Beiträge von Shocai

    Die Reise verlief gar nicht mal so schlecht. Shocai wurde wieder aufgepäppelt und Lahiko unterhielt die Mannschaft mit seinen Tänzen. Nur seine Diät wollte nicht so recht anschlagen, er blieb so moppelig wie eh und je. Er behauptete, leicht anzusetzen und Shocai behauptete, Lahiko würde zwischen den kargen Diät-Mahlzeiten heimlich naschen. Wahrscheinlich war es eine Kombination aus beidem. Als das Schiff weiter Richtung Süden fuhr, kam ein warmer Wind auf und auch das Meer hatte fast Badewannentemperatur. Hier im Süden spürte man nichts von dem Winter, der den Norden in seinen frostigen Klauen hielt. Der genesene Shocai ebenso wie Lahiko machten immer häufiger Ausflüge unter Wasser, genossen die tropischen Temperaturen und blieben immer längere Zeit in dem Element, in dem sie aus dem Ei geschlüpft waren. Schließlich fassten sie einen Entschluss. Sie baten ihre Reisegefährten, sich an Deck zu versammeln.


    »Werte Damen«, erklärte Lahiko höflich, »ich möchte mich im Namen von Ihnen beiden für die Hilfe bedanken und dafür, dass Ihr meinen Freund wieder aufgepäppelt habt.«


    »Wir sind keine Freunde«, fauchte Shocai. »Nie gewesen und werden es niemals sein.«


    Lahiko räusperte und korrigierte sich. »Dafür, dass Ihr meinen langjährigen Reisegefährten, der eine tiefe Abneigung gegen mich hegt, wieder aufgepäppelt habt: Ihn, den Schrecken der Meere, den Bezwinger der Gestreiften Schlange, jenen Held, nach dem man Shocais Zacken benannte.«


    Shocai winkte bescheiden ab.


    »Jedenfalls«, fuhr Lahiko mit einem schiefen Seitenblick in seine Richtung fort, »haben wir nach eingehender Beratung beschlossen, Euch doch nicht bis zum Ende der Überfahrt zu begleiten. Wir wünschen euch auf eurer weiteren Reise viel Glück. Ich hoffe, Ihr zürnt uns nicht. Es war eine schöne Zeit, doch uns rufen die Tiefen des Ozeans. Wie sagt man an Land? Einen Wandersmann soll man nicht aufhalten. Oder in der Sprache der Meere: Es ist Warmwasserzeit.« Er ließ vielsagend die Augenbrauen hüpfen, doch ein Großteil der Mannschaft glotzte nur verständnislos, so dass er sich verlegen im Nacken kratzte. »Ja, ich, also ... wir wären jedenfalls so weit.«


    Er gab Kosima und Khaoula die Hand, der Ältesten natürlich zuerst, Shocai machte es genau anders herum.


    Dann sprangen die beiden Shezem von der Reling ins Meer. Sie tauchten noch einmal auf, umschwammen das Schiff hüpfend wie Delfine, ehe sie ein letztes Mal winkten und endgültig abtauchten. Das letzte, was man von ihnen sah, waren eine rot-weiß-gestreifte und eine silberne Schwanzflosse, die beim Abtauchen kurz zum Vorschein kamen und Wasser verspritzten, dann nur noch dunkelblaue Wellen.

    "Der Name ist Shocai und in meiner Heimat bin ich ein gefürchteter Sandjäger", sprach Shocai langsam und mit so tiefer Stimme, wie er es bewerkstelligen konnte. "Ich bin das unaussprechliche Grauen, der Geist dieses Ozeans, der die Harpune aus dem Weißen zog, der Bezwinger der gestreiften Seeschlange, dessen Namen selbst die Frostalben nur bei Tageslicht auszusprechen wagen, der, von dem alte Lieder künden und nach dem Shocais Zacken benannt worden sind."


    Lahiko nahm, noch während der Sandjäger sprach, Kosima die knöcherne Dose aus der Hand und machte ihm damit einen Tupfen auf die Nase, ehe er die Salbe auf Shocais blauen Flecken verrieb.


    "Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich hasse", keuchte Shocai tonlos.


    "Ich habe uns Badewannen organisiert", erwiderte Lahiko, als ob das alles rechtfertigen würde. "Außerdem hat die Älteste mir eine Anstellung in Aussicht gestellt, als sie meines Talentes Gewahr wurde." Er vollführte mit der geöffneten Dose in der Hand und gespreizten Flossen einige Pirouetten und wackelte mit dem moppligen Hintern, womit er die tamjidischen Volkstänze imitierte. In vollständiger Wassergestalt sahen seine Tänze eindeutig eleganter aus, besonders, wenn er sich dabei unter Wasser befand. "Und wir haben eine gemeinsame Kajüte samt Wanne, ist das nicht herrlich?" Er beendete die Drehung mit einer Pose, die vermutlich elegant wirken sollte.


    "Du bist echt fett geworden", fand Shocai. "War wirklich Zeit, dass wir aus dem Schluckspecht weggekommen sind."


    "FETT!" Lahiko kreischte, dass allen Anwesenden die Ohren klingelten. Er wandte sich an Kosima. "Ja, ich habe noch Wünsche für die Überfahrt. Ich benötige eine Diät aus Shrimps, Plankton, Seetang und Miesmuscheln. Sonst kann ich nicht mitfahren!"


    Er setzte sich auf ein Fass und heulte. Shocai grinste zufrieden.

    Shocai blinzelte verwirrt. Als sie die Tür verließen, waren sie nicht mehr in Obenza sondern ... irgendwo im Süden. Er hasste den Sündentempel und seine verwunschene Tür! Vermutlich hatte Zott wieder am Regler gedreht, so dass die Tür diesmal in seine alte Heimat zeigte, um hier irgendwas zu organisieren, was den Profit steigerte. Wenn das stimmte, dann waren sie irgendwo in ... Tamjidistan. Tamjidistan! Shocai stöhnte. Es gab nur wenige Landstriche, die noch trockener und heißer waren. Gab es überhaupt welche? Die sengende Sonnenstrahlung, die unbarmherzig auf ihn niederprasselte und seine malträtierte Schleimhaut austrocknete, so dass sie binnen Sekunden wie Pergament wurde, ließ ihn daran zweifeln.


    "Gnädige Frau", krächzte er. "Ich benötige dringend ein Bad und feuchte umschläge, sonst trocknen meine Kiemen aus!"


    Hinter sich hörte er ein unangenehmes Zwitschern und Flöten: "Shociiiiii, so warte doch! Shoci, es war nicht so gemeint!"


    Der fette kleine Giftstachler, seine persönliche Nemesis, dieser unsägliche Lahiko, kam ihnen hinterhergeflitzt. Beim Rennen liefen kleine Wellen über seinen gestreiften Speck. Er trat Shocai beiläufig auf den Haischwanz, so dass dieser gequält aufstöhnte und hakte sich dann rotzfrech bei der Dame unter.


    "Vielen Dank, dass Ihr meinen Freund aus dieser misslichen Lage gerettet habt, hübsches Fräulein."


    "Ich bin nicht dein Freund", fauchte Shocai, das dazu führte, dass Lahiko ihm in die Wange kniff und sein Gesicht derart schüttelte, dass Shocais Speichel herumflog.

    "Na, na, wer wird sich denn im Ton vergreifen."
    Geschickt wich er den dreieckigen Zähnen aus, als Shocai nach ihm schnappte, wobei er sehr unmännlich "Huuuuch!" kreischte.

    Shocai wischte sich demonstrativ mit einem Wischlappen die Unterarme sauber, mit extra viel Seife, um dem Menschen zu demonstrieren, was er von ihm hielt. Den Gargoyle, der ihn die ganze Zeit taxierte, ohne scheinbar auch nur ein einziges Mal zu blinzen, hasste er genauso, da er sich mit dem Menschen verbündet hatte und außerdem war es ein Abschaum Garaxymos, den keine Sprotte brauchte.


    "Wenn Ihr zehn Jahre vor mir stehen würdet, würde ich vor lauter Abscheu zu einem Stockfisch zusammentrocknen", erwiderte er. "Kommt in zehn Jahren wieder und fordert mich zu einem Duell, Mann gegen Mann! Wenn ihr es wagt. Nur mit den Waffen, die Nyel uns gegeben hat oder in deinem Falle mit jenen, die er dir nicht gegeben hat! Es hat einen Grund, warum Euresgleichen nur an Land existieren kann, Nyel hat euch die Flossen und Kiemen genommen vor lauter Ekel, damit er euch nicht länger in seinem blauen Fleische ertragen muss! Und es hat seinen Grund, warum Tiamor nun auf dem Meeresgrund liegt und nur wenige Auserwählte von außerhalb des Ozeans ihre Bibliothek einsehen oder die Akademie betreten dürfen! Eure Schiffe sind wie lästige Seepocken auf Nyels Haut! Eure Hafenstädte jämmerliche Versuche, euch dem Paradies zu nähern, das ihr doch niemals erreichen könnt!"

    Shocai betrachtete den Menschen, der sich erdreistete, seine Handgelenke zu umfassen. Er verfluchte seine Jugend. Ein ausgewachsener Sandjäger war in Landwandlergestalt an die zwei Meter groß und in seiner natürlichen Form mit Haischwanz gar drei Meter lang. Zwar war ein Angehöriger seines Volkes an Land unsagbar schlecht im Kampf, doch das wussten die meisten nicht. Allein ihre Erscheinung genügte meist, dass man ihnen Respekt entgegenbrachte. Es war die Urangst vor dem Hai, dem sie allzusehr ähnelten und die Furcht vor dem Fremden, denn kaum ein anderes Volk war den Landbewohnern so fern und unbekannt wie die Haimenschen aus dem Eismeer im hohen Norden und so schwer einzuschätzen, denn Sandjäger hatten so gut wie keine Mimik und ihre Körpersprache war eine völlig andere.


    "Wartet noch zehn Jahre", zischte er leise, "bis meinen Rücken ein schwarzes Tigermuster ziert. Dann werdet Ihr wünschen, nie so mit mir gesprochen zu haben. Jetzt gebt mich frei, ich habe noch zu tun. Denn im Gegensatz zu dem, was Ihr zu glauben scheint, ist mir tagsüber keine Pause vergönnt und wenn ich auf allen Vieren Euer Speis und Trank serviere ... Herr."

    Shocai brachte das Essen und den Kaffee für die Trolle. Er hasste diesen Tag und der faule Sack von Lahiko dachte nicht daran, auch nur einen Finger krumm zu machen, um ihm mal zu helfen. Der verdiente ja auch in einer Stunde so viel wie Shocai an drei Tagen. Er aalte sich an der Bar und sein Cocktail war schon wieder fast leer, so das Shocai ihm gleich einen neuen anmixen musste. Mann, wie er sich darauf freute!


    "Da", sagte er knapp und brachte den Trollen auch noch eine trockene Decke. Er bemerkte in seiner Eile nicht, dass es eine für die edlen Rösser der Hohen Herrschaften bestimmte und bereits mehrmals benutzte Pferdedecke war.

    Das Meer ... das warme Wasser des Dhunik, das seinen Körper umschmeichelte, während er in seiner natürlichen Gestalt durch die Wogen glitt. Fischschwärme, die ihn fürchteten und als glitzernde Vorhänge hin und her wogten, um ihm auszuweichen. In der Ferne die dunklen, schemenhaften Gestalten der anderen Jäger. Sand, auf dem Lichtspiele tanzten und saftige, fleischige Rochen verborgen im Grund ...


    ... als der giftige Blick eines Gasts ihn daran erinnerte, dass er noch zwei Bier verteilen musste. Rasch füllte Shocai sie auf und stellte sie auf den Tisch. Da der Gast keine Sorte genannt hatte, hatte er zwei unterschiedliche gebracht, einmal Turzwachter Gold und einmal Geymasch.

    Heute war was los! Wäre Shocai von seiner Anatomie her des Schwitzens mächtig gewesen, so hätte er es getan.


    Erst die Lichtalbin. Sie bekam ihren Kaffee und die Karte.
    "An vegetarischen Gerichten kann ich Euch die Käseplatte oder den Almanenlaib empfehlen. Die Tamjidischen Hirsebällchen sind sogar vegan, das Heu auch."


    Dann der Almane. Er brachte ihm einen großen Krug Turzwachter Gold und ebenfalls die Karte.
    "Spießbraten ohne alles oder Rakshanischen Ghulasch würde ich Euch raten. Der rohe Gulasch allerdings schmeckt auch sehr gut, wenn man gern Fleisch zu speisen beliebt." Er dachte kurz nach, ob die Satzkonstruktion richtig war, weil sie irgendwie schräg klang. Er kam zu dem Schluss, dass er keine Ahnung hatte.

    Shocai zerbrach vor Schreck den Wischmopp, als der Frostalb ihn derart anplärrte. Mürrisch betrachtete er die beiden Hälften. Den Mopp würde man ihm vom Lohn abziehen. Der blöde Giftstachler am Tresen musste derart lachen, dass er seinen zuvor so elegant zwischen Daumen und Zeigefinger gehaltenen Cocktail durch die Nasenlöcher wieder ausstieß. Rasch griff Lahiko nach einem Tuch, um sich das Gesicht zu reinigen und die Peinlichkeit zu verbergen, während er immer noch lachte. Shocai fand es nicht einmal zum Schmunzeln.


    Mies gelaunt brachte er die hölzernen Überreste fort und anschließden dem Frostalb die Rechnung, auf der fein säuberlich alles untereinander aufgelistet war, inklusive der Freudenhauskapriolen der Orkfrau, die sich mehr als exklusiv hatte verwöhnen lassen und zwar gleich von drei Herren gleichzeitig, die alle bezahlt werden wollten und zwar obendrein mit einer fetten Zulage für schmutzige Sonderwünsche. Die Rechnung war derart astronomisch, dass es Shocai schon vom Lesen weh tat.


    Während der Alb und sein Begleiter die Rechnung betrachten konnten, brachte er noch rasch der neu hinzugekommenen Albin ihre bestellte Mahlzeit und das Getränk. "Bitte", knurrte er, noch immer missgestimmt und hielt dabei ohne es zu merken den Daumen in das Essen.

    Shocai beobachtete die Gruppe Gäste misstrauisch. Sie sahen aus, als ob sie jeden Moment verschwinden wollten, aber irgendwie machte keiner Anstalten, das Essen zu bezahlen, geschweige denn ihm Trinkgeld zu geben. Er tat, als müsste er wischen und versperrte dabei vorsätzlich schrubbend die Tür.

    Die Laune am Vierertisch wurde immer frostiger. Ob die Orks Schuld daran trugen oder das Mensch-Alben-Duo, konnte Shocai nicht sagen und es war ihm auch egal. Er flehte den Tag herbei, da er endlich ausgewachsen sein würde und ins Eismeer zurückkehren konnte. Vorher würde er alle Gäste auffressen, das schwor er sich, jeden einzelnen und den Chef gleich dazu.


    Da dieser Tag aber noch fern war, überprüfte er, ob Kehrschaufel und Besen bereitstanden, um die vermutlich bald entstehenden Scherben und Möbbeltrümmer auffegen zu können. Erst, als die Orkfrau ins Freudenhaus verschwand, entspannte sich das Ganze etwas. Der Frostalb gab eine ordentliche Bestellung auf, eine der wenigen, von deren preislichem Umfang her seine Arbeit sich seiner Meinung nach überhaupt lohnte und Shocai verschwand in der Küche. Da nicht-alkoholische Getränke gewünscht waren, die nicht bitter schmeckten, brachte er jedem von ihnen einen alkoholfreien Shezemkuss, einen grünen Cocktail mit einem lebenden Molch darin schwimmend, verziert mit Teichlinsen und einer Seerosenblüte, fruchtig-säuerlich schmeckend. Kurze Zeit später war auch der Braten fertig (dank eines Farisin in der Küche ging so etwas immer recht fix) und Shocai servierte.


    Zurück am Tresen war ihm noch immer keine Pause vergönnt. Aber wenigstens war der neu hinzugekommene junge Bursche freundlich und zahlte sogar noch vor dem Erhalt des Gewünschten. Shocai kochte wohlwollend einen extra starken Mokka mit viel Butter und Zucker und einer winzigen Prise Salz. "Lass es dir schmecken."

    Einen Moment lang blickte der Mensch drein, als würde er Shocai auf der Stelle zu Hundefutter verarbeiten und der sah sein letztes Stündlein gekommen. Dann aber brachte er die beiden Riesenviecher doch nach draußen, ohne ein Widerwort von sich zu geben. Shocai atmete erleichtert aus und schrumpfte dabei um einen halben Kopf. Der Haischwanz, der ihm vor lauter Aufregung zusätzlich zu den Beinen gewachsen war, zog sich wieder ein. Als der zurückgekehrte Mensch nach Informationen über den Gelben fragte, runzelte Shocai die Stirn.


    "Also ich kann euch auch nicht viel mehr dazu sagen, als dass es sich um einen gelbhäutigen Goblin handelt, der Leute zerhackstückelt und vor dem sich sogar die Ordnungskräfte in die Hosen machen. Die Nachtwächter streiken wegen dem, was es auch nicht besser macht. Ich hab das von den Gästen aufgeschnappt."


    Er wies mit dem Kopf in Richtung eines Tischs, wo ein mitgenommen aussehender Orkmickerling mit seiner Begleiterin saß und dieser verzweifelt versuchte zu erklären, wohin er letzte Nacht verschwunden war. Sie widerum unterstellte ihm einen Seitensprung und dass seine Geschichte vom Gelben Goblin nichts als eine Lüge und faule Ausrede wäre.


    "Der gute Mann da ist ihm offenbar leibhaftig begegnet - und hat die Begegnung überlebt", sagte Shocai. "Den könntet ihr nach Details fragen, er weiß sicher mehr. Aber seine Frau scheint sauer auf ihn zu sein, mit der wäre ich vorsichtig. Die hat erst vor wenigen Stunden eine ausgebildete Almanensoldatin in Grund und Boden geprügelt. Mit diesem Tisch." Er klopfte mit der flachen Hand auf den massiven Eisentisch, an dem der Mensch und der Frostalb saßen. "Sie ist besoffen und schlecht gelaunt. Es ist fraglich, ob sie euch mit ihrem Liebsten reden lässt."

    Shocai mochte keine Gäste, die nur Leitungswasser wollten und sich dann auch noch am Feuer wärmten und einen Sitzplatz für zahlende Kundschaft blockierten. Und der Chef mochte sie noch weniger. Shocai würde Ärger kriegen. Es gab zwar noch genügend freie Plätze in der Taverne, aber die Furcht vor der jähzornigen Mumie war groß. Darum füllte er die Feldflasche auf und sagte: "Macht fünf Handelstaler. Ihr könnt Euch so lange wärmen, wie ihr wollt."


    Nachdem er die Dame bedient und diese platzgenommen hatte, kam er seinen üblichen Pflichten als Kellner nach. Ein weiterer Waldalb betrat den Schankraum und erkundigte sich nach Gerüchten. Klugerweise, nachdem er ein Bier bestellt hatte und so plauderte Shocai drauf los, während er das Bier einfüllte.


    "Eine Expedition zum Mittelpunkt Tasmerons, die aber spurlos verschollen ist. Und eine zweite auch. Keine Ahnung, was die da unten gesucht haben. Wahrscheinlich sind alle tot, aber keiner traut sich, nach ihnen zu suchen. Die Zwergenfestung Dunkelbruch steht kurz vor dem Fall, die Truppen des Chaos sind auf dem Vormarsch. Der gute Tarkan heizt ihnen ordentlich ein, hat jetzt eine Luftstreitmacht. In Almanien rührt sich etwas, dem man noch keinen Namen geben kann. Irgendwas aber ist da im Anmarsch, das meint man zu spüren. Und nicht zuletzt ein irrer Massenmörder namens Gelber Goblin in Obenza, vor dem sich sogar die Büttel fürchten. Zerstückelt seine Opfer. Allerdings fehlt mir das Verständnis, was daran jetzt so schlimm sein soll, da im Eismeer unter den Sandjägern so was zum guten Ton gehört." Er zuckte die Schultern. "Für den Gelben Goblin gibt es jedenfalls vermutlich ein beträchtliches Kopfgeld."


    Zwei abnorm große und wegen der Nässe stinkende Hunde betraten den Schankraum, gefolgt von ihren beiden Herrchen. Die Gäste drehten sich alle gleichzeitig in Richtung der riesen Viecher um und Gemurmel brandete auf, mehrere Blicke richteten sich gleichzeitig auf Shocai, damit der etwas unternahm. Jetzt musste er auch noch einen Hundebesitzer darauf hinweisen, dass seine geheiligten Lieblinge bei dem Sauwetter draußen bleiben mussten. Wenn er Pech hatte, verkündete der mit Pauken und Trompeten, dass er nirgendwo einkehren würde, wo seine Hunde unerwünscht waren und erhobenen Hauptes herausstolzieren, um überall herumzuerzählen, dass im Schluckspecht nur Hundehasser wären. Der eine sah auch noch ziemlich wohlhabend aus, wenn er Pech hatte, verfügte dieser über nahmhaften Einfluss.


    Augen zu und durch.


    Shocai bediente sie zuerst und warf sich lässig das feuchte Geschirrtuch über die Schulter, um cool auszusehen. "Verzeihen Sie, meine Herren, aber Hunde müssen leider draußen bleiben. Ich könnte aber mit zwei Knochen zur Beschäftigung dienen." Nach diesem Satz hielt er ohne es zu merken, vor lauter Anspannung die Luft an. Lahiko feixte an der Bar und drehte sich zu ihnen um, um das folgende Schauspiel nicht zu verpassen, während er einen rot-weiß-gestreiften Cocktail schlürfte, der farblich zu seiner Haut passte. Er zirpte gut gelaunt vor sich hin, während Shocai vor Anspannung mit der Hand, die das Gerschirrtuch hielt, den Stoff zerquetschte.

    Ja ... warum war sie ein Fisch?
    "Verwandle dich in einen Landgänger", blaffte Shocai, doch Astroides hörte nicht auf ihn. In ihre Panik glibberte sie nur herum wie ein riesiger an Land gezogener Fisch, schlug sinnlos mit ihrer Flosse und katapultierte sich ein paar mal durch die Gegend. Shocai verstand nicht, warum sie nicht auf ihn hörte. Trotz? Rache?
    "Sie ist nicht voll funktionstüchtig", urteilte der Frostalb. "Was soll ich mit einer Arbeiterin, die nicht mal den Kopf aus dem Wasser strecken kann, ohne zu ersticken? Wie soll der Tran eurer Meinung nach vom Wal in die Destille gelangen, hä? Ich will mein Geld zurück!"
    "Kommt gar nicht in Frage!"
    Während Shocai und der Alb stritten, hüpfte Astroides nach Luft schnappend über die Wiese. Besorgt beobachtete Lahiko sie in ihrem Treiben. Zum Glück war das Gras weich, so dass sie sich nicht weiter verletzen würde. Hüpf ... hüpf ... hüpf ...
    "Herr Nyel nochmal!", rief Lahiko. "Hör auf zu streiten, zu zahnloser Ammenhai! Die Dame muss zurück ins Wasser, danach könnt ihr gerne weitermachen! Würdest du also bitte deine Muskelkraft bequemen?"
    "Er hat angefangen", verteidigte Shocai sich und zeigte mit dem Finger auf den Frostalb, der vor lauter Wut das Fass umstieß. Nun gab es für Astroides keine rasche Hilfe mehr.
    "Bei allem, was dir heilig ist, sie wird ersticken", rief Lahiko.
    "Mir ist nichts heilig. Und sie hat außerdem mit 'nem anderen angebändelt. Mein Stolz ist verletzt!", erklärte Shocai.
    "Ja - und?!"
    "Mein Stolz", brüllte Shocai. "Aber das verstehst du natürlich nicht!"
    Astroides hüpfte noch immer auf der Wiese hin und her.


    Da erhob sich aus dem Brunnen des Sündentempels das Wasser in einem Stück, wie ein riesiger schwebender Wackelpudding. Der Wasserklotz kam näher gechwebt, senkte sich auf Astroides herab und nahm sie in sich auf.
    Shocai glotzte verständnislos. Lahiko gab ein entzücktes leisen Quieken von sich. Aus den Reihen der Umstehenden war ein hochgewachsener, abnorm hässlicher Shezem getreten. Er war klapperdürr. Seine Haut war pechschwarz und glänzend, als sei er nur ein mit Folie überzogenes Gerippe. Aus seinem Hintern wuchs ein extrem langer Schwanz, den er wie ein Schal mehrfach um Hals und Schultern gewickelt hatte, damit er nicht störte. Dazu trug er eine schwarze Toga. Sein Unterkiefer stand unschön nach vorn, so dass die spitzen Zähne vor der Oberlippe waren. Er schien schief zu grinsen, aber das war nicht so einfach zu erkennen. Mit einigen Bewegungen seiner spinnenartigen Finger sorgte er dafür, dass der Klotz sich mit Astroides mitbewegte und sie nicht mehr versehentlich hinausflutschen konnte.


    "Gestatten, Kahash Xashir`zhee Cui-Vahec Nash", stellte er sich vor. "Schwimme in Richtung des Meeres, ich folge dir mit dem Wasser."
    "Und meine Arbeiterin?", brüllte der Alb.
    "Und mein Geld?", erboste sich Shocai.
    "Meine Nerven!", rief Lahiko.

    Shocai ließ den Krug, den er gerade wusch, in das Aufwaschbecken fallen und hastete durch die Menge, den tropfenden Lappen noch in der Hand. Die Stimmung in der Taverne drohte zu kippen und das zur besten Geschäftszeit und - viel schlimmer noch - drohte, ein Gast auf ewig vergrault zu werden!


    "Sofort aufhören", rief er und klang dabei nicht halb so autoritär, wie er es beabsichtigt hatte. Er griff dem gestürzten Gottesdiener unter den Arm und half ihm auf die Füße. Sodann schickte er sich an, dessen befleckte Robe mit dem Aufwaschlappen zu reinigen, mit dem er soeben noch den Bierkrug geputzt hatte. "Es tut mir außerordentlich leid, Pater", murmelte er. "Eure Bestellung erhält einen Rabatt von fünfundzwanzig Prozent."


    Im Hintergrund näherte sich die Orkdame mit einem zum Schlage erhobenen Fisch, mit dem sie breit grinsend auf Shocais Kopf zielte.

    "500 Handelstaler und keinen Kupferling mehr, oder Oril soll mich holen!"
    "Abgemacht!"
    Per Handschlag wurde der Handel besiegelt, der Käufer begab sich im Beisein des Sandjägers zur sündentempeleigenen Bank und überreichte ihm das Geld. Shocai halbierte es und zahlte es für sich und Lahiko wieder ein, da sie beide keine Taschen bei sich trugen und es auch nicht ratsam war, solcherlei Geldmengen mit sich spazieren zu tragen.


    Lahiko beugte sich derweile über das Fass, während er leise mit der Giftstachlerin sprach. "Mach dir keine Sorgen, das gehört alles zum Plan! Du solltest von unserem Kapitän aus versklavt werden, aber wir holen dich da raus. Geh zunächst brav mit dem Kerl mit und du bekommst was von unserem Anteil. Übrigens ... deine kurzen Stacheln sehen sehr verwegen aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf."


    Shocai kehrte mit dem Mann zurück.
    "Und?"
    "Fünfhundert."
    "Äh, wie jetzt! Für jeden oder was?"
    "Für uns beide."
    "Ja, bist du denn von allen Sinnen?" Lahiko warf theatralisch die Arme in die Luft, nur um sich dann mit allen Fingerspitzen an die Stirn zu fassen. "Du hast eine junge, gesunde, exotische Sklavin gerade zum Preis einer zahnlosen alten Kuh verkauft!"


    Der Käufer, ein drahtiger, älterer Frostalb mit Haaren bis zu den Kniekehlen grinste breit und grabschte in das Fass, um Astroides hinauszuziehen. "Ich habe einen Arbeitsplatz in der Lebertrandestille für dich. Den Saft aus den Walen zu holen, ohne die Kadaver extra an Land verfrachten zu müssen, spart einiges an Kleingeld. Und wenn du brav bist, darfst du in meinem Brunnen bei den Stören übernachten. Im Norden wird es dir gefallen."


    Lahiko zwinkerte Astroides zu und Shocai nickte mit hochgezogener Stirn.

    Shocai glotzte auf die funkelnde Münze und machte den Mund auf, um eine Antwort zu geben, da trat ihm Lahiko unter dem Tresen gegen das Bein. Shocai verschluckte seine Worte und sah ihn verwirrt an. Im nächsten Moment tat Lahiko so, als wollte er sich strecken und schlug Shocai dabei die Münze aus der Hand. Der Handelstaler flog in hohem Bogen durch den Schankraum, rollte und hüpfte über den Boden und bevor ihn jemand fangen konnte verschwand er in einer Spalte zwischen zwei Dielen. Ein Klimpern verriet, dass die Münze eine Etage tiefer gelandet war. "Huch!", rief Lahiko.

    "Ihr aber seid ein grauenvoller Kunde", erwiderte Lahiko auf die Aussage hin, er sei ein hartnäckiger Verhandlungsgegner, brüsk. Ihm war nicht entgangen, dass der Goblin Verhandlungsgegner gesagt hatte und nicht etwa Verhandlungspartner. Zudem hatte Lahiko gerade seine wertvolle Zeit damit verplempert zu arbeiten, Flix ihre Kundschaft zuzuspielen und obendrein einen fairen Preis für sie auszuhandeln, ohne dass er selbst nun auch nur einen Handelstaler dafür sehen würde. Er hatte völlig umsonst gearbeitet und obendrein seine Nerven bei den Preisverhandlungen mit einem Goblin malträtiert. Auch hatte seine eigene Kundschaft ihn inzwischen allein gelassen. "Den Weg in den Grünen Salon findet ihr sicher allein." Er warf dem Goblin den Schlüssel zu, drehte sich um und stolzierte nicht, sondern latschte zur Bar, wo er sich von Shocai ein hochprozentiges Trösterli mixen ließ.


    Der unterhielt sich derweile mit einer Norkara.


    "Die besten Wassermagier sind die Schwarzen Schlinger, daran gibt es nichts zu rütteln. Du findest sie" - er grinste - "Unterhalb von 1000 Metern unter dem Meeresspiegel."

    Erleichtert ließ Lahiko die angespannten Giftstacheln sinken. So viel Stress zu so früher Stund, so viel Unentspanntheit! Das brachte nur ein Goblin fertig. Andererseits blieb ihnen ja auch nur eine kurze Lebensspanne, die wollte genutzt sein. Nun, da war er hier an der besten Adresse. "Ihr werdet es nicht bereuen! Die wundervolle Flix findet Ihr im Grünen Salon." Er holte einen Schlüssel. Er wagte kaum auszusprechen, was er nun sagen musste. "Wenn Ihr die Güte hättet, eine Anzahlung von fünfzig Prozent zu leisten...?"


    Shocai musste sich die Faust vor den Mund halten, um nicht loszuprusten. Er sammelte sich einen Augenblick, räusperte sich und widmete sich mit zusammengekniffenem Mund weiter der Reinigung der Bar. Von der Sache her war er nicht mit übermäßigem Humor gesegnet, aber Lahiko in dieser Misere zu sehen, ausgerechnet mit einem Goblin verhandeln zu müssen, war einfach zu schön. Lahiko zeigte ihm hinter seinem schmächtigen Rücken den Mittelfinger.

    "300!", rief Lahiko. "Mein letztes Angebot. Oh, der Viktor van Blutar wird mich erschlagen, wenn er davon hört! Oder noch schlimmer - er wird mich putzen lassen." Lahiko zeigte in Richtung von Shocai, der gerade einen Zapfhahn polierte und mit ausdrucksloser Miene zurückstarrte. "Welch Vergeudung, welch Schmach! Ihr Goblins treibt den Sündentempel noch einmal in den Ruin. 300 Handelstaler oder ich verkaufe auch meine Würde und mein Herz. Seid kein Eisklotz, geht in Euch und ihr spürt, dass der Preis nicht einen Handelstaler geringer sein darf."