Wälder des Wahnsinns
Ach, du tapferer (oder törichter) Wanderer zwischen den Welten, du hast die Pforte zur Weltenbibliothek Asamuras aufgestoßen und verlangst nun, dass ich dir die verborgenen, die vergessenen, die verfluchten Wälder dieses alten, blutgetränkten Kontinents enthülle.
Zehn bekannte Forste sind es an der Zahl, die nicht einfach nur stehen, sondern atmen, hassen, träumen und sich erinnern. Manche von ihnen sind so alt wie die Götter; andere wurden erst geboren aus dem Schrei eines sterbenden Volkes. Sie sind keine bloße Kulisse – sie sind die eigentlichen Protagonisten, und du, armer Wanderer, bist nur eine flüchtige Nebenfigur, die sie sich einverleiben oder beschenken, je nach Laune.
In den Wäldnern des Wahnsinns wächst nichts unschuldig. Jeder Baum trägt eine Schuld, jede rote Blüte einen Toten im Wurzelwerk, jeder Windhauch flüstert das Echo eines Verrats. Die Wälder, die du gleich betreten wirst, haben Könige gefressen, Imperien verdaut und ganze Zeitalter in ihren Rinden eingraviert. Manche lachen noch darüber. Andere weinen seit Jahrtausenden.
Tritt ein, wenn du den Mut hast. Aber merke dir eines: Wer einen dieser Wälder betritt, verlässt ihn nie wieder ganz. Ein Stück von dir bleibt immer zurück – als Blatt, als Dorn, als Flüstern im Unterholz.
Und nun, mit pochendem Herzen und feuchten Händen, öffne das Buch der grünen Finsternis.
Der Flüsterwald
Lage: Shakorz
Hier wachsen Bäume mit Rinde wie Pergament, hell und sich in Flocken von den Stämmen pellend, im Sonnenlicht tanzend wie Schnee. Die Luft riecht betörend nach Frühling - zu jeder Jahreszeit. Man sagt, das immergrüne, silbrige Laub dieser Bäume würde nicht rascheln, sondern flüstern, und wer sich unter ihren Kronen in innerer Einkehr versenkt, würde die Stimmen der Ahnen hören. Doch flüstern sie nicht nur Geheimnisse, sondern auch Dinge, die man nie hören wollte. Mancher, der Weisheit suchte, kehrte im Wahnsinn daraus zurück.
Dyurunforst
Lage: Caltharnae
Benannt nach dem Hexenjäger, der auf Ewig in seiner Mitte ruht. Kolossale Bäume, umrankt von Dornenranken mit blutrotem Saft, den man Dornblut nennt, oft geerntet als eine teure alchemistische Zutat, ein Gift, das insgeheim beigemischt, geeignet ist, magische Fähigkeiten zu unterdrücken. Es ist trocken, heiß und absolut windstill– als hielte der Wald den Atem an, seit Jahrtausenden. Eine Kathedrale aus Leid; jeder Schritt knirscht wie Knochen. Dieser Wald war Schauplatz der Großen Säuberung, als die Hexenjäger der Herrschaft der Alten Häuser ein Ende bereiteten.
Der Sehnenknorpelwald
Lage: Innerer Taudis
Es handelt sich um Gewächse aus lebendem Knorpel und Sehnen, die sich gelegentlich strecken und gähnen. Die Früchte erinnern an pulsierende Herzmuskeln, die man essen kann. Das Klima ist feucht-warm, mit dem ständigen Schmatzen und dem leisen Takt der Herzfrüchte, der an fallenden Regen erinnert. Der Wald atmet und träumt, man fühlt sich, als sei man von einer riesigen Kreatur verschlungen worden. Das Fleisch wird von Reliktjägern gegessen oder geerntet und an Nekromanten verkauft. An der Oberfläche sind diese Bäume nicht lebensfähig.
Der Aschehain von Rabenbrand
Lage: Naridien
Verkohlte Stämme, die dennoch blühen - weiß und silbrig wie der nächtliche Schein von Oril. Oft weht ein kalter, trockener Wind. Todesstille, nur unterbrochen vom leisen Knistern unsichtbarer Flammen, die sich seit Jahrhunderten durch ein Kohleflöz im Untergrund fressen uns gelegentlich an die Oberfläche züngeln. Der unvorsichtige Wanderer könnte von den Flammen eingeschlossen werden und selbst verglühen. Es handelt sich um die Überreste eines Waldbrandes, der nie erlosch, und in dessen Mitte sich Bäume etablierten, die der Hitze trotzen. Der Wind trägt die Asche mit sich und wer ihn atmet, riskiert unkontrollierbare Ängste und Trauer. Die Wirkung dieser Asche kann fatal sein.
Der Schmerzstachelhain
Lage: Mittlerer Taudis
Fleischfressende Bäume aus purem Schmerzmetall, an denen impalierte, noch lebende Opfer langsam von Rost überwuchert werden und eins mit den Bäumen werden, ohne dass die Bäume sie sterben lassen. Dornen, die rückwärts in der Zeit wachsen. An diesem Ort herrscht absolute Nullzeit – Uhren bleiben stehen, Wunden heilen nicht. Der Schmerzstachelheit könnte eine uralte Kultstätte der ersten Yakani sein und wurde wahrscheinlich von deren Alchemisten erschaffen. Hier wurden Blutopfer dargebracht – und sie hängen noch immer. Sie geben Antwort, wenn sie können.
Der Leuchtpilzpalast
Lage: Äußerer Taudis
Gigantische Pilze, deren Hüte wie Kathedralen wölben, durchzogen von leuchtenden Myzelgeflechten. Sporen, die Halluzinationen erzeugen, oft von prächtigen Banketten. Es ist schwül, das Licht glimmt in Neonfarben mit einem Duft nach vergorenem Honig. Der Leuchtpilzpalast schenkt Träume und ist Lebensraum riesiger Grubenasseln, die sich von ihrem Fleisch ernähren und Eier in den berauschten Wanderer legen. Die jungen Grubenasseln verzehren ihn nach dem Schlupf von Innen, während er sie durch den Taudis trägt, ein Prozess, der sich über Jahre hinziehen kann. Mit dem Tod des Wanderers verlassen die Jungtiere den geschundenen Körper.
Gramfallweiden
Lage: Die kälteren Meeresufer von Asamura
Weiden mit Zweigen wie gefrorene Tränen, Krusten aus geronnenem Salz. Sie bevorzugen Regionen mit häufigem kalten Regen. Das Salz, welches von diesen Weidenwäldern geerntet wird, kann tiefe Trauer auslösen. Manchmal findet man verlorene Erinnerungen an eine Welt, die es nie wieder geben wird.
Der Zeitknotenwald
Lage: Innerer Taudis
Ein entarteter Garten der Yakani, verdorben von Alchemie. Bäume, die in Schleifen wachsen – Äste, die sich selbst umarmen, Wurzeln, die in die Zukunft ragen. Blätter zeigen gestern, heute und morgen gleichzeitig. Kein Klima, nur Zeitwetter, fühlbar als Migräne, Erinnerungsblitze und Einblicke in die eigene Zukunft flackern in Gedanken, zu kurz, im wirklich greifbar zu sein, zu lang, um sie zu vergessen. Hier verknäulen sich die Zeitlinien Asamuras.