Söldnerschwein (Baxis NaNoWriMo 2025)

  • Klappentext

    Mein Leben waren die Eisenfalken. Der Tod war mein ständiger Begleiter. Doch wer ein Krieger werden will, sucht keinen ruhigen Alltag. Die Söldner hatten mir Gemeinschaft geschenkt und eine Heimat. Zehn lange Jahre kämpften wir Schulter an Schulter, siegten und feierten, verloren und fraßen Dreck. Nichts hätte meinen Willen brechen können. Doch als ich gegen die Raubritter kämpfen soll, die einst meine Freunde gewesen waren, gerät meine neue Welt ins Wanken. War das der Traum des jungen Halborks, der in den Bruthöhlen vom Kriegerleben geträumt hatte? Da kommt ein Sonderauftrag gerade Recht, auch wenn er mich ins Stammesgebiet meiner alten Orkrotte führt. Ich soll die Lage eines vorzeitlichen Relikts kartieren, das den Krieg entscheiden könnte. Doch damit fangen die Probleme erst richtig an.

  • An der Front

    Trupp zwei holte mich vom Treffpunkt ab, um mich zu unserem Posten zu führen. Das hier war Kriegsgebiet. Noch vor Sonnenaufgang brachen wir zu den feindlichen Stellungen auf. Gefrorene Erde knisterte unter unseren Stiefeln. Die Wagenspur, der wir folgten, zog sich als dunkles Band durch die vereisten Wiesen von Alkena. Immer wieder kreuzten andere Wagenspuren unseren Pfad. Die Wilden Wiesen, wie man die Region auch nannte, waren zerfurcht von den breiten Rädern der Karren, welche Eisen und Verpflegung durch die Wildnis zu den Truppen brachten. Der Wind pfiff in meinen Ohren. Es gab keine Bäume, die ihn aufhielten, nur gelbes Gras und dürres Gestrüpp.

    Auf dem Rücken trug ich über Kreuz meine beiden Kurzschwerter, ein zerlumpter Wollschal schützte Nase und Mund vor der beißenden Kälte.

    Wenn man Alkena nach Norden durchquerte, gelangte man in das Hochland von Shakorz, wo die Rotten der Orks lebten. Dort war ich aufgewachsen und sah keinen Grund, jemals wieder zurückzukehren. Im Süden von uns lag das Königreich Almanien mit seiner strengen Ständegesellschaft und uralten Traditionen. Dort war ich noch nie gewesen. Im Westen von uns herrschte die Freie Republik Naridien, ein Quell fließenden Geldes für jeden Händler und grausam für den einfachen Arbeiter. Ich selbst hatte in meiner Jugend vergeblich versucht, es in diesem Land zu etwas zu bringen. Im Osten aber gab es nur Wildnis, endlose Wiesen, an denen der Wind riss, Hügel mit schroffen Felskronen, und nach vielen Tagesreichen würde man das Meer erreichen. Alkena war eine Pufferzone zwischen rivalisierenden Menschenreichen und den Orks, in der sich Gesocks aus allen möglichen Kulturkreisen herumtrieb, unbehelligt vom Arm des Gesetzes. Um das wachsende Übel einzudämmen, waren die Eisenfalken hier.

    Ich drehte den Kopf, weil ich unter meinen Füßen etwas gespürt hatte, reckte den Hals, witterte und lauschte. «He, Cherax! Hier ist etwas Großes in der Nähe.»

    Der Troll schüttelte den Kopf: «Egal, lass dich nicht ablenken. Wir haben die Informationen unserer Späher und denen folgen wir jetzt. Gefahr lauert sowieso überall, wir sind nahe der Front.»

    Nubaru, der hinter mir ging, mischte sich ein. «Aber wenn du einen Greifvogel siehst – ab in die Büsche, greif einen Stein oder die nächste Armbrust und schieß ihn runter! Und achte immer auf deine Füße!» Er war der Anführer von Trupp zwei, ein kleiner stämmiger Naridier aus einer zivilen Familie, den die Armee ausgemustert hatte und der nun versuchte, als Söldner die Schulden seines Vaters abzuarbeiten. Ich mochte Nubaru, er war in Ordnung. Sein Kampfname auf Uncàri bedeutete Weide. Es war auch die Sprache, in der wir uns unterhielten, weil die meisten Söldner Menschen waren, Naridier oder Almanen, und sogar einen Rakshaner gab es in unserer Kompanie. Die jahrhundertealten Konflikte ihrer Länder besaßen für diese Männer keine Bedeutung. Heute und hier waren wir alle Eisenfalken.

    Weiter ging es durch die Kälte. Während Cherax unerschütterliche Gelassenheit ausstrahlte, wurde Nubaru nicht müde, uns an jede einzelne mögliche Gefahr während des Marsches zu erinnern. Ich hörte ihm gut zu. Nach zehn Jahren, die ich nun schon bei den Eisenfalken diente, waren Kriegshandlungen wie diese immer noch ein schwer berechenbarer Tanz mit dem Tod. Schwert, Technik und Magie ergaben eine schwierige Mischung. Falscher Stolz wäre hier fehl am Platz. Dieser Krieg spielte sich nicht nur auf dem Schlachtfeld ab, Mann gegen Mann, sondern verwandelte Alkena in eine riesige Falle – und den Himmel in ein Netz aus magischen Augen.

    Wir gingen zügig, aber setzten unsere Schritte mit Bedacht. Überall konnten Stolperseile lauern, im guten Fall eine Schlinge, die einen von den Beinen riss, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte, im schlechten Fall eine alchemistische Sprengfalle, die einen zerfetzte. Wenn man den braunen Spuren der Karren folgte, die viel schwerer waren als ein Söldner, standen die Chancen besser, dass man nichts auslöste.

    Ich blinzelte gegen das Licht, als ich den Horizont betrachtete. Mir gefielen die Erschütterungen im Erdreich nicht. Der Winterhimmel erstrahlte in klarem Blau, der Wind riss an den trockenen Halmen. Dort, wo das zähe Hochlandgras dichte Teppiche bildete, lagen Inseln von Schnee. Das offene Land bot gute Sicht, doch die drohende Ahnung von feindlichen Stellungen, deren Rauch in der Winterluft gut zu riechen war, zwang uns zur Eile. Auch wenn man niemanden sah, waren die Gegner in der Nähe.

    Unser Ziel war ein Unterschlupf bei Djalom, einem naridischen Grenzdorf, das unter die Kontrolle wilder Banden gefallen war. Das Vorgehen der Banditen war äußerst effektiv, denn sie wurden von Raubrittern angeführt, die im Naridischen Befreiungskrieg den Kürzeren gezogen hatten. Ritter, die seit ihrer Kindheit in der Kunst des Krieges geschult worden waren.

    Gegen Mittag erreichten wir einen Unterstand, halb in die Erde gegraben. Er war so groß, dass man Ochsenkarren hineinfahren lassen konnte, um sie ungestört zu entladen. Die Rampe war breit genug dafür und mit Holzplanken befestigt. Ein Mix von Gerüchen kroch in meine empfindliche Nase: Schweiß, ungewaschenes Haar, geöltes Eisen, aber auch Gemüseeintopf und Schlamm. Ich konnte nicht sagen, welches von beiden den fauligen Geruch absonderte, der meine Nase quälte.

    «Ihr könnt das Gepäck ablegen», meinte Nubaru und machte eine Handbewegung in eine halbwegs freie Ecke.

    Der begrenzte Platz des Unterstandes war weitestgehend verstopft. Einige Männer der Radhora machten hier Rast und einige von uns. Die der Radhora waren besser ausgerüstet und einheitlich gekleidet, mit rot-schwarzen Armbinden, den Farben der Republik. Das Hämmern von Werkzeugen hallte durch den höhlenartigen Raum. Jurland, unser Schmied, reparierte hier Karren, Rüstungen und Werkzeuge. In einer Ecke wurden neue Bogensehnen gedreht, Pfeilschäfte mit vergifteten Spitzen versehen, die bei einem Treffer ein ohrenbetäubendes Brüllen des Opfers verursachten. Und es wurden Pfeile für die Vogeljagd gefertigt, leicht und schlank.

    Dankbar legte ich meinen Rucksack in die angewiesene Ecke. «Machen wir Rast?», fragte ich und stemmte die Hände in die Hüfte. Nach dem langen Marsch mit dem schweren Gepäck schmerzten mir die Schultern und Füße.

    Nubaru schüttelte den Kopf. «Jetzt nicht. Wir bereiten uns auf den Einsatz vor.» Er zog die Gurte seiner Panzerung fest. «Macht es euch nicht zu bequem und haltet eure Ausrüstung bereit. Das Gepäck kann hierbleiben. Es muss dann schnell gehen, wenn der Befehl kommt. Was wir bisher erlebt haben, ist nichts dagegen. Das hier ist eine andere Art der Kriegsführung.»

    «Was ist daran so besonders?», wollte ich wissen.

    Der kleine Mann atmete gestresst durch. «Mehrere Raubritter haben sich mit ihrem Gefolge zu einer Streitmacht zusammengeschlossen, wir kennen ihre Zahl noch nicht. Aber es sind so viele, dass die Radhora an diesem Frontabschnitt nicht mehr allein mit ihnen fertig wird. Und sie haben mehr als einen Magier dabei.» Er grinste verschmitzt. «Geht besser noch einmal aufs Klo, damit ihr euch nicht in die Hosen machst.»

    «Aber Djalom ist doch nur ein dummes Dorf», wandte ich ein. «Weshalb soll das verteidigt werden? Weshalb greifen sie es überhaupt an?»

    Nubaru sah mich streng an. «Djalom ist nicht bloß ein dummes Dorf, sondern ein Teil des naridischen Staatsgebietes! Und in diesen Tagen ein Hornissennest.» Er klopfte mir auf die Schulter. «Sie sind gekommen, um zu plündern und danach zum nächsten Ort weiterzuziehen. In den letzten Monaten sind sie verdammt schnell nach Westen vorgedrungen, ein Grenzdorf nach dem anderen haben sie verwüstet. Das muss aufhören. Dafür sind wir nun hier.»

    Ich nickte und kümmerte mich um die Vorbereitung auf den Einsatz, während Nubaru sich zu den Offizieren der Rahdora gesellte. Vor der Kammer mit dem Donnerbalken standen Soldaten und Söldner Schlange, doch irgendwann war jeder an der Reihe. Nach vollbrachtem Werk bekam jeder eine Kelle dicken Gemüseeintopf in die Eisentasse, die immer jeder am Rucksack trug. Gemessen an den Umständen schmeckte die Mahlzeit gar nicht übel, es war doch der Schlamm gewesen, der so miefte. Der Eintopf war gut gesalzen und ich schmeckte allerlei Wiesenkräuter heraus, doch mir fehlte die Ruhe, um ihn zu genießen.

    Noch während wir löffelten, erklärte Cherax uns die Lage. «Wir wurden gerufen, um die Radhora an diesem Frontabschnitt zu unterstützen. Damit ihr alle im Bild seid, hier noch ein paar Worte für die Neuen unter uns.» Er nickte in Richtung von Rex. «Die Radhora ist die Republikanische Armee des Hohen Rates, die naridische Berufsarmee. Sie ist eigentlich für die Sicherheit der Grenzen zuständig.»

    «Weiß ich», brummte Rex. «Ich bin selber Naridier.» Rex wusste auch ansonsten immer alles, zumindest zeigte er bislang kein Interesse daran, sich von irgendwem etwas erklären oder beibringen zu lassen. Stattdessen neigte er dazu, seine Vorgesetzten zu korrigieren. Kurzum, er war ein wahrer Ausbilderschreck. Doch unser Kommandant hatte entschieden, dass dieser Bursche trotzdem Teil der Eisenfalken werden durfte, und damit hatten wir ihn an der Hacke.

    «Großartig, dann komme ich gleich zur Sache», fuhr Cherax fort. «Unsere Gegner verschanzen sich in den Häusern von Djalom. Vor ein paar Tagen noch sind ihre Reiter in Richtung Front vorbei gedonnert, gefolgt von Ochsenkarren. Jetzt sind es nur noch drei oder vier berittene Gruppen. Das ist das Werk der Eisenfalken. Wir sind an den Kampfhandlungen hier in mehreren Trupps beteiligt und ab heute gilt das auch für Trupp zwei. Das bequeme Leben im Hinterland ist ab sofort vorbei. Trupp eins hat die Reiter aufgehalten, bevor sie die anderen erreichen konnten, durch Nadelstiche und Aufklärungsarbeit, so dass die Radhora ihnen schließlich den Rest geben konnte. Aber ein paar sind immer noch übrig. Um die werden wir uns jetzt kümmern. Sie sind vorsichtig geworden und ihre Vögel kreisen unaufhörlich. Die Augen der Hexer. Also vergesst alle Tierliebe und schießt sie runter.»

    Ein langer Schrei unterbrach den Troll, wehmütig, klagend, der uns alle verstummen und lauschen ließ – der Warnruf eines Falken. Wahrscheinlich hatte er in diesem Moment unsere Stellung gefunden.

    «Na prima», motzte Rex.

    Nubaru jedoch zog entschlossen den Kinnriemen seines Helms fest. «So, Jungs. Es geht los.»

    Während wir uns kampfbereit machten, kam einer unserer Kundschafter und meldete, dass der feindliche Trupp, auf den wir warteten, nahe Kawoi gesichtet worden war – durch unseren eigenen Falken. Nicht mehr Djalom, sie waren während der Nacht noch weiter vorgedrungen!

    «Planänderung.» Nubaru eilte von Mann zu Mann, organisierte hier und da. Jundurg packte uns auf seine Anweisung hin eine Stolperfalle zusammen, eine Konstruktion aus Stricken und Speeren. «Sie löst auf fünfzehn Schritt aus und bringt drei Mann auf einmal zu Fall», erklärte Jundurg. «Kennst du dieses Modell, Serak?»

    Ich war der Fallenspezialist der Eisenfalken und nickte. «Klar. Aber warum jetzt plötzlich eine Falle? Wir sind doch für den Kampf gerufen worden. Dieses Modell hier ist sehr effektiv, aber braucht ziemlich lange, um es richtig zu platzieren und scharfzumachen. Haben wir dafür überhaupt Zeit?»

    «Wir werden sie uns verschaffen», sagte Cherax. «Es ist alles mit Garlyn abgesprochen. Nubaru weiß, was er tut.» Er wies auf den Kundschafter mit der Kapuze. «Das ist Korma, unser neuer Hexer. Er hilft uns, indem er die Landschaft da draußen durch die Augen seines Falken betrachtet, während er hier drin hockt – sicher vor feindlichen Vögeln. Wir schlagen den Feind mit seinen eigenen Waffen. Mit Kormas Hilfe werden wir die Falle an der besten Stelle platzieren. Das ist deine Aufgabe. Und nimm Rex mit!»

    Das Paket war ein Gewirr aus Speeren und Stricken, doch mit Fallen kannte ich mich gut aus und würde die Aufgabe erfüllen. Rex würde das nervtötende Steinchen in meinem Schuh sein, aber Befehl war Befehl.

    Komar, unser neuer Hexer, trug unter der Kapuze eine Binde über seinen Augen. «Wenn ihr nach draußen geht, folgt der Wagenspur nach Norden», erklärte er, ohne den Kopf in unsere Richtung zu drehen. «Folgt ihr, bis ihr zu einer Stelle kommt, wo wie mit anderen Wagenspuren kreuzt. Sie führen nach Westen, hin zum heißen Frontverlauf. Die meisten Krieger vertrauen den Wagenspuren, weil sie darauf hinweisen, dass dort zuvor keine Falle war. Die verbliebenen Gegner in Kawoi werden bald Verstärkung erhalten, es ist ein Trupp von Osten aus zu ihnen unterwegs. Dieser Trupp ist euer Ziel. Vergrabt die Falle so, dass die Wagenspuren nicht beschädigt werden, damit der Trupp keinen Verdacht schöpft.»

    Ich warf Nubaru einen Blick zu, der nickte und mit der Hand in Richtung Ausgang wies. «Wenn ihr die Falle scharfgemacht habt, Serak, geht in Deckung und wartet auf uns. Bis später.» Ich sah ihm an, dass es ihm schwerfiel, nicht noch mehr Ratschläge zu geben. Nun musste er zwei seiner Jungs allein nach da draußen ziehen lassen, ohne ständig auf sie aufpassen zu können.

    Armer sensibler Nubaru. Um es ihm leichter zu machen, grinste ich, während ich salutierte. «Verstanden. Bis später.»

    Dann ging ich zügig die Rampe hoch. Rex kam mir hinterher. Wir blickten uns nicht lange um, sondern warfen nur einen kurzen Blick hinauf in den Himmel, ehe wir in leichtem Trab der besagten Wagenspur folgten.

  • Die Falle

    Wir erreichten die Stelle, wo die Wagenspuren sich kreuzten. Der Boden war oberflächlich gefroren und darunter weich. Ich zeigte Rex, wie ich mit dem Spaten Schollen von der Oberfläche hob, damit wir sie später wieder an Ort und Stelle legen konnten. Darunter hub ich eine Fallgrube aus, knietief. Sie sollte den Gegner nicht töten, sondern dafür sorgen, dass er durch das Einbrechen an den vergrabenen Stricken zog. Dadurch würde er die Falle auslösen. So war sie beinahe unsichtbar, in jedem Fall besser getarnt als mit einem quer über den Weg gespannten Stolperdraht. In diesem Augenblick würden die drei Speere, die ich seitlich des Weges vergrub, aus ihren Erdschächten herausgeschleudert werden. Es war eine komplexe Falle, die lange Vorarbeit und Präzision erforderte, aber das war mein Spezialgebiet. Sie würde funktionieren.

    Rex beobachtete, wie ich die vorbereitete Falle scharfmachte. «Kriegst du so ein Gefummel mit deinen Orkpranken überhaupt hin?» Er war nicht jünger als ich, wahrscheinlich sogar älter, dem Zustand seiner Zähne nach zu urteilen. Das Bastardschwert an seiner Seite war gut gepflegt, aber wirkte gebraucht. Wahrscheinlich hatte er es schon so gekauft. Woher er kam und warum er hier war, wusste ich nicht. Weil er aus seiner Abneigung mir gegenüber keinen Hehl machte, sprachen wir nur über Dienstliches. Ich vermutete, er war ein Totalversager, der bisher nichts auf die Reihe bekommen hatte und nun glaubte, als Söldner gutes Geld zu verdienen. Nun, er kannte Garlyn Meqdarhan anscheinend nicht gut genug.

    «Es geht nicht bloß um die Hände», knurrte ich, «sondern um einen klaren Kopf. Weil in deinem bloß Münzen herumklimpern, würdest du das hier auch nicht besser können.» Eigentlich hatte ich nichts gegen Naridier oder gegen einen guten Geschäftssinn einzuwenden. Ich hatte genau so viele nette Naridier erlebt wie dämliche Naridier, genau so viele nette Almanen wie dämliche Almanen. Trotzdem musste ich mich ja irgendwie für seine dummen Kommentare revanchieren. Das einzige, was ich noch nie erlebt hatte, waren nette Orks.

    «Geht das nicht schneller?» Rex schaute besorgt in den Himmel. «In Shakorz gräbt man Löcher bloß für die Toten, was?»

    «Besser als eure naridischen Massengräber», knurrte ich. «Statt Gruben auszuheben, habt ihr nach dem Bürgerkrieg einfach karrenweise Steine auf die Toten gekippt.»

    «Das war bewusst so», ereiferte Rex sich. «Erdbestattung ist für jene, die vergessen werden sollen. Hügelgräber sind für Helden!»

    «Dann ist ja alles bestens, weil du dir über deinen künftigen Steinverbrauch keine Sorgen zu machen brauchst. Jetzt geh zur Seite, ich muss hier ran. Vergiss nicht, ab jetzt einen Bogen um die Karrenspuren zu machen.»

    Die Grube war fertig, die unterirdischen Schnüre gespannt. Rex trat beiseite. Vorsichtig legte ich die Erdschollen über mein Werk.

    Ein ausgestreckter Finger schoss an meinem Kopf vorbei und erschreckte mich fast zu Tode. «Dort sieht man, dass die Erde frisch ist.»

    «Meine Güte! Halt die Klappe, uns fehlt die Zeit. Wir müssen in Deckung!»

    «Man sieht aber, dass dort eine Falle ist!», beharrte Rex. «So hättest du dir die ganze Arbeit auch sparen können.»

    So sehr es mich ärgerte, aber er hatte Recht. Ich wischte ein paar Mal mit den Fingern über die kritisierte Stelle und krümelte noch eine Hand voll lose Erde und trockenes Gras darüber, damit wir endlich auf unseren Beobachtungsposten gehen konnten.

    Es handelte sich um einen Unterstand in der Nähe der Falle, viel kleiner als der, in dem die Karren verladen wurden, und ohne verräterische Wagenspuren davor. Dieses Versteck war dem Gegner, so weit ich wusste, noch unbekannt. Wir hockten eine Weile schweigend im Dunkeln und warteten auf unseren Trupp. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich miteinander zu unterhalten, aber ich verspürte keinen Bedarf. Blöd schien er nicht zu sein, er hatte einen guten Blick für die Falle bewiesen, aber sein Gemeinschaftssinn war eine Katastrophe. Ob er vorher bei einer anderen Söldnerkompanie gedient hatte, die ihn deswegen rausgeschmissen hatte?

    Ich wagte einen Blick nach draußen und gab ihm einen Wink, mir den Rücken zu decken. Der Eingang des Unterstands wurde von einem Hügel verdeckt. Durch das trockene Gras, das darauf wuchs, konnte man aus dem Verborgenen heraus die Kreuzung im Auge behalten, so lange man den Himmel nicht vergaß. Als wir in den nächsten Stunden nach draußen gingen, dann stets zu zweit: Einer beobachtete den Boden, einer den Himmel, dann gingen wir wieder in Deckung. Wenigstens die Zusammenarbeit funktionierte.

    «Deine Schwerter sehen hochwertig aus», stellte Rex irgendwann fest.

    «Das sind sie. Sie gehören mir persönlich, ich habe sie nicht von den Eisenfalken gestellt bekommen.»

    «Weißt du, was so ein Schwert kostet?», fragte Rex und ich glaubte, einen lauernden Unterton zu vernehmen.

    Ich grinste spöttisch. «Zu viel jemanden, der unter Garlyn Meqdarhan dient.»

    «Eben, das ist keine Söldnerware! Diese Waffen wären eines Ritters würdig. Und du hast gleich zwei davon.»

    «Und du nicht, was? Aber so ist es. Und ich habe nicht einmal etwas dafür bezahlt.»

    «Ah, verstehe», sagte Rex gedehnt. «Beutegut, was? Aber musst du so einen wertvollen Fund nicht bei unserem Kommandanten abrechnen? Ist er nicht derjenige, der alle Beute einkassiert und dann verteilt?»

    «So ist es. Zumindest, wenn er von der Beute weiß.» Ich zwinkerte Rex zu. «Aber du brauchst nicht zu petzen. Ich besaß die Schwerter schon, bevor es mich zu den Eisenfalken verschlagen hat. Sie waren mein Lohn für Jahre treuer Dienste unter einem naridischen Rittersmann.»

    «Wie bitte? Du bist ein Ork!»

    «Halbork. Und mein Ritter war wohl sehr zufrieden. Aber was ist mit dir? Das Bastardschwert an deinem Gürtel stammt doch auch nicht aus unserem Arsenal. Es würde vielleicht nicht so viel Geld einbringen wie meine beiden Schätzchen, aber ich habe gesehen, dass in die Klinge ein Name eingraviert ist. Nur wenigen Schwertern wird diese Ehre zuteil, und ganz sicher nicht irgendwelcher Massenware.»

    «Du siehst viel», sagte Rex langsam. Es klang mehr wie eine Anschuldigung als wie ein Lob. Nein, er mochte mich immer noch nicht, auch wenn wir uns gerade unterhielten. «Dieses Schwert ist ein Erbstück meines Großvaters, der im Bürgerkrieg gefallen ist. Ja, auch er ruht unter einem Hügelgrab. Ihm wurde der Orden ‚Held der Republik‘ verliehen. Dieses Schwert hat dazu beigetragen, den verdammten Adel aus den Palästen zu jagen.» Er blickte auf das Bastardschwert, das in der Scheide an seiner linken Hüfte ruhte. «Das Blut von Naridiern klebt an dieser Klinge. Doch das macht es nicht zu einer schlechten Waffe. Die Raubritter, gegen die wir entsandt wurden, haben seine Schärfe genau so verdient wie ihre verräterischen Vorfahren. Als mein Großvater damals in Erfüllung seiner Pflicht starb, wurde dieses Schwert von einem Priester zum Heldenschwert geweiht. Und seither trägt es seinen Namen.»

    Ich kam nicht mehr dazu, nach dem Namen des Schwertes zu fragen, weil Nubaru mit dem Rest unseres Trupps durch den Eingang quoll. Götter, war das eng! Es wurde schlagartig heiß und stickig in dem kleinen Unterstand und jeder musste mit jedem kuscheln.

    «Bericht», keuchte Nubaru.

    Ich berichtete und ließ dabei netterweise einen guten Kommentar über Rex fallen. Ein Friedensangebot. Ob er es annahm, würde sich zeigen.

    «Wartet», rief Korma und alle verstummten. «Da kommt die Verstärkung für die Raubritter», murmelte er und senkte den Kopf mit den verbundenen Augen, als würde er lauschen. Doch in Wahrheit versank er tief in die Wahrnehmung seines Falken.

    «Ha», grunzte Cherax. «Wir sind gerade noch rechtzeitig gekommen.»

    «Still!», zischte Nubaru. Er legte eine Hand auf die Schulter des Hexers und die andere an meinen Oberarm, so dass auch ich das Bild empfing. Ich legte meine Hand auf Cherax und so weiter, bis wir alle mit den Augen des Falken sahen. Kurzzeitig wurde mir schwindelig von der horrenden Tiefe unter mir. Das Bild war erstaunlich klar.

    Zwölf Mann marschierten in einer Reihe, zwei davon waren Unteroffiziere. Sie machten den Fehler, ganz vorn zu gehen. Ich hielt den Atem an, als sie sich der Kreuzung näherten. Die letzten Schritte, dann knallten die entfesselten Speere durch Knochen und Fleisch. Die beiden Unteroffiziere und der dritte Mann der Reihe gingen schreiend zu Boden.

    Schlagartig endete die Übertragung, als Nubaru den Magier losließ.

    «Angriff!», rief Nubaru.

    Unser Trupp stürmte brüllend nach draußen. Im Rennen rissen wir die Waffen heraus. Ohne Anführer gerieten die Männer durcheinander und bekamen keine koordinierte Verteidigung hin. Am Himmel kreischte ein feindlicher Falke, bevor Cherax ihn mit einem Speerwurf vom Himmel holte. Der Vogel fiel wie ein Stein und der Trupp, den er schützen sollte, wurde unter unseren Klingen zu Aas. Wir zeigten keine Gnade und machten keine Gefangenen. Nach unserem Sieg plünderten wir die Toten und stachen sicherheitshalber bei jedem noch einmal zu. Um die Bestattung sollten sich ihre Banditenfreunde kümmern, wir waren hier fertig. Niemand wollte länger als nötig unter offenem Himmel verweilen.

    Vom Kampf noch aufgedreht und ob des Sieges bester Stimmung kehrten wir in den großen Unterstand zurück, wo ein neuer Wagen mit Nahrung und Material eingetroffen war. Endlich wieder so etwas wie ein Gefühl von Zuhause. Der Eintopf hatte nie so gut gerochen. Außerdem war ein anderer Trupp der Eisenfalken gerade angekommen unter der Führung von Doriq, einem Naridier. Er und seine Leute waren die letzten Tage unterwegs gewesen. Sie wirkten schmutzig und abgekämpft, aber er grinste.

    «Wo kommt ihr denn plötzlich her?», fragte der kleine Nubaru irritiert.

    «Kawoi.» Doriqs Grinsen wurde breiter und dann erzählte er.

    Doriq und seine Männer hatten sich mit den Raubrittern angelegt, während wir die erhoffte Verstärkung ausgeschaltet hatten. Nun lagen sowohl die Raubritter als auch ihre Verstärkung in den Wilden Wiesen und würden nicht mehr aufstehen. So sehr wir immer auf unseren Kommandanten schimpften, weil er nie pünktlich Sold auszahlte, so beeindruckend waren seine Talente, was das Organisieren von Aufträgen sowie das Austüfteln und Umsetzen von Schlachtplänen betraf. Die beiden Trupps hatten einander perfekt ergänzt, ohne dass wir das mitbekommen hatten, und er hatte für jede Aufgabe den richtigen Unteroffizier gewählt.

    «Ist Kawoi jetzt sauber?», wollte Nubaru wissen.

    Dariq schüttelte den Kopf. «Wir haben viele von ihnen in den Abgrund befördert und eins ihrer Depots in Brand gesteckt, das wird sie eine Weile beschäftigen. Aber da sind immer noch einige von ihren Drecksäcken.»

    Wir durften nun endlich Pause machen, setzten uns hin, aßen Eintopf, tranken und wer wollte, hielt im Sitzen ein Nickerchen. Ich hörte lieber zu, was Doriq zu erzählen hatte. In der Ferne hörte man Kampfgeräusche, aber man gewöhnte sich an alles und irgendwann muss man Pause machen.

    «Die Banden kamen fünf- bis sechsmal täglich», erzählte er. «Das war Wahnsinn. Ganze Kolonnen aus Reitern und Karren, die an unseren Hinterhalten scheiterten. Die hier haben sich als gute Hilfsmittel erwiesen.» Er zeigte uns ein Knäuel aus spitzen Eisennägeln, die so aneinander geschmiedet worden waren, dass immer eine Spitze nach oben zeigte. Man nannte sie Krähenfüße. «Hufe sind weicher als Kampfstiefel. Wir haben das Zeug überall verstreut. Das hat die Pferde ordentlich aufgemischt. Sobald die Kavallerie absaß, schlugen erst unsere Schützen und dann unsere Stoßtrupps zu. Was uns fehlt, sind mehr Falken, einer ist wirklich zu wenig. Und noch mehr Schwertkämpfer.»

    Davon konnte es sowieso nie genug geben. Während er sprach, spitzte sich draußen die Lage zu.

    Der Feind beschoss den Zufahrtsweg der Karren mit Armbrüsten und ich hörte mindestens zwei Falken. Ein besonders lautes Klacken ertönte und hundert Schritt entfernt detonierte ein alchemistischer Bolzen, dessen Druckwelle den Unterstand erzittern ließ. Wir sahen besorgt unsere Unteroffiziere an.

    Doriq winkte ab. «Wir haben schon Schlimmeres erlebt.» Er deutete auf das neue Dach, dessen Balken mit Eisenringen verstärkt waren. «Vor ein paar Tagen ist so ein Bolzen eingeschlagen, das ganze Gebälk hat er gesprengt. Es gab ein paar Tote unter der Radhora und uns haben die Ohren geklingelt, aber das gehört dazu. Wir haben danach alles selbst repariert, Nubaru hat sich um alles gekümmert. Schaut es euch an, jetzt ist es wie neu. Das alles in nur wenigen Tagen!» Er tätschelte einen Stützpfeiler.

    Während es draußen immer wieder krachte, entluden wir den neu eingetroffenen Karren. So lange der Lärm nicht näher kam, war alles in Ordnung. Mittlerweile war es Dunkel geworden.

    Doriq und Nubaru legte sich wie die meisten anderen schlafen. Cherax koordinierte die Nachtwache. Ich meldete mich freiwillig für die erste Schicht.

    Mit der Dunkelheit wurde es auch draußen ruhig, weil weder die Kämpfer noch die Falken etwas sahen. Ein trügerischer Friede legte sich über uns. Doriq schnaufte im Schlaf bei jedem Atemzug. Er kämpfte schon seit Beginn der Überfälle für die Eisenfalken, fünf Jahre länger als ich. Bei Vellingrad war er in eine Fallgrube gestürzt. Seine Rüstung hatte ihn vor dem Tod bewahrt. Später traf ihn ein Bolzen in den Rücken. «Ich ließ ihn drin», erzählte er mir später. «Das Herausziehen hätte mich umbringen können. Die Wunde wurde versorgt, und ich kehrte zurück.»

    Auch heute noch steckte der Bolzen zwischen seinen Rippen und machte ihm das Atmen schwer. Er tat, als würde es ihn nicht stören und machte regelmäßig seine Witze darüber. Im Schlaf zeigte sich die bittere Wahrheit.

    Gegen Mitternacht erschien unser Kommandant im Unterschlupf, um nach dem Rechten zu sehen. Garlyn Meqdarhan, genannt Garlyn der Fuchs, gab sich persönlich die Ehre! Damit hatten wir nicht gerechnet. Wir salutierten und er salutierte zurück, einen zufriedenen Ausdruck im Gesicht. Anscheinend gefiel ihm, was hier im Unterschlupf vorfand. Cherax ließ Doriq und Nubaru schlafen und übernahm es an ihrer Stelle, dem rothaarigen Naridier Bericht zu erstatten.

    Garlyn lauschte mit schmalen grünen Augen. Dann nickte er gönnerhaft und verteilte an alle, die wach waren, ihren Sold. Wahnsinn! Wahrscheinlich sollte uns das motivieren und jeder bedankte sich brav, aber jeder wusste auch, dass es nur ein Bruchteil dessen war, was uns zustand. Er schuldete uns mehr als nur den Sold des letzten Mondes. Ein Trostpflästerchen, damit wir nicht die Hoffnung verloren, eines Tages doch noch bezahlt zu werden. Wer’s glaubte ...

    Cherax wagte, nach dem Rest des Geldes zu fragen. Der charismatische Troll schaffte es irgendwie, diese unangenehme Frage so zu stellen, dass unser Kommandant nicht gereizt reagierte.

    «Naridien zahlt immer zu spät, Männer», brummte Garlyn, «aber es zahlt zuverlässig. Wir halten die Grenze weiterhin.. Sie müssen erfahren, was sie an uns haben, dann werden die Zahlungen irgendwann pünktlich eintreffen.»

    Was hätte es genutzt, sich zu beschweren? Jeder wusste, dass das Geld sehr wohl pünktlich und vollständig geliefert wurde. Garlyn konnte einfach nicht damit umgehen und seine Buchführung war grauenhaft.

    Die Truppe nickte ergeben, wie immer. Man hätte die Einheit verlassen und zu einer anderen wechseln können, aber wollte man das? Bei den Eisenfalken kannte man seine Kameraden und seine Vorgesetzten, hier war man zuhause. Und konnte man dieses Gefühl gegen Geld aufwiegen?

    Rex nippte mürrisch am Gemüseeintopf. «Halborks bringen immer Pech, wenn’s um Geld geht», murrte er. «Sie sind ein Fluch auf zwei Beinen, darum würde kein Händler sich je einen Halbork als Sklaven kaufen. Hast du dazu mal unseren neuen Hexer konsultiert, Garlyn?»

    Garlyn runzelte missbilligend die Stirn.

    Cherax aber lachte, als hätte Rex nur Spaß gemacht, klopfte ihm die Schulter und verhinderte galant, dass ich erzürnt lospoltern konnte. Doch er nahm die Hand nicht wieder von seiner Schulter herunter. «Rex, lass Serak in Ruhe», sagte er, noch immer freundlich, doch seine Finger griffen fester zu. «Ohne ihn wär’n wir schon oft Banditenfutter gewesen. Er ist ein Halbork, aber er ist unser Halbork. Uns hat er bisher nichts als Glück gebracht. Er ist schon fast so was wie ein Glücksbringer auf Beinen.»

    Etwas gegen Cherax zu sagen, traute unser neuer Kamerad sich dann doch nicht. Cherax gehörte zu den dienstältesten Mitgliedern der Truppe und wenngleich er keinen Führungsrang besaß, trug er oft Verantwortung und unterstützte unsere Anführer. Der Blick von Rex blieb feindselig, doch er starrte nun in seine Tasse und verkniff sich weitere Stänkereien.

    Ich schwieg ebenfalls, blickte ins Feuer, während einige alte Narben juckten.

  • Heimkehr der Eisenfalken

    Als das Lager in der Ferne auftauchte, jene improvisierte Festung aus Eis und Holz, konnte ich den Rauch der Feuerstellen riechen, einen beißenden, harztigen Dunst, der sich mit dem schneidend kalten Wind vermischte. Das Lager hockte auf einem Hügel, umringt von einem Schneewall, aus dem noch die schwarzen Spitzen geteerter Palisaden ragten. Die windschiefen Hütten glitzerten, vom Frost überzogen.

    Bei jedem Schritt knirschte der Schnee unter unseren Stiefeln. Die Wachen riefen etwas und das Tor wurde aufgeschoben. Schnee rieselte, Schritte stampften. Die Eisenfalken kehrten heim.

    Als wir das Tor durchschritten, kamen uns die ersten Söldner entgegen, jene Kameraden, die zurückgeblieben waren, um das Lager zu hüten, und sie begrüßten uns mit derben Rufen, die in der kalten Luft widerhallten. Wir antworteten, die Worte waren grob und doch von einer seltsamen Zärtlichkeit durchwirkt, die nur jene kannten, die gemeinsam den Tod umarmt hatten. Wir marschierten dennoch diszipliniert, niemand verließ den Tross, um noch einmal anzutreten. Es ist ein Mythos, dass es in den Söldnerkompanien der Grünen Kader keine Disziplin geben würde, wenngleich nicht jedes Detail so präzise durchgeplant werden konnte wie in den Armeen der großen Menschenreiche.

    «Meine tapferen Eisenfalken», rief der Kommandant. Sein kupferrotes Haar schien im Graubraun unserer Ausrüstung zu leuchten wie Feuer. Er war ein skrupelloser Fuchs mit dem Charisma eines strengen, aber gütigen Vaters. Man war geneigt, ihm jeden Fehler zu vergeben, und Fehler besaß er zahllose. «Nach langer Mission sind wir endlich vereint wieder hier. Ihr seid Krieger, die sich dem Unbekannten stellen und niemals zurückweichen, Helden in einer Welt, die von Asche und Verrat regiert wird. Unsere Opfer werden nicht vergebens gewesen sein, denn jeder Gefallene lebt im Geist aller Eisenfalken weiter. Eure Familien haben euch vergessen, eure Regierungen und eure Götter, aber die Eisenfalken vergessen niemanden.»

    Die Söldner senkten die Köpfe und verharrten in absoluter Stille, einer jender Momente, in denen die Zeit sich dehnte. Jeder hing seinen eigenen Gedanken und Gefühlen nach. Ich sah die Gesichter jener vor mir, die fortan meinen Weg nicht mehr begleiten würden. Nach zehn Jahren schmerzten Verluste nicht mehr so sehr wie früher, die scharfe Klinge des Schmerzes war stumpf geworden. Gleichgültig waren die Toten mir trotzdem nicht. Sie lauerten in den Winkeln meines Verstandes wie Schatten, die sich immer dann regten, wenn ich gerade nicht hinsah.

    Nach einiger Zeit hob der Kommandant den Kopf und seine Stimme holte uns zurück in die Wirklichkeit.

    «Unsere Kameraden werden uns für immer begleiten, die Zukunft gehört den Eisenfalken. Lasst die Nacht unserer Heimkehr ein Fest des Lebens sein. Wir haben gesiegt! Hebt die Becher und lasst den Sieg in euren Herzen lodern! Vergesst niemals die Pflichten, die wir als Söldner tragen - seid Wächter, seid Gefährten und seid bereit, jederzeit wieder in den Kampf zu ziehen, wenn das Horn euch ruft. Genießt euren Feierabend und erinnert euch daran, dass ihr Teil einer starken Gemeinschaft seid, die nichts aufhalten kann. Morgen geht der Dienst pünktlich weiter. Wegtreten!»

    Im Gehen rempelte Cherax mich mit der Schulter an. Der Troll war größer als ein ausgewachsener Ork, aber schlanker, mit einer Haut so grau Fels und Hauern wie ein Wildschwein. Als er den Helm abnahm, quoll sein schwarzer Haarkamm hervor, der als Streifen über seinen Rücken verlief und sich sofort aufrichtete, kaum dass er ins Freie kam. «Du schuldest uns noch was», stellte er fest. «Deine Schuld ist auf den Tag genau heute fällig, Serak.»

    Ich tat, als wüsste ich nicht, wovon er sprach. «Der Einzige, der dir was schuldet, ist Garlyn – für all die leeren Versprechungen, die er uns macht, seit wir in seinen Klauen sind.»

    «Nö», beharrte der Troll. Seine großen silbrigen Augen glitzerten listig. «Du weißt genau, was ich meine.»

    Ich schnaufte gequält, eine Dampfwolke entwich aus meiner Nase. «Na schön, du hast gewonnen.» Mein schöner Sold, jenes flüchtige Glitzern, das durch die Finger rann wie Sand. «Heute Abend Treff im Heulenden Hund. Aber lass mich vorher noch was Sauberes anziehen. Und sag nicht so vielen Bescheid, sonst bin ich gleich wieder pleite.»

    Das Grinsen von Cherax wurde breit und dreckig. «Das würde ich nie tun. Troll-Ehrenwort.»

    «Bei meinen Ahnen», stöhnte ich und schaute theatralisch in den Himmel, wo Alvashek, gehüllt in einen Wolkenschleier, versank. Leider half das nichts und Cherax löste sein Troll-Ehrenwort ein, eine geläufige Bezeichnung für ein falsches Versprechen. Als wir abends auf dem Weg ins Dorf waren, begleitete uns eine lange Kolonne von durstigen Kameraden.

    Unwrain war ein Kaff im Nirgendwo, ein vergessenes Nest, das keinen eigenen Ortsnamen verdiente. Schneeregen peitschte in unsere Gesichter und bedeckte unsere Kapuzen und Wolljacken mit kaltem Matsch. Wenig später trat ich gemeinsam mit zwei Dutzend meiner Kameraden in die dunkle Holzhütte des Heulenden Hundes, ein Name, der so irreführend war wie die Verheißung von Wärme und köstlichen Speisen, denn ier heulte nichts außer der Wind durch die Ritzen. Der Hund, der hier mal gewohnt haben mochte, war wahrscheinlich längst zu Suppe verarbeitet worden. Unter unseren Schritten knarrten die Dielen und in den farbigen Bleiglasfenstern brach sich das Licht der flackernden Öllampen in verzerrte Fragmente, die wie bunte Geister über die Wände tanzten.

    Die Gäste, eine handvoll verhutzelter Gestalten, wandten die Köpfe. Ihre Blicke verrieten eine Mischung aus Neugier und der resignierten Erkenntnis, dass eine Söldnerhorde, die frisch von der Front kam, selten angenehme Gesellschaft war.

    Wir quetschten uns um die wenigen Tische, Stühle schabten über Sägespäne und die verkokelten Reste von Pfeifenkraut.

    «Mahlzeit», murmelte ich den Fremden zu, während ich mich zum Tresen vorkämpfte, einem monströsen Gebilde aus verwittertem Holz, das von unzähligen Rußflecken gezeichnet war.

    Die Bestellung war einfach, Bier und Kohlsuppe, nichts weiter, denn Vielfalt war ein Luxus, den Unwrain sich nicht leisten konnte. Die Schankmädchen – zwei erschöpfte Kreaturen – huschten hin und her, der Wirt brummte gereizt.

    Schließlich standen die Krüge und Schüsseln da, schaumig und trüb, aber einladend, und mein Magen knurrte.

    Alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf mich.

    Ich erhob mich, den Krug in der Hand, und ließ meinen Blick über die Runde schweifen, über Narben von vergangenen Kämpfen, über Augen, in denen ein dunkles Feuer glomm.

    Zehn Jahre bedeuteten mir persönlich so viel wie der Staub, zu dem am Ende alles zerrann. Unter Orks galt ein Jubiläum nichts, denn was war es anderes als das Absitzen von Zeit?

    Doch der Ruf eines Geizhalses haftete an mir wie ein Fluch, weil ich schon das fünfjährige Jubiläum ohne Feier hatte verstreichen lassen, und so versuchte ich, die Sache wiedergutzumachen, wenngleich der letzte Sold ausgeblieben war.

    «Auf zehn weitere Jahre mit euch, ihr elenden Drecksäcke. Mögen uns die Ahnen nicht so schnell zu sich rufen.»

    «Auf zehn weitere Jahre!», brüllten die Söldner und die Krüge krachten aneinander.

    Ich nahm einen beherzten Schluck und setzte mich. Der Ruß der Öllampen stank wie menschliches Fleisch, das von einer alchemistischen Sprengfalle in Fetzen gerissen wurde. Ein Geruch, der sich in die Lungen brannte und nie mehr wich, um in stillen Momenten wieder hervorzukriechen.

    Cherax lachte dröhnend, unangemessen an einem Tag wie diesem, und doch war es verständlich. Man musste lachen, um nicht zu verzweifeln. Wem hätte Trauer genutzt? Sie rief niemanden zurück vom Alldunkel zwischen den Sternen.

    Ich stellte fest, dass das Bier heute krümelig schmeckte, Sedimente, die am Gaumen hafteten wie die Erde auf einem Schlachtfeld.

    Mauli und Cherax grinsten mich an, ich grinste zurück, wenngleich das Lächeln in meinen Augen nicht ganz ankam. Logen auch sie, oder war ich der einzige Lügner? Der einzige Schwächling? Über solche Dinge sprach man nicht. Mauli war sichtlich älter geworden, seit wir uns vor zehn Jahren das erste Mal begegnet waren. Sie besaß nur noch die Hälfte ihrer Zähne, doch an Cherax, vor dem eine halbe Ewigkeit lag, war die Zeit nahezu spurlos vorübergezogen. Er hatte lediglich ein paar Narben mehr als früher. Was mich betraf, musste mein Alter irgendwo zwischen fünfundzwanzig und dreißig liegen.

    «Zehn Jahre, Serak», sagte Cherax bedeutungsschwer. «Ich habe gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit verstrichen ist.»

    «Was dich betrifft, versoffen und verhurt», antwortete Mauli trocken. « Den Luxus, die Zeit zu vergessen, hat bloß ein Troll. Andere Leute haben derweil hart gearbeitet, haben Schlachten geschlagen und Wunden geleckt. Ich weiß sehr gut, wo all Jahre geblieben sind. Ich merke sie in jedem Knochen.»

    «Niemand kann was dafür, dass du schon alt wirst», grollte Cherax.

    «Kein Streit heute, ich verbiete das», stellte ich klar.

    Cherax winkte ab, sein Grinsen blieb unerschüttert. «Mauli kann nicht anders. Wenn die eines Tages unter der Erde liegt, muss man ihr Mundwerk extra totschlagen, damit es aufhört, sich über mich zu beschweren.»

    «Schnauze jetzt», sagte ich und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. «Heute wird gefeiert, das ist ein amtlicher Befehl unseres Kommandanten. Was ihr danach macht, ist eure Kanne Bier, aber jetzt wird gebechert. Auf weitere zehn Jahre!» Ich hob den Krug erneut.

    «Auf weitere zehn Jahre», stimmten Mauli und Cherax ein, wir tranken und damit herrschte vorerst wieder Tischfrieden, eine fragile Waffenruhe, die oft so schnell zerbrach wie ein Glas unter Stiefeln.

    Während Mauli und Cherax sich mit den anderen Söldnern am Tisch unterhielten, über unsere Missionen, die immer in Blut und Geld endeten, trank ich schweigend und versank im finsteren Labyrinth meiner Gedanken. Vielleicht lag es daran, dass ich, wie Mauli, nur mit einer kurzen Lebensspanne geschlagen war, ein kurzes Glimmen wie ein Funken in der Nacht, der sogleich wieder erlosch, während die Feuer der Trolle, Orks und Alben – all der spitzohrigen Urbevölkerung von Asamura – über Jahrhunderte brannten. Der Fluch des Menschenblutes in meinen Adern würde mich bald welken lassen, ich würde zahnlos, grauhaarig und faltig wie Mauli werden. Auch ich konnte die Zeit nicht einfach vergessen, jedes Jahr wog kostbar.

    Nichts währt ewig und nichts Gutes währt überhaupt. Ich dachte an Katax und an Dolwin und bestellte einen weiteren Krug.

    Garlyn Meqdarhan besaß nicht den Edelmut eines Dolwin von Niederau, er war ein skrupelloser, hinterlistiger Fuchs, und doch bot er mir eine neue Heimat. Vor zehn Jahren war ich ein junger Halbork auf Sinnsuche gewesen. Was ich gefunden hatte, waren Blut, Schmerz und Geld. In dieser verfluchten Welt aus Schlamm und Schnee, was könnte befriedigender sein, als den Göttern, die auf uns spuckten, jeden Tag den Mittelfinger zu zeigen, indem man trotz allem weiterkämpfte? Einen anderen Grund gab es nicht. Früher oder später würde es einen neuen Auftrag geben, einen besseren Auftrag und besseres Geld, bis dahin halfen Bier und Schnaps, die Flaute zu überstehen. Ja, auch Garlyn hatte mich vieles gelehrt.

    Die Krüge klimperten, Spielkarten raschelten, die Witze wurden derber. Cherax versuchte sein Glück bei einem Schankmädchen und Mauli steckte sich eine Pfeife an, deren rauch sich unter den Holzbalken der Decke verlor. Sie ging wieder leer aus, als die Pärchen sich für heute Nacht zusammenfanden und Arm in Arm in den Hinterzimmern oder nach draußen verschwanden. Für mich war das gut, denn so war sichergestellt, dass sie mir weiterhin Gesellschaft leisten würde, weil ich kein Bedürfnis verspürte, mit jemandem mein Bett zu teilen. Viel lieber blieb ich mit den Zechern sitzen, in dieser rauenGemeinschaft, die nach Schweiß, Leder und Alkohol roch. Ich erzählte Mauli einen Witz, bei dem Trolle äußerst schlecht wegkamen, sie lachte und wir stießen an.

    Alles in allem, so stellte ich fest, war ich mit meinem Leben zufrieden. Mit jedem Schwertstreich spürte ich die Genugtuung, dass jeder durch meine Hand fallen konnte, der mir dumm kam. Ich war nicht mehr der Jüngling, der herumgeschubst wurde, ich war ein Krieger, dem man besser Respekt zollte. Ich war der Mann, der ich als Jüngling immer sein wollte.

    War ich glücklich?

    Die ehrliche Antwort lautet: Nein.

    Ich trank noch mehr, und das Heimweh nach den rot blühenden Wiesen der Tundra, nach Katax‘ sensiblem Blick, kroch hoch wie Nebel aus den Tiefen meiner Erinnerung – ein Schmerz, der sich nicht weggrinsen ließ, wenngleich ich es versuchte, Krug um Krug.

  • Unwrain

    Auf dem Rückweg war ich nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Bevor wir in Sichtweite der Torwache kamen, zog ich meinen Arm von Maulis Schultern. Man könnte meinen, dass die frische Luft mir gutgetan hätte, aber ich war immer noch so betrunken wie zu dem Zeitpunkt, als wir den Heulenden Hund verlassen hatten.

    «Den Rest laufisch alllleine», verkündete ich.

    «Fall nicht hin, der Weg ist voller Pfützen», sagte Mauli besorgt.

    «Isch bin Meister der Ballllance», lallte ich und breitete die Arme aus. Zielstrebig torkelte ich um die Pfützen herum, meine Stiefel wurden nicht nasser, als sie ohnehin schon waren, aber aus irgendeinem Grund wurden wir trotzdem von der Torwache aufgehalten.

    «Ihr sollt doch nicht so viel saufen, dass ihr besoffen seid», meckerte jemand, dessen Stimme mir unangenehm bekannt vorkam. Das war Rex! Anstatt sich ausruhen zu dürfen, hatte Garlyn ihm eine Nachtschicht aufgebrummt. Vielleicht, um seiner Meinung bezüglich unkameradschaftlichen Verhaltens Nachdruck zu verleihen.

    «Wo binnich besoffn?», fragte ich.

    Er wies von meinem Kopf bis hinab zu den Stiefeln. «Überall, von oben bis unten! Schau dich an! Du weißt, dass ich das melden muss.»

    «Ach, komm, Re ... Rexi.»

    «Mag sein, dass andere ein Auge zudrücken, wenn du ihnen dämliche Kosenamen gibst, aber ich mach das nicht. Jetzt rein mit dir und auf direktem Weg ins Bett, bevor noch ein Unglück geschieht.»

    «Das sachst du nur, weillu nich eingeladen warst! Du bissein elener Sauhund!»

    «Und die Beleidigungen melde ich gleich mit. Rein jetzt», knurrte Rex und schob mich durchs Tor.

    Zu schnell für mich. Ich stolperte über meine Füße, stürzte und schlitterte auf Händen und Knien durch den kalten Schlamm, bis ich auf dem Bauch landete.

    Mauli erbarmte sich, mir auf die Beine zu helfen. Unter Protest ließ sich mich von ihr in meine Barracke führen. Es war noch niemand in meiner Stube, so kam sie mit herein. Sie setzte mich auf mein Bett und zog mir die nasse Jacke, den feuchten Wollpullover und die Stiefel aus, so dass ich nur noch im Unterhemd und Hose war. Danach ergriff sie meine Finger. «Deine Hände sind eiskalt.»

    «Bedank dich bei Rex, der mich innen Schlllamm geschickt hat.»

    Sie zog mir mein Nachthemd über. Vielleicht hätte es mir peinlich sein müssen, bemuttert zu werden, aber ich mochte Mauli, also gönnte ich ihr die Freude. Aus der dreckigen Hose schälte ich mich selbst, dann ließ ich mich ins Bett sinken und wickelte mich in die Wolldecke. Mauli verschwand für einen Augenblick nach draußen, um mit einer gusseisernen Wärmflasche zurückzukehren, die sie mir an die Füße legte. Angenehme Hitze machte sich an meinem Fußende breit. «Gute Nacht», sagte sie.

    «Nacht!»

    Dass Cherax und die anderen eintrudelten, bekam ich schon nicht mehr mit. Ich schlief wie ein Stein.

    Nach dem Weckruf fanden wir uns, wie immer, zum Appell ein, um die Tagesbefehle entgegenzunehmen. Der Drillplatz war ein trostloser Anblick an diesem späten Wintermorgen. Der Boden war aufgeweicht und matschig, jeder Schritt verursachte ein widerliches Schmatzen. Ein kalter Wind wehte über das Lager, schneidend und unerbittlich, und trug den Geruch von feuchter Erde und altem Holz mit sich. Die Zeltplanen flatterten unruhig, als würden sie gegen den nahenden Appell zu so früher Stunde protestieren. Rauch stieg träge in die Luft, er verströmte den würzigen Geruch von verbranntem Holz und dem Eintopf, den es abends gab. Was wir zum Frühstück oder Mittag aßen, war unsere Sache.

    Die Rüstungen und Waffen glänzten im trüben Morgenlicht. Die Söldner standen in lockeren Haufen zusammen, die meisten von ihnen fröstelnd und missmutig. Manche schlugen sich die Hände gegen die Oberarme, um die Kälte zu vertreiben.

    Garlyn Meqdarhan schien eine schlechte Nacht gehabt zu haben. Er sah bleich und aufgedunsen aus, aber ansonsten hielt er sich frisch, wenn ich seinen Alterungsprozess mit dem von Mauli verglich, die genau so alt war wie er.

    «Guten Morgen», sagte er. Blick und Tonfall sagten, dass er für einige von uns gar nicht gut werden würde.

    «Guten Morgen, Kommandant», antworteten wir pflichtschuldig.

    «Wie viele von euch wissen, hatte ich vor einigen Tagen ein Gespräch mit unserem Auftraggeber. Ich darf euch gute Neuigkeiten verkünden: Uns wird in Zukunft der Schutz eines Abschnitts der Salzstraße anvertraut werden. In letzter Zeit werden auch Karawanen mit beträchtlichem Geleitschutz überfallen und ausgeraubt. Deswegen werden wir uns um dieses Problem kümmern. Fragen?»

    Rex meldete sich. «Ist bekannt, wer die Händler überfällt?»

    Garlyn nickte. «Ja, diesmal sind es nicht die Raubritter. Sondern Orks.»

    Rex spuckte aus. «War ja klar.»

    Ich meldete mich und konnte nur mit Mühe warten, bis ich aufgerufen wurde. «Das muss irgendeine Drecksrotte sein. Nur wenige Rotten überfallen Menschen! Was Orks brauchen, organisieren sie sich selbst, und was sie sich nicht organisieren können, das brauchen sie auch nicht!»

    «Offenbar tun sie es doch», warf Rex ein. «Wie sieht es aus mit Gold? Geschmeide? Bei dem ganzen Schmuck, den ihr ständig tragt, macht ihr den almanischen Prinzessinnen Konkurrenz.»

    «Schmuck hat für einen Ork nichts mit Eitelkeit zu tun», polterte ich. «Jedes Schmuckstück hat rituelle Bedeutung und ist entweder ein Fluchbrecher oder eine Trophäe. Irgendeine fremde Kette mit bunten Edelsteinen würde keinen Zweck erfüllen!»

    «Außer als Andenken an den erfolgreichen Überfall», konterte Rex schnippisch.

    Womit er Recht hatte, aber das wollte ich nicht zugeben. Ich öffnete den Mund, um ihn mit einer Ausrede niederzuwalzen, doch Garlyn kam mir zuvor.

    «Ruhe.» Er deutete auf Rex. «Hier sind wir alle Eisenfalken! Du bist mir gestern schon negativ aufgefallen. Solchen Mist, das ein Volk besser wäre als das andere, will ich kein weiteres Mal hören. Alle Völker sind gleich verdorben, das kannst du mir glauben. Aber hier ist das egal!»

    «Du bist doch auch Narider», murrte Rex. «Du musst doch wissen, dass der Norden des Landes schon immer mit plündernden Orkbanden zu tun hatte, Kommandant.»

    Ich mischte mich erneut ein. «Es mag ja sein, dass es in den Grenzregionen hin und wieder Ärger gibt. Aber das sind bloß junge Krieger, die ein bisschen Kampferfahrung und ihre ersten Trophäen sammeln wollen.»

    «Da bin ich ja beruhigt», ätzte Rex. «Unter diesen Umständen überlasse ich ihnen liebend gern meinen Skalp!»

    «Ich sagte Ruhe», donnerte Garlyn. «Rexar Falachny und Serak der Lügner, ihr habt heute großen Putzdienst fürs unaufgeforderte Sprechen und dafür, dass ihr meinen Befehl, zu schweigen, ignoriert habt. Was Serak betrifft, so darf er sich morgen früh in meiner Schreibstube außerdem noch die Strafe für seine Trunkenheit abholen kommen.» Er sah streng zwischen Rex und mir hin und her, dann widmete er sich wieder dem Rest der Kompanie. «Trupp eins macht sich jetzt fertig zum Garnisonsdienst laut Plan, Trupp zwei rüstet sich aus für einen Kontrollmarsch. Fragen? Nein? Dann Ausführung!»

    Während meine Kameraden sich für den Kontrollmarsch versammelten, trottete ich mit Grabesstimmung zurück in die Baracke, legte meine Rüstung und Bewaffnung ab, mit Ausnahme des Kampfmessers, das immer am Gürtel blieb, und holte mir das Putzzeug.

    Der kalte Wind biss uns ins Gesicht, als Rex und ich uns widerwillig durch den Matsch schleppten, beide mit Schaufeln, Eimern und Besen bewaffnet statt mit Schwertern und mit einer Menge ungesagter Worte.

    Wir begannen, den Schlamm beiseite zu schaben, damit die Pfützen abflossen, während Rex unaufhörlich vor sich hin fluchte. «Diese verdammte Kälte frisst einem die Knochen auf», murrte er, während er energisch mit seiner Schaufel über den Boden fuhr.

    Ich konnte ein fieses Grinsen nicht unterdrücken. Sein Ärger tat mir gut. «Vielleicht ist es das Beste, wenn du dich bewegst, Rex. Dann wird dir warm.» Er warf mir einen giftigen Blick zu, der mein Herz erfreute.

    Die Arbeit war zäh und undankbar. Unsere Stiefel schmatzten bei jedem Schritt, und der Schlamm klebte an manchen Stellen so hartnäckig, dass es eine Ewigkeit dauerte, ihn loszuwerden. Doch immerhin hörten wir auf zu streiten. Wir konnten unsere Wut auf die Arbeit richten, statt aufeinander.

    Die Latrinen waren unser nächstes Ziel. Es war nicht so kalt, dass die Sickergrube gefroren wäre. Selbst durch die kalte Winterluft krochen die fauligen Dämpfe in unsere Nasen. Mit zusammengebissenen Zähnen machten wir uns an die Arbeit, säuberten die Sitzflächen der Plumpsklos und schütteten Kalk hinein, um die schlimmsten Gerüche abzutöten.

    Mittags ging es zu den Ställen, wo die wenigen Pferde lebten, die unsere Söldnerkompanie besaß. Pferde waren Luxustiere, die sich kaum jemand leisten konnte. Der gemeine Mann musste sich mit Eseln und Ochsen begnügen. Ein Pferd gehörte dem Kommandanten, die anderen dienten unseren Kundschaftern und Meldereitern. Die Tiere hatten den Boden in eine schmierige, stinkende Masse aus Mist und Matsch verwandelt. Mit schweren Gabeln und Schaufeln bewaffnet, räumten wir den Dreck beiseite.

    Wir verteilten frisches Stroh, um den Stallboden einigermaßen trocken zu halten, und füllten die Tränken auf.

    Am Ende des Tages, als Alvashek im Westen langsam hinter den schiefen Giebeln von Unwain versank und das Lager in ein düsteres Zwielicht tauchte, ertönte das Horn. Unsere Kameraden kehrten heim.

    Rex und ich räumten die Werkzeuge auf und schleppten uns müde und dreckverkrustet zurück zum Drillplatz. Der kalte Wind hatte nicht nachgelassen. Die Stiefel der Kameraden schmatzten im Schlamm, doch im Gegensatz zu uns waren sie guter Dinge. Ihre Gesichter waren gerötet von der Anstrengung und der Kälte, doch sie lächelten, weil es bald wieder einen großen Auftrag gab und damit Sold. Der Wirt des Heulenden Hundes würde heute Abend einige Humpen mehr ausschenken müssen.

    «Wahrscheinlich schrecken wir die Orks durch unsere bloße Gegenwart schon ab», meinte Cherax. «Ist doch so, oder, Serak? So weit ich weiß, belassen Orks es meist bei Plünderungen und vermeiden große Gefechte. Bei der Aussicht auf ernste Gegenwehr hauen sie ab.»

    «Stimmt wohl», murrte ich. «Eisenrüstungen sind ein ernstes Argument, weil sie selbst keine haben. Sofern nicht Darazgord anrückt, was unwahrscheinlich ist. Aber Garlyns roter Schopf wäre eine großartige Trophäe.»

    Cherax brach in schallendes Gelächter aus, die anderen stimmten ein. Anscheinend hielten sie das für einen Witz.

    Die Männer, die Garnisonsdienst gehabt hatten, trudelten aus den nun nicht mehr ganz so schlammigen Straßen des Söldnerlagers ein. Wenig später erschien unser Kommandant und die Gespräche verstummten. Wir formierten uns ordentlich. Er ließ den Blick über die glücklichen Söldner schweifen. Im krassen Gegensatz dazu standen Rex und ich am Rand des Trupps. Unsere Hände waren aufgesprungen von der Kälte und dem unnachgiebigen Schrubben, unsere Gesichter versteinert.

    «Seht euch die Helden des Tages an», rief er. «Damit ist die Schuld von Rex abgegolten. Du beteiligst dich morgen regulär beim Garnisonsdienst von Trupp zwei, während Trupp eins auf Kontrollmarsch geht.»

    «Jawohl, Kommandant», maulte er.

    «Wir werden künftig jeden Tag wechseln. Erst geht der eine Trupp auf Kontrollgang und der andere macht Garnisonsdienst, danach umgekehrt. Was Serak betrifft, so habe ich für ihn eine weitere Spezialaufgabe, um ihm den übermäßigen Durst für jetzt und alle Ewigkeit auszutreiben.»

    «Jawohl, Kommandant», murrte ich.

    «Morgen früh kommst du nach dem Appell zu mir, dann besprechen wir deine neuen Pflichten. Wegtreten!»

    Damit zerstreute sich der nasse, durchgefrorene Haufen. Sehnsüchtig erinnerte ich mich an die heiße Badegrotte im Herzen der Bruthöhlen, wo man sich von der Kälte des Winters erholen konnte. Hier gab es so etwas nicht. Hier gab es nur Kälte, Wind und Matsch.

    «Was machst du heute Abend?», fragte Mauli. «Kommst du mit in den Heulenden Hund?»

    «Ich bin erledigt», murrte ich. «Ich will einfach nur schlafen.»

    «Aber Rex kommt auch mit, obwohl er die gleiche Arbeit hatte.»

    «Ein Grund mehr, sich ins Bett zu verkriechen. Gute Nacht.»

    Während ich mit bettfertig machte, hörte ich, wie die Kameraden plaudernd und lachend aufbrachen. Es war kein gutes Gefühl, zurück zu bleiben, während die anderen feiern gingen, aber ich wusste nicht, welche Schikanen Garlyn sich für den morgigen Tag für mich überlegt hatte. Er konnte kreativ sein, und ich wollte danach noch aufrecht gehen können. So legte ich mich hin, zog die Wolldecke bis zum Hals und presste meine Füße gegen Maulis heiße Wärmflasche, während die Stimmen meiner Kameraden sich entfernten. Ich schloss die Augen und wünschte mir Schnaps.

  • Kaltes Eisen

    Der Morgen war grau und frostig, als ich mich zur Schreibstube des Kommandanten begab. Ich klopfte an die schwere Holztür, und nach einem Moment ertönte von innen seine tiefe, befehlsgewohnte Stimme.

    «Herein!»

    Die Schreibstube von Garlyn Meqdarhan war schlicht, aber funktional eingerichtet. Ein großer Holztisch dominierte den Raum, bedeckt mit Landkarten, Pergamentrollen und Federkielen. Ein tragbarer Eisenofen spendete genug Wärme, um die Kälte in Schach zu halten. An den Wänden hingen dreckige Banner, Kriegsbeute vergangener Schlachten, die sich in der aufsteigenden Wärme langsam bewegten.

    Der Kommandant saß hinter seinem Tisch, auf einem Stuhl, der mit einem Schaffell gepolstert war. Seine schmalen grünen Fuchsaugen sahen mich durchdringend an. «Ich hoffe, du weißt, warum du hier bist.»

    Ich nickte. «Ja, Kommandant. Es war ein Fehler, betrunken ins Lager zurückzukehren.»

    Meqdarhan neigte den Kopf leicht zur Seite. «Ein Fehler? Ich nenne das Disziplinlosigkeit! Fehler passieren jedem, aber Disziplinlosigkeit passiert nicht einfach. Man entscheidet sich bewusst dafür. Deine Trunkenheit gefährdet uns alle. Wir befinden uns im Niemandsland, wir können jederzeit überfallen werden. Wie soll ich mich auf meine Männer verlassen, wenn sie sich nicht einmal selbst kontrollieren können?»

    «Es wird nicht wieder vorkommen, Kommandant», versprach ich, obwohl ich mir bewusst war, dass meine Worte so hohl klangen wie ein Troll-Ehrenwort.

    «Das wird es verdammt nochmal nicht!» Er schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Tintenfässer klirrten. «Du bist hier nicht mehr bei deinen Räubern! Nach zehn Jahren müsste man annehmen, dass du solche grundlegenden Dinge weißt. Fürs Erste bist du vom Einsatzgeschehen suspendiert. Deine Strafe wird sein, in der Werkstatt zu helfen. Dort kannst du dich für alle nützlich machen, ohne andere zu gefährden. Vielleicht erinnerst du dich dort daran, wie man sich in einer militärischen Einheit zu benehmen hat.»

    Ich straffte meine Haltung noch weiter, um nicht vor Enttäuschung zusammenzusinken. «Ja, Kommandant. Darf ich eine Frage stellen?»

    «Spuck`s aus.»

    «Wann werde ich wieder Teil von Trupp zwei sein dürfen?»

    «Wenn Jurland mit dir zufrieden bist, prüfe ich - vielleicht - deine Reaktivierung. Bis dahin kann viel Zeit ins Land ziehen. Stell dich auf eine lange Zeit in der Werkstatt ein.»

    Diese Worte waren wie der Axthieb eines Henkers. Nun war ich kein Schwertkämpfer mehr, sondern degradiert zum Gehilfen! «Verstanden, Kommandant.»

    «Und Serak,» fügte er hinzu, «wenn ich dich noch einmal betrunken erwische, werden die Konsequenzen noch weitaus ernster sein. Ist dir das klar?»

    «Klar wie Schnaps, Kommandant», antwortete ich.

    Meqdarhan musterte mich mit zusammengekniffenen Augen, bevor er sagte: «Du kannst wegtreten.»

    Ich drehte mich um und verließ die Schreibstube. Mein Kiefer war angespannt, und ich konnte das leise Knirschen meiner Zähne hören. So eine harte Strafe für ein bisschen Trunkenheit? Es war lächerlich! Ich hatte all die Jahre meine Pflicht getan, gekämpft wie ein Vieh, und dann gönnte ich mir einmal ein paar Bier. Aber nein, Meqdarhan musste ja unbedingt ein Exempel an mir statuieren. Wahrscheinlich hatte Rex bei seinem Bericht maßlos übertrieben!

    Meine Hände waren zu Fäusten geballt, die kalte Luft biss in meine Knöchel, als ich die Werkstatt schließlich erreichte. Das Holzgebäude war alt und trug die Narben von zahllosen Reparaturen. Ein robustes Schild über der Tür verkündete «Werkstatt». Für jene, die nicht lesen konnten, was fast alle waren, waren auch noch ein Schraubenzieher und ein Hammer dazu gemalt.

    Ich schnaubte. Dass er mich zum Dienst in der Werkstatt verdonnert hatte, fühlte sich wie eine persönliche Beleidigung an. «Von wegen Garlyn der Fuchs», grummelte ich leise. «Garlyn der räudige Hund müsste er heißen!»

    Meine Wut konnte ich kaum zurückhalten, doch ich wusste, dass ich keinen weiteren Ärger riskieren durfte, wenn ich Teil der Eisenfalken bleiben wollte. Beherzt öffnete ich die Tür und trat in die warme, nach Öl und Metall riechende Luft.

    Jurland, der Waffenmeister, war ein narbiger Veteran aus Almanien, der seit einem Treffer auf den Schädel nicht mehr in der Lage war, noch in den Kampf zu ziehen. Er humpelte und hielt den Kopf schief. «Na, der Held des Tages», begrüßte er mich.

    Ich ignorierte den Spott. «Was soll ich tun?»

    Er wies auf einen Tisch, der voller Rüstungsteile war. «Bei all diesen Teilen müssen die Lederriemen ersetzt werden. Bei der Gelegenheit kannst du auch die Ösen kontrollieren.»

    Knurrend machte ich mich an die langweilige Arbeit, die mit eiskalten Fingern besonders wenig Spaß machte. Sie dauerte den gesamten Vormittag. Als ich fertig war, musste ich gebrauchte Nägel geradeklopfen, den Rost abschleifen und die restaurierten Nägel ölen. Am nächsten Tag ging es mit dem Schleifen von Waffen weiter. Das regelmäßige Schaben des Steins über das Metall war hypnotisch, beinahe einschläfernd. Jeder Strich des Wetzsteins erinnerte mich qualvoll daran, dass ich hier in der Werkstatt war, weil ich die Regeln gebrochen hatte. Jurland hatte in all der Zeit nichts zu erzählen. Wie denn auch? Er erlebte ja nichts mehr als diesen langweiligen Alltag. Er verbrachte die meiste Zeit mit Schmiedearbeiten.

    Die Tage in der Werkstatt schlichen dahin wie eine Schnecke auf einem Salzfeld. Manchmal stellte ich mir Blut und Schreie vor, und Feinde, die nicht mehr aufstanden. Sie blickten zu mir hinauf und ich auf sie hinab. Ich erinnerte mich an meine Siege, an das großartige Gefühl, besser gewesen zu sein als der Gegner.

    Und wo saß ich jetzt? Wem hatte ich das zu verdanken?

    Die stumpfe Klinge spiegelte mein gelangweiltes Gesicht wider. Der Wetzstein schliff über das Metall.

    Jurland drosch rhythmisch den Hammer auf ein Werkstück, dass die Funken stoben. «Beweg dich ein bisschen schneller, Serak», rief er zwischen zwei Schlägen. «Du kommst viel zu langsam voran! Bist du überhaupt bei der Sache?» Der Rauch des Schmiedefeuers erinnerte mich an einen Grillabend und mein Magen knurrte.

    Ich biss mir auf die Zunge und versuchte, mich besser auf die ermüdende Arbeit zu konzentrieren. Mein Zorn auf Rex und den Kommandanten wuchs mit jeder Minute, die ich hier litt, doch eigentlich müsste ich nur auf mich selbst wütend sein. Ich kannte die Regeln und hatte sie bewusst übertreten.

    Als ich zu den Bolzen überging, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass diese Strafe ein Ende nehmen würde. Die Werkstatt war für mich zu einem Kerker geworden, in dem ich mithilfe von Langeweile langsam zu Tode gefoltert wurde.

    Ich brütete in trostlosen Gedanken, als die Tür aufschwang und kalte Luft hereinströmte. Ich hob den Kopf, als Rex eintrat, seine blauen Augen funkelten vor Vergnügen. Das raspelkurze, dunkelbraune Haar wurde an den Schläfen schon etwas grau und die ersten Falten zeigten sich. Auch sein Bauch war nicht mehr so flach, wie er das vielleicht in jungen Jahren gewesen war.

    Er schlenderte langsam durch den Raum. «Na, Serak», begann er mit einem süffisanten Grinsen, «wie läuft’s so in der Werkstatt?»

    Ich knurrte leise und konzentrierte mich auf die Klinge vor mir, den Wetzstein fest in der Hand. «Was willst du, Rex?» Die Frage war unnötig. Wir wussten beide, dass er nur hier war, um mich leiden zu sehen.

    Er zuckte mit den Schultern und tat, als würde er die verschiedenen Gerätschaften in den Regalen begutachten. «Ach, nichts Besonderes. Wollte nur mal sehen, wie unser großer Krieger sich so schlägt.»

    Ich versuchte, meine Wut zu unterdrücken. «Ich mache meine Arbeit, und ich mache sie gewissenhaft. Das kannst du Garlyn so ausrichten, falls er dich geschickt hat.»

    Rex lehnte sich mit dem Hintern gegen meine Werkbank und verschränkte die Arme vor der Brust. «Jeder bekommt, was er verdient. Ich musste deinen Suff melden, sonst hätte ich mir selbst Ärger eingebrockt. Kapierst du das?»

    «Genieß es, solange du kannst, Rex. Irgendwann wirst auch du mal dran sein. Niemand ist ohne Fehler.»

    Er lachte und schüttelte den Kopf. «Vielleicht. Aber bis dahin werde ich jede Minute davon genießen, dich hier schuften zu sehen.»

    Das Hämmern verstummte. Jurland kam hinter seinem Amboss hervor. «Jetzt hör mal zu, Rexar», brummte er. «Garlyn war so freundlich, mir den Gehilfen an die Seite zu stellen, um den ich ihn gebeten hatte. Ich bin mit Seraks Arbeit sehr zufrieden, ich habe ihm Arbeiten anvertraut, die ich allein nicht mehr schaffe. Dass deine Rüstung so gut sitzt und dir der Schwertgurt nicht mehr über deinen dicken Hintern rutscht, verdankst du ihm. Er hat das in Ordnung gebracht. Deine Ausrüstung war wieder mal in einem unmöglichen Pflegezustand eingetroffen. Falls du nur hier bist, um dich über Serak lustig zu machen, kannst du verschwinden!»

    Ich sah Jurland überrascht an. Fast tat es mir nun leid, dass ich die Arbeit so sehr hasste.

    Rex errötete vor Zorn, doch seine Stimme blieb ruhig. «Ich bin aus einem anderen Grund hier. Eigentlich wollte ich mit dir sprechen, Jurland, und nicht mit deinem Gehilfen.»

    «Schön, hier bin ich. Worum geht es?»

    «Du hast einige interessante Gerätschaften dort im Regal. So was habe ich noch in keiner Werkstatt gesehen.» Rex näherte sich einem Regal und griff nach einer Flasche, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Darin schwammen verschiedene kleine Fläschchen, gefüllt mit farbenfrohen Substanzen. Jede Miniflasche trieb auf einer anderen Höhe. «Das hier zum Beispiel. Was ist das?»

    «Das ist ein Gasanalysator, um die Zusammensetzung der Atemluft zu messen. Ich benutze ihn, da ich hier mit offenem Feuer arbeite. Manchmal drückt der Wind den Rauch zurück in die Esse. Bevor wir ersticken, sehe ich das Problem an diesem Gerät.»

    «Und woher hast du das Gerät?», fragte Rex scharf.

    Jurland lächelte. «Ich habe meine Quellen. Und du bist ziemlich neugierig, finde ich.»

    «Aus gutem Grund!» Rex gestikulierte aufgebracht. «Normalerweise nutzen nämlich Reliktjäger so was, wenn sie in versunkenen Tempeln und Katakomben nach Beute suchen. Bekanntlich sind Reliktjäger keine netten Leute! Es sind Grabräuber, Hehler, Schmuggler und meistens sogar Mörder.»

    Jurland hob die Brauen. «Gut geraten. Ich habe den Gasanalysator tatsächlich von einem Reliktjäger erworben. Einem, der verletzt war und Geld für einen Heiler benötigte. Darum habe ich einige seiner Ausrüstungsgegenstände für einen Spottpreis erhalten.»

    Rex ballte die Fäuste. «Damit hast du wahrscheinlich seine Heilung finanziert, und jetzt treibt der Kerl weiter sein Unwesen.» Er regte sich richtig auf! «Wann hast du das gekauft? Und wo, hier in Unwrain? Und wie hieß der Kerl? Beschreibe ihn, damit wir ihn töten können, wenn er uns auf einem Kontrollmarsch begegnet.»

    «Jetzt reicht es aber», brummte Jurland. «Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, und ich unterstütze auch keine Selbstjustiz. Mir hat der Reliktjäger nichts getan. Er brauchte Geld und ich brauchte das Gerät. Raus jetzt, du hältst uns von der Arbeit ab.» Er wies mit dem Schmiedehammer zur Tür.

    Rex sah aus, als wolle er noch etwas sagen, verkniff es sich dann aber und verschwand.

    Gerade wollte ich in meiner Arbeit fortfahren, da erklang draußen das Signalhorn.