Beiträge von Dijon de la Grange

    Der Rote Hahn verschlief den Sonnenaufgang. Er verschlief auch den Vormittag und erwachte erst, als Alvashek im Zenit seiner Macht stand und gleißendes Mittagslicht das Schlafzimmer flutete. Die gemütliche Dämmerung verkroch sich in die Ecke. Dijon sah sich nach einiger Zeit des Trotzes genötigt, sein Erwachen einzugestehen. Widerwillig öffnete er die Augen. Im Bett saß der Mann, welcher der Überzeugung war, Dijon würde nun ihm gehören, weil es ihm gelungen war, ihm mit einer List in den Nacken zu beißen. Dijon schmunzelte verschlafen zu Erwin hinauf.


    "Bist du schon lange wach?"

    "Ich würde mir einen älteren, erfahrenen Mann an der Spitze wünschen, kein junges Blut, keine Experimente. Allerdings nicht dich, denn du hast deinen Ruhestand redlich verdient. Kazrar würde mir gut an dieser Position gefallen. Mit dem Ältesten verbindet mich nichts, außer der Hunger. Kazrar wird wissen, dass Dunwolf ihm das Licht auspusten kann und wenn er klug ist, wartet er nicht. Ich würde das zumindest nicht tun. Andernfalls unterstütze ich deinen Vorschlag von Ezio.


    Da du von Soldaten sprichst, sagt dir Vittorio Pollarotti etwas?


    Prince Ciel hat nicht um den Ältesten geworben, es ist ihm nur nicht gelungen, ihn zu erschlagen. Alexandre hat lange um das Leben des jungen Mannes gekämpft." Dass dieser tatkräftige Unterstützung gehabt hatte, ließ er unerwähnt, es zählte allein die Leistung seines Sohnes in dieser Angelegenheit.


    "Und was Davard von Hohenfelde betrifft, so weiß ich, was er ist. Nichtsdestoweniger ist er auch Marquis. Was ich davon halte, brauche ich nicht zu erwähnen, insbesondere, weil es sich bei ihm um einen Fremdländer handelt! Einen Emporkömmling, der dem Duc wer weiß was versprochen hat, damit er ihn aus dem Nichts in den Hochadel erhebt. Standesgemäßes Benehmen ist dieser Sippe so fremd wie das Wissen um die almanischen Tugenden."

    "Sicher wandelt sich alles. Doch wenn ein Machtvakuum entsteht, wird es gefüllt, das ist ehernes Gesetz. Falls die Baronin tot ist oder schwach, wird jemand anderes den Zirkel übernehmen. Vielleicht, indem er sie als Marionette nutzt, vielleicht auch ganz offen. Wurde die Frage nach der Nachfolge denn nie geklärt? Sie ist unnatürlich alt, doch sie ist nicht unsterblich. Niemand ist das, nicht einmal die Untoten sind's. Falls die Baronin nicht mehr ist, wer wäre dein Favorit?"


    Mit den Fingern der freien Hand strich er ein wenig durchs warme Wasser, während Dampf sie umwaberte.


    "Derya hat den Tod aus vielerlei Hinsicht verdient, Burkhard. Aber sie hat der Welt Kinder hinterlassen."

    Burkhard konnte nicht wissen, dass Alexandre gute Gründe hatte, Beißer zu verabscheuen. Dijon lehnte seinen Kopf an den des älteren Mannes und genoss, mit ihm in trauter Zweisamkeit bis zur Brust im warmen Wasser der Therme zu sitzen.


    "Nein, ich bin nicht mehr allein. Wenn du das wünschst, sei auch du künftig Gast an meiner Frühstückstafel. Es ist ein zu langer Tisch, an dem ich die letzten Jahre allein saß. Zu viel Essen für zu wenige Menschen. Zu viel Platz, den niemand füllte. Es war schon eine kleine Feier für sich, wenn mein Freund, der Comte de la Gervais, den man den Schlüpfrigen nennt, mich mit seiner Gesellschaft beglückt, doch wie oft geschieht das? Er hat sein eigenes Lehen zu verwalten und ich bin nicht sein Lehnsherr."


    Leider, wie Dijon fand. Mit dem Schlüpfrigen war er auf einer Wellenlänge.


    "Der Hinrichtung unserer Schwester Derya Littneaux hat Alexandre jedenfalls voller Genugtuung beigewohnt, ebenso wie manch Beißer. Innerhalb des Zirkels herrscht wohl keine Einigkeit." Woran Dijons Meinung nach Vendelin von Wigberg wesentlichen Anteil trug. "Die souvagnischen Beißer scheinen nur bedingt mit den naridischen kompatibel zu sein und nun wurde der Ring in Souvagne zerschlagen. Wie die Zukunft des Zirkels aussieht, ist ungewiss. Die Baronin hüllt sich in Schweigen, vielleicht ist sie inzwischen verstorben und niemand hat es bemerkt, da es ihr Erscheinungsbild und ihren Geruch kaum verändern dürfte."

    "Natürlich ist Alexandre ein jüngeres Ebenbild von mir, nur noch ein Stück hochnäsiger. Zudem verabscheut er die Freuden des Fleisches und hat für Beißer wenig übrig. Auch nicht für die Zuneigung eines Beißers und sei er der eigene Vater." Schmerzlich war die Stimme von Dijon, als er aussprach, woran Burkhards Vermittlungsversuch scheitern musste. "Er wird dich beahandeln wie mich - mit höflicher Distanz, sobald er deiner Zähne gewahr wird."


    Unter Wasser umschloss er die alte Hand von Burkhard mit seinen Fingern. Noch immer lag in Burkhards Griff viel Kraft, er war weit davon entfernt, tattrig zu sein, auch wenn das Alter natürlich bereits tiefe Spuren hinterlassen hatte.


    "Täglich bin ich hier unten allein, Burkhard. Jeden Morgen, um genau zu sein. Das Schwimmen vertreibt den Schlaf und das Bad ersetzt die schnöde Waschung mit einem ollen Lappen. So verbringe ich hier nach dem Aufstehen und einem kleinen Vorfrühstück eine Stunde, bevor es an das Rasieren und so weiter geht und schlussendlich zum Frühstück."


    Das er, wie sollte es anders sein, allein einnahm, seit seine Frau nicht mehr unter den Lebenden weilte und sein Sohn in den Palast gezogen war. Generell war Dijon privat ein sehr einsamer Mensch, obwohl bei der Wahrung seiner Pflichten von einer ganzen Heerschar an Edlen und Dienern umgeben. Die letzten Wochen waren anders verlaufen, denn Erwin hatte nie gefragt, ob er sich dazu setzen dürfe - er hatte es einfach gemacht, das für Dijon angerichtete Essen gefuttert und mit vollem Mund geplaudert.


    "Ich bin froh, dass du und Erwin eingezogen seid, Burkhard."

    Die beiden Senioren gingen in Richtung Wasser. Die Fliesen aus Naturstein besaßen eine raue Oberfläche, so dass keine Gefahr des Ausrutschens bestand. Dijon ließ Burkhard, der sich an seinem Arm hielt, das Tempo bestimmen, in dem sie über die Treppe in das warme Wasser stiegen, bis sie endlich ganz darin waren. So warm, als sei es extra beheizt worden, floss es um ihre Körper, fühlte sich dabei weich an und umschmeichelte ihre Nasen mit dem Duft feuchten Gesteins. All dies schenkte ihnen die Natur.


    "Ich verstehe, worauf du hinaus möchtest", setzte er ihr Gespräch fort, "doch Alexandre ist kaum anders in solchen Dingen gestrickt als ich. Er ist ein kühler, hochnäsiger Mensch, sehr vergeistigt in seiner ganzen Art, und weltliche Belange kümmern ihn kaum. Es ist, als stünde er mit dem Haupt bereits in den Spähren des Nexus, aus dem er seine magische Kraft zieht. Ist er bei mir zu Gast und sitzen wir zu tisch, speisen wir entweder schweigend oder tauschen organisatorische Informationen aus. Würde ich ihm sagen: Sohn, du sollst wissen, dass ich dich liebe. So würde dies zur Antwort haben: Aha. Danke für die Information."

    "Zuber gibt es auch. Aber ich gebe der Grottentherme den Vorzug, da man hier auch eine Runde schwimmen kann. Ich denke hier viel nach. Normalerweise bin ich allein, höchstens mein Sohn oder dessen Gäste ist hier noch ab und zu zu finden. Vielleicht auch unser nobler Gast, die Diener wurden angewiesen, ihn über diese Therme in Kenntnis zu setzen und sie ihm zu zeigen, wenn er das wünscht. Die übrigen Bewohner haben eigene Thermen, es gibt hier sehr viele Möglichkeiten, Becken anzulegen oder einfach in den natürlich gewachsenen Grotten zu baden. Keine Angst, es gibt hier keine bauliche Verbindung zum Taudis. Alles oberhalb der Schleuse ist sicher."


    Dijon kleidete sich zunächst selbst aus, dann half er vorsichtig dem alten General, so weit dieser Hilfe benötigte.

    Die Grottentherme im Keller des Sonnensteins

    therme.jpgIn einer Tiefe, in der man eigentlich keine Bauwerke mehr erwartet, die über bloße Funktionalität hinausgehen, dringt aus dem Spalt unter einer abschließbaren Tür warmer, duftender Nebel. Den Schlüssel besitzen nur wenige, denn dies ist die Privattherme des Marquis.


    Den wenigen, welche das Privileg genießen, Einlass zu erhalten, eröffnet sich eine natürliche Grottendecke. Boden und Badebecken jedoch sind im Stein der Umgebung gefliest, so dass man sich nicht die Füße aufreißt oder Stolpert. Das natürliche Wasser ist warm wie eine Badewanne und voller Mineralien. Zwei Zugänge ermöglichen das Schwimmen durch einen sanft beleuchteten Grottengang, der einmal im Kreis führt. Das Wasser ist nirgends tiefer als Brusthöhe.


    Für den edlen Schwimmer und seine Gäste stehen natürlich Sitzmöglichkeiten und Liegen zum Ausruhen bereit. Erfahrene Diener sorgen für das leibliche Wohl der Erholungsbedürftigen. Die warme, feuchte Luft und das Bad machen schläfrig. Sanfte Klänge von Musik lullen den Gast ebenso zuverlässig in den Schlaf wie eine wohltuende Massage.

    "Es freut mich, dass du mir ansiehst, wofür Worte zu banal wirken. Natürlich kannte ich deine Antwort und hegte entsprechend nie Hoffnung, manche Dinge sollte man so belassen, wie sie sind. Es ist doch alles ganz wunderbar zwischen uns, warum also etwas ändern? Aber du hast mich überrascht mit der Aussage, ich würde anstelle deines ungeborenen Sohnes stehen. Ich könnte mir keinen besseren Vater wünschen und danke dir von Herzen für deinen Schutz und die Fürsorge, die du mir hast angedeihen lassen ... Vater."


    Vorsichtig erwiderte er den Kuss auf die faltige Stirn, hinter der ein scharfer Geist wohnte. Die Berührung seiner Lippen war nicht schüchtern, denn das war der Marquis nicht, aber voller Liebe, die er selten jemandem zuteil werden ließ oder sogar zeigte. Dicht an dicht gehend erreichten sie die Thermen im heißen Schoß des Sonnensteins.


    Die Grottentherme im Keller des Sonnensteins >>

    Dijon lächelte so, dass man seine geschärften Zähne sah, als Burkhard seinen Arm drückte, während sie tiefer hinabstiegen in die Kellergewölbe der Burg, Etage um Etage hinab in den Schoß der Welt. Mit jeder Treppe, die hinunterführte, wurde es wärmer.


    "Was soll ich den sonst sagen, lieber Burkhard? Du weißt, dass "schätzen" eine beinahe schon lächerliche Untertreibung ist."


    Und doch blieb er nun für einen Moment stehen, sah dem General in die Augen, beinahe vorwurfsvoll, da dieser die Wahrheit nicht einfach erriet. Es ging viel in Dijon vor, selbst wenn sie nur Seite an Seite gingen und der alte Mann seinen Arm hielt, um besser gehen zu können. Selbst, wie er seinen Stock zwischen den Schritten aufsetzte, gefiel Dijon. Er fragte sich, ob der General diesen ebenfalls als Züchtigungsinstrument benutzt hatte.


    Er sah in diese alten Augen, die von den Falten der Jahre umschmeichelt wurden und ihren gerissenen Ausdruck in den der Weisheit verwandelten. Augen, vor deren Blick Feinde und Sklaven erzittert waren, doch für Dijon nur Güte übrig hatten, Die Güte eines alten, müden Alphawolfs, der wusste, dass seine großen Schlachten geschlagen waren und dass es Zeit wurde, sich zur Ruhe zu setzen. Dijon würde ihm die passende Höhle bieten und sie warm auskleiden, damit es ihm gut ging.


    "Schwefelquellen duften vorzüglich, fast wie gut gewürzt, mit einem Hauch von verbrannt. Ich kann keinen Gestank darin wahrnehmen, aber das ist sicher eine Frage der Präferenz. Einige Mineralstoffe werden sicher auch in meiner Quelle ausgeschwemmt worden sein, doch ich habe sie nie untersuchen lassen.


    Wenn dir das Alter gleichgültig ist, soll dein Diener besondere Fertigkeiten haben? Ein Geschichtenerzähler, ein Sänger, ein Leibwächter?"

    Dijon geleitete Burkhard in dessen Tempo durch die Gänge. Dass er diesem seinen Arm angeboten hatte, zeigte jedem die enorme Bedeutsamkeit des Gasts. Natürlich galt das auch für die Tatsache, dass Klingenberg in dem Quartier für die Gäste der Krone residierte.


    "Natürlich helfe ich dir, so wie du mir einst geholfen hast. Geben und nehmen. Und jemandem, den man sehr schätzt", er sprach das Wort etwas eigenwillig aus, weil es natürlich die Wahrheit verhöhnte, "dem gibt man besonders freimütig. Soll der Diener ein reiner Vertrauter sein oder auch mehr? Jung, alt? Vertrauenswürdig ist jeder Diener hier auf dem Sonnenstein, sonst würde er nicht länger hier verweilen. Viele stehen schon seit Generationen im Dienste meines Hauses. Ich denke, diese langfristige Symbiose ist es, die naridischen Dienern fehlt. Sie könnten einfach den Herrn wechseln, da dieser nur ein Arbeitgeber ist. Für mich hört sich das sehr traurig an."

    "Ich habe mehr als genügend Diener, such dir einen aus, oder wünschst du eine Empfehlung? Ich hätte dir aber auch selbst geholfen. Nehmen wir Arkady mit. Er wird vorlaufen und alles vorbereiten, bis wir eintreffen."


    Er bot Klingenberg den Arm an, wie er das immer tat, wenn er bei ihm war. Gemeinsam gingen sie durch die Gänge. Djion wies den nächstbesten Diener an, Arkady zur Vorbereitung des Bades loszuschicken. Sie gingen langsam und gemütlich.


    "Nennadel heißt, er ist Adel ohne Land und sein Adelststand wurde auch nicht vererbt. Er hatte diesen Stand inne, damit er als Exekutive fungieren kann. Was genau die Agenten der Autarkie taten, weiß bis heute niemand. Das wäre eine Frage, die wir dem jungen Prince Dreaux stellen könnten, vielleicht möchte er sie uns ja beantworten."

    "Wenn dieser Blender dir den Tag verderben würde, hat er nichts darin verloren. Natürlich kenne ich ebenfalls solche Mitbürger. Ganz schlimm sind die Chevaliers de Remuer, doch der Elendste von allen war einer, dessen Name ich erst seit kurzem Aussprechen darf. Er stand unter der Damnatio Memoriae, was erst vor wenigen Jahren revidiert wurde. Allein das Aussprrechen seines Namens war eine Straftat. Ich spreche von Mercer Desnoyer, dem Oberhaupt der Agenten der Autarkie, doch ich nehme wohl zu Recht an, dass du diesen Mann nicht kennst. Hüllte sich in die teuersten Kleider, obwohl er notorisch pleite war. Vielleicht war er auch pleite wegen seiner unangebrachten Kleiderwahl. Er war nicht einmal von Stand, bloßer Nennadel. Es fiel ihm gewaltig auf die Füße und sein gesamter Orden wurde zerschlagen. Damals war ich noch ein junger Mann."


    Dijon ließ Burkhard vorsichtig los. Wie er es sich angewöhnt hatte, strich er dabei beiläufig mit den Fingerkuppen über dessen Hände. So liebkoste er den älteren Mann schon sehr lange und Burkhard hatte es sich all die Jahre über gefallen lassen.


    "Ich habe zu danken. Dann lass uns in die Thermen gehen. Wünschst du einen Diener, der die beim Aus- und Ankleiden behilflich ist?"

    Dijon ließ sich auf das Tempo von Burkhard ein. Es ging hier nicht um die Demonstration tanztechnischer Fertigkeiten, nicht um den Höflichkeitstanz mit irgendeiner Edlen, der er damit Ehre erweisen wollte und auch nicht um den Tanz mit seiner verstorbenen Frau, weil die Tradition hochgehalten werden wollte. Dieser Tanz diente dem Vergnügen der beiden in die Jahre gekommenen Herren. Dijon erwiderte den Blick und freute sich, weil der General glücklich wirkte.


    "Ich habe nie mit meinem Sohn über diese Dinge gesprochen. Würde ich es plötzlich tun, würde ich ihn verunsichern. Es ist zu spät, Alexandre feiert dieses Jahr seinen vierzigsten Geburtstag und ist selbst Vater. Aber wenn es dich interessiert, frag ihn gern selbst, was er an seinem Eunuchen findet."


    Nicht das, was andere Männer an ihnen schätzten, nahm er an, denn Alexandre war selbst zu einem Dasein als Entmannter verdammt und konnte den Eunuchen nicht mehr als seine Frau behandeln.


    "Ich habe heut nichts vor, Burkhard. Prince Dreaux de Souvagne ist zu Gast, darum habe ich mir den Tag freigehalten, doch er schaut sich gerade die Pferde an. Was ich dich vorhin wohl vergaß zu fragen, wie hieß dein Leitwolf? Welchem Haus entstammte er?"

    Dijon legte seine Hand in die von Burkhard. Er hatte lange, elegante Finger, gut gepflegt, doch nicht frei von Blessuren, denn er liebte die Jagd und das Reiten und war früher als Feldherr in den Krieg gezogen. Heute sahen sie weicher aus als früher, doch es waren nach wie vor keine Hände, die passiv im Schoß ruhten, sondern welche, die standesgemäß anpackten. Er legte die Hand auf die Schulter von Burkhard, die sich immer noch hart anfühlte, auch wenn die Haut darüber weich war. Er überließ dem älteren Mann die Führung, so wie es immer gewesen war, all die Jahre lang. Die Nähe tat Dijon gut. Der Marquis schloss entspannt die Augen, dann öffnete er sie wieder.


    "Mit meinem Vater habe ich nicht die Dinge geteilt, die wir teilten, Burkhard. Der Eunuch meines Sohnes ist unverkäuflich, da er ein freier Mann ist. Aber er wird dir freimütig alles erklären, was es zu wissen gibt. Er ist voll Liebreiz und es ist leicht nachvollziehbar, was Alexandre an ihm findet."


    Ihm selbst gefielen diese Wesen auch, doch es war eine andere Art von Gefallen als jenes, welches er für den alten General empfand. Dijons Blick strich über deren Oberfläche. Sein Herz erreichten sie nicht. Dazu musste man sich dorthin durchbeißen.

    Es war ein Moment des Friedens. Dijon hielt still. Als die Lippen des alten Generals sich von seiner Haut lösten, strich er Klingenberg über den Arm, hielt ihn jedoch nicht fest. Er antwortete auf dessen Bekenntnis: "Und du bist der Vater, den ich mir gewünscht hätte." Ihre Blicke trafen sich. Vielleicht ahnte der General, dass sein "Sohn" log, denn dessen Liebe reichte im wörtlichen Sinne tiefer. Dijon ahnte, dass die Lüge ihm schlecht zu Gesicht stand, denn er war bei aller Verdorbenheit das Lügen nicht gewohnt. In seiner Position hatte er nicht nötig, die Unwahrheit zu sprechen. Alles, was er wollte, vermochte er durch pure Autorität durchzudrücken. Nur das nicht, was er sich am meisten wünschte. War es nicht paradox?


    "Was ein Eunuch kostet, weiß ich nicht, aber Alexandre hat manchmal einen zu Gast. Alexandre ist mein Sohn, falls du ihn noch nicht getroffen hast, die meiste Zeit lebt er im Palast zu Beaufort. Möchtest du seinen Eunuchen kennenlernen oder möchtest du in Ledwick stöbern?"


    Dass leider auch Alexandre ein Eunuch geworden war, musste Dijon verschweigen. Es war ein wohlbehütetes Geheimnis, von dem nur die Krone wusste. Und auch die nur, weil Prince Ciel sich unbotmäßig für den edlen Leib von Dijons Sohn interessiert hatte.

    "Zu viel der Ehre, Burkhard. Die Farben Rot und Gold zieren mein Wappen, so ist die Selektion auf rote Udineser kein Zufall. Andere Farben sind zulässig, jedoch selten und die Roten gelten als die edelsten Tiere. Der rote Mond, tja ... für die Familie La Grange hat er in der Vergangenheit oft Glück verhießen, wenn er voll am Himmel stand und einen Strahlenkranz trug, als sei er eine nächtliche Sonne, wo jeder andere dieses Zeichen fürchtet.


    Unser Ehrengast, seine kleine Hoheit, ist jemand, den ich mit dem Thema Sklaven nicht behelligen möchte. Er hat andere Sorgen. Aber ich werde seinen Vater darauf ansprechen.


    Dass dir Eunuchen gefallen könnten, kam mir gerade beim Nachdenken in den Sinn. In Ledwick genießen sie in manchen Kreisen große Beliebtheit. Sie sind oft von großem Liebreiz, ganz wie es dir gefällt, wenn man nicht gerade ein Exemplar mit Stimmungsschwankungen erwischt. Aber das lässt sich ja im Vorfeld ermitteln. Nach der Kastration entwickeln sie sich nicht länger in Richtung eines Mannes. Ihre Stimme bleibt hoch, ihre Körper weich und haarlos. Oft werden sie auf Diät gesetzt, da sie zu Übergewicht und Großwuchs neigen, man will sie aber natürlich lieber klein und zart haben. Ihre Stimmen sind phänomenal, sehr viel volltönender als die einer Frau.


    Ich muss dich jedoch darauf hinweisen, dass sie als edle Geschöpfe angesehen werden und kultische Verehrung genießen. Sie sind unwahrscheinlich teuer, wenn man sie als Sklave erwerben möchte, aber die meisten Eunuchen sind Bürger, vereinzelt sogar Edle, die sich aus religiösen Gründen haben entmannen lassen. Es mag also sein, dass bei allem Liebreiz ein solcher Eunuch sich nicht adäquat behandeln lassen möchte."

    "Wie gut ich zu Pferd bin, fragst du? Das verbuche ich als Scherz. Ich hoffe nicht, dass du glaubst, ich trage diese Hosen und Stiefel nur aus Modezwecken. Die Udineser-Zucht habe ich ganz entscheidend finanziell mitgetragen, ich reite regelmäßig zur Jagd hinaus."


    Viel verwunderlicher war, dass der alte General ebenso zu reiten gedachte. Wenn er vom Pferd stürzte, wäre er dahin. Doch war Klingenberg niemand, der in Watte gepackt werden sollte oder wollte. Er war Soldat gewesen und hatte nur noch wenige Jahre. Die durfte man ihm nicht durch Vorsicht verwässern.


    "Wir dürfen dein Pferdchen jedoch nicht nach Souvagne einführen, bis die Angelegenheit mit dem Duc besprochen wurde. Er kann sehr eigen sein.


    Vendelin von Wigberg hatte ich schon. Ich habe ihn verhören lassen, er lag im Kerker unter dem Palast von Beaufort, ich war sicher, sein Kopf würde rollen - doch er tat es nicht. Er spazierte wieder hinaus, etwas blass und mit zerquetschten Daumen, aber quicklebendig. Seither habe ich unsere liebevoll gepflegte Feindschaft als Waffenstillstand ausgelebt, denn es ist anzunehmen, dass die Krone in seinen Machenschaften hängt.


    Mit dem Duc scherzt man nicht und wenn er den Aal nicht in der Suppe will, sondern unbescholten in den Morast zurücksetzt, bin ich gezwungen, so zu tun, als sei der Marquis von Wigberg ein Ehrenwerter Mann und ein Standesgenosse. Allerdings hat auch er sich seither nicht mehr gerührt, bis auf die Sache mit Jerome. Ich vermute, die Eindrücke haben gesessen.


    Mich rettete nicht mein Titel, Burkhard. Mich rettete entweder mein bevorzugtes Beutespektrum, das von seiner Zielgruppe abwich, oder dass ich ihm zuvor kam. Selten habe ich eine Folter so sehr genossen wie die seine, auch wenn er nicht einmal schrie, als man ihm die Daumen zerquetschte.


    Erwin wollte ich dir nicht zumuten, ich bedarf seiner Hilfe, er macht sich gut. Aber vielleicht hat es dir ein anderer Diener angetan? Falls das mit dem Pferdchen nicht klappt, wie würde dir ein Eunuch gefallen? In Ledwick gibt es welche."

    "Wie könnte ich diesen Ritt vergessen? Es war ein besonderer Abend. Für mich eine Premiere, mein erster Mizifiri. Der Anblick war schon speziell, ein Jammer, dass es so ansteckend ist. Nur die Bezeichnung war mir entfallen. Es war Arkadys letzter Einsatz für den Zirkel, ehe er in meinen Besitz überging. Was einen Sklaven wie Jerome angeht, muss ich nachdenken. Dank Vendelin von Wigberg", er sprach den Namen aus wie brechendes Eis, "sind sämtliche Bezugsquellen innerhalb Souvagnes ausgehoben worden. Seine genaue Rolle ist mir nicht bekannt, aber es ist zu auffällig, dass alle souvagnischen Beißer dieser Spezialisierung bei der Aushebung auf dem Block landeten oder starben, bis auf ihn persönlich. Dass es mich nicht erwischte, verdanke ich lediglich dem gehobenen Alter meiner Spielgefährten."


    Er hielt inne, da ihm klar wurde, dass Burkhard nicht wissen konnte, von wem er sprach.


    "Onkel Timo. Bürgerlich Vendelin von Wigberg, wie ich mit seiner Einbürgerung nach Souvagne erfahren habe. Er ist entweder ein Genie oder ein faules Ei. Wir müssen jedenfalls auf naridisches Material zurückgreifen. Und ich muss mit dem Duc reden."


    Dijon war nicht sicher, ob es dem Duc gleichgültig sein würde, wenn es sich um fremdländische Pferdchen handelte. Es mochte sein, dass dies ebenso dessen Unwillen erregte. Er wollte sich absichern.


    "Notfalls werden wir regelmäßige Erholungsreisen unternehmen. Es darf und wird dir an nichts mangeln, Burkhard. Wie stellst du dir deinen Diener vor? Hast du hier jemanden im Blick?"