Die Rückkehr der Voliris

  • Als das Luftschiff über den Bergen auftauchte, verbreitete sich die Kunde in Drakenstein rasch: Die Voliris ist zurück! Vor achtzehn Tagen war sie aufgebrochen. Von den Zinnen aus hatten die Überlebenden dem gewaltigen Gefährt nachgeschaut, hoffnungsvoll oder kopfschüttelnd, doch niemand war die Expedition gleichgültig gewesen. Allein der Kurs nach Markaz reichte schon, um Angst und Schrecken zu verbreiten, denn der Kurs nach Markaz bedeutete nichts weiter als ein Flug über die endlose Wüste Tamjara, genau in die Richtung des aufziehenden Aschesturms.


    Doch so sehr in den Gassen auch geraunt worden war, die Voliris sei längst abgestürzt und niemand werde die Mannschaft je wiedersehen, so hartnäckig hatte sich gleichsam die Hoffnung auf ihre Rückkehr gehalten.


    Und hier war sie nun: Langsam senkte sie sich zwischen den grauen Wolken hinab in den Krater, der vor Jahrhunderten zu einer Festung ausgebaut worden war, die Zinnen und den Wehrgang wie eine Krone auf dem Rand des Vulkankegels. Wer ein Fernrohr besaß, beobachtete das Ereignis durch die Vergrößerung, um nichts zu verpassen. Die Konstabler hatten Mühe, die Schaulustigen vom Hangar fernzuhalten, die winkten und riefen.


    Welche Nachricht mochte die Besatzung aus dem Süden mitbringen?


    Die Hafenarbeiter halfen beim Vertäuen und die Mechaniker machten sich sofort an die Wartung des von der Reise sichtlich mitgenommenen Luftschiffs. Der lederne Auftriebskörper wirkte schlaff. Aus den Triebwerken drang schwarzer Rauch und der Motor klang unregelmäßig. Die Rampe wurde nicht sofort heruntergeklappt und die Mechaniker mussten Hilfe leisten. Auch jetzt stieg niemand aus. Vorarbeiter Relic machte sich daran, die Rampe zu erklimmen, hielt jedoch inne, als er Schritte an Deck vernahm.


    Der Pilot erschien oben vor dem eisernen Laufsteg. Langsam schob er die Schutzbrille auf die Stirn und zog den dicken Schal von seinem Gesicht. Entsetzt wich der Vorarbeiter zurück, als er das sah, was einst ein menschliches Gesicht gewesen war.


    "Ainuwar hat große Opfer von uns verlangt", sagte der Pilot heiser. "Zehn sind nach Markaz aufgebrochen, vier kehren heim."


    Rufe der Verzweiflung brandeten durch die Menge. Vorarbeiter Relic versuchte sie zu übertönen: "Was habt ihr über das Schicksal von Markaz in Erfahrung gebracht? Die Stadt liegt direkt in der Richtung, aus welcher der Sturm kommt. Benötigen sie Hilfe oder können sie ihrerseits welche bieten?"


    Der Pilot rang sichtlich nach Luft. "Die Asche fällt im Süden wie Schnee. Es gibt keine Wiesen mehr, keine Felder, nur noch Asche. Sie liegt in den Straßen hoch bis zu den Fenstern. Die Häuser sind kaum von Hügeln zu unterscheiden. Der Himmel ist dunkel, man merkt kaum den Unterschied zwischen Tag und Nacht. Totenstille, kein Vogel singt. Es ist kalt und die Palmen wirken tot. Falls es Überlebende gibt, haben wir sie nicht gefunden. Markaz", krächzte er, "ist gefallen."


    Die Menge schrie und weinte. Jemand stürzte in Verzweiflung zu Boden. Die Konstabler mussten ihre Stäbe einsetzen, um die Ordnung zu wahren. Der Pilot aber wankte wie ein Halbtoter dem Vorarbeiter entgegen, um ihm ein in schwarzes Leder gebundenes Buch zu überreichen. "Das Logbuch der Voliris. Mein Tagebuch. Überreiche es dem Fürsten. Soll er entscheiden, was mit dem Wissen geschehen soll."


    Der Vorarbeiter nahm es entgegen. Die übrigen Arbeiter betraten nun das Luftschiff. Dort fanden sie die drei übrigen Überlebenden der Reise. Zu schwach, sich zu erheben, hockten sie auf ihren Posten. Ihre Körper waren nicht allein von der langen Reise im eisigen Wind gezeichnet, vom aufziehenden Aschesturm oder Erschöpfung. Sie trugen auch die Male des Zorns der Götter, die Zeichen des Verderbens auf der Haut, die eine Warnung für alle waren, den Gezeichneten fern zu bleiben und ihnen nicht zu helfen, so lange sie lebten. Mit Entsetzen in den Augen wichen die Vorarbeiter zurück und riefen die Mechaniker von der Voliris. Die Rampe wurde wieder hochgezogen.


    Die Voliris brannte lange. Auch nachdem der Auftriebskörper in einem Feuerball aufgegangen und vom Rumpf nur noch ein glimmendes Wrack übrig war, wagte niemand, die Flammen zu löschen. Dieses Feuer war das letzte Opfer, dass diese tapferen Männer für Drakenstein brachten. So ließ man die Voliris brennen, bis es nichts mehr gab, was das Feuer verzehren konnte, und das ausgebrannte Wrack für immer in die Tiefen des Abgrunds gestoßen wurde.