III - Das Buch der Befreiung

  • Das Buch der Befreiung

    Das dritte Buch der Asche, das man das Buch der Befreiung nennt, berichtet davon, wie die Thaldrax aus dem dunklen Taudis steigen und die Oberfläche von Asamura besiedeln. Es berichtet auch von den letzten Tagen der sterbenden Yaigh, doch im Kern ist dieses Buch ganz den Thaldrax gewidmet. Nicht alle von ihnen zieht es hinaus in die unbekannte Fremde, die an der Oberfläche wartet. Einige bleiben im Untergrund und begründen die erste und einzige bekannte Hochzivilisation des Taudis.


    Vom Tod der Götter


    Als die ersten Strahlen des neuen Morgens durch die Spalten des Taudis brachen, führte Nylaxor seine Leute durch die gewundenen Pfade des Labyrinths nach oben. Ihre Augen, an die Dunkelheit gewöhnt, brannten im grellen Licht, doch sie blickten unerschrocken auf die Überreste einer Zivilisation, die einst als unbesiegbar galt. Sie kamen an den sterbenden Städten der Yaigh vorbei, wo die einst prächtigen Bauten nun verfielen und die Luft von einem süßlichen Verwesungsgeruch erfüllt war.


    Der einstige Herrscher der Welt lag verlassen auf dem Boden seiner zerfallenden Stadt, sein Körper von Pilzen überzogen, die in den feuchten Ruinen gediehen. Nylaxor fiel auf, dass alle Leichen einzeln lagen. Die Yaigh waren allein und ohne Beistand gestorben. Die Frauen, die nur kurze Hornstacheln auf Kopf und Rücken besaßen, lagen da, als wären sie in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem es kein Erwachen gab. Die Spalten auf der Unterseite ihrer kurzen Schwänze, die einst das Leben hervorgebracht hatten, waren nun die Heimstätte für die Pilze, die daraus wuchsen und das Ende eines Zyklus verkündeten.


    Er fand einen Yaigh, in dem noch Leben war. Sein Körper hattejegliche Kraft verloren. Was unter dem grauen Pilzteppich noch sichtbar war, wirkte mager und krank. Die einst bunten Farben der schuppigen Haut waren verblasst. Die langen, biegsamen Hornstacheln, die über ihr Leben hinweg weitergewachsen waren, ragten wie verlassene Türme aus einer Landschaft des Verfalls heraus, umgeben von den Ranken der Pilze. Der muskulöse Schwanz lag schwer und kraftlos auf dem Boden, während die Pilze ihn umschlangen und langsam in ihre eigene Form übergingen.


    Entsetzt betrachteten die Thaldrax das, was von dem Mann noch übrig war. Man sah an den Kratzspuren auf seinem Körper, dass er versucht hatte, die Pilze abzukratzen, doch sie wuchsen offenbar immer wieder nach.


    Nylaxor betrachtete den todkranken Yaigh. "Sieh, wie die Mächtigen gefallen sind", murmelte er leise. "Einmal waren sie Götter in unseren Augen, unerreichbar in ihrer Pracht. Doch nun liegen sie im Staub, und die Natur holt sich zurück, was ihr gehört."


    Der Yaigh, dessen Augen trüb waren, blickte schwach zu Nylaxor auf. Seine Stimme war ein Hauch, der kaum die Luft bewegte. "Wir haben die Sterne berührt", flüsterte er.


    Nylaxor spürte ein tiefes Mitgefühl. Jeder Yaigh, den er gesehen hatte, war allein gestorben, doch diesem hier wollte er Beistand leisten, so gut er es vermochte. "Man ruft mich Nylaxor", sagte er. "Wie ruft man dich?" Er hockte sich zu ihm.


    "Nava", sagte der Yaigh mit schwacher Stimme.


    "Du sagst, ihr habt die Sterne berührt", sagte Nylaxor. Er wollte versuchen, mit dem Sterbenden über etwas zu sprechen, das ihm viel bedeutete. "Wie ist das zu verstehen? Sie schimmern unerreichbar hoch am Himmel."


    Navah seufzte. Er benötigte eine Weile, um Worte zu finden, die Nylaxor verstehen konnte. "So wie der Wind, der über die Hügel streicht und die Blätter zu fernen Ländern trägt, so haben die Yaigh gelernt, auf dem Atem des Kosmos zu reisen. Es gibt Sonnenwinde, die man sich zunutze machen kann. Unsere Sternenschiffe sind nicht wie die kleinen Holzkähne, die eure unterirdischen Flüsse hinabgleiten. Es sind gewaltige Maschinen, gewachsen aus dem Stoff des Lebens und genährt von der Essenz der Sterne. Die Sternenschiffe wiederum ernähren ihren Piloten, der die meiste Zeit schläft, denn die Reisen dauern oft viele Jahre."


    "Sterne sind Leuchtfeuer, die von unseren Ahnen entzündet worden", wandte Nylaxor ein. "Und das Alldunkel ist wie ein schwarzes Meer, auf dem die Toten sich verirren ohne die Lichter."


    "Nein, Unwissender", sagte der Yaigh matt. "Dort sind keine Toten. Wer tot ist bleibt dort, wo er stirbt, und seine Leiche verwest, das ist alles. Sterne sind auch keine Leuchtfeuer, sondern Feuerbälle, die tausendfach so groß sind wie Asamura. Jeder Stern ist das Herz einer Galaxie. Jede Galaxie ist ein Tanz der Welten, die sich im ewigen Reigen um das Licht drehen. Asamura ist eine Welt von vielen, die sich um den Stern Alvashek drehen. Alvashek, der uns Licht und Wärme schenkt, aber auch die Energie, mit der wir unsere Maschinen betreiben. Alvashek, unsere Sonne."


    "Und die anderen Welten?", fragte Nylaxor, der nicht wusste, was er von all dem halten sollte. Die meiste Zeit glaubte er, dass der Yaigh wirr sprach, den Verstand vernebelt vom nahenden Tod.


    "Jede Welt hat ihre eigenen Legenden, ihre eigenen Helden und Tragödien", erklärte Nava. "In den Tiefen der Galaxien gibt es Planeten der Eisstürme, der fliegenden Inseln und sich windender Wälder. Es gibt Zivilisationen, die vom Licht leben, und solche, die im Dunkel der ewigen Nacht verborgen sind. Asamura ist nur eine von unendlich vielen Welten im All. Sie ist so winzig und bedeutungslos, zu klein für die Größe der Yaigh. Unsere Wiege und unser Gefängnis - bis wir ein Sternenschiff betreten."


    "Aber wenn es so viele Welten gibt und so viele Geschichten, was ist dann unser Platz?"


    "Mein Platz ist da oben, um die Geheimnisse der Sterne zu ergründen, die Wege zwischen den Welten zu finden und all ihr Wissen zu sammeln, damit wir es für uns selbst nutzen können. Euer Platz war es, uns zu dabei zu helfen. Nun habt ihr keinen Platz mehr." Der Blick des Yaigh zeigte kein Gefühl, als er das sagte. Für ihn war es Fakt, dass die Thaldrax ohne ihre Herren verloren sein würden.


    Fragend hob Nylaxor eine Hand. "Warum bist du dann noch hier, Nava, verlassen in den Ruinen deiner Welt, während wir Thaldrax gesund vor dir stehen?" Seine Stimme war frei von Spott. Er versuchte lediglich, die Gedanken des sterbenden Yaigh zu begreifen, die für ihn merkwürdig klangen. "Warum hast du nicht das Heil in den Sternen gesucht, auf den Schiffen, die ihr so stolz durch das All gesteuert habt?"


    Der Yaigh antwortete mit einer Stimme, die schwach war, doch nun hörte man die Verachtung, die er für die Thaldrax empfand. "Du verstehst nichts, einfältiger Sklave. Solche Maschinen sind teuer und müssen im Verlauf vieler Jahre hergestellt und aufwändig gewartet werden. Je komplexer eine Maschine, umso weniger gibt es also von ihnen. Nicht jeder Yaigh hatte das Privileg, auf einem Sternenschiff zu fliehen. Nur die ruhmreichsten unter uns besaßen eins, und sie wählten sorgfältig aus, wen sie in die Unendlichkeit mitnehmen würden."


    Nylaxor betrachtete den sterbenden Yaigh voll Mitgefühl. "War denn niemand unter deinem Volk, dem du wichtig warst? Hat dich niemand gemocht, dass sie dich einfach zurückließen, obwohl sie wussten, dass es deinen Tod bedeutet?"


    Nava richtete sich mühsam auf, seine Augen funkelten schwach im fahlen Licht. "Wichtig? Gemocht? So reden nur Thaldrax. Wir kennen keine Zuneigung, zumindest nicht so, wie ihr sie versteht. Jeder von uns ist sich selbst der Nächste. Wir sind kaltblütig, nicht nur im Fleisch, sondern auch im Geist. Wir sind Yaigh!"


    "Und doch", fuhr Nylaxor fort, "musst du doch etwas empfunden haben, als sie ohne dich in die Sterne aufbrachen?"


    Ein kaltes Lächeln umspielte die Lippen des Yaigh. "Vielleicht eine Spur von Neid, dass ich nicht teilhaben konnte an ihrem Ruhm. Aber Liebe oder Freundschaft? Das sind Schwächen. Wir sind Wesen der Logik und der Effizienz. Gefühle sind für uns nur hinderlich. Sie stören, wir brauchen die meisten davon nicht und beschränken uns darum auf wenige."


    Nylaxor nickte langsam. "So kennst du selbst im Angesicht des Tode, nicht die Wärme einer Gemeinschaft. Es ist eine traurige Existenz, die ihr gewählt habt."


    Der Yaigh sah Nylaxor in die Augen. "Traurig? Nein. Es ist die Existenz, die wir kennen. Die Existenz der Yaigh."


    Nylaxor neigte sein Haupt leicht zur Seite, als er erwiderte: "Dann will ich versuchen, in deinen Begriffen zu sprechen, Nava. Hast du niemanden gefunden, der dich als würdig erachtete, gerettet zu werden?"


    Ein bitteres Lachen entwich den Lippen des Yaigh. Die spitzen Zähne in seinem Maul, die leicht nach innen geneigt waren, waren von einem feinen Pilzgeflecht umgeben, das sich zwischen ihnen hindurchschlängelte. "Wir Yaigh haben nie nach Würdigkeit gesucht, denn das würde bedeuten, jemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Wir suchen nach Macht, nach Überlegenheit! Und wenn es darum geht, sich selbst zu retten, ist jeder Yaigh sein eigener Gott. Niemand wollte mich retten, denn für sie war ich nicht mehr als ein weiterer Esser. Es ist eine Frage der Vorräte, des Platzes und des Treibstoffs, reine Mathematik. Und das ist doch richtig, oder nicht?"


    "Yaigh," sprach Nylaxor mit sanfter Stimme, "die Sterne scheinen für jeden und sind für alle Wesen da. Egal, ob sie Leuchtfeuer oder Feuerbälle sind. Dieser Verfall sieht aus, als würde er schon seit Jahren stattfinden. Warum hast du die Sterne also nicht schon vorher bereist und bist dann dort geblieben?"


    Der Yaigh hustete schwach, ein Geräusch wie das Knistern trockener Blätter. "Die Sterne", keuchte er, "waren für die Ruhmreichen, die Auserwählten. Ich ... ich war nie einer von ihnen. Mein Volk... wir bauten Schiffe, die das Alldunkel durchqueren konnten, und ich wäre so gern auf den Sonnenwinden gesegelt, um fremde Welten zu entdecken, aber ich ... ich wurde zurückgelassen wie ... wie ..."


    Nylaxor betrachtete den Yaigh, dessen Körper fast vollständig von den Pilzen übernommen war. "So endet also eure Geschichte, nicht mit einem heldenhaften Abgang, sondern mit dem langsamen Tod hier auf Asamura. Eure Schiffe mögen in den Sternen schweben, aber euer Vermächtnis wird hier verrotten. Auch wenn du es nicht aussprichst, weil dein Stolz es verbietet, glaube ich, dass du trauerst."


    Der Yaigh richtete sich ein letztes Mal auf, seine Stimme ein Hauch von Trotz: "Auch im Angesicht des Todes bleibt die Größe der Yaigh unbestritten. Wir haben die Sterne berührt. Und das wird keine Pilzkrankheit je ändern."


    Nylaxor tat es leid, dass er den Sterbenden verärgert hatte. Der Yaigh sprach bereitwillig mit ihm, obwohl unverkennbar war, dass er in seinen letzten Zügen lag. Vielleicht war er doch froh, nicht allein zu sein, auch wenn er es nicht zugab. So beschloss Nylaxor, ihm noch ein wenig länger Gesellschaft zu leisten. Es war alles, was er tun konnte.


    Nylaxor sah den Yaigh an, dessen Atem flacher wurde. "Ich frage mich, gab es nicht einen Wunsch, der tiefer lag als das Streben nach Ruhm? Etwas, das du mehr als alles andere ersehntest?"


    Dem Yaigh fielen immer wieder die Augen zu, doch nun öffnete er sie wieder. "Die Sterne", flüsterte er mit einer Stimme, die fast wie die eines Thaldrax klang. "Sie waren mein größter Wunsch. Zu reisen, zu entdecken ... zu leben. Aber mein Volk... wir sehen nicht das Individuum. Wir sehen nur das Ganze, und ich ... ich war nur ein bedeutungsloser Teil davon."


    Der Yaigh richtete sich auf, eine letzte Anstrengung, die seine Stimme mit einer seltsamen Dringlichkeit füllte. "Die Sterne rufen mich, doch ich kann ihnen nicht folgen. Ich bin gefangen in einem Körper, der versagt."


    Nylaxor kannte nicht die Vorstellungen, welche die Yaigh vom Jenseits hatten, ob sie überhaupt an irgendetwas glaubten. Es schien nicht so und darum wusste er keinen Trost. Aber er wollte auch nicht schweigen, da der Sterbende seine Gegenwart zu brauchen schien. "Selbst jetzt, in deinen letzten Momenten, kannst du die Reise antreten", sagte Nylaxor sanft. "Es ist nie zu spät, um zu träumen, Yaigh."


    Ein Schatten huschte über das Gesicht des Yaigh, nun unverkennbare Trauer. "Ein Traum ... das ist alles, was mir bleibt. Ich hätte die Weiten des Alls durchqueren können. Die Chance ist verstrichen. Nun bin ich hier, sterbend, ohne je die Sterne berührt zu haben."


    "Dein Volk mag dich vergessen haben, aber deine Wünsche, deine Träume, sie sind echt", sagte Nylaxor. "Vielleicht wirst du in einer anderen Welt wiedergeboren, wo du frei sein kannst, die Sterne zu bereisen."


    Der Yaigh schloss seine Augen und ein leises Säuseln entwich seinen Lippen – das Echo eines Lachens, das nie gelebt hatte. "Vielleicht ... in einer anderen Welt."


    Mit diesen Worten sank der Yaigh zurück in sein Bett aus grauen Pilzen. Traurig sah Nylaxor zu, wie die Atemzüge des Yaigh schwächer wurden. "Ruh nun, Yaigh, denn dein Kampf ist vorüber." Der Sterbende reagierte nicht mehr. So erhob sich Nylaxor und wandte sich ab, den sterbenden Yaigh seinem Schicksal überlassend. Er konnten ihm nicht helfen und manche seiner Gefolgsleute brachten ihre Sorge zum Ausdruck, selbst von dem Pilz befallen zu werden, wenn sie länger hier verweilten.


    So zogen sie weiter und ließen die sterbende Stadt hinter sich. Die Ära der Yaigh war unverkennbar vorüber. Was auch immer noch geschehen mochte, sie würden sich nicht wieder erholen. Nylaxor war bewusst, dass nun die Zeit der Thaldrax gekommen war, aus dem Schatten zu treten und ihre eigene Geschichte zu schreiben – eine Geschichte, die nicht von Unterdrückung, sondern von Freiheit und Hoffnung erzählen würde.


    Sie erreichten die Berge und Nylaxor blickte noch einmal hinab zu den sterbenden Städten. "Seht," sprach er mit einer Stimme, die so tief und resonant war wie die Höhlen, die sie verlassen hatten, "die Götter, die wir so lange fürchteten, sind nicht mehr. Ihre Macht hat nachgelassen, ihre Städte fallen. Wir können ihnen nicht helfen und niemand ihres eigenen Volkes wird ihnen zu Hilfe kommen. So wollen wir niemals enden!"


    Die Thaldrax scharten sich um ihn, ihre Gesichter von Ehrfurcht gezeichnet vor dem, was auf der Oberfläche geschah. Einige verspürten auch Mitleid. Sie hatten nicht erwartet, dass ihre einstigen Herren so enden würden – hilflos und verlassen. Doch Nylaxor wusste, dass dies der Lauf der Welt war; nichts war ewig, und selbst die Götter konnten fallen.


    "Lasst uns nicht in Trauer verweilen," fuhr Nylaxor fort, "denn dies ist der Beginn unserer Ära. Wir werden aus den Schatten treten und Asamura mit Leben füllen. Wir werden selbst lernen, Städte zu bauen und über uns hinauszuwachsen. Und eines Tages werden wir vielleicht selbst zu Legenden werden, an die man sich in Ehrfurcht erinnert."


    Mit diesen Worten führte Nylaxor die Thaldrax hinaus in die Freiheit. Sie traten in eine Welt, die sich veränderte, eine Welt, die nun ihnen gehörte. Und während Alvashek hoch oben am Himmel strahlte, begannen die Thaldrax, ihre eigene Geschichte zu schreiben.


    Vom Feuer, das tötet und heilt


    Nicht alle Thaldrax dachten in diesen Tagen wie Nylaxor. In den frühen Morgenstunden, als der Pilzgeruch schwer in der Luft hing, schritt Tharion ein junger Thaldrax, heimlich durch die verfallenden Straßen der Yaigh-Stadt. Angewidert und ängstlich betrachtete er die faulenden Strukturen, die einst Zeugnis einer blühenden Zivilisation waren. Nun bildeten sie den Nährboden für den tödlichen Pilzbefall, der sich unaufhaltsam ausbreitete.


    Tharion war in der Kunst des Feuermachens bewandert. Mit trockenem Reisig in der Hand und schwerem Holz auf dem Rücken näherte sich er sich dem Zentrum der Stadt. Ohne zu zögern legte er ein Feuer. Anfangs musste er beständig neues Holz heranschaffen, denn die Gebäude waren von der Fäulnis weich und feucht. Doch irgendwann loderten die Flammen hoch und heiß genug, um die Wände auszutrocknen. Die Flammen fraßen sich durch das organische Material, und bald stand die ganze Stadt in Brand. Dunkler Qualm stieg auf, stinkend und quellend, ein düsteres Zeichen am Morgenhimmel von Asamura.


    Nylaxor Lichtfinder, der den Rauch von seinem Lager aus sah, eilte herbei. Bald fand er Tharion, der beobachtete, wie die Flammen ihr Werk verrichteten. "Was hast du getan?", rief Nylaxor entsetzt. "Es gab noch lebende Yaigh darin! Nun müssen sie lebendig verbrennen!"


    Tharion drehte sich um, sein Gesicht ungerührt von der Hitze des Feuers. "Ich habe getan, was notwendig war. Der Pilzbefall hätte sich ausgebreitet. Ich dachte, die Oberfläche soll unsere neue Heimat werden? Auch uns hätten die Pilze bedroht. Die Yaigh waren ohnehin todgeweiht und was ist der Einzelne schon gegenüber einer ganzen Gemeinschaft? Ich habe das für uns getan."


    "Du redest wie ein Yaigh. Das ist nicht unser Weg!", entgegnete Nylaxor heftig. "Jedes Leben ist wertvoll. Wir sind nicht wie die Yaigh, die Einzelne im Namen des großen Ganzen opfern!"


    "Und doch", erwiderte Tharion, "habe ich gerade bewiesen, dass wir genau so kaltblütig sein können. Sie waren die Herren dieser Welt und sollten unsere Lehrmeister sein. Das hier ist nicht der Taudis, die Oberfläche ist voller Gefahren. Wir müssen künftig hart sein, um zu überleben. Das ist die Realität."


    "Die Realität ist, dass du ein Mörder bist", rief Nylaxor aufgebracht.


    Die beiden standen sich gegenüber, während die Stadt zu Asche wurde. Es war ein Moment, der die Seele der Thaldrax spaltete. Nylaxor wandte sich ab, Trauer und Enttäuschung in seinem Herzen.


    Tharion Flammenzunge


    An diesem Tag kehrte im Lager Thaldrax keine Ruhe ein. Tharion wollte den Vorwurf, ein Mörder zu sein, nicht auf sich sitzen lassen. Er sah sich nicht als Mörder, sondern als Beschützer. Er rief seine Freunde zusammen und legte ihnen dar, dass er richtig gehandelt hatte.


    "Brüder und Schwestern", sprach Tharion mit fester Stimme, "wir haben heute gesehen, was geschieht, wenn man sich der Vergangenheit hingibt. Wir müssen vorwärtsblicken, um zu überleben. Manchmal heißt das, Wege zu beschreiten, die noch keiner vor einem gegangen ist. Vor uns liegt eine neue Welt. Kommt mit mir, und wir werden einen neuen Anfang suchen, fern von der Bürde unserer Traditionen. Einen Anfang, der unser Überleben sichert."


    Unter den Thaldrax fand er Gehör bei denen, die die Notwendigkeit der Stärke erkannten. Sie versammelten sich um ihn, eine kleine Schar, entschlossen und unerschrocken. Mit Blick nach Nordosten, wo die Berge von Asamura sich erhoben und das Meer, an dessen Ufer die Städte der Yaigh lagen, nur ein ferner Traum sein würde, rachen sie auf.


    Tharion wusste, dass sein Weg umstritten war, doch glaubte er fest daran, dass nur durch solche Opfer ihre Art überdauern konnte. Und auch, wenn die Yaigh nun ausstarben, hatten sie zuvor Jahrtausende in Ruhm und Reichtum gelebt und waren mit ihren Schiffen hinauf zu den Sternen geflogen. Das sprach in den Augen von Tharion dafür, dass sie keineswegs alles falsch gemacht haben konnten.


    Sie zogen durch Täler und über Hügel, immer weiter nach Nordosten, getrieben von der Vision einer neuen Heimat, in der sie nach ihren eigenen Regeln leben konnten. Tharion träumte von einer Gesellschaft der Starken, die nicht vor harten Entscheidungen zurückschrecken würden. Nach einer Reise, die viele Monde dauerte, gelangten sie erneut an ein

    Meer. Da verstand Tharion, dass sie das Ende ihres Weges erreicht hatten. Sie wichen wieder ein Stück vom Ufer zurück und ließen sich dann nieder. Hier, unter dem wachsamen Blick der Gipfel, begannen sie, ihre erste Siedlung zu errichten. Sie nannten sie Gorathul, was in der alten Sprache der Thaldrax "Festung des Willens" bedeutet. Im Laufe der folgenden Zeit fanden die Späher heraus, dass sie sich auf einem Subkontinent befanden und nannten ihn Durthak.


    Die Gesellschaft, die sich in Gorathul entwickelte, war geprägt von den Prinzipien Tharions: Stärke, Entschlossenheit und das Wohl der Gemeinschaft über das des Einzelnen. Auch das Streben nach Ruhm, das Tharion von den Yaigh übernahm, wurde fester Teil des Lebens. Die Thaldrax arbeiteten hart und lebten hauptsächlich von der Jagd. Ihre Gesellschaft war streng und hierarchisch, und diejenigen, die am stärksten waren, führten die anderen. Mit der Zeit wurden die Rituale und Traditionen der Thaldrax härter, und ihre Krieger wurden gefürchtet für ihre Unnachgiebigkeit und ihren Kampfgeist. Die Kinder, die in Gorathul aufwuchsen, kannten nur die Pflicht und das Streben nach Ruhm, und ihre Spiele imitierten die Kämpfe der Alten. Sie waren das Ergebnis der neuen Welt, die Tharion geschaffen hatte, eine Welt, in der die Stärke alles war und das Herz oft schweigen musste.


    Von Avinar


    Nylaxor ließ sich nicht weit von den alten Städten der Yaigh mit seinen Getreuen in einem jungen Wald nieder, den sie Avinar nannten. Der Landstrich war reich an alten Bäumen und durchzogen von klaren Bächen, wo das Leben in Fülle pulsierte und die Luft erfüllt war vom Gesang der Vögel. Die Thaldrax bauten ihre Häuser aus Holz, doch für jeden gefällten Baum pflanzten sie zwei neue. Sie jagten nicht für Trophäen, wie ihre Verwandten im Nordosten es sich angewöhnten, sondern nur, um zu überleben, und dankten jedem Tier, das sein Leben gab. Ihre Gesellschaft war eine der Gleichheit und des Mitgefühls, wo jeder Einzelne zählte und wichtig war.


    Unter Nylaxors Führung entwickelten die Thaldrax eine tiefe Verbindung zur Natur von Avinar. Sie lernten, die Sprache der Bäume zu verstehen und die Melodien des Windes zu interpretieren. Ihre Künstler schufen Werke, die die Schönheit ihrer Umgebung widerspiegelten, und ihre Weisen meditierten unter den Sternen, um die Geheimnisse des Universums zu ergründen.


    Doch viele Getreue waren Nylaxor nicht geblieben für sein nobles Werk, denn Tharion war nicht der Einzige, der einen Teil der Thaldrax mit sich nahm.



    Kharas


    In den Tagen, da die Flammen Tharions Zorn in den Straßen der Yaigh-Stadt wüteten und der Rauch wie ein dunkles Omen in den Himmel Asamuras stieg, wandelte Kharas, der von Forschergeist beseelte Thaldrax, unter den brennenden Überresten. Sein Herz war erfüllt von Zorn über Tharion, der das Feuer entfacht hatte, und von Unverständnis für Nylaxor, der ohne einen Blick zurück weiterzog und das Wissen der Yaigh dem Vergessen preisgab.


    Kharas, dessen Geist stets nach Erkenntnis dürstete, konnte nicht zulassen, dass die Geheimnisse der Yaigh in den Flammen verloren gingen. So sammelte er eilig Medikamente und kleine biotechnologische Geräte, die Wunderwerke einer untergehenden Ära, und barg sie vor dem sicheren Untergang. Seine Hände, geschickt und behutsam, griffen nach den Relikten der Yaigh, während um ihn herum die Stadt in Asche sank.


    Er fluchte leise bei dem Gedanken an Tharion, dessen Tat er als Verrat an der Zukunft empfand. Wie konnte man so blind sein und das Erbe der Yaigh zerstören, das, wenn auch von Feinden geschaffen, doch unschätzbaren Wert barg? Und Nylaxor, der Weise, der Gütige, wie konnte er fortziehen und all das Wissen, das in den Flammen verging, ignorieren?


    Kharas verstand nicht, wie man so gleichgültig gegenüber dem Verlust von Wissen sein konnte, das die Thaldrax über die Yaigh hinausheben könnte. Er sah in den Artefakten, die er rettete, einen Schlüssel zu neuer Macht und Weisheit, einen Weg, die Fehler der Vergangenheit zu meiden und eine bessere Zukunft zu gestalten. Er schwor, das Wissen der Yaigh zu bewahren und zu erforschen, auf dass es eines Tages dem Volk der Thaldrax nützen möge.


    Als er durch die lodernden Überreste der Yaigh-Stadt eilte, fand er den sterbenden Yaigh Nava, den Nylaxor Lichtfinder zurückgelassen hatte. Der Yaigh lag verlassen am Rande des Taudis, sein Atem flach und unregelmäßig, während die Flammen unaufhaltsam näher krochen.


    Kharas zögerte, denn der Anblick des von Pilzen befallenen Körpers war kein leichter, doch sein Wissensdurst war stärker. Er hob den schwachen Körper des Yaigh auf seine Schultern. Die Hitze des Feuers war erdrückend, und der Rauch nahm ihm fast den Atem. Karion wusste, dass jede Sekunde zählte, und so kämpfte er sich seinen Weg durch die brennende Stadt, getrieben von der Notwendigkeit, das Leben und das Wissen zu retten. Die Flammen züngelten gierig an den Gebäuden entlang, als wollten sie das Vermächtnis der Yaigh für immer auslöschen. Kharas spürte die Hitze auf seiner Haut, das Knistern des Feuer. Doch er ließ sich nicht aufhalten. Mit jedem Schritt, den er tat, wuchs die Gefahr, dass das Feuer sie beide verschlingen würde.


    Schließlich erreichte er die Sicherheit des Taudis, jenes großen Höhlenlabyrinths, das einst den Thaldrax Schutz geboten hatte. Im kühlen Dunkel legte er den Yaigh behutsam nieder, fernab der verzehrenden Flammen. Und während die Stadt der Yaigh in Asche sank, begann im Taudis eine neue Geschichte.