Jagdwetter.
Die Luft war drückend schwer, die Dachschindeln und Pflastersteine glitschig unter Mards Händen und Füßen. Alle Oberflächen dampften, noch warm vom Tage, und Nebel zog durch die nächtliche Stadt. Tiefhängende Wolken verbargen die Sterne und beide Monde. In der Ferne donnerte es und Wetterleuchten zeigten sich über dem Meer, an dessen Ufern Obenza in die Wolken ragte. Die Nacht legte sich schwer, heiß und feucht wie der Schoß einer Frau um Mards Haut. Doch während er an Geschlechtsorganen kein Interesse hegte, das über anatomische Neugier hinausging, versetzte ihn das drückend schwüle Wetter in unaufhaltsame Erregung. Warum es so war, wusste er nicht, doch es war schon immer so. Seine Nüstern zuckten, er witterte und die spitzen Ohren drehten sich unentwegt, während die Bewohner der Stadt, die um diese Zeit noch munter waren, sich vor dem Regen in die Häuser, Tavernen und Bordelle flüchteten. Mard war es, vor dem sie fliehen sollten, doch sie wussten noch nicht einmal, dass er in diesem Revier unterwegs war. Sie wichen in das Innere ihrer künstlichen Höhlen und machten Raum für die Jäger. Diese Nacht gehörte ihm, er fühlte sich wild und frei, Obenza lag unbefleckt und willig vor ihm.
Wie eine schwarze Katze glitt der Düsterling durch die von einzelnen Gaslaternen erhellte Dunkelheit. Unten sah er ihr fahles orangefarbenes Licht und verschwommene Schatten, oben verschwanden die Etagen der Hochhäuser gänzlich in der dunklen Einheit der Wolken. Unten plätscherten Ströme die Rinnsteine entlang und gluckerten hinab in die Kanalisation, oben hing Mard an einer Regenrinne und versuchte mit einiger Mühe sich zu orientieren. Der Geruch des Regens hatte die vertrauten Düfte der Stadt davongespült und die trommelnden Tropfen störten sein Gehör und seinen Ultraschall. Mards Haut glänzte schwarz und feine Bäche rannen von seinen Armen, als er sich endlich für eine Richtung entschied und auf allen Vieren über die Balkone kletterte, die endlosen Regenrinnen hinauf hinab, durch kleine Spalten, durch die kaum sonst jemand passte und den geheimen Pfaden folgte. Diese Nacht war perfekt, sie war für große Taten gemacht! Heute wollte Mard nichts stehlen, keine Hühner oder Kaninchen aus Boxen in Hinterhöfen und Balkonen. Heute wollte er, dass jemand starb. Und er würde nicht allein jagen gehen. Mard hielt auf einem Balkon inne und blickte in die Ferne. Ja, hier war er richtig. Es stank nach Tang und keine Häuser stoppten mehr seinen Blick. Da war nur das Meer. Unter ihm lag der Hafen, die großen Schiffe mit den zusammengerollten Segeln standen vollkommen still, kein Wellengang brachte sie zum Schaukeln. Wie dünne Seidenschnürre fiel der Nieselregen gerade nach unten. Doch die Schiffe waren nicht sein Ziel, sondern das, was sich sonst noch im Hafen befand. Er rutschte die Regenrinne hinab, ein Schleifgeräusch ertönte, bis seine nackten Füße klatschend auf dem Kopfsteinpflaster genau neben dem Eingang landeten, den er gesucht hatte.
Perfekt!
Zwar konnte Mard das hölzerne Schild nicht lesen, doch er wusste, was darauf stand. Dies war der Alte Alfons, die bekannteste Hafentaverne der Gegend und hier würde er mit etwas Glück seinen heutigen Jagdgefährten finden. Er konnte es kaum abwarten, dass sie loszogen, sein Herz schlug heftig, Mard war nervös und sein Schwanz peitschte unruhig.
Als er die Tür aufdrückte, schlug ihm ein Inferno des Gestanks aller möglichen Völker entgegen. Pfeifenkraut aus der Souvagne, Wein aus der Hohen Mark und Kaffee aus dem verfluchten Rakshanistan. Und Schweiß, Schweiß, noch mehr Schweiß, Stiefelfett, nasses Leder und der Gestank von willigen Geschlechtsorganen, der Mard eine Gänsehaut des Abscheus über den Rücken jagte. Matrosen und Söldner aus den umliegenden Söldnerlagern und Soldaten beider Fraktionen lungerten hier herum und schäkerten mit Dirnen. Eine explosive Mischung, die vom Regen hineingetrieben und zusammengepfercht worden war. Mard trat ein. Er fürchtete sie nicht. Er hatte schon ganz andere Situationen mit heiler Haut überlebt.
Er sah, was er gesucht hatte. Ohne am Thresen eine Bestellung aufzugeben trat er an einen der Tische. Wie erhofft saßen dort in einer Ecke, den Rücken zur Wand, der Gelbe Goblin und sein Werkzeug, der Schakal. Letzteren hatte Mard noch nie gesehen, aber er ging der Beschreibung nach stark davon aus, dass er es sein musste. Die beiden hatten ihn längst bemerkt, denn sie waren Jäger wie er und ihre Sinne stets auf der Pirsch, selbst wenn ihre Körper ruhig hier saßen. Während Mard auf sie zu ging, zeigte sich auf ihren Gesichtern ein sehr unterschiedlicher Ausdruck. Jozo lächelte und trat unter dem Tisch gegen einen Stuhl, der laut knarrend zu Mard herübergeschlittert kam, so dass er sich setzen konnte.
„Besten Dank“, kommentierte Mard, wie gewohnt grinsend, ohne echte Freude zu empfinden. Er war innerlich durch und durch im Jagdfieber und würde erst dann fröhlich sein, wenn die geplante Tötung erfolgreich verlaufen war.
Der Schakal blickte ungehalten drein. Jozos Hand lag gerade auf seinem Oberschenkel und Mard roch sehr genau, was der Schakal bei der Berührung fühlte. Etwas, das ablenkte und schwach machen konnte, wenn man es nicht im Griff hatte. Auch jetzt bestimmte es die Emotion des Schakals, wo andere Dinge doch so viel wichtiger waren. Aber vielleicht hatte Jozo sein Werkzeug auch gezielt so trainiert, um es leichter kontrollieren zu können. Keine schlechte Taktik. Auch Mard hatte schon still gehalten, nur um im entscheidenden Augenblick nah genug an seinem Opfer zu sein. Der Gelbe Goblin war schlau.
„Du hier, was für eine Überraschung“, sagte Jozo. „Ich hätte nicht gedacht, dass du in diesen Straßen lange genug überlebst, um unsere Verabredung einhalten zu können.“ Der überraschte Blick des Schakals verriet, dass er gar nichts davon wusste.
Mards künstliches Grinsen blieb unverändert. „Schade, was? Obenza beißt. Doch Mard beißt fester und sein Speichel ist Gift.“
„Nein, ganz und gar nicht schade, wo wir doch noch so viel zusammen vorhaben. So viele verpasste Gelegenheiten in diesem Krieg, nein, es wäre schade gewesen, wärst du nicht gekommen und das meine ich ausnahmsweise sogar Ernst.“
Mard grinste noch etwas breiter. „Stimmt! Unsere Pläne! Deine Sammlung! Die muss ich noch bewundern! Oh und ich hab auch was dabei, dass du dir ansehen musst!“
Er legte seine Geldkatze auf den Tisch, damit Jozo sie ansehen konnte. Dann griff er nach dem Bierkrug der Schakals. Er wollte kurz antesten, wie der Kerl auf Provokationen reagierte. Der grüne Kumpan des Gelben Goblins blieb ruhig, doch sein Blick fixierte die Augen Mards, der ihn über den Rand des Glases hinweg anstarrte. Der Blick des Schakals enthielt die Warnung, es nicht zu weit zu treiben. Mard registrierte es ungerührt und speicherte die Information vorerst ohne weitere Interpretation in seinem Kopf, schleckte mit der Zunge vom Schaum und stellte das Glas wieder hin. Die Beobachtung reichte vorerst.
Jozo drehte derweile die Geldkatze hin und her und betrachtete ihr gemeinsames Erinnerungsstück an ihre erste gemeinsame Jagd. Ein sehr dicker und vor allem sehr dummer Mann hatte dafür geblutet. Der Preis, den man zahlte, wenn man Mard ärgerte und sich als Herr über sein Leben aufspielte. Mard hatte bewiesen, wer es wirklich war, der über ein Leben verfügen konnte, wenn ihm danach beliebte – und wer nur ein erbärmliches Großmaul war.
„Die Geldkatze ist kaputt“, verkündete Mard.
„Wo ist die bitte kaputt? Ich sehe nichts.“ Jozo wendete sie und betrachtete sie von allen Seiten.
Der Düsterling blickte ungnädig drein. „Ich hab alles gemacht, wie du es gesagt hast! Ich habe den Inhalt aus dem Magen geräumt, ihn ausgewaschen und eine Sehne oben als Schnur zum Zumachen reingezogen! Aber ich kann sie trotzdem nicht benutzen!“
„Aha. Und warum nicht?“
Der Düsterling breitete seine Arme aus. „Schau mich an!“
Jozo grinste breit. „Ich schaue“, gurrte er. „Steh auf, dann geht noch besser.“
„Hör auf! So meine ich das nicht! Guck genau! Siehst du an mir irgendwelche Taschen? Ich bin Taschenlos! Ich habe nur einen Lendenschurz! Wie soll ich da die Katze bei mir tragen? Ich muss sie dauernd in der Hand halten oder zwischen den Zähnen, so wie auf dem Hinweg! Das nervt!“
Jozos Gesicht veränderte sich. „Verstehe“, sagte er langsam. „Nun, das ist ein ernstes Problem. Eines, dass wir noch heute Nacht lösen müssen.“
Der andere Goblin seufzte leise und rieb sich seine Nasenwurzel.
„Der da reibt sich seine Nase“, keifte Mard und zeigte mit dem Finger auf den grünen Goblin. „Er nimmt das Problem nicht ernst!“
„Ach“, sprach Jozo honigsüß, „tut er das nicht? Vielleicht sind ihm andere Probleme wichtiger? Da fällt mir ein, ich habe euch noch gar nicht einander vorgestellt. Mard, das ist Vicarri, mein bestes und effektivstes Werkzeug. Vicarri, das ist Mard. Einer von meiner Art.“
Vivarri betrachtete Mard aufmerksam. „Freut mich.“ Er reichte ihm nicht die Hand. Und auch Mard blickte abschätzend zurück. Sie würden nicht miteinander auskommen, wenn Jozo verschwunden war.
„Hast du was zu Essen?“, fragte Mard Jozo, ohne den Blick von Vic abzuwenden.
„Hol uns was zum Knabbern, Vici“, bestimmte Jozo und sein Gefährte fügte sich. das war allerdings nicht schlecht. Jozo konnte sitzen bleiben, während der Schakal apportierte. Mard verfolgte analytisch jede der Bewegungen des grünhäutigen Goblins. Er war jünger als Jozo, er bewegte sich etwas flüssiger, aber mit der selben Zielgerichtetheit. Er brachte ihnen vom Thresen eine Schüssel von mit Nüssen und Rosinen und sie begannen zu knabbern.
„Wir brauchen eine Schnur, um dein Problem zu lösen“, erklärte der Gelbe Goblin zwischen zwei Bissen.
Vic mischte sich ein. „Ich glaube, wir haben daheim noch irgendwo eine Rolle.“
„Nein“, entschied Jozo energisch. „Das Material muss zur Katze passen! Was war das gleich noch mal? Mensch?“
„Ein fetter Alb“, korrigierte Mard. „So fett!“ Er demonstrierte es, indem er beide Wangen aufblies. „Wuschelhaare und Wuschelbart!“
Jozo fuhr nachdenklich mit der Zunge über seine Zähne. „Ich glaube, da kann ich weiterhelfen! Ich kenne da jemanden, der das passende Material liefern könnte. Hast du heute Nacht schon was vor, Mard?“
Mards Blick verdunkelte sich. „Ja. Wir gehen jagen!“
Jozo grinste von einem Ohr zum anderen und nickte.
Vicarri jedoch runzelte nachdenklich die Stirn. Er war keiner ihrer Art, wie Jozo es meinte und Mard gab ihm Recht. Er war anders.
Jozo zog sich seine schwarze Maske über und nun sah er mit seiner engen schwarzen Kleidung fast aus wie ein Düsterling, nur dass ihm der Greifschwanz fehlte und die Daumenzehe am Fuß. So gefiel er Mard besser als im quietschgelben Zustand. Er drängelte sich an ihm vorbei, um zur Tür zu gehen und Mard sog beiläufig eine große Portion seines Geruchs ein, um ihn besser aufspüren zu können, wenn sie sich auf der Jagd verloren. Vicarri jedoch ließ Mard mit einem Lächeln vorgehen. Er wollte ihn offenbar nicht im Nacken haben und im Auge behalten. Mitleidig lächelte Mard zurück.
„Um wen hast du Angst? Um dich selbst oder um deinen Meister?“
„Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.“
„Sie wird dir nichts nützen, wenn ich es nicht will!“
Vic lachte. Jozo hielt inne und warf Mard einen warnenden Blick zu. „Treib es nicht zu bunt. Meine Geduld ist endlich.“
„Aber nein“, sagte Mard freundlich. „Vicarri ist dein Werkzeug. Nicht meins. Ich mach ihn nicht kaputt. Ich wollte doch noch sehen, was er kann. Wozu er gut ist auf der Jagd. Zeigst du es mir?“
„Du willst sehen, was man Werkzeug kann? Aber sicher! Vic, du gehst vor. Wir statten meinem lieben Freund einen Besuch ab. Du weißt schon, wen ich meine und wo er wohnt. Du wirst auskundschaften, wie wir heute am besten an seinen Wachen vorbeikommen – und zwar alle drei.“
Vic sog scharf die Luft ein. „Wir alle sollen ins Innere? Aber das ist schon für einen schwierig!“
„Ja und?“ Jozo wirkte ausgesprochen vergnügt. „Hat mich das jemals aufgehalten?“
Vic fügte sich und widersprach nicht weiter. „Gut. Folgt mir.“ Auch er zog jetzt seine Maske über. Die drei kleinen schwarzen Gestalten verschwanden in den verregneten Gassen des nächtlichen Obenza.