ihre Frauen, Kinder, Alten, Kranken und Krüppel sind dem Sturm genau so ausgeliefert wie ihre Krieger, weshalb die Plünderer bei den ersten Gewittern des Regenmondes zurück zu ihren Stämmen eilen, um dabei zu helfen, alles in Sicherheit zu bringen.“


    „Bist du sicher?“


    „Kenne deinen Feind. Das Leben der Rakshaner richtet sich nach den Stürmen. Ihr Gott heißt nicht von ungefähr Rakshor, Herr des Chaos. Ihr ganzes Leben besteht daraus! Sie haben weder Ordnung noch Sicherheit. Sie kennen nicht Schutz einer Steinmauer, an der sich der Wind bricht, oder die sanfte Zeit des Heilmondes, wenn die Familie sich in der Küche vor dem warmen Herdfeuer Geschichten erzählt, während draußen der Winter die Welt mit weichem Schnee bedeckt. Sie wissen nicht, wie wohlig sich die Hände um heiße Tonbecher mit Gewürztee schließen und wie das Haus duftet, wenn die Frauen süße Honigkuchen für das Lichtfest backen. Sie kennen ja nicht einmal Öfen, sondern nur offene Feuer, weil sie nirgends sesshaft sind.


    Etwas zu bauen, dauert Zeit. Wie sollen sie Architektur erlernen oder Vorratshaltung, wenn sie auf der ständigen Flucht vor Steppenbränden, Stürmen oder verfeindeten Stämmen ihr Leben lang umher reisen? Wenn sie ihre Familien von Plünderungen ernähren müssen, weil ihre Herden und Hyänen bei solchem Wetter auf Nimmerwiedersehen hinaus ins Grasmeer fliehen? Und wenn endlich der Regenmond vorüber ist und der Sturm wieder abflaut, finden sie nur den Bruchteil der Tiere wieder und diese haben oft gebrochene Glieder.


    Im Grunde ist ein Rakshaner sein Leben lang auf der Flucht vor den hundert Flüchen der Steppe. Man müsste sie bedauern, wenn sie uns nicht das Leben zum Abgrund machen würden. Und hier hast du die Antwort auf deine unausgesprochene Frage: Nein, Robby. Kein Rakshaner reitet bei Regenmond hinaus, um Almanen zu überfallen. Sie sind mit Überleben beschäftigt.“ Er klopfte seinem Schützling kräftig die nasse Schulter. „Gehen wir ins Warme.“

    Garlyn Meqdarhan

    Kurzfakten


    Volk: Naridier

    Ehtnie: Almane

    Magie: Ghul

    Größe: über 1,90

    Gewicht: ca. 100 kg

    Augenfarbe: blau

    Haarfarbe: Rot mit silbernen Strähnen

    Spitzname: Meq/Mecki

    Beißername: Skolopender

    Sprachen: Rakshanisch (Muttersprache), Almanisch (fließend)



    Aussehen


    Wenngleich er seine besten Jahre bereits hinter sich gelassen hat, ist Garlyn noch immer eine respekteinflößende Erscheinung. Er ist ein großer, bulliger Mann, der ständig gegen seinen Hunger und das Übergewicht ankämpfen muss. Mit zwanzig Kilo weniger wäre er immer noch nicht mager. In seinem roten Haar und Bart zeigen sich silberne Haare. Die Kleider sind pragmatisch und oft verschlissen bis hin zu schäbig. Wenn ihm niemand sagt, dass er sie waschen oder auswechseln soll, tut er es nicht.



    Charakter


    Mit seiner jovialen Art knüpft er in rauen Kreisen leicht Bekanntschaften. Wenngleich er heute meist selbstsicher wirkt, gibt es immer wieder Situationen, in denen man ihm anmerkt, dass er zwei Jahrzehnte lang Sklave war. Dann wirkt er zurückhaltend, schüchtern, bis hin zu ängstlich. Wenn man dies das erste Mal erlebt, kann das einen bei so einem gestandenen Kerl durchaus überraschen. Auch wenn er gelernt hat, einen gewissen Opportunismus zu entfalten, um zu überleben, als Ghul auch vor unappetitlichen Leckereien keinen Halt macht und als Söldner auch ohne Reue töten kann, hat Garlyn im Grunde ein gutes Herz. Als Ausbilder kümmert er sich hart und keineswegs gerecht, aber dennoch herzlich um seine Rekruten.


    Garlyn ist Analphabet und kann nur mit den Fingern rechnen. Im Söldnerlager ist das allerdings nicht unüblich und so empfindet er keine Scham. Entsprechende Aufgaben delegiert er und die meisten merken nicht einmal, dass er weder lesen noch rechnen kann. Er hat keinerlei Ambitionen, die fehlende Schulbildung nachzuholen.



    Biografie


    Garlyn wollte nach Hause!


    Doch ein solches gab es nicht mehr, seit sein Meister gestorben war. Die testamentarische Freilassung erwies sich als grausamer Fluch, die einen orientierungslosen jungen Mann in der Weite der Welt aussetzte. Außer dem Sklavenpfuhl der Himmelsröhre kannte er kaum etwas. Garlyn wusste nicht, wie man mit Geld umging, kannte die Gesetze nicht und auch nicht die Regeln des Zusammenlebens zwischen Menschen auf Augenhöhe. Er kannte nur das alte Spiel von Meister und Sklave und er war nie Meister gewesen.


    Ein Anwerber rekrutierte den hilflosen, aber kräftig gebauten jungen Mann für das Söldnerlager bei Obenza. Mit genügend Geld würde er sich ein Leben aufbauen können. Immerhin gab es hier wieder Meister, die ihm sagten, was er tun sollte. Garlyn lernte das Leben an der Oberfläche auf die harte Tour und so wurde er im Laufe der Jahre ein guter Kämpfer, am Ende sogar Ausbilder.


    Dort fand Garlyn einen gewaltsamen Tod. Zwar wurde er durch einen Nekromanten zurückgeholt, doch an diesem Ort, wo er von einem Irren über Stunden zu Tode gefoltert worden war, konnte er unmöglich bleiben!


    Garlyns Weg hatte ihn so weit wie möglich weg von dem Söldnerlager geführt. Er lief der aufgehenden Sonne entgegen, in Richtung Almanien, der Heimat seiner Väter. Ungezählte Male sah er das Morgenrot. Er hatte die almanische Grenze noch nicht erreicht, als der Bruderkrieg losbrach. Die ganze Region wurde zum Sperrgebiet erklärt. Eingesperrt zwischen den Fronten war Garlyn! Doch es kam anders, als beabsichtigt, denn als Naridier im waffenfähigen Alter wurde er kurzerhand zum Kriegsdienst eingezogen. Das Leben in der Naridischen Armee bot eine unverhoffte Chance. Es fand sich auch stets genug zu essen, denn als Ghul war er auf menschliche Leichen als Nahrungsquelle angewiesen, um nicht zu vergehen. Das Problem dabei war die Heimlichkeit, denn nicht einmal im weltoffenen Naridien hieß man es gut, wenn jemand Amputate aus den Eimern der Heiler stahl oder gar die Leichen der gefallenen Kameraden anknabberte.


    Das Rad des Schicksals drehte sich gnadenlos wie eine Knochenmühle und Garlyn wurde erwischt. Das Fehlverhalten wurde nicht an die Offiziere herangetragen, die Soldaten bestraften ihn eigenhändig. An dem Tag verlor Garlyn seine Daseinsberechtigung und sein Dienst wurde zu einem Marsch durch den Taudis, der Hunger größer, die Behandlung durch seine Kameraden zur Qual.


    Dass ausgerechnet ein Mann der Gegenseite, Vittorio Pollarotti, ihn rettete, musste ein Akt der Götter sein. Vittorio, ausgestattet mit einem Einfluss, den ein einfacher Soldat nicht besitzen dürfte und garantiert auch nicht besaß, erwirkte, dass Garlyn nach Almanien einreisen durfte. Sogar die schwer gesicherten Mauern Souvagnes konnte er passieren durch das Schreiben eines Ledvigianos.


    Und dort traf er auf den Sohn seines Meisters, der ihn als freier Mann unter seine Fittiche nahm. Garlyn durfte in Souvagne bleiben und als Ausbilder bei der Strafkompanie an der rakshanischen Grenze sein Fleisch verdienen. Das genoss er so lange, bis sein Lieblingsschützling seine Strafe abgesessen hatte und heimkehren durfte. Robere Moreau, sein Robby, den er mehr als nur im Kampf unterrichtet hatte. Danach wurde die Strafkompanie zu einem Hort der Einsamkeit. Und als der Frieden zwischen Rakshanistan und Souvagne beschlossen ward, gab es nichts zu essen mehr. Garlyns Zeit in der Strafkompanie war endgültig vorüber.


    Garlyn verließ erneut seine Heimstatt. Endlose Tagesreisen fort musste er ziehen. Er suchte Vittorio, mit dem ihn ein unstetes, aber leidenschaftliche Verhältnis verband. Doch Vittorio war bei niemandem sesshaft. Auch nicht bei Garlyn.


    Was blieb ihm noch?


    Nur der Dienst als Söldner, denn diese würden einen Veteran mit Kusshand nehmen und sich an seinen kulinarischen Absonderlichkeiten weniger stören als die Streitkräfte eines Staates.


    Und ohne es zu wollen, lenkte er seine Schritte zurück in Richtung Söldnerlager ... langsam nur, Alternativen abschätzend, keine findend. Hier hatte man ihm sein sterbliches Leben entrissen.


    Was nun, Garlyn?


    Dort stand der Gebäudekomplex, die Reste der Mauer ... dort stand ein Mann.


    RE: Ruinen

    "Eo!" Garlyn lächelte nun doch. Die Zeit hatte den Ort seines Todes selbst ausradiert und sie beide zu anderen Männern gemacht. Doch nun erkannte er das braun gebrannte Gesicht wieder und die dunklen Augen. "Eo." Er ging auf den anderen zu und reichte ihm den Unterarm zum Gruß. "Ich bin`s. Dein alter Schleifer. Garlyn Meqdarhan."

    Garlyn ließ die angespannten Schultern sinken und atmete fast erleichtert aus. Für einen Außenstehenden mochte es merkwürdig anmuten, dass er so reagierte, gab es nach außen hin doch nichts, das auf eine Bedrohung hinwies, vor der ein Mann von seiner Statur sich fürchten müsste.


    "Der größte Feind ist die Angst, nicht wahr? Grüße ... Kamerad." Auch Garlyn hob die Hand. Er lächelte nicht, denn sie standen am Ort einer Katastrophe. Er glaubte, den anderen zu kennen, war jedoch nicht sicher. Erlebnisse veränderten Menschen innen und außen. Auch Garlyn war nicht mehr der Mann von früher. "Was ist hier geschehen?"

    Garlyn wollte seit Jahrzehnten nur nach Hause!


    Doch ein solches gab es nicht mehr, seit sein Meister gestorben war. Die testamentarische Freilassung erwies sich als grausamer Fluch, die einen orientierungslosen, einsamen Mann in der Weite der Welt aussetzte. Garlyn wusste nicht, wie man mit Geld umging, kannte die Gesetze nicht und auch nicht die Regeln des Zusammenlebens zwischen Menschen auf Augenhöhe. Er kannte nur das alte Spiel von Meister und Sklave und er war nie Meister gewesen.


    Ein Anwerber rekrutierte ihn für das Söldnerlager bei Obenza. Mit genügend Geld würde er sich ein Leben aufbauen können. Immerhin gab es hier wieder Meister, die ihm sagten, was er tun sollte. Garlyn lernte das Zusammenleben mit anderen auf die harte Tour und so wurde er im laufe der Jahre ein guter Kämpfer, am Ende sogar Ausbilder. Dort hatte Garlyn einen gewaltsamen Tod gefunden. Zwar wurde er durch einen Nekromanten zurückgeholt, doch an diesem Ort konnte er unmöglich bleiben!


    Garlyns Weg hatte ihn so weit wie möglich weg von dem Söldnerlager geführt. Er lief der aufgehenden Sonne entgegen, in Richtung Almanien, der Heimat seiner Väter. Ungezählte Male sah er das Morgenrot. Er hatte die almanische Grenze noch nicht erreicht, als der Bruderkrieg losbrach. Die ganze Region wurde zum Sperrgebiet erklärt. Eingesperrt zwischen den Fronten war Garlyn! Doch es kam anders, als beabsichtigt, denn als Naridier im waffenfähigen Alter wurde er kurzerhand zum Kriegsdienst eingezogen. Das Leben in der Naridischen Armee bot eine unverhoffte Chance. Es fand sich auch stets genug zu essen, denn als Ghul war er auf menschliche Leichen als Nahrungsquelle angewiesen, um nicht zu vergehen. Das Problem dabei war die Heimlichkeit, denn nicht einmal im weltoffenen Naridien hieß man es gut, wenn jemand Amputate aus den Eimern der Heiler stahl oder gar die Leichen der gefallenen Kameraden anknabberte.


    Das Rad des Schicksals drehte sich gnadenlos wie eine Knochenmühle und Garlyn wurde erwischt. Das Fehlverhalten wurde nicht an die Offiziere herangetragen, die Soldaten bestraften ihn eigenhändig. An dem Tag verlor Garlyn seine Daseinsberechtigung und sein Dienst wurde zu einem Marsch durch den Taudis, der Hunger größer, die Behandlung durch seine Kameraden zur Qual.


    Dass ausgerechnet ein Mann der Gegenseite, Vittorio Pollarotti, ihn rettete, musste ein Akt der Götter sein. Vittorio, ausgestattet mit einem Einfluss, den ein einfacher Soldat nicht besitzen dürfte und garantiert auch nicht besaß, erwirkte, dass Garlyn nach Almanien einreisen durfte. Sogar die schwer gesicherten Mauern Souvagnes konnte er passieren durch das Schreiben eines Ledvigianos.


    Und dort traf er auf den Sohn seines Meisters, der ihn als freier Mann unter seine Fittiche nahm. Garlyn durfte in Souvagne bleiben und als Ausbilder bei der Strafkompanie an der rakshanischen Grenze sein Fleisch verdienen. Das genoss er so lange, bis sein Lieblingsschützling, Robere Moreau, sein Robby, den er mehr als nur im Kampf unterrichtet hatte, seine Strafe abgesessen hatte und heimkehren durfte. Danach wurde die Strafkompanie zu einem Hort der Einsamkeit. Und als der Frieden zwischen Rakshanistan und Souvagne beschlossen ward, gab es nichts zu essen mehr. Garlyns Zeit in der Strafkompanie war endgültig vorüber.


    Garlyn verließ erneut seine Heimstatt. Endlose Tagesreisen fort musste er ziehen. Er suchte Vittorio, mit dem ihn ein unstetes, aber leidenschaftliche Verhältnis verband. Doch Vittorio war bei niemandem sesshaft. Auch nicht bei Garlyn.


    Was blieb ihm noch?


    Nur der Dienst als Söldner, denn diese würden einen Veteran mit Kusshand nehmen und sich an seinen kulinarischen Absonderlichkeiten weniger stören als die Streitkräfte eines Staates.


    Und ohne es zu wollen, lenkte er seine Schritte in Richtung Söldnerlager ... langsam nur, Alternativen abschätzend, keine findend. Hier hatte man ihm sein sterbliches Leben entrissen, sein Tod war unsagbar grausam und langwierig gewesen. Über Stunden war er zu Tode gefoltert worden.


    Was nun, Garlyn?

    Dort stand der Gebäudekomplex, die Reste der Mauer ... dort stand ein Mann.

    Mein Leben im Pfuhl begann plötzlich. Von einem Moment auf den anderen war ich hier und existierte, ohne dass es ein Davor gegeben zu haben schien. Ein dicker Jüngling, gänzlich haarlos, weißhäutig und mit freundlichem Mondgesicht lag an mich geschmiegt. Wir schienen Freunde zu sein, denn er lag wie selbstverständlich in meiner Armbeuge. Aber wie er hieß - oder ich - war mir unbekannt. Irritiert sah ich mich um.


    Die Luft war stickig vom Geruch all der nackten Menschen, die mit mir die Zelle bewohnten, dennoch stanken sie nicht, sondern waren in gutem Pflegezustand, hatten nur den menschentypischen Eigengeruch. Ich sah karge Wände zu allen Seiten, doch sie waren weder rissig noch schimmlig. Die Umgebung war pragmatisch, aber sauber. Eine der vier Wände war vollständig vergittert, dahinter sah ich die nächste Wand. Licht drang nur von draußen aus dem Gang zu uns herein, so dass wir im Dämmerlicht lebten. Die anderen saßen oder lagen überall herum, viel Platz hatten wir nicht. Ihre Blicke wirkten sehr unterschiedlich: Die meisten schauten gelangweilt, andere resigniert, wenige verzweifelt und in einem Augenpaar sah ich den Wahnsinn blitzen, ehe es wieder hinter den Händen verschwand. Wir alle waren offenbar schon lange an diesem Ort und hatten uns überwiegend mit unserem Schicksal arrangiert.


    Doch wer waren wir? Wer war ich?


    Ich blickte an mir hinab, augenscheinlich war ich gesund, denn mein Bauch war fett wie der eines Mastschweins. Einen Augenblick war ich nicht sicher, ob ich männlich oder weiblich war, da mein Wanst meine Scham bedeckte und ich Brüste hatte. Aber das rote Körperhaar ließ erahnen, was ein kurzer Griff zwischen die Beine bestätigte - ich war männlich. Der rote Flaum verriet mir auch, dass ich nicht, wie ich zuerst gedacht hatte, noch ein Kind war, sondern die Grenze zum Mannesalter überschritten hatte. Warum ich angenommen hatte, ein kleiner Junge sein zu müssen, hing sicher mit meinem Gedächtnisverlust zusammen.


    Ich erhob mich und war nicht nur fett, sondern auch verdammt groß. Heilige Scheiße, ich war ein Hüne! Ich überragte alle, die sonst noch standen. Mein Schlafgefährte wälzte sich schwerfällig und schlief weiter. Mit meinen Speckbeinen watschelte ich zum Gitter, wobei alles an mir bei jedem Schritt wackelte. Mein Eigengewicht vorwärts zu wuchten, war eine Qual. Für die dicken Speckbrüste schämte ich mich besonders. In meiner Vorstellung hätte ich schlank sein müssen und viel jünger, ein kleiner flinker Junge, plötzlich aber war ich ein fetter junger Mann. Ich presste mein Gesicht so weit, wie es ging, durch die Gitter.


    »Hallo?« Das widerhallende Echo meiner Stimme verriet, dass dies ein recht langer und kahler Gang sein musste. Ich hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, doch es kam eine in Form einer kleinen, heruntergekommene Gestalt, die rattengleich herbei huschte.


    »Du bist aufgewacht, wie schön. Freust du dich schon auf die Meister?«, wisperte sie. Ein wenig gehässig klang sie, fand ich.


    »Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal mehr, wer ich bin und wo wir hier sind. Welche Meister?«


    Die Gestalt leckte ihre Hand an und rieb sich damit ihr fettiges Haar aus dem Gesicht. Die Stimme und die zwischen der Zottelmähne herumschlenkernden Brüste offenbarten, dass es eine Frau sein musste.

    »Hat dir die Ehrfurcht ob solcher Ehre den Verstand geraubt?« Die Gestalt kicherte. »Ein wenig mehr Konzentration. Du sollst doch wach sein an deinem großen Tag.«


    Wurde ich heute freigelassen? Aber was dann, so ohne Gedächtnis? Ich klammerte meine Wurstfinger um die Gitterstäbe. »Aber ich weiß nichts mehr. Kannst du mich rauslassen?«


    Sie hob beide Hände, als würde sie sich ergeben. »Habe ich einen Schlüssel bei mir? Ich bin nur eine Sklavin, so wie du ein Sklave bist. Nur ein wenig besser gestellt, denn wie du siehst, darf ich mich frei in der Himmelsröhre bewegen. Ich wollte nach dir schauen, weil du gerufen hast. Ein wenig neidisch bin ich schon auf dich.«


    »Aber wer bin ich, wie heiße ich? Und wie heißt du?«


    »Mein Name ist Ratte«, antwortete sie nicht ohne Stolz. »Und wie du heißt, ist gleichgültig. Frag die anderen Klöße, vielleicht wissen sie es, aber bilde dir nicht zu viel darauf ein. Du hast nämlich keine wirkliche Identität, bist nur ein namenloser Fettsack von vielen, auf dem Höhepunkt deiner Reife. Du bist Pfuhlsklave Nummer 11, das genügt. Und vor dir gab es schon andere Nummer 11s.« Sie musterte meinen aufgedunsenen Leib, ihr Blick blieb unangenehm lange auf meinen Speckbrüsten haften, dann auf meiner haarigen Wampe und schlussendlich auf meinem Schritt. Ich wünschte mir etwas, womit ich meine Blöße hätte bedecken können.

    Sie nickte zufrieden. »Die Meister werden dich mögen, zumindest jene, für die du so lange gereift bist. Weißt du was, Elf? Ich erweise dir einen Gefallen. Ich werde ihnen sagen, dass du ungeduldig bist und dich auf sie freust. So etwas hören sie gern.«


    Flink huschte sie davon. Sonderlich freundlich hatte ihre Stimme nicht geklungen, als sie behauptete, mir einen Gefallen zu erweisen, aber vielleicht täuschte das.


    So wendete ich mich wieder meinen Leidensgenossen zu - zumindest nahm ich an, dass wir litten, immerhin waren wir eingesperrt. Angst oder etwas anderes spürte ich jedoch nicht, nur große Scham, weil eine Frau meinen fetten Leib so angestarrt hatte, und Irritation. Mir fiel auf, dass sich in meiner Zelle nur Jungs und junge Männer befanden. Aber weder Angehörige des weiblichen Geschlechts, noch Säuglinge oder Kleinkinder oder ältere Männer. Und wir alle waren pummelig bis fett.


    Ich setzte mich neben den Burschen, den ich für meinen Freund hielt und rüttelte sacht seine weiche Schulter, so dass Wellen durch seinen Körper gingen, bis er mich schläfrig ansah. Weder am Kopf noch am Körper schien er Haare zu haben, vielleicht waren sie ihm ausgefallen.


    »Was heißt, ich habe meinen großen Tag?«, fragte ich. »Werden sie mich freilassen?«


    Er lächelte er dünnlippig. »Die Meister haben dich zu sich gerufen, es gibt keine größere Ehre. Ich wünschte, sie hätten uns beide gleichzeitig erwählt, doch ihre Wege sind unergründlich.«


    »Aber für was erwählt? Du weißt mehr«, hakte ich nach.


    Er legte sich etwas bequemer hin, so weit das auf dem blanken Boden möglich war, indem er nun seinen Kopf aufstützte. »Ich weiß auch nicht mehr als du. Aber Gefangene sind wir nicht, diese Ratte lügt. Wir sind in Wahrheit Waisenkinder, von unseren Eltern verstoßen, ausgesetzt oder geflohen, weil sie grausam zu uns waren. Die Meister haben uns gerettet und sie helfen uns, lassen uns hier bei sich wohnen, sicher versteckt vor unseren Eltern, und nähren uns. Die Meister beschützen uns, so lange wir hilflos sind. Wenn wir alt genug sind, entlassen sie uns in einer großen Zeremonie in die Welt, ausgestattet mit genügend Proviant und allem, was wir brauchen.«


    Das hörte sich nicht so großartig an, wie mein Freund es mir vorschwärmte. Eigentlich wollte ich nicht allein irgendwo an einen fremden Ort gebracht werden, sondern hier bleiben, wo es sicher war und mich jemand mochte.


    Ich legte mich neben ihn, das Gesicht ihm zugewandt. Vor ihm spürte ich keine Scham, sei es, weil wir beide junge Männer waren, sei es, weil seine Anwesenheit vertraut wirkte. »Ich werde sie fragen, ob wir zusammen gehen dürfen.«


    »Das ist lieb, aber das haben andere schon versucht ... die Meister entscheiden, wer soweit ist, wer schon geht und Platz für weitere hilfsbedürftige Kinder macht, und wer besser noch bleibt.«


    »Ich frage sie trotzdem. Wie heißt du?«


    »Na Zwölf. Hast du dich gestern so aufgeregt, als sie es dir gesagt haben?«


    »Vielleicht. Ich bin übrigens Elf.«


    Er lachte. »Das weiß ich doch!«


    Sein Lachen klang leicht und und unbeschwert, aber falsch an diesem Ort. Er legte den Arm um meine Schultern und zog mich dicht an sich heran. Sein Kuss war kalt und feucht wie der eines Fischs.