Seweryn atmete schwer aus. Die Trennung von der Gruppe, mit der er zuletzt umhergezogen war, hatte ihm doch mehr zugesetzt als zuerst vermutet. Doch wenigstens hatte er etwas mitgenommen: Informationen. Bei Jeelen und seinen Leuten konnte er nachfragen, was es mit dieser mysteriösen Albin auf sich hatte. Sie schien eine Art Botin zu sein, die immer unterwegs war und dabei unter anderem verschiedenste Kurierdienste anbot. Viel wussten sie zwar nicht darüber, aber die Schriftrolle, die ihm die Albin überlassen hatte, war anscheinend von einem "echten" Absender.
Galant schwang sich der Almane auf sein Pferd Moldi. Es war irgendwie ungewohnt nicht das kleine Energiebündel Lysa bei sich zu haben. Seweryn trieb das Pferd an und so hatten die beiden die Stadt bald hinter sich gelassen. Auf der Schriftrolle in seiner Gürteltasche standen mehrere Worte, fein säuberlich untereinander geschrieben. Das erste war der Name einer Ortschaft, die Seweryn bereits kannte. Es war ein kleines Dorf, bestehend aus mehreren Fachwerkhäusern. Seine Reise verlief ereignislos und wenige Tage später kam er in dem kleinen Dorf an. Der Wächter, ein fetter Kerl, der kaum in seine Rüstung passte, musterte den Almanen, der ihm freundlich zunickte. <Der soll hier für die Sicherheit zuständig sein? Das ist echt ein Witz.>, stellte Seweryn fest und fand sich kurze Zeit später auf einem kleinen Marktplatz wieder. In der Mitte stand ein schöner Springbrunnen, in dessen Becken mehrere Kinder spielten. Seweryn stieg von seinem Pferd und winkte eins der Kinder zu sich. "Willst du dir eine Münze verdienen?", fragte er den kleinen Jungen mit den braunen Locken, dieser nickte eifrig. "Pass auf.", Seweryn kniete sich ab, sodass er mit dem Kind auf Augenhöhe war. "Das hier ist Moldi. Bring ihn zu einem Gasthaus mit dem Namen...". Er kramte die Schriftrolle hervor, entzifferte das zweite Wort. "Zum Bogner. Weisst du, wo das ist?". Der Junge bestätigte. "Ich komme später nach. Du bekommst die Hälfte jetzt und die andere Hälfte wenn ich eintreffe und Moldi in gutem Zustand ist. Jetzt ab mit dir!". Mit diesen Worten schnippte der Almane dem Kind eine Kupfermünze zu. Der Junge schnappte die Münze aus der Luft und übernahm die Zügel. Moldi beäugte den Kurzen einen Moment, folgte ihm dann aber brav. "Also gut.", brummte Seweryn. "Dann bin ich jetzt wohl in Kaltenwalde.". Er sah sich um. Seit seinem letzten Besuch vor einer gefühlten Ewigkeit hatte sich fast nichts verändert. Selbst der Trunkenbold am Rande des Marktplatztes war noch der gleiche, wenn auch etwas älter. Seweryn glaubte sogar, dass ihm der Mann einmal knapp zunickte. <Trotzdem erst einmal umsehen.>, beschloss der Almane und zurrte seinen Schwertgurt enger. Langsam schritt er durch die Straßen. Einige Bewohner warfen ihm argwöhnische Blicke zu, andere grüßten. Schließlich traf Seweryn einen weiteren Wächter, der sich in seiner grob zusammengezimmerten Rüstung gelangweilt auf einen Speer stützte. "Guter Mann, könnt ihr mir vielleicht eine Auskunft geben?", begann Seweryn das Gespräch und beschrieb die Albin, die ihm vor ein paar Tagen die Schriftrolle übergeben hatte. Der Wächter überlegte kurz, pulte sich etwas zwischen den Zähnen hervor und schnippte es weg. Schließlich bestätigte er Seweryns Frage. Tatsächlich hatte er auf einem seiner Rundgänge eine Frau gesehen, auf die genau diese Beschreibung passte. Angeblich sei sie auch in dem Gasthaus "Zum Bogner" gewesen. <So weit so gut.>, dachte Seweryn und wünschte dem Wachmann noch eine ruhige Schicht, was dieser nur mit einem knappen Nicken bestätigte. <An der ganzen Sache ist also doch mehr dran.>. Schließlich machte sich der Almane auf den Weg zu dem kleinen Gasthaus und fand kurze Zeit später auch Moldi und den Jungen vor. "Na, hat er gut auf dich aufgepasst?", fragte Seweryn sein Pferd und streichelte es. "Gute Arbeit, kleiner.", meinte Seweryn und übergab dem Jungen den Rest seines Lohns. Dieser bedankte sich fröhlich und verschwand. "Ich hör mich hier mal etwas um. Dir gehts hier ja anscheinend echt gut, hm?". Moldi schnaubte bestätigend.
Als Seweryn den Schankraum betrat wurde es plötzlich still. Alle Augen schienen auf ihn gerichtet zu sein. Seweryn sah sich um. Langsam wandten sich die Gäste wieder ihren Tätigkeiten und Getränken zu und er ging hinüber zum Tresen. "Grüße. Ich nehme ein Dunkelbräu.". Der Wirt nickte und stellte Seweryn wenige Augenblicke später ein dunkles Bier mit wunderbarer Schaumkrone hin. Seweryn bezahlte und trank. "Auf ein Wort.", raunte er dem Wirt schließlich zu und winkte ihn näher an sich heran. "Kennt ihr eine Person Namens Rudgart?". Der Wirt bestätigte und nickte in Richtung eines Tisches in der Ecke. Seweryn folgte dem Nicken und erkannte einen alten Mann. Er trug eine vom Kampf gezeichnete Rüstung, hatte eine Narbe über dem linken Auge und ein verbeulter Helm lag auf dem Tisch. "Was auch immer der gute Mann als nächstes trinkt, stell es mir in Rechnung.". So machte sich Seweryn auf den Weg zu dem Tisch. <Dann wollen wir doch mal sehen, was du mir erzählen kannst.>. Er vergewisserte sich noch einmal, dass er die Schriftrolle noch bei sich trug und erreichte den alten Mann. "Ich bin...". "Seweryn. Ich weiß. Ich habe bereits auf euch gewartet.", unterbrach ihn der alte Mann mit kratziger Stimme. Seweryn war etwas erstaunt, setzte sich dann aber. "Mir wurde bereits zugetragen, dass ihr bald hier aufschlagen werdet. Besser gesagt...wurde ich bezahlt um hier auf euch zu warten.". Seweryn stutzte. Wer war der Kerl eigentlich genau? Und vor allem...wer bezahlte ihn...für was genau?