Die Freiheit schmeckte bitter. Missgünstiges Beamtentum hatte Garlyn um das Geld gebracht, dass ihm sein ehemaliger Herr vermacht hatte. Bald sehnte er sich zurück in die Sklaverei. Der Zufall wollte es, dass ein Trupp Werber ihm begegnete, als er bei einem Schmied um Obdach für die Nacht ersuchte. Da er verloren war und Hunger hatte, folgte er der Verlockung klingender Münze und begleitete die Werber anstelle des Schmiedegesellen, den sie eigentlich hatten mitnehmen wollen. Hier in Naridien nahm Garlyns kriegerische Karriere ihren Anfang, wo er als ordentliches Mitglied der Republikanischen Armee des Hohen Rates diente, der"Radhora" .
Kriegerherz - Ein Rückblick
Die Radhora Trux
Der Weg zur Armee war lang und steinig, er führte fort von der naridischen Zivilisation auf auf felsigen Gebirgspfaden nach Norden, wo der Wind kalt und feucht an den Kleidern riss. In einem entlegenen Grenzposten bei Trux fand man Verwendung für Garlyn. Die Bergwerksstadt mit ihren Hochöfen und Schloten, ihren Köhlereien und Gießereien war kein heimischer Ort, doch er speiste das naridische Militär mit Eisen. Darum wurde Trux von einem eigenen Außenposten geschützt: der "Radhora Trux" unter dem Widderbanner.
Als Garlyn eintraf, waren seine Schuhe nicht mehr zu gebrauchen, doch er war voller Tatendrang. Mit loderndem Herzen trat er durch das schmucklose Tor. Hier roch man den Rauch der zahllosen Öfen noch immer, doch das Wasser aus der Zisterne war sauberer. Der Quartiermeister stattete den neuen Rekruten mit allem aus, was er benötigte, vom Bettzeug bis zur Rüstung. Scharfe Waffen erhielt er noch nicht, sondern hölzerne Duplikate mit Eisenkern, die doppelt wogen. Gleiches galt für den Übungsschild. Eine scharfe Waffe erhielten nur die Soldaten und er war noch lange nicht so weit.
Im Gruppenschlafraum der Ausbildungskompanie wählte er eins der freien Betten, das zu seiner großen Freude frei von Schimmel und Wanzen war. Was für ein wunderbares Bett, die Matratze war mit frischem Stroh gefüllt und knisterte sanft, als er nach einem anstrengenden Tag seinen erschöpften Körper hineinschmiegte. Seit dem Tod seines Herrn war er als heimatloser Landstreicher unterwegs gewesen und nun erschien ihm dieses Bett wie Luxus.
Ausbildung
Bereits am nächsten Tag begann sein Dienst. Bei der Grundausbildung zeigte Garlyn sich tüchtig. Ihm brannten die Muskeln und Gelenke wie die Glut in den Hochöfen von Trux, doch sein Wille, im Dienst vor seinen Offizieren zu glänzen und sich ein neues zu Hause zu erarbeiten, half ihm darüber hinweg. Er sollte dem Lehrplan nach an allen Waffen ausgebildet werden, doch er merkte bald, dass dieser nicht eingehalten wurde, weil dafür keine Zeit blieb. In Anbetracht seiner beachtlichen Körpergröße und schweren Statur wies man ihn den Schwertkämpfern zu, lange vor dem Zeitpunkt, da die Auswahl hätte stattfinden müssen. Doch ihm war das recht. In der linken Hand trug er fortan den gewölbten Rundschild, der mit mehreren Lagen gehärtetem Leder bespannt war, was ihn stabiler machte. Mit der Rechten führte er das Kurzschwert, die Hauptwaffe der Naridier, bestens geeignet für den Kampf in engen Formationen.
Neben der Kunst des Krieges wurde Garlyn auch in alltäglichen Pflichten unterrichtet, so lernte er, kaputte Kleider zu nähen und kleinere Schäden an der Ausrüstung zu reparieren. Abends aßen die Mitglieder jeder Kompanie gemeinsam und genoss eine Stunde Ruhe, ehe der Hornist den Abendruf blies und sie in ihre Betten krochen. Auf den Mauern der Garnison hingegen musste unter den Sternen noch der eine oder andere Soldat Wachdienst schieben.
Türme aus Steinen
In den ersten Tagen vertrat Garlyn sich während der Ruhestunde die Beine außerhalb der Garnison, da er Ruhe und Einkehr suchte. Er folgte einem Pfad, den er noch nicht gegangen war, um den steinigen Hang herum. Da fand er eine Hochebene, schützend umgeben von Hängen mit hartem Gebirgsgras und weißen Blumen. Arglos betrat er den idyllischen Ort. Jäh schlug ihn der Anblick der frischen Soldatengräber auf den Boden der Tatsachen zurück. Garlyn blieb stehen. Fassungslos blickte er auf die Steintürmchen, von denen nach naridischem Brauch jedes die Ruhestätte eines Gefallenen markierte. Darüber flatterten die naridische Flagge und das Banner der Radhora Trux. Dies war ein Soldatenfriedhof und er war gefüllt mit hunderten Gräbern, die in vielen Fällen nicht alt aussahen.
Eine Hand senkte sich auf seine Schulter. "Nimm es nicht schwer", sagte eine vertraute Stimme. "Sie wussten, wofür sie ihr Blut gaben."
Garlyn drehte sich herum und sah in das Gesicht von Kommandant Tjark Tinsky mit den Widderhörnern am Helm, der ihn nun klopfte. Er war ihm lautlos gefolgt, sicher weil er geahnt hatte, welche Wirkung es haben würde, wenn Garlyn diesem Pfad bis zu seinem Ende folgte. In der Tat war Garlyn froh, dass jemand bei ihm war, um den Schrecken abzufedern.
"Wurden ihre Familien informiert?", wollte er wissen.
"Aber natürlich. Und den Angehörigen wurde eine großzügige Abfindung bezahlt. Wer der Radhora dient, muss sich keine Sorgen um seine Lieben machen, falls er nicht mehr heimkehrt. Finanziell ist für alles gesorgt."
"Und wer wird deine Abfindung erhalten?", fragte Garlyn.
"Meine Frau und unsere Kinder, mögen die Götter verhüten, dass es so weit kommt. Aber warum fragst du?"
"Weil ich keine Familie habe. Darum frage ich mich, wer das Geld bekommt oder ob es verfällt."
"Es verfällt natürlich nicht! Wo denkst du hin? In der Radhora sind alle gleich. Wir sind schließlich keine dreckigen Almanen, denen nur der Adel etwas wert ist und der Bauer nichts. Wer deine Abfindung erben soll, das kannst du selbst entscheiden. Halte es am besten in einem Testament fest. Manche Kameraden setzen einen Tempel oder ein Waisenhaus als Erben ein. Du musst deinen Willen nur bei deinem Offizier hinterlegen. Lerne weiter tüchtig, damit es nie gebraucht werden wird. Bislang machst du dich gut."
"Danke."
Dann befahl Tjark Tinsky ihn zurück zu den Lebenden.
Garlyn sagte sich, dass die Zahl der Gräber vermutlich nicht sehr groß war, sondern normal. Er war kein Feigling, der den Tod fürchtete, seine Sorge galt stets eher anderen. Als ehemaliger Sklave fühlte er sich besonders dafür verantwortlich, seinen Vorgesetzten keinen Ärger zu bereiten und sie zu entlasten, weshalb er sich oft für verschiedene Zusatzdienste freiwillig meldete. Wie hätte er damals ahnen können, dass er in eine der gefährlichsten Regionen versetzt worden war? Dass er dafür angedacht war, in einem Abnutzungskrieg aufgerieben zu werden? All dies wusste Garlyn nicht, denn es drangen kaum Informationen nach Trux. Die Soldaten wussten nur, was die Offiziere sie wissen ließen. Mit der Zeit empfand Garlyn eine angenehme Klarheit in seinem Kopf. Er lebte nun ganz und gar in der Gegenwart und sein Geist blieb fokussiert an dem Ort, wo er sich befand. Alles andere besaß keine Bedeutung mehr, als gäbe es nur diesen Ausschnitt der Welt, nur noch die Radhora Trux.
Als er bereit war für den Kampf, wurden aus Kameraden Brüder, die gemeinsam dem Tod ins Auge sahen und gemeinsam bluteten. Sie schützten einander und standen für den anderen ein. Sie wurden sein Leben und wer diese Erfahrungen einmal gemacht hatte, wusste, dass es danach keine Rückkehr ins Zivilleben mehr gab. Selbst wenn man die Armee einst verlassen sollte, würde man im Herzen für immer Krieger sein.
Unter dem Widderbanner
Die Verbundenheit unter den Soldaten wurde seitens Tjark Tinsky gefördert. Sie trugen gemalte Widderhörner auf den Schilden und als Tinte unter die Haut gestochen, meist auf der Brust oder auf den Schulterblättern. Zwei steinerne Widder fanden auch ihren Weg rechts und links neben das Tor der Garnison. Der Fähnrich trug ein Widderfell als Schleier über dem Rücken, während er das Banner hielt, gekrönt von echten Widderhörnern, wie jene auf dem Helm des Kommandanten. Das Wappentier wurde zum Totemtier, wurde zum schützenden Geistwesen. Ein Widderkult ersetzte bei vielen die alte Religion.
Es verging keine Woche, in der sie ohne ein Gefecht blieben und sie benötigten diesen Halt. Manchmal kämpften sie täglich. Zu jener Zeit war Naridien in einen Krieg mit den Söldnern der Grünen Kader verwickelt, Horden von Fahnenflüchtigen und Kriminellen, die sich an den Dörfern in Grenznähe bereicherten, schwer bewaffnet und noch schwerer zu fassen. Dieser Feind schien wie geschaffen dafür, die militärische Disziplin der Naridier in den Pausen zwischen den wichtigeren Kriegen aufrechtzuerhalten; kein anderes Einsatzgebiet schärfte den Mut der Soldaten mehr. Es hieß, wer in der Radhora Trux unter dem Widderbanner gedient hatte, der hätte den Tod besiegt. Andere Einheiten lechzten sehr danach, ihre Soldaten anzufordern und sie genossen großes Ansehen, doch es starben viele und die Überlebenden zehrte dieses Leben auf.
Garlyn war von den ersten Tagen an mit dem Töten und dem Tod konfrontiert und er lernte, sich seiner Haut zu erwehren. Er lernte auch, kein Mitleid mit Feinden zu empfinden, sondern sie als Gefahr für seine Kameraden wahrzunehmen, die neutralisiert werden musste. Tjark Tinsky förderte seine Entwicklung mit Wohlwollen. Garlyn hatte seinen Kameraden voraus, dass er von Anfang an keine Schonung kannte. Manche, die erst später unter den Widder versetzt worden waren, hatten es schwerer. In Daijian hatten viele die Vergnügungen des Stadtlebens, die üppige Versorgung mit Luxusgütern zu Lande und zu Wasser erlebt, bevor sie nach Trux versetzt worden waren. Der fürstliche Reichtum hatte die Soldaten eher bereichert als sie leistungsfähiger gemacht. Besonders unter dem Kommando von Sulandrim Kones, der die Rhadhora Daijian unter dem Hummer führte, wurden sie nachlässig und undiszipliniert, und so erteilten ihnen der rauer Marsch durch Nordnaridien und ein kriegerischerer Feind eine dringend benötigte Lektion. Zu den Krebsscheren, die sie auf ihre Hände tätowiert trugen, gesellten sich die Widderhörner, und so erzählte die Haut eines jeden seine Geschichte.
Im Angesicht des Feindes
Im rauen Bergland der Kandoren gab es alles, was einen Soldaten auf die Probe stellen konnte: ein raues und schwieriges Land, gebirgige Höhen, die zu sichern die Männer ebenso viel Mühe kostete wie den Feind von ihnen zu vertreiben und steile, enge Straßen, auf denen immer die Gefahr eines Hinterhalts bestand. Dazu ein leicht bewaffneter Feind, der sich schnell bewegte und plötzlich zuschlug, der keinen Ort und keine Stunde Ruhe zuließ. Jeder Angriff auf eine befestigte Stellung des Grünen Kaders war mit viel Mühe und Gefahr verbunden. Aus dem Land war hier im Norden nur wenig zu holen, und die Soldaten mussten sich notdürftig ernähren, da sie nur wenig Beute machen konnten.
Folglich gab es keine Gefolgsleute, kein ausgedehntes Gepäcktransportnetz; es gab nichts außer den Waffen und den Männern, auf die allein sie angewiesen waren. An Konflikten mangelte es nie, denn auch die durch ihre Armut getriebenen Eingeborenen pflegten die Felder ihrer Nachbarn zu plündern; sie lieferten sich jedoch nie eine Schlacht mit der Radhora Trux, so dass es bei Polizeiaufgaben blieb. Das größere Problem waren die Söldner des Grünen Kaders.
Nach mehreren schweren Gefechten gelang es ihrer Einheit, den berüchtigten Söldnerführer Yarigo Gatiano zu besiegen. Tjark Tinsky nahm seine Kapitulation an. Garlyn half, seine Männer zu entwaffnen. Nicht alle wollten sich dieser Forderung beugen, denn allzu oft hätte ihre Haut eine Geschichte von Verrat erzählt und man hätte sie ihnen abgezogen. In versprengten Gruppen, zumeist unbewaffnet, flohen sie über unwegsames und felsiges Gelände, wohin ihnen der Feind nicht folgen konnte, und entkamen auf diese Weise über die Kandoren nach Süden. Garlyn gehörte zu jenen, welche die Verfolgung aufzunehmen hatten und durfte erstmalig das Kommando über einen Trupp führen. Die gut geübten Soldaten ließen den Söldnern keine Ruh. Diejenigen, die in ihrem Lager ausgeharrt hatten, wurden umzingelt und gefangen genommen oder vertrieben. Doch auch jetzt ließen sie ihnen keine Verschnaufpause. Garlyn führte seinen Trupp gemeinsam mit zahlreichen anderen über die Kandoren. Auf den Bergen griffen sie die heimatlos gewordenen Söldner an, belästigten sie ständig mit Scharmützeln, so wie die Söldner es ihrerseits zuvor bei der Rhadora Trux getan hatten. Schließlich zwangen sie die Reste dieses Grünen Kaders zu einer offenen Feldschlacht, in der die Söldner vollständig besiegt wurden. Diesmal gab es keine Möglichkeit zur Kapitulation.
So wurde die Region für viele Jahre befriedet. Auch wenn die Grünen Kader nie vollständig ausgelöscht werden konnten, weil es so viele von ihnen gab und sie immer neuen Nachwuchs erhielten, so waren sie lange Zeit in Nordnaridien keine Bedrohung mehr. Das Land, was so lange hatte brachliegen müssen, konnte endlich wieder bewirtschaftet werden und dies war der Verdienst der Radhora Trux.
Wie es weiterging
Der Grüne Kader konnten erst wieder erstarken, als der Almanische Bruderkrieg den Hohen Rat zum Eingreifen zwang, und Garlyn in die Radhora Katamaris versetzt wurde. Und dort, unter dem Banner des Hechts, dass nicht den Weg unter seine Haut fand, und einem unerfahrenen Kommandanten namens Basil Wartha, geriet Garlyn in souvagnische Kriegsgefangenschaft. Erst nach dem Ende des Krieges und dem Ableisten seiner Zeit in der souvagnischen Strafkompanie schloss er sich, enttäuscht von den Ländern und ihren Regierungen, den Grünen Kadern an. Er zog nach Süden, weit weg von Trux, um nie gegen seine alten Kameraden kämpfen zu müssen, und hisste das Banner des Rotfuchses über seinem Lager.
Doch das ist eine andere Geschichte.