Erinnerung eines Gottes

  • Erinnerung eines Gottes

    Die Chroniken von Asamura sind in Asche geschrieben. Asche ist ein vergängliches Material, sie kommt und geht, sinkt und verweht. So mag es nicht verwundern, dass auch die Überlieferungen lückenhaft und bisweilen verfremdet sind, ich möchte sagen: falsch.


    Meine Perspektive ist die eines Zeitenwanderers. Ich durchreiste die Äonen der Asche nicht mit einer Maschine, eine solche wurde bislang nicht erfunden, sondern durchwanderte sie mit meinen Füßen. Dieser Bericht ist der eines sehr alten Mannes, der die Jahre kommen und gehen sah und selbst bis heute blieb. Wie oft spricht ein Gott persönlich zu dir? Ich tilgte Asamuras älteste Hochkultur vom Angesicht der Welt und wenn ich schwach auf dich wirke, dann weil ich es möchte.


    Setz dich. Ich will dir ein Stück Wahrheit bringen.


    ~~~


    1


    Meine Erinnerungen reichen zurück bis in die Zeit vor der Asche. Die Vorzeit ist für mich die erhabenste Ära von allen, als Almanien noch heil war und Tamjidistan den Osten beherrschte. Die goldenen Dächer glänzten in der Wüstensonne und durch den Fluss wateten weiße Reiher. Von Sklaven betriebene Bewässerungsmaschinen sorgten für stabile Ernten und die tamjidischen Karawanen bereisten über die Salzstraße die gesamte Welt.


    Während Almanien und Tamjidistan in Wohlstand und Kultur erblühten, fiel am Südpol ein Stern vom Himmel. Dort liegt der Kontinent Caltharnae, auf dem die Erzhexer mit ihren Häusern lebten. Der gefallene Stern zerschmetterte die Kruste. Ein feuriger Punkt musste dort unter der Obefläche gelegen haben, denn im Gegensatz zum eisigen Nordpol ist der Südpol die heißeste Region. Asamura spieh flammendes Blut, Lava ergoss sich über das Land und giftiger Ascheregen erstickte Caltharnae.


    Der Witterung sei Dank blieb die Katastrophe auf den Südpol beschränkt. Entsprechend sah auch niemand einen Anlass, die Zeitrechnung dafür zu ändern. Die Erzhexer mögen es anders gesehen haben, aber sie hatten andere Sorgen.


    2


    Während die Jünger Alvasheks sich in Endzeitphantasien ergingen und den endgültigen Tod der Sonne weissagten, nur weil sie von der Aschewolke für eine Weile verdunkelt wurde, beschränkte sich die Sorge der Tamjid auf geringere Ernten und Schwärme toter Fische an den Stränden, die sich in der Sonne zu stinkenden Ballons aufblähten. Die Fliegen wurden zu einer brummenden Plage. Darüber hinaus bekamen die Tamjid eine nur geringfügige Verdunkelung des Himmels mit.


    Die meisten der Flüchtlinge von Caltharnae bezogen damals auf Asa Karane ihr Refugium, wo sie sich gegenseitig das Leben zum Abgrund machten. Die blutige Tradition ihrer Heimat musste scheinbar um jeden Preis fortgesetzt werden. In Tamjidistan kannte man jene merkwürdigen Erzhexer nur von den Berichten der Handelsreisenden. Die Erzhexer selbst reisten nirgendwo hin, um ihre Zitadellen nicht schutzlos zurücklassen zu müssen.


    Man sagt sich, dass diese Männer mit der weißen Haut und dem dunklen Haar die Natur und ihr eigenes Volk magisch ausbrannten und dass Asamura ihretwegen eine weitere, wirklich große Zeit der Asche bevorstünde. Doch damals hielten die meisten diese Warnung für Schwarzseherei, immerhin waren es wieder mal die Jünger Alvasheks, die sie verkündeten. Wenn man bedenkt, wie leicht die Almanen diese Erzhexer damals noch hätten zerquetschen und das Unglück aufhalten können, ist es beinahe lachhaft.


    3


    Doch die Almanen waren anderweitig beschäftigt: mit dem Krieg gegen die Tamjid, den ich nur als Sklave mitbekam. Niedere Arbeiten musste ich nicht verrichten, ich war Edelsklave und mein rotes Haar verriet, von wem ich abstammte. Doch nicht nur das Blut von Felix Reinhard fließt durch meine Adern, auch dass des Maharakshas, des Regenten der Tamjid. Und doch war ich Sklave, anstatt auf dem Thron zu sitzen, wo ich hingehörte, ein Bastard nur und rothaarig noch dazu. Andere Sklaven wurden meine Verbündeten. Die Asche sollte den Tamjid nie wieder Sorgen bereiten, denn sie fielen lange, bevor es dazu kam. Ich war es, der durch Bestechung und Mord dorthin gelangt war. Halb Tamjid und halb Almane hatte ich dazu das volle Recht.


    Als die Asche über die gesamte Welt kam, gab es Tamjidistan nicht mehr, dafür ein wildes freies Land namens Rakshanistan. Die Verdunkelung brach als eine Katastrophe über alle herein, denn diesmal verdunkelte sich der Himmel der gesamten Welt. Angeblich handelte es sich um Vulkanausbrüche. Manche sagen, wir hätten die um Hilfe ersuchenden Erzhexer niemals auf dem Festland aufnehmen dürfen, dann wäre Almanien niemals zersplittert und Tamjidistan niemals untergegangen. Ich sage, sie haben den Ascheregen verursacht, der zur Zeitenwende führte, als alle Uhren still standen, die Pflanzen auf den Feldern erstickten, kein Vogel mehr sang, als für ein Jahr lang fast völlige Stille herrschte, bis die Aschewolken die Sonne freigaben und eine neue Zeitrechnung begann.


    4


    Es war, wie gesagt, nicht die einzige Katastrophe dieser Art. Asche zieht sich wie ein dunkler Faden durch die gesamte Geschichte von Asamura, doch diese Asche war jene, welche die Historie am nachhaltigsten veränderte. Ohne die Ankunft der Erzhexer und ihres Gefolges in Naridien wäre Almanien niemals zersplittert und mein Imperium niemals untergegangen.


    Haben die Menschen daraus gelernt? Wer das annimmt, kennt die Menschen schlecht. Niemand, der zu herrschen gewohnt ist, räumt das eigene Versagen ein, die eigene Schuld. Die eigene Blindheit für eine Gefahr, die von wenigen untereinander verfeindeten Erzhexern ausging. Viele Jahre sind seither ins Land gezogen. Der Blick der Menschen auf die Vergangenheit hat sich geändert, noch weiter verwässert und die Verantwortung für die eigene Geschichte wurde vergessen.


    Und so ist auch niemandem aufgefallen, dass die Erzhexer sich in Naridien verbündeten.


    5


    Mit einem starken Mann an der Spitze wäre all dies nicht geschehen. Doch dass man meine Heimkehr nicht wünscht, habe ich früh erfahren müssen. Das einstige Königshaus von Almanien vermisst schon lange niemand mehr, seine Stellvertreter, die Großherzöge - der Duc und der Duca - haben es sich auf an meiner Statt auf je einem Thronen bequem gemacht und regieren, als seien sie selbst zwei Könige. Die Naridier haben den Thron ihres Großherzogs gar in ein Museum gestellt und sind nun eine Republik.


    Duc und Duca machen ihre Sache gut, sagen die meisten. Vielleicht trifft es sogar zu. Mich aber wurmt es, dass ihre Regentschaft als selbstverständlich angesehen wird. Dass die Aufspaltung von Almanien in Souvagne, Ledwick und Naridien als eigenständige Länder niemanden mehr stört. Die Zersplitterung meines Landes, die Treulosigkeit meiner Adligen, es ist geeignet, auch das älteste Herz zu verbittern. Sie tun, als gäbe es kein Königshaus mehr.


    6


    Die Erinnerung daran, wie es während der herrlichen Vorzeit war, lässt mich die Glutsonne meines Geburtslandes auf der Haut spüren und den trockenen Wind riechen, der in der Lunge brennt. Meine Füße kennen den heißen, weichen Sand von Tamjidistan, aber sie kennen auch die kalten Keramikfliesen, bunt lasiert, herrlich kühl im Thronsaal von Tamarant und den süßen Duft kostbarer Räucherharze, bevor der Palast zur Ruine verfiel. Einige hundert Jahre ist all das inzwischen her, doch ich war dort und ich bin noch immer hier, dem Zeitenwandel zum Trotz.


    Ich gehöre zu den wenigen, denen es gelang, dem Tod all die Zeit über auszuweichen.


    Die Gebeine meines Vorfahren Felix Reinhard von Almanien, dem letzten König, bleichten damals schon längst im Wüstensand. Geboren wurde ich unter dem Namen Palion, eigentlich: Palion Marak, Maharaksha von Tamjidistan und König von Almanien, nur dass es damals bereits kein Großalmanisches Reich mehr gab und niemand mehr meine Heimkehr ersehnte. Wem nützt dieser lange Name etwas? Ich habe ihn abgelegt, sobald ich es konnte und werde ihn erneut tragen, wenn es an der Zeit ist. Momentan heiße ich Rakshor und bin kein Sklave mehr. List und Tücke haben das bewirkt. Die Tamjid sind Geschichte und das ist mein Verdienst. Gedankt haben es mir weder Souvagne noch Ledwick, dass ich den alten Feind entmachtete. Und von Naridien rede ich gar nicht erst.


    Ist mir das gleichgültig? Nein. Ich bin heute der Gott des Chaos und doch bin ich immer noch auch Mensch.


    Weder scheine ich unnerreicht am Himmel wie Alvashek, der Strahlende, noch bin ich gestaltlos wie Ainuwar, die gesichtslose und geschlechtslose Leere mit seiner Kirche von Schriftgelehrten, die fernab vom Volk eine akademische Kirche daraus gemacht haben. Ich wandle in Fleisch und Blut unter den Menschen und meine Hülle kann sterben, auch wenn ich stets zurückkehre. Ich habe Augen, um zu sehen, Ohren, um zu hören, ein Rückgrat, das mich auch im Sandsturm aufrecht hält und ich habe auch ein Herz, das Bitterkeit zu spüren vermag.


    7


    Meine größte Stärke ist nicht die Unsterblichkeit. Es ist die Erfahrung, die ich über die Zeitalter sammeln konnte und was ich daraus mache. Ich bin eine lebende Chronik und wer etwas über die Welt erfahren möchte, sollte keinen Priester fragen, sondern mich.


    Meine wahre Macht besteht darin, dass ich den Menschen zuhöre und ihre Herzen kenne, dass ich um die Gesetzmäßigkeiten ihrer Ängste und ihrer Hoffnungen weiß. Dass ich beides zu schüren und ihre Handlungen zu lenken vermag. Meine Gefolgsleute verehren mich als einen Gott, verkennend, dass ich als Mensch wie sie geboren wurde und einfach nur ein wenig schlauer war als die anderen. So mag es nicht verwundern, dass fuchsrotes Haar mein Haupt krönt, so wie meinen berühmten Vorfahren. Leider bin ich nicht König der Almanen, wie es mir zustünde, dann wäre die Geschichte anders verlaufen, doch ich bin Feldherr der Rakshaner, meiner wahren Getreuen. Darüber will ich nicht klagen, denn ein guter Freund an der richtigen Stelle ist manchmal eine mächtigere Waffe als ein Schwert. Die naridische Amtssprache ist nicht länger Asameisch - die »Sprache der Welt«. Es ist Rakshanisch. Das hätte euch zu denken geben sollen.


    8


    Den Thron haben meine Jünger bisher nicht zurückerobern können, doch ich arbeite daran. Da es mit offenem Krieg nicht funktioniert hat, widme ich mich seither der Zersetzung des almanischen Kampfgeists von innen heraus.


    Freiheit heißt das Credo, hinfort mit Adel und Autoritäten. Und darin sind meine Jünger den Naridiern gar nicht unähnlich. Zufall oder Folge meiner Saat? Wer weiß, wichtig ist das Ergebnis. Unsere Forderung lautet: Ein jeder Mensch sollte nach eigenem Recht leben dürfen. Wer sind sie, den zehnten Teil von eurer Ernte zu fordern und in Palästen zu leben, während ihr in Hütten haust? Alle Zeitungen sollen davon künden: Alle Menschen sind gleich. Ob reich oder arm, jeder ist ein Mensch unter Menschen, nicht mehr und nicht weniger. Alle Barden sollen singen: Erhebt euch, Knechte und Bauern, Bettler und Aussätzige. Und die Söldnerkommandeure sollen rufen: Schleift die Paläste und plündert die Schätze, wir geben euch Waffen. Schafft ein Land, in dem Gerechtigkeit herrscht. Es ist das, was euch durch Steuern und Abgaben geraubt wurde und ihr holt es euch zurück. So ist es, meine Almanen: Niemand erhörte euer Wort, lasst nun die Waffen sprechen. Befreit euch, meine weißen Rakshaner, denn jene seid ihr.


    9


    Gott des Chaos nennt man mich aufgrund meiner Unberechenbarkeit, denn ich wechsle die Seiten scheinbar willkürlich. Mal unterstütze ich die naridische Sache, mal Souvagne und Ledwick, mal völlig andere Leute. Doch an Chaos glauben sie nur, da sie mein Motiv nicht kennen. Es ist konstant, blieb immer das Gleiche, nur die Strategien passte ich den Gegebenheiten an. Ich wünschte nur, die Erzmagier von Asa Karane hätten nach der Zeitenwende nicht meinen Siegeszug in Naridien zunichtegemacht. Sie sind schwer zu lenken und ich war schwach in jener Zeit. Etliche Tode hatten mich entkräftet.


    Ob die Bezeichnung als Gott in meinem gegenwärtigen Zustand noch angemessen ist ... nun, sie ist zumindest nützlich.


    Mögen meine Methoden und die der Naridier sich auch bisweilen ähneln – Zersetzung des almanischen Geists – ihr gewünschtes Finale ist nicht das meine. Ich möchte diese Länder schließlich nicht dauerhaft zerstören, sondern nur ausreichend schwächen, um ihren König herbeizusehnen. Ich werde sie brechen, bis sie wimmernde Häuflein sind, und neu zusammensetzen. Ein Bürgerkrieg, Souvagner gegen Souvagner wie damals zur Zeit der Konsolditation - wie wäre es damit? Oder vielleicht Frauen gegen Männer? Wir werden sehen.


    Wenn die Almanen schließlich jene Adligen entmachtet haben, die mir die Loyalität verwehren, jene Männer, die Souvagne und Ledwick noch stabil halten, wenn die souvagnischen Burgen gefallen sind und die ledwicker Schiffe versenkt, wenn sie um Gnade und Frieden flehen, weil der Bürgerkrieg ohne Unterschied jeden dahinrafft, weil sie auch im Elend und im Tod alle gleich sind und niemand mehr da ist, der sie retten könnte:


    Dann werde ich zurückkehren und ihr Erlöser sein.