Beiträge von Astroides Calycularis

    Im ersten Augenblick realisierte die Shezem nicht was geschah, als das Wasser sie wie ein kühler Mantel umhüllte und mit weichen Armen in seine Umarmung aufnahm. Ihr ganzer Leib war von Schnittwunden übersät, die höllisch brannten, was jedoch nichts war im Vergleich zu ihren Lungen. Gierig sogen sie den Sauerstoff über die Kiemen in sich auf, um es danach ihrem rasenden Herzen zu überlassen, die lebensspendende Energie über den gesamten Kreislauf weiter zu verteilen.
    In ihrer Panik und durch das Rumgewedel ihrer Flosse hätte sich Astroides beinahe wieder aus ihrer überdimensionalen Wasserblase katapultiert, doch ihr Retter war wirklich geschickt und beherrschte seine Magie vortrefflich, so dass sich der Wasserpudding mit den Bewegungen der Giftstachlerin mitbewegte.
    Noch immer völlig aufgewühlt versuchte Astroides nichts desto trotz einen klaren Kopf zu bekommen, was ihr jedoch schwerfiel. Ihr Blick huschte unstet umher und versuchte sich an etwas festzuklammern, doch die Welt ausserhalb der Blase wirkte durch ihre sprunghaften Bewegungen verzerrt. Ihre Aufregung nahm immer weiter zu und so begann sie schliesslich vor lauter Nervosität enge Kreise zu drehen, von denen einem nur schon beim Zuschauen schwindlig werden konnte. Flusch…flusch…flusch… flitzte der rotweisse Körper immer wieder an den Zuschauern vorbei.


    "Gestatten, Kahash Xashir`zhee Cui-Vahec Nash", erklang da plötzlich eine unglaublich hohe Stimme, die durch das Wasser etwas abgestumpft wurde.
    "Schwimme in Richtung des Meeres, ich folge dir mit dem Wasser."
    Protestrufe erklangen, doch Astroides hatte nur Gehör für ihren Retter, der sich als schwarzer Schlinger entpuppte.
    Ruhig, du musst dich beruhigen… beruhige dich!
    Das Meer, das Meer… ja in welcher Richtung befand es sich überhaupt?

    Freundlicherweise begann sich der Wasserpudding langsam in besagte Richtung zu bewegen, so dass Astroides einen Anhaltspunkt hatte.
    Die Leute staunten nicht schlecht, als das Gebilde langsam an ihnen vorbeiwabbelte.
    Ob Shocai ihr folgen würde? Im Grunde war er ihr eine Erklärung schuldig. Und eine Entschuldigung!
    Doch sie konnte nur Schemen erkennen durch die Wasserwand hindurch, so dass sie einfach dem Ozean entgegenschwamm, wie es ihr Retter geraten hatte.


    „Du bist ein grosser Magier. Danke, dass du mich aus meiner misslichen Lage befreit hast. Vermutlich wäre ich an diesem unsäglichen Ort gestorben und niemand hätte sich darum geschert. Alles tut weh, mein Körper, meine Lungen... und meine Stacheln sind…“, sie brach ab und schlang ihre Arme schützend um den Körper, während sie stumm weiterschwamm.
    Endlich konnte sie die blaue Weite des Meeres erkennen, die immer grösser zu werden schien, je näher sie ihr kamen.
    „Mein Name ist Astroides, ich lebe eigentlich in Coralys. Aber ich habe keine Ahnung, wo ich hier gelandet bin. Und wie ich wieder nach Hause komme“, sogar durch den Wasserpudding hindurch konnte man die Verzweiflung in ihrer Stimme wahrnehmen.
    „Dieses unsägliche Haifischmaul! Ich hätte auf die Erzählungen hören sollen… Sandjäger sind hinterhältige, egoistische Biester!“

    Astroides starrte Lahiko ungläubig an. Ein Plan? Was für ein Plan?
    Er schien sich nicht die geringsten Sorgen zu mache, steckte aber auch nicht wie eine Sardelle in der Dose fest und sollte gleich versklavt werden!
    Als er ihre Stacheln erwähnte, funkelte sie ihn empört an. Bevor sie jedoch dazu kam, ihm ihre Meinung zu geigen, tauchten zwei weitere Gestalten auf.
    Die Sardelle schnappte hörbar nach Luft: „Shocai!“
    Dabei klang ihre Stimme mehr wie ein Zischen, als ein fröhlicher Überraschungsausruf.


    Obwohl einiges an Zeit vergangen war, erinnerte sie sich noch allzu gut an das letzte Treffen mit ihm und wie es geendet hatte. Offensichtlich hatte auch er es nicht vergessen, und wollte sich nun für die Demütigung rächen, wobei Astroides noch immer der Meinung war, dass dieser aufgeblasene Kerl es verdient hatte, nachdem er sie mir nix dir nix für einige kokettierende Weiber hatte stehen lassen.


    „Was soll das?“, fauchte sie aufgebraucht aus ihrem Fass heraus, erhielt jedoch keine weitere Aufmerksamkeit.
    „Schön, du hast mir einen Schrecken eingejagt. Du hattest deine Rache. Und jetzt bring mich zurück in den Ozean!“, forderte sie von dem Sandjäger.
    Im nächsten Moment kam auch schon der Frostalb auf sie zu und griff nach ihre Arm.
    Astroides Ärger verwandelte sich nun urplötzlich in Angst, als die beiden Shezem keine Anstalten machten, sich für sie einzusetzen.
    „Shocai? Bitte, es tut mir doch Leid“, rief sie verzweifelt und versuchte sich ihrem Käufer zu entwinden.
    „Jetzt hab dich net so, Kleine“, knurrte dieser, „beweg dich aus deinem Fass raus. Du gehörst jetzt mir! Oder muss ich nachhelfen?“


    Panisch blickte sich Astroides nach einem Ausweg um, doch es gab keinen. Im nächsten Moment zerrte der Kerl ruckartig an ihr, der Körper der Giftstachlerin flutschte über den Rand des Fasses hinweg und klatschte unbeholfen zu Boden.
    Verdattert starrte der Frostalb auf ihre Flossen, dort wo seiner Meinung nach Beine hätten sein sollen.
    „Verflucht!“, knurrte er und wandte sich zu Shocai um, „warum ist sie n Fisch? Bring das sofort in Ordnung!“
    „Wasser“, japste unterdessen Astroides und rang nach Sauerstoff.

    Das Fass wankte gefährlich ab der Wucht der Magie, sodass Astroides sich am Rand festklammerte, als sie das viele Gras bemerkte, das so gar nicht wie Seetang anmutete.
    Ach du alter Backfisch, wo war das Meer abgeblieben?!
    Auch von den Schiffen war keines mehr in Sicht, stattdessen befand sie sich im Innenhof eines riesigen Gebäudes aus weissem und rosafarbenem Marmor.
    Einen Moment vergass sie ihre Angst und Faszination machte sich in ihren Augen breit.
    Als sie jedoch ein unterdrücktes Stöhnen ganz in der Nähe vernahm, erwachte sie in der Realität wieder.


    Plötzlich bemerkte sie auch die vielen Gestalten, die auf Bänken herumlümmelten und nun zu ihr hinüberstarrten. Einige waren aufgestanden, und kamen nun interessiert näher, während andere sich vor Lachen noch immer die Bäuche hielten - ziemlich dicke Bäuche, wenn man denn so wollte.
    Allgemein herrschte ein reges Treiben. Weibchen und Männchen gingen Arm in Arm und schäkerten miteinander, kleine grüne Wesen hämmerten und schraubten eifrig an einer seltsamen Konstruktion herum, in der Nähe sprudelte eine Wasserfontäne aus einem ziemlich flachen Becken und irgendwo gab ein gehörntes Tier ein seltsam klingendes Geräusch von sich, so dass sich der Shezem die Stacheln aufgestellt hätten, wären sie nicht samt und sonders zerbrochen.


    Vorsichtig schob sie sich etwas höher und spähte über den Rand des Fasses hinweg. Es fühlte sich seltsam an und irgendwie falsch ohne das Meer um sich herum zu wissen.
    Was sie sah, verwirrte sie jedoch gleich noch mehr. Eigentlich hatte sie vermutet, ihren Peiniger zu erkennen, doch ihre Wut hatte wohl den Falschen getroffen. Der Mann, der sich gerade in eine sitzende Lage aufrichtete, war eindeutig ein Giftstachler, auch wenn er zwei Beine hatte, wie die Landgänger.
    Er wollte sie retten! Nyel hatte ihr einen Prinzen geschickt!
    Freudige Erregung breitete sich in ihr aus, und wischte sogar das schlechte Gewissen fort, weil er ungerechterweise den Schlag ihrer Magie abbekommen hatte.


    Sie wollte gerade einen Versuch wagen, ihn anzusprechen, da traten zwei Landgänger zu ihnen heran. Sofort tauchte Astroides in ihr schützendes Fass hinab, um ihre Schmach vor den gierigen Blicken zu verbergen.
    Die Kerle trauten sich auch nicht näher heran, denn sie hatten mitangesehen, was Lahiko bei dem Unterfangen zugestossen war.
    „Er wird mich retten. Er beschützt mich. Er ist einer wie ich. Nyel hat ihn mir geschickt. Er befreit mich und bringt mich zurück nach Hause“, während Astroides ihr Mantra aufsagte, begannen die beiden Kaufleute mit Lahiko zu diskutieren.


    Astroides verstand kein Wort, denn sie war den Landessprachen nicht mächtig. So konnte sie auch nicht wissen, dass die Männer nahe daran waren, ihre Diskussion auf ein Gerangel zu verlegen, als sich ihr Gespräch auf den Wert der beschädigten Ware verlegte. Beide versuchten sie den Preis herunterzudrücken und sich trotzdem gegenseitig zu übertrumpfen.
    Langsam sammelte sich eine Zuschauermenge um das Fass herum an, der Kreis zog sich enger und immer wieder schaukelte Astroides Zufluchtsort bedrohlich, wenn jemand mit dem Ellbogen dagegen stiess.

    Astroides riss die Augen auf, als sie unsanft von den Seeleuten in ein Fass mit Meerwasser geworfen wurde. Bevor sie richtig realisierte, was passierte, wurde auch schon der Deckel aufgenagelt und die Lichtquelle versiegte. Ihr Leib wurde unbequem zusammengequetscht und der Platz reichte nicht einmal aus, dass sie ihre Arme zur Seite ausstrecken konnte.
    Die junge Shezem war in einer Schockstarre gefangen und atmete nur flach, während ihr Herz zu rasen schien. Was war geschehen?
    Sie versuchte die Einzelheiten auszumachen, doch sie konnte bloss einzelne Bilder heraufbeschwören: Der sandige Grund, der unter den Wellen aufgewirbelt wurde. Die panischen Fische. Das Netz, das plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. Das Gefühl, als würden ihre Lungen bersten. Der Schiffsrumpf, der sich wie ein gefrässiges Tier über ihr erhob. Dann die erlösende Dunkelheit.


    Sie mussten sich noch auf dem Meer befinden, denn das Wasser wurde mit jeder Welle um sie herumgewirbelt, während sie darin wie eine Sardine herumhüpfte. Sie zuckte schmerzlich zusammen, als eine ihrer Stacheln abbrach. Fortan versuchte sie sich mit dem Bauch gegen die Wand zu pressen, um ihre Giftstacheln zu schützen, was ihr jedoch aus Platzmangel nur bedingt gelang.
    Endlich beruhigte sich das Schaukeln und das Tosen des Sturms wurde leiser, als das Schiff in den Hafen einfuhr. Astroides konnte Stimmen vernehmen, welche sich in fremder Zunge untereinander verständigten und durch das Wasser und die Wand des Fasses seltsam gedämpft klangen.


    Gleich würde man sie hier rausholen. Das konnte doch nur ein Missverständnis sein!
    Was wollten diese Fischfänger schon mit einer Shezem anfangen?
    Dann erinnerte sie sich an Geschichten, die erzählten, wie ihr Volk wegen ihrer Stacheln gejagt wurde.
    Astroides war irritiert. Wenn dem so wäre, machten die ihren Fang ja gerade zunichte, denn lange würden ihre giftigen Waffen nicht mehr Stand halten, bevor sie zerbrachen.


    Auch der Sauerstoff im Wasser wurde immer notdürftiger und mit jedem Kiemenzug konnte sie den abgestandenen Geschmack warhnehmen, der von dem ranzigen Fass noch verstärkt wurde.
    „Halloooo, ich will hier raauus!“, begann Astroides nun plötzlich wie von Sinnen zu rufen. Verzweifelt klopfte sie mit ihren Händen gegen Wände und Deckel, stemmte sich gar dagegen.
    Im nächsten Moment begann das Fass plötzlich zu wackeln und mit einem heftigen Schwung wurde es zur Seite gekehrt.
    Astroides schrie erschrocken auf und spürte im nächsten Augenblick wie sie weitere Giftstacheln verlor. Ein Blutrinnsal breitete sich im Fass aus, so nah an ihrem Leib waren die Stacheln abgebrochen.


    Ein verängstigtes Wimmern verhallte ungehört, dann wurde das Fass losgerollt. Astroides wurde herumgeschüttelt, bis von ihrem Volksnamen nur noch ein paar stumpfe Überbleibsel erzählten.
    Irgendwann hörte das Gerumpel auf. Benommen hatte sich die Shezem zusammengeringelt, so gut es ihr möglich war, um sich zu schützen.
    Langsam löste sie sich aus ihrer Umklammerung, als sie von Draussen Stimmen hörte. Im Wasser waren ihre Tränen unsichtbar.


    Während draussen diskutiert wurde, raffte Astroides tastend ihre abgebrochenen Stacheln zusammen und umklammerte sie mit ihrer rechten Hand, bis die Fingerknöchel weiss hervortraten. Ihr Körper war übersät von Kratzern, die von der rauen Fasswand herrührten und ihre Schwanzflosse war taub von der gebogenen Haltung, in die sie gezwängt war.
    Doch noch war ihr Wille nicht gebrochen. Sie sammelte ihre magischen Kräfte, um den Moment abzuwarten, bis jemand das Fass öffnete.
    Wer auch immer das sein sollte, würde eine geballte Faust Meerwasser hart wie ein Eisklumpen mit voller Wucht abbekommen und dann würde sie ihm die Giftstacheln ins Fleisch rammen, auf dass er daran elendig verende.

    Einige Monde waren vergangen, seit der interessanten Begegnung mit dem Sandjäger. Trotzdem dachte die junge Shezem oft an Shocai, denn allzu kurz war die Zeit gewesen, in der sie Neues über sein Volk und seine Heimat erfahren konnte.


    Als die Erinnerungen an ihn noch frisch waren, hielt sie die Bilder auf ihren magischen Wasserblasen fest. Die meisten Zeichnungen verdeutlichten die Anatomie der Sandjäger und ihre Bewegungsabläufe, doch eine hatte sich auch hineingeschlichen, wo ein verträumter und zugleich stolzer Blick sein Gesicht umwölkte, als er ihr vom nördlichen Eismeer erzählte.
    Inzwischen schaffte sie es nicht mehr, ihre Erinnerungen scharf genug heraufzubeschwören, um sie durch Magie auf die schwebenden Blasen zu bannen.


    Deshalb hatte sie angefangen, sich neue Modelle für ihre Kreativität zu suchen. Und sie wurde nicht enttäuscht. In dem riesigen Riff gab es jenste Kreaturen zu beobachten und erforschen.
    So hatte sich Astroides schnell in eine andere Schöpfung der Götter verliebt – die Tintenfische. Ob Sepien oder Kraken, nichts war vor ihrer Neugier und Faszination sicher. Auch vor Kalmaren hätte sie bestimmt keinen Halt gemacht, doch diese Wesen waren in tieferen Regionen beheimatet, wohin Astroides sich nicht ohne Begleitung hintraute.


    Sie hatte sich sogar einen eigenen kleinen Kraken angeschafft, den sie mit dem stolzen Namen Eldorado betraute. Das schlaue Tier hatte sich sofort in ihrer Wohnhöhle heimisch gefühlt, da es ihm hunderte Versteckmöglichkeiten bot und immer wieder neue Gegenstände dazu kamen, die von ihm abgetastet und erforscht werden konnten.
    Leider hatte er auch Gefallen an der Schnecke gefunden und sie kurzerhand geknackt.
    Obwohl Astroides darüber äusserst betrübt war, hatte sie dem kleinen Goldkerl schnell verziehen, da er sie immer wieder mit seiner Intelligenz überraschte. Er gewöhnte sich so an die Shezem, dass er manchmal seine Tentakeln um ihre Arme oder Schwanzflosse legte und sie ihn auf diese Weise auf ihre Ausflüge mitnehmen konnte.


    So war das Leben weiter vorangeschritten. Gärten und Wohnhöhlen mussten bepflanzt und gepflegt werden, die Muräne Hektor verlangte nach einem neuen Unterschlupf, da er eine Partnerin erhalten hatte und die gleichaltrigen Weiber verloren langsam das Interesse daran, Astroides wegen des geflohenen Sandjägers zu foppen.
    Es sollte jedoch geschehen, dass das beschauliche Leben der jungen Frau aus den Fugen gerissen wurde.


    Der Tag war stürmisch für diese Gegend und die meisten Giftstachler hielten sich in Coralys auf. Nur wenige trotzten den starken Strömungen, die bis auf den Meeresboden zu spüren waren. Astroides war eine von ihnen, denn heute hatte sie ihren freien Tag und wollte ihn keinesfalls ungenutzt verstreichen lassen. Da sie jedoch um die Gefahren der scharfen Felskanten wusste, wenn man nicht vorsichtig genug war, entfernte sie sich weiter von der Stadt, wo der Boden langsam in einen sandigen Grund überging.


    Der Sand wurde von der stürmischen See aufgewirbelt und vernebelte ihr die Sicht. Anstatt sich zu sorgen hielt die lebensfrohe Frau jedoch nur in ihren Bewegungen inne, um sich von der Kraft des Meeres tragen zu lassen. Sie konnte die Kraft des Ozeans spüren und schloss glücklich die Augen. Manchmal sanft wie in einer Wiege, manchmal kräftig wie in einem Orkan wurde sie herumgeschoben. In solchen Momenten wünschte sich sie jemanden, den sie an der Hand halten konnte, und der diese für sie besonderen Augenblicke mit ihr teilen konnte. Oder musste – nicht jeder verkraftete den energischen Seegang und brachte die gleiche Liebe dafür auf, wie Astroides.


    Ganz abgelenkt von ihren Empfindungen bemerkte sie nicht den mächtigen Schiffsrumpf, der über sie hinweg glitt wie ein dunkler Schatten und nicht das dichte Netz, das hinter ihm her geschleift wurde, und bereits viele Meereslebewesen in seinen Fängen gefangen hielt.
    Als ein Schwarm Fische panisch an ihr vorbeizischte, blickte sie ihnen bloss verdutzt hinterher, bevor sie sich umwandte und vor Schreck erstarrte.


    Urplötzlich war sie umgeben von Tieren, die verzweifelt gegen den Sog des Netzes ankämpften. Im nächsten Moment spürte Astroides wie auch sie davon ergriffen wurde. Vergeblich versuchte sie davon zu schwimmen, doch das Schiff bewegte sich schnell und begann nun, seine Beute unbarmherzig einzuziehen. Astroides wurde gegen die Schnüre gepresst und spürte, wie sie in ihre feine Haut einschnitten. Eine ihrer Stacheln brach unter dem Druck eines Meeressäugers ab, der gegen sie gepresst wurde und ein Schmerzlaut kam über ihre Lippen.
    Um sie herum hatten sich kleinere Haie verfangen und auch eine Schildkröte hing leblos daneben. Immer mehr Fische fielen in ganzen Schwärmen der Falle zum Opfer.


    Astroides zerrte an den Schnüren, und begann dann ängstlich nach Luft zu schnappen, als das Gewicht der anderen Gefangenen sie zu erdrücken drohte.
    Als sie die Oberfläche durchbrachen, war die Shezem einer Ohnmacht nahe und in Todesangst wand sie sich.
    Nur wenige Male hatte sie ihren Kopf aus dem Wasser gestreckt, doch niemals hatte sie es verlassen. Nun wurde die Tochter des Meeres ihm gewaltsam entrissen. In flimmernden Bildern erkannte sie das Schiff und die Männer, welche darauf herum rannten und sich Befehle zuriefen. Sie konnte sehen, wie der Wind an den Segeln zerrte.
    Für einen klaren Gedanken war sie nicht mehr fähig und als sie mit den anderen Unglücklichen auf die nassen Planken klatschte, schwand ihr Bewusstsein. Dunkelheit umhüllte sie.

    Begeistert lauschte Astroides seinen Erzählungen und beglückwünschte sich selbst dafür, den Sandjäger in der Höhle entdeckt zu haben. So würde sie mehr über die fernen Gegenden erfahren als noch durch ihre Fundstücke, welche ihr bereits einen Einblick in das Leben anderer Lebewesen gewährten. Immer wieder schossen ihr neue Fragen durch den Kopf, mit welchen sie den geduldigen Shocai bombardierte.


    „Wie? Ihr überlasst die Kleinen einfach den Gefahren des Meeres?“, entsetzt starrte sie Shocai an, der dies mit völlig ausdrucksloser Miene aussprach.
    "Würden wir uns um sie kümmern, würde das nur dafür sorgen, dass mehr Schwächlinge überleben - was auch aus logischer Sicht vollkommener Blödsinn wäre, da sie vor ihrer ersten Hochzeit sowieso getötet werden würden und vorher sinnlos alles wegfressen."
    Astroides erstarrte bei seinen Worten und einen Moment lang hatte es ihr die Sprache verschlagen.
    Sie war immer eine der Kleinsten gewesen und hatte sich oft nicht gegen die anderen durchsetzen können. Und nun erklärte Shocai ihr scheinbar gefühlskalt, dass sie als Sandjägerin vermutlich den Fischen zum Frass gedient hätte.
    „Also hast du deine erste Hochzeit bereits erfolgreich hinter dir“, murmelte sie, ohne eine Antwort zu erwarten.


    Auch dass es im Norden keine Korallen geben sollte, schockierte die Giftstachlerin. Als er jedoch die Namen von weit entfernten Städten erwähnte und von den Eisbergen erzählte, leuchteten ihre Augen wieder auf.
    „Du kannst Eis formen? Das ist ja toll! Dann sind die Giftstachler und die Sandjäger gar nicht so unterschiedlich. Auch wir formen unsere Wohnstätten nach unserem Belieben!“
    Vor ihrem inneren Auge formte sie bereits selbst einen schwimmenden Eisberg zu einer riesigen Schildkröte heran.
    „Ich wusste gar nicht, dass Sandjäger Magie wirken?“, fragend blickte sie nun zu Shocai hinüber.
    Es war bekannt, dass Giftstachler ihre magische Begabung gerne nutzten, doch anhand der wenigen Erzählungen hatte Astroides angenommen, dass Sandjäger dazu nicht in der Lage wären.


    Sie selbst nutzte ihre Magie nicht übermässig, aber manchmal erwies es sich als praktisch, mit einem Wasserstoss die Beute zu betäuben. Wenn sie Langeweile verspürte, was natürlich äusserst selten der Fall war – das Riff war einfach viel zu interessant, dann spielte sie mit kleinen magischen Wasserfiguren, die sie herumtollen liess. Doch das Wichtigste für die junge Frau war die Luftblasenmalerei. Damit konnte sie faszinierende Erinnerungen festhalten.


    Prompt wandte sie sich zu Shocai um und ihre Gedanken schlugen Purzelbäume. Wenn er wirklich Magie wirken konnte, dann müsste er ihr seine Erinnerungen zeigen! Daran, dass ihr selbst dann noch unzählige Luftblasen zerplatzten, als sie ihre Bilder darauf festhalten wollte, nachdem sie bereits voll fähig war, einfache Seifenblasen herzustellen, wollte sie lieber nicht denken. Zu begeistert war sie von ihrer Idee und wollte sie gerade ungestüm ihrer Begleitung mitteilen, doch zu ihrem Erstaunen stellte in diesem Moment der Sandjäger eine Frage an sie. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er bis anhin kaum etwas von ihr wissen wollte.


    "Du, ähm ...Wie war noch gleich dein Name? Ich will mir eure Tänze ansehen. Ich habe einen coralyschen Freund, der stets davon schwärmt."
    „Von den Höflichkeitsformen der Giftstachler hat dir dein Freund wohl einiges vorenthalten“, antwortete sie in tadelndem Tonfall.
    „Mein Name ist Astroides… Astroides Calycularis. So heisst eigentlich eine Sternkoralle. Wenn du länger hier bleibst, muss ich sie dir unbedingt zeigen! Sie sind orangefarben und meist in Höhlen anzutreffen. Dort bedecken sie Boden, Wände und Decken. Es sieht wunderschön aus“, sie kam ins Schwärmen und vergass darüber beinahe sein eigentliches Anliegen.
    Als er scheinbar gelangweilt von ihrer Rede auf seinem Rochenanteil herumdrückte, stockte sie mit ihren Ausschweifungen.
    Ich darf ihn nicht langweilen! Er soll mir doch noch einige Luftblasen mit seinen Erinnerungen bemalen für meine Sammlung!
    Gerade als sie zu einer Antwort ansetzten wollte, hörte sie die ungeliebte Stimme von ihrer Altersgenossin.


    Ab diesem Augenblick war sie für Shocai nur noch Luft. Sie hätte auch einer der Buntbarsche sein können, die immer einmal wieder ihre Runden durch das Atoll zogen, und hätte nicht weniger Aufmerksamkeit von ihm errungen.
    Trotzdem war die junge Frau davon überzeugt, dass er erkennen würde, dass diese Weiber bloss mit ihm spielen wollten. Doch sie sollte sich irren. Es machte den Mädels Spass, Astroides zu demütigen und da kam ihnen Shocai gerade Recht.
    „Wie kann man nur so verblendet sein“, fauchte sie, als er sich zu ihrem Leidwesen anstandslos von den Giftstachlerinnen abführen liess ohne ihr auch nur noch einen Blick zu schenken.
    „Er scharwenzelt ihnen hinterher wie ein liebestolles Walross!“


    Auf dem Weg in ihre Wohnstätte schimpfte sie aufgebracht vor sich hin. Ihre Nachbarin blickte ihr überrascht hinterher, denn dies war gar nicht üblich für die kleine Giftstachlerin.
    Sogar der ältere Muränenbesitzer bot ihr mit einem Zwinkern seine Unterstützung an: „Wenn du willst, lasse ich meinen Hektor auf den Kerl los, der dich so verärgert hat!“
    Doch Astroides war in Gedanken bereits auf der Tanzfläche. Sie konnte selbst nicht benennen, was sie am meisten verletzte.
    Ist es das arrogante und bösartige Gehabe ihrer Artgenossen? Oder ist es ihre Naivität und dass sie Shocai so falsch eingeschätzt hat? Oder dass er, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, mit den kokettierenden Weibern davongeschwommen ist?
    Vermutlich sah er in ihr auch bloss einen jener Schwächlinge, die bei den Sandjägern bereits vor dem ersten Lebensjahr den Tod fanden.
    Obwohl sie innerlich brodelte, nagten doch Neugier und Stolz an ihr. Schliesslich fasste sie einen Entschluss. Sie wusste genau, wohin die Giftstachlerinnen mit dem Sandjäger geschwommen waren und sie würde sich bestimmt nicht in ihrer Höhle verkriechen. Nein, auch sie würde ihren Spass haben!


    Einige Zeit später erreichte auch Astroides den Ort des Vergnügens. Sofort umhüllte sie der Klang der Musik und ihre Wut fiel wie ein Schleier von ihr ab. Sie liebte es zu tanzen und sich im Einklang mit den Schwingungen der Instrumente und den Strömungen des Ozeans zu bewegen.
    Sie stürzte sich ins Vergnügen und liess sich vom Rhythmus mitziehen. Immer wieder drehte sie Pirouetten und achtete dabei wenig auf ihre Umgebung. Sie wirbelte herum, so dass der Schmuck um ihren Hals, die Handgelenke und an ihrer Schwanzflosse fröhlich klimperte.
    Auch sie trug Muscheln an ihren Armbändern, die sie kunstvoll aus Seegras geflochten hatte, doch dazwischen glitzerten sowohl silberne als auch goldene Münzen und Kupferknöpfe, welche sie in den Schiffsrümpfen gefunden hatte. An der Kette um ihren Hals baumelte ein stumpfes Stück einer dreizackigen Gabel.
    Von den Bewegungen und der allgemeinen Erregung angesteckt, leuchtete ihr Körper in einem satten rot-weissen Streifenmuster und die feinen aneinandergereihten Punkte und Linien verliehen ihrem Gesicht einen filigranen Ausdruck.


    Mit ihren gleitenden Hüftbewegungen erregte sie die Aufmerksamkeit eines männlichen Giftstachlers. Er begann sie mit kräftigen und doch eleganten Figuren zu umwerben. Freudig erwiderte Astroides seine Aufforderung und genoss die maskuline Zuwendung. Immer wieder breitete er seine roten Flossen aus, um ihr zu imponieren.
    Diese Momente waren eine der wenigen Gelegenheiten, an denen sich die junge Frau vollkommen zugehörig fühlte. Die Musik knüpfte ein Band zwischen den Tänzern und jeder, der sich darauf einliess, war willkommen. Natürlich schwammen manche gewagtere Figuren als andere, doch trotzdem durfte jeder an dem Fest teilhaben. Ob es schlussendlich jedoch für einen Paarungstanz ausreichte, dies war eine andere Frage.


    Die Anspannung war von Astroides abgefallen, als sie während einer kühnen Schlaufe einen Blick auf einen silbernen Schemen am Rande der Tanzfläche erhaschte. Zufrieden registrierte sie, dass es sich dabei um den liebestollen Shocai handelte, der wohl doch noch eine Abfuhr erhalten hatte.
    Geschickt gelang es der jungen Frau, sich mit ihrem ausdauernden Tanzpartner ins Gesichtsfeld des Sandjägers zu manövrieren.
    Erst jetzt begann sie auch ihre auffallend dunkelblauen Flossen zur Schau zu stellen, was der männliche Giftstachler mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm. Immer wieder glitten ihre Blicke jedoch zu dem Sandjäger hinüber, der sich auf der Koralle lümmelte. Irgendwann bemerkte auch ihr Tanzpartner das Desinteresse an seiner Gestalt, verbeugte sich in höflicher Giftstachlermanier, um dann eine erfolgversprechendere Partnerin zu umwerben.


    Einem Impuls folgend formte Astroides mit ihrer Magie eine handflächengrosse Wasserfigur, welche sie zu Shocai hinüber schickte. Scheinbar noch immer tanzend beobachtete sie, wie der Sandjäger von der kleinen weiblichen Ausgabe seiner Art mit kräftigen Schwimmzügen umkreist wurde.
    „Soll er doch auch seinen Spass haben“, dachte sich die gedemütigte junge Frau mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen und einem hinterlistigen Funkeln in den dunkelblauen Augen.

    Tatsächlich lösten seine Worte einen Schwall Träumereien in Astroides aus. Zu gerne würde sie mehr von der Welt sehen, sich von ihrer Neugier leiten lassen und ihre Nase überall hineinstecken. Doch nur wenige Giftstachler unternahmen weite Reisen. Die meisten von ihnen lebten in den Riffen oder an anderen geschützten Orten, und das offene Meer gehörte eindeutig nicht unter diese Bezeichnung. Ausserdem würde sie sich nicht mit jedem Langweiler als Reisegefährten abgeben...
    „Erreichen sie womöglich nicht das Erwachsenenalter, weil sie sich zu oft mit ihren Frauen anlegen?“, sie liess ihren bedeutungsvollen Blick auf seinen frischen Bisswunden verharren.


    Anscheinend schien ihm das Riff dann doch zu gefallen, denn er liess sich sogar zu einem freundlichen Kommentar herab, direkt gefolgt von einer Verherrlichung seiner eigenen bescheidenen Heimat. Astroides wollte sich nichts anmerken lassen, doch nur allzu gerne hätte sie ihn weiter über das Eismeer und die Kelpwälder ausgefragt.
    Gab es dort Oktopusse so gross wie Schiffe? Und Wale, welche ein so mächtiges Maul hatten, dass sie damit ganze Haie verschlucken könnten? Glitzerten dort die Fische oder waren sie alle rabenschwarz, damit man sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte?
    Astroides hatte keine Vorstellung von diesem Ort und malte sich eine dunkle Landschaft aus, in den tiefsten Ecken des Meeres. Und es musste eisig kalt dort sein!
    Sie schauderte bei dem Gedanken.
    „Hast du schon einmal einen Eisberg gesehen?“, fragte sie schliesslich.
    „Und gibt es dort auch Korallen? Habt ihr auch Städte? Warum feiert ihr eure Hochzeit nicht bei euch zu Hause, wenn es dort angeblich so schön sein soll? Und was macht ihr mit den Kindern, wenn ihr alle verreist, jemand muss doch auf sie aufpassen?!“


    Sie passierten den breiten Durchgang und Astroides winkte den beiden Wächtern munter zu. Ihr Anblick erinnerte sie daran, was sie in der ganzen Aufregung vergessen hatte. In der Zeit, als sie nämlich das Riff durchstöberte auf der Suche nach den Muscheln, hatten die anderen sich aufgepeppt. Das müsste sie unbedingt noch nachholen. Doch was sollte sie währenddessen mit dem Haimaul anfangen?


    In diesem Moment passierte etwas äusserst Erschreckendes!
    Shocai stiess sich ab und wie ein Pfeil schlängelte er sich auf einen mächtigen Rochen zu. Dann blitzen Zähne auf, Blut quoll aus Wunden und färbte das Wasser rot. Entsetzt beobachtete die Giftstachlerin das Schauspiel, das innerhalb weniger Sekunden vorbei war. Das Tier hatte den Kampf verloren, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte.
    "Hast du das gesehen? So macht die Nahrungssuche Spaß!"
    Er trennte eine der fleischigen Flossen ab und reichte sie ihr.
    "Lass es dir schmecken. Die letzte normale Mahlzeit vor Coralys!"


    Wortlos starrte Astroides auf die Überbleibsel des sanften Riesen. Wie in Trance nahm sie ihm die Flosse ab. Der Geruch des Todes kroch ihr in Nase und Mund, doch es stiess sie weniger ab, als sie angenommen hätte. Ihr wäre es nie in den Sinn gekommen, einen Rochen zu erlegen. Doch nun, da ihr das Fleisch so freiwillig dargeboten wurde…
    „Das wäre nicht nötig gewesen“, sagte sie etwas abschätzig, „in Coralys gibt es gerade zu den Festen äusserst vielfältige Speisen. Wir hätten bestimmt auch auf weniger dramatische Art und Weise an einen Leckerbissen gelangen können, der dir gemundet hätte.“


    „Doch das arme Wesen soll nicht umsonst gestorben sein“, fügte sie mit einem nahezu gleichgültigen Schulterzucken an und kurz darauf kaute sie scheinbar gelangweilt auf der Flosse herum.
    „Etwas zäh und doch nicht so knackig wie ne frische Krabbe“, kommentierte sie. „Können wir nun weiterschwimmen?“


    Während sich nun der Kern des Atolls vor ihnen entblösste, war Astroides mit ihren Gedanken nicht bei der Sache. Immer wieder spielte sie die Szene vor ihrem Inneren Augen ab, als Shocai den Rochen ausser Gefecht gesetzt hatte. Immerhin war es schnell gegangen und das Tier hatte nicht leiden müssen.
    Wie kannst du nur so denken! Er hat das Lebewesen getötet, obwohl es in der Stadt massenhaft Auswahl an Leckereien gibt. Als nächstes stürzt er sich noch auf die Riffbarsche, die deine Nachbarin in ihrem Anemonengarten hält!


    Doch die Giftstachlerin bekam die Bilder von Shocai nicht mehr aus dem Kopf, wie er sich so elegant und gefährlich wie ein Raubtier bewegt hatte und sie ärgerte sich. Die Szene hatte überhaupt nichts Anregendes an sich gehabt!
    Obwohl er ihr nun zur Genüge bewiesen hatte, wofür seine Zähne zu gebrauchen waren, fürchtete sie sich nicht vor ihm. Er war ein blosser Angeber, mehr nicht!
    Trotzdem kribbelte es auf ihrer Haut unangenehm, als sie voran schwamm und ihn nur allzu deutlich hinter sich wahrnahm.


    Sie büschelte ihre Flossen wieder enger an den Körper. Der letzte Teil des Durchgangs wurde von einem Teppich aus Seegras bedeckt, worin sich kleine Fischchen tummelten, und an den Wänden klebten orange Seesterne. Dann hatten sie plötzlich die Lagune vor sich. Sie war lichtdurchflutet und überall waren rot-weiss gestreifte Farbtupfer zu erkennen, denn die Giftstachler schwaderten geschäftig umher. Auch die Musik war deutlicher geworden und Astroides musste sich zusammenreissen, um nicht bei den süssen Klängen zu tanzen.
    Direkt vor ihnen ging der Hang steiler nach unten, als es ausserhalb der Fall gewesen war.


    Auf den ersten Blick konnte man keine Ordnung in dem ganzen Gewusel feststellen. Überall klebten Anemonen, Korallen, Seesterne, Schnecken krochen ihrer Wege und bunte Fischchen flitzten überall herum. Nunja, sogar die Giftstachlerin musste zugeben, dass Coralys allenthalben etwas chaotisch war.
    „Da wären wir“, meinte sie überflüssigerweise.


    Wie ein mächtiger Krater wirkte das Atoll, welches von Inseln und Felswänden gesäumt war. Sie liess sich etwas hineintreiben und der Boden fiel sofort steil ab. „
    Komm, hier kannst du besser sehen, wo wir wohnen.“
    Von ihrem schwebenden Platz aus erhielt man erst einen Blick auf die unzähligen Höhlen und Einbuchtungen, welche als Wohnstätten der Giftstachler dienten. Viele Eingänge waren mit Seegrasvorhängen verdeckt, doch es gab auch Bewohner, die den freien Blick auf das Atoll genossen und hemmungslos den Einblick in ihr zu Hause gewährten. Schliesslich war man im Kollektiv grossgeworden, so war es nichts Ungewöhnliches, am Leben der anderen teilzuhaben.
    „Dort, bei der Höhle zwischen den Felsspitzen, dort hab ich die rosafarbenen Anemonen angesiedelt! Ah, und dort, wo gerade der dicke Herr rausschaut…, ja, der dem einige Stacheln fehlen, dem musste ich helfen, eine Schlafstätte aus Korallen für seine Muräne anzulegen… Ich glaube, er hält sie als sein Wachfisch. Hat scharfe Zähne das Vieh…“


    Aus den Augenwinkeln sah sie eine Gruppe junger Giftstachlerinnen näher kommen. Sie tuschelten eifrig und hielten direkt auf das ungleiche Paar zu.
    „Hallo Astroides. Ist das dein Freund? Wir wussten gar nicht, dass du einen so erlesenen Geschmack hast. Haben dir unsere Männer nicht mehr ausgereicht?“
    Die gleichaltrigen Mädels kicherten und zwinkerten Shocai kokett zu.
    „Du solltest aufpassen Sandjäger, sie wird dich ihrer Sammlung hinzufügen wollen und in ihrer Höhle einsperren. Doch sobald sie einen einäugigen Wurm oder eine andere Kuriosität findet, wirst du sie langweilen und du wirst dort verrosten…“
    Wütend und ohnmächtig vor Wut und Scham zugleich brachte die junge Giftstachlerin kein Wort heraus. Sie fühlte sich an ihre Kindheit erinnert, als sie immer geplagt wurde wegen ihrer Grösse. Irgendwie hatte sich das nie so ganz gelegt.
    Obwohl ihre Nachbarn sie gerne mochten und ihre Unterwassergärtnerei zu schätzen wussten, hatten vor allem ihre jüngeren Gefährten eine Freude daran, sich über ihren Lebensstil lustig zu machen.
    „Verschwindet, müsst ihr euch nicht noch für das Fest herausputzen?“, fauchte sie schliesslich zurück, obwohl die Giftstachlerinnen sich offensichtlich bereits mit Muschelketten und Bändern geschmückt hatten.
    „Vielleicht will dein Freund ja mit uns kommen. Er würde es bestimmt nicht bereuen!“, sie lächelten Shocai fragend an und breiteten ihre leuchtenden Flossen aufreizend vor ihm aus.

    Eine Zeit lang schwamm Astroides schweigend voran. Sie genoss das Gefühl, einmal ne Art Anführerin zu sein. Mit einem Anflug von Unmut bemerkte sie jedoch auch, dass der Sandjäger durch seinen Körperbau ein weit schnelleres Tempo vorlegen konnte als sie.
    Um sich nicht die Blösse zu geben, hechelnd hinter ihm herzudümpeln, änderte sie ihre Taktik, und gab bewusst eine gemütliche Geschwindigkeit vor. Und sie nahm sich die Zeit, ihn auf besonders schöne Korallenformationen oder die Paarung von Seesternen aufmerksam zu machen. Er schien längst nicht so fasziniert davon zu sein, wie sie selbst, doch das tat ihrer eigenen Freude keinen Abbruch.


    „Schau Dir diese Pharao-Sepia an! Ist es nicht ein Wunder, wie schnell und perfekt sie ihre Tarnfarben der Umgebung anpassen kann?“ oder „diese Schildkröte ist bestimmt schon 100 Jahre alt! Ich weiss ja nicht, ob du in dem Alter noch so knackig bist“, waren nur einige Aussagen, die die Giftstachlerin Shocai immer wieder zuwarf.
    Sie bemerkte gar nicht, welchen Spass sie daran fand mit jemandem ihre Begeisterung teilen zu können. Für die anderen ihres Volkes war das Riff eine alltägliche Gegebenheit, doch diesem Neuling konnte sie bedenkenlos erzählen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Dachte sie zumindest.


    Fast unmerklich begann das Riff anzusteigen, der Boden schien sich der Oberfläche anzunähern.
    Astroides bemerkte die ersten Giftstachler, welche sich in den Korallengärten um Pflanzen und Tiere kümmerten.
    Sie machte auch Shocai mit einem Fingerzeig darauf aufmerksam.
    „In diesem Abschnitt des Rings werden Nacktschnecken vermehrt und gepflegt. Bist du hungrig? Wir könnten uns eine Wegverpflegung schnappen“, sie sagte dies in belustigtem Tonfall, denn sie hatte ja bereits gesehen, wie er nur schon bei dem Gedanken das Gesicht verzogen hatte.


    Das Wasser wurde langsam wärmer, als sie sich der Oberfläche näherten. Die Arbeiter blickten zu ihnen hoch, wenn sie über sie hinwegschwammen. Die Älteren runzelten nachdenklich oder gar verärgert die Stirn, die jüngeren hingegen wirkten eher neugierig und fasziniert von dem ungleichen Paar.


    Astroides fühlte sich plötzlich selbstbewusst. Sollten ihre gleichaltrigen Kumpane bloss dumm gucken. Endlich würde sie einmal nicht blöd angemacht werden, sondern konnte stolz ihr Haimaul präsentieren.
    Keiner von diesen Langweilern, die sich nie aus dem Schutz von Coralys wegtrauten hatten wohl je aus dieser Nähe einen Sandjäger gesehen!


    So plusterte sie zufrieden ihre Flossen auf und glitt nun noch gemächlicher in Richtung der Stadt dahin. Zwischendurch warf sie einen prüfenden Blick auf Shocai.
    Ja, er hielt sich gut. Sein schlanker und muskulöser Körper würde wohl einige Giftstachlermädels erröten lassen und die jungen Männer, wenn man sie denn so nennen konnte, würden vor Eifersucht platzen.
    Astroides war zuversichtlich. Glücklichweise war sie selbst nicht so verblendet wie es andere in ihrem Alter oft waren. Für sie zählte nicht reine Muskelmasse. Davon liesse sie sich bestimmt nicht beeindrucken!


    Trotzdem konnte es nicht schaden, Eindruck zu schinden. Vielleicht würden sich dann sogar am grossen Hochzeitsfest die männlichen, gutaussehenden Giftstachler um sie scharen. Sie träumte bereits von einem sinnlichen Tanz, wo sich die leuchtenden Farben ihrer Flossen vermischen würden, als sie in ihren Gedanken unterbrochen wurde.
    Vor ihnen erhoben sich die Felseninseln bis über die Wasseroberfläche hinaus, doch zwischendurch boten Lücken Wege ins Innere des Atolls.

    "Ich habe keine Angst. Vor nichts. Ich bin ein Sandjäger. Was meinst du? Bring mich doch nach Coralys hinein - wenn du den Mut hast. Vielleicht kann ich ja etwas von euren Tanzkünsten lernen."
    Einen Moment war Astroides überrascht, doch sie fing sich schnell wieder. Im Grunde hatte sie nicht erwartet, dass der Kerl tatsächlich auf ihre Herausforderung eingehen würde, doch sie hatte ihn womöglich falsch eingeschätzt.
    Anscheinend wollte er wirklich nicht an dem Hochzeitsritual seines Volkes teilnehmen. Sein Gesichtsausdruck schreckte sie davon ab, ihn direkt danach zu fragen, doch innerlich legte sie sich bereits unterschiedlichste Ursachen für sein unerwartetes Verhalten zurecht.
    Vielleicht hatte er eine Geliebte, die er bereits beglückt hatte? Oder er besass eine Geliebte, und sie wurde ihm von einem erfolgreicheren Rivalen weggeschnappt? Dann wäre es natürlich klar, warum er hier sehnsüchtig und missmutig zugleich auf das Schauspiel starrte, wie eine Muräne, die auf der Lauer lag.


    Astroides warf einen prüfenden Blick nach Draussen. In diesem Moment beobachtete sie, wie eine der schlankeren Gestalten nach einem Sandjäger schnappte und er sich schleunigst etwas von ihr entfernte. Daher floss also der Strom!
    Nicht die Männer hatten hier das Sagen, sondern die Damen
    !
    Wie hatte sie das auch übersehen können: Jetzt, wo sie genauer hinschaute, konnte sie erkennen, dass die Männer liebestrunken um die Sandjägerinnen herumscharwenzelten und aussahen, als könnten sie keiner Garnele etwas zu Leide tun.
    Astroides belächelte das Schauspiel. In Coralys waren Männer und Frauen gleichberechtigt und es war in der Regel so, dass beide Geschlechter einander zum Tanze auffordern durften.


    Gerade wollte sie sich mit einem Grinsen zu Shocai umwenden, und ihn auf ihre Erkenntnis aufmerksam machen, doch der Sandjäger schwamm bereits einem der Ausgänge entgegen.
    "So weit ich weiß, sind auch die Giftstachler nicht untätig in dieser Zeit des Jahres. Mich würde doch sehr interessieren, wie eure viel gerühmten Feste und Tänze aussehen - oder ob das alles nur Gerüchte und Angebereien sind."
    Öhm… meint er das wirklich ernst?


    Nur einen Augenblick zögerte die Giftstachlerin, denn wenn sie ihm folgte, würde sie die Haimaulhochzeit verpassen. Doch spannender schien es nicht mehr zu werden...
    Mit einem letzten Blick aus der Höhle schwamm sie Shocai eilig hinterher.
    Der Durchgang war schmal, doch indem sie ihre Brustflossen an den Körper presste gelang es ihr, sich hindurchzuschlängeln. Nicht ganz so elegant, wie sie es gerne gehabt hätte, doch immerhin hatte sie sich dieses Mal keine Schrammen zugezogen.


    Wollte er wirklich mit ihr nach Coralys kommen? Nur weil sie ihn herausgefordert hatte? Oder gab es dafür noch einen weiteren Grund? Und ob er sich bewusst war, dass Sandjäger in der Korallenstadt nicht allzu gern gesehene Gäste waren?
    Allzu sehr waren die Coralyer von negativen Vorurteilen behaftet, welche tatsächlich auch reale Ursprünge hatten. Und gerade in Zeiten der Hochzeit, würde man ihn nicht mit Freundlichkeiten überhäufen. Zum Einen störte sein Rudel gerade den sensiblen Frieden des Riffs, zum anderen wurden in der Stadt tatsächlich ebenfalls Vorbereitungen für Festlichkeiten unternommen.


    Astroides verkniff sich einen Kommentar. Er würde es womöglich bald selbst herausfinden. Sie würde sich den Spas auf jeden Fall nicht verderben!
    „Du schwimmst in die falsche Richtung“, klärte sie ihn deshalb auf, und schwamm seitlich an ihm vorbei los. Das Riff dehnte sich unter ihnen aus, doch Astroides steuerte zielstrebig auf das Atoll zu, in welchem sich Coralys befand. Er würde staunen!
    Jeder, der zum Ersten Mal die Korallenstadt sah, bekam grosse Augen.
    Die Giftstachlerin freute sich auf den Anblick.

    Offensichtlich hatten ihre Worte einen wunden Punkt getroffen, denn seine Miene veränderte sich und wurde wieder zu der ausdruckslosen Maske, die wenig von seinen Gedanken preisgab. Was auch immer der Grund war, wieso er sich nicht nach Draussen traute, es musste für ihn schwerlich zu verdauen sein. Womöglich hatte es etwas mit den Bisswunden zu tun, an welchen er abwesend herumzupfte. Hatten ihn die anderen Männer attackiert, um ihr Territorium zu verteidigen?
    Auf jeden Fall wollte Astroides sich diese Reaktion im Kopf behalten, vielleicht würde es ihr später etwas einbringen.
    Auch ihren Snack lehnte er dankend ab, was die Giftstachlerin ihm jedoch nicht verübeln konnte und nicht anders erwartet hatte. Sie hätte sich sehr gewundert, wenn er eifrig zugestimmt hätte, um mit ihr Meeresnacktschnecken zu schlürfen.


    Doch sein weiteres Verhalten überraschte sie, und warf die junge Frau völlig aus der Bahn.
    Ein Grinsen glitt über sein Gesicht, wobei die junge Frau sich gerade noch zurückhalten konnte, nicht erschrocken zurückzuweichen. Diese Zähne!
    Obwohl sie bereits Haifische auf der Jagd im Riff beobachten konnte, hatte sie nicht damit gerechnet, bei dem Sandjäger gleich drei Reihen messerscharfer Beisser aufblitzen zu sehen.


    „Aber ich hätte Appetit auf einen grösseren Happen“, bei diesen Worten blinkte das Alarmlicht in ihrem Kopf auf und signalisierte ihrem Körper, sich zu wappnen. Als er sich auch noch vom Grund abstiess, und in seiner ganzen Grösse vor ihr schwebte, hatten sich ihre Rückenstacheln bereits wieder abwehrbereit wie bei einem aufgeschreckten Kugelfisch abgespreizt, während sie die bunten Brustflossen etwas verkrampft an ihren Körper presste.
    „Hast du Lust auf einen Tanz mit dem Tod?“, seine bedrohlichen Worte passten so gar nicht zu der charmanten Geste, mit welcher er sie scheinbar gekonnt zum Tanz aufforderte.


    Astroides presste misstrauisch die Lippen aufeinander. Ihre korallenroten Augen musterten aufmerksam den Sandjäger, der jetzt plötzlich direkt mit ihr auf einer Höhe schwamm und sie dabei um Haupteslänge überragte.
    Sie gab ungern zu, dass sie von ihm fasziniert war - natürlich bloss auf der Ebene einer interessierten Forscherin, welche gerade ihr neuestes Kleinod entdeckt hatte, versteht sich!
    Sein Körper war schlank, doch nicht so grazil wie der vieler Giftstachler. Stattdessen zeichneten sich die Muskeln unter der silbernen Haut deutlich ab, welche von wenigen Narben durchzogen wurde.
    Sie wandte ihren Blick schnell von der auffälligeren Narbe an seinem Unterbauch ab. Gerne hätte sie ihn weiter unter die Lupe genommen, doch sein durchdringender Raubtierblick erwartete eine Antwort von ihr.
    Astroides musste sich zusammenreissen, um der Versuchung zu widerstehen. Eine bessere Gelegenheit, ihn zu berühren, würde sich wohl kaum ergeben.
    Doch ein angeborener Instinkt hielt sie davon ab und sein in ihren Augen hinterlistiger Blick tat sein Übriges.


    „Ich tanze nicht mit Männern, die mir nicht wenigstens ihren Namen verraten haben“, meinte sie deshalb in einem wie sie hoffte selbstsicheren Tonfall.
    „Ausserdem, wenn ich so deine Verwandtschaft da draussen betrachte, glaube ich kaum, dass du mit den tänzerischen Fertigkeiten der Giftstachler mithalten könntest.
    Ich würde dich ja gerne einladen, mit mir nach Coralys zurückzukehren, um das Schauspiel aus nächster Nähe zu betrachten, so wie ich auch in den Genuss eurer… Balzkünste kommen durfte…“
    , ihr Lächeln war zuckersüss und ihre Brustflossen entspannten sich, wodurch die blaue Farbe wieder zum Vorschein kam, „doch ich bezweifle, dass du den Mut dazu aufbringen würdest.“

    Was für ein arroganter Dummkopf!
    Behauptete tatsächlich, dass das Riff ihnen gehörte. Wenn es überhaupt einem Bewohner Asamuras gehören würde, und das war zu bezweifeln, denn bloss Nyel war der Beherrscher des Ozeans, dann waren es doch eindeutig die Giftstachler, welchen es zustand sich Besitzer zu nennen. Seit Jahrtausenden lebten sie mitten in den Korallenriffen, welche sie ernährten und welche sie im Gegenzug pflegten und vor zerstörerischen Eindringlingen hüteten.
    Wer achtete sorgsam darauf, jährlich Zählungen der Riffbewohner vorzunehmen, Wasserschneckenplagen im Zaum zu halten, Landgängern bei der Umschiffung zu helfen und verwaiste Delfine aufzuziehen, bis sie ihr eigenes Leben führen konnten? Die Giftstachler!


    Und jetzt sprach dieses Haimaul davon, dass es sein Recht sei, in der Warmwasserzeit das ganze Riff für sich einzunehmen. Astroides begann sich über ihr eigenes Volk zu ärgern, welches sich in Coralys verbarrikadiert hatte. Da war es ja klar, dass sich die Sandjäger wie Schädlinge hier ausbreiteten.
    Denn kaum besser waren sie in ihren Augen; zerstörten sie bei ihrem primitiven Paarungsritual die sorgsam gepflegten Anemonen, zerbrachen bei ihren unkoordinierten Tänzen feingliedrige Korallenformationen und vertrieben wegen ihres schlechten Rufes jedes Lebewesen im Umkreis von mehreren Kilometern.


    Den Satz mit den Borstenwürmern und den Schnecken überhörte sie gefliessentlich, sie brauchte keine weitere Bestätigung, um sich ein Bild über den Kerl zu machen, der sich jetzt wie ein Macho am Boden fläzte. Sie musste zugeben, dass sie tatsächlich auch schon Schnecken gegessen hatte, jedoch die wunderschönen Tierchen meist lieber bestaunte als zu verspeisen. Ihre Vorliebe galt mehr knackigen Krebsen oder fischigen Leckerbissen.
    Doch das würde sie ihm nicht auf die Nase binden.


    Stattdessen machte sie sich zum Gegenangriff bereit. „Du hast meine Frage nicht beantwortet. Warum bist du nicht Teil dieses Zirkus da draussen?
    Sie beobachtete, wie er an seinen noch frischen Bisswunden herumgrübelte und verträumt aus der Öffnung geblickt hatte, bevor er sich ihr zuwandte.
    Sie bemühte sich ihn nicht allzu offensichtlich anzustarren, obwohl sie ihn liebend gerne wie eines ihrer anderen tausend exotischen Fundstücke rundum untersucht hätte. Gerne hätte sie ihn abgetastet. Wie sich seine Haut wohl anfühlte? Wie viele Zähne er wohl besass? Wie schnell konnte er sich mit seiner kräftigen Schwanzflosse durchs Wasser bewegen? Besass er auch versteckte Giftstacheln oder waren vielleicht seine Zähne giftig? Ob das beinahe unsichtbare Muster auf seinem Rücken bei der Balz auch so leuchten konnte, wie es bei den ansehnlichen Männern der Giftstachler der Fall war? Sie wollte gerade damit anfangen, sich analytisch all seine Merkmale einzuprägen, um sie später festhalten zu können oder womöglich gar aufzuzeichnen...


    „Was willst du mir damit sagen? Suchst du Balz, Streit oder Jagd?“, unterbrach er ihren Gedankenfluss.
    Im ersten Moment realisierte Astroides nicht, was mit seinen Worten gemeint war. Als sie jedoch seinen Blick auffing, der an ihren Flossen haftete, funkelte sie ihn wütend an. Tatsächlich hatte ihr Instinkt sie übertölpelt ohne sie vorher um Erlaubnis zu bitte. Möglichst elegant und als wäre dies nicht von Belang, legte sie ihre Flossen wieder näher an den Körper an.
    Tatsächlich überlegte sie kurz, was sie so aufgewühlt hatte.
    Eindeutig die Gefahr, welcher sie sich aussetze. Zudem die Aufregung über das Ereignis draussen, vielleicht eine geringe Erregung bei dem Gedanken an ihre eigene baldige erste Hochzeit. Und dieser aufgeblasene Kerl vor ihrer Nase, welcher sich anmasste zu denken, sie könnte womöglich mit ihm balzen!

    Vielleicht würde er ja gehen, wenn sie ihn dazu aufforderte. Ein Versuch war es zumindest wert. Sein sehnsüchtiger Blick liess darauf schliessen, dass er am liebsten ebenfalls eine der Sandjägerinnen in den Anemonen vernascht hätte.
    „Du kannst ruhig gehen, lass dich von mir nicht aufhalten. Ich werde mir derweilen einen Snack besorgen und beobachten, wie du dich so schlägst“, sie grinste nun, „vielleicht kann ich dir ja auch was mitbringen zur Stärkung. Hmmm…, eine Meeresnacktschnecke? Die sind unglaublich geschmackvoll und man kann sie hinunterschlürfen ohne einen Biss zu tun.“
    Unschuldig lächelte sie ihn mit grossen dunkelblauen Mädchenaugen an und zeigte ihm dabei ihre kleinen, aber dennoch scharfen Zähne.

    Wie gebannt starrte Astroides auf die Öffnung, durch welche sie einen Blick ins Meer und das darunterliegende Riff erhaschte. Das Schauspiel zog sie wie magisch an und so beobachtete sie die im Mondlicht schimmernden hellen Körper, welche sich, wie in einem Wasserwirbel gefangen, umkreisten. Es erinnerte sie an die Tänze der Giftstachler, bloss in ihren Augen weit weniger anmutig.
    Sie erkannte bald, dass die zierlicheren Shezem die Frauen waren, welche von den grösser und kräftiger gebauten Männern umworben wurden.
    Astroides fand jedoch nicht heraus, an welchen Merkmalen die Sandjägerinnen sich für einen Partner entschieden.
    Die Tanzfertigkeiten der Sandjäger wirkten eingeschränkt und nicht sehr kreativ. Auch trugen sie keine leuchtenden Farben zur Schau, mit welchen sie die Damen hätten beeindrucken können.
    Trotzdem faszinierte sie diese offensichtlich primitive Art der Hochzeit und sie liess sich in die Höhle hineingleiten, um sich dem zweiten Eingang zu nähern. Schliesslich wollte sie Nichts verpassen. So aufregend!


    Sie bemerkte nicht den am Boden verweilenden Sandjäger dem sie längst aufgefallen war.
    Die männliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken und Astroides zuckte erschrocken zurück. Ihre Augen suchten die Höhle ab und blieben an dem im Schatten verborgenen Körper hängen. Eine hakenförmige Schwanzflosse, ein langer, schlanker Körper, kräftige Brustflossen und eine gezackte Rückenflosse gingen fliessend in einen muskulösen menschlichen, ebenfalls silbrigen Körper über. Ein Sandjäger.


    „Hau ab“, sagte er schroff und Astroides konnte nicht anders, als auf seine gefährlichen Zähne zu starren, welche ihre eigenen an Länge übertrumpften und keinen Zweifel daran liessen, wozu er sie üblicherweise nutzte. Im selben Moment überfielen sie Geschichten von Angriffen auf andere Shezem durch Sandjäger wie ein lästiger Mückenschwarm und sie schalt sich für ihre Unvorsichtigkeit. Sein Gesichtsausdruck war Nichtssagend, doch die Stimme strahlte eine unangenehme Überheblichkeit aus. „Du störst. Es ist Warmwasserzeit, da haben Giftstachler nichts hier im Riff verloren.
    Diese Worte dämmten ihre Angst ein und machten vorsichtigem Trotz Platz. Wie er so am Boden lag, fühlte sich die junge Frau nicht bedroht. Aus ihrer Position konnte sie seine Grösse schlecht abschätzen, doch im Ganzen wirkte er auf sie eher harmlos. Die Geschichten waren haltlose Übertreibungen gewesen!
    Trotzdem hatte ihr Körper sich instinktiv auf Abwehr vorbereitet und sich aufgeplustert, so dass ihre Stacheln beinahe an der nicht sehr hohen Decke anstanden.


    Dann fand sie aber ihre Sprache wieder und funkelte ihn abschätzend an. „Wir gehören in dieses Riff wie das Salz in den Ozean, die Perle in die Muschel und die Zähne ins Haimaul!“
    Ein schelmisches Funkeln blitzte in ihren Augen auf, als sie ihn schliesslich von Kopf bis Schwanzflosse musterte. Der Nervenkitzel kribbelte in ihrem ganzen Körper, doch solch ein Abenteuer wollte sie sich nicht entgehen lassen. Welcher Giftstachler konnte schon behaupten, eine Sandjäger Hochzeit aus nächster Nähe beobachten zu können?
    Da wollte sie doch verflixt sein, wenn dieser ungehobelte Kerl sie von hier vertreiben würde.


    „Ich frage mich ja…“, mit scheinbar nachdenklichem Ausdruck wanderte ihr Blick zu den werbenden Shezem, bevor sie widerrum auf ihrem Gegenüber verweilten, wobei ihr auch die Bisswunden an seinem Körper nicht entgingen, „…warum Du Dich in dieser Höhle versteckst, anstatt im Riff draussen zu sein… wo Dir das doch scheinbar so wichtig ist.“

    Darum bemüht, sich bedeckt zu halten, hatte Astroides ihre außergewöhnlich bläulichen Brustflossen fest an den Körper gepresst und bewegte sich hauptsächlich durch das kräftige Schlagen ihrer Schwanzflosse durch das warme Wasser.


    Sie hatte es geschafft aus Coralys zu entwischen, einer der Korallenstätte, welche die Giftstachler mitten im Ozean bewohnten.
    Es war überhaupt nicht einfach gewesen, sich an den vielen Wachen vorbei zu mogeln, welche die wichtigsten Passagen kontrollierten und auch über der Stadt ihre Runden drehten.
    Sie hatte ihren Körper dafür sogar mit Algen eingerieben, um ihren auffällig rot-weissen Hautton dezent zu verstecken. Es würde jedoch nicht lange anhalten, denn das salzige Wasser würde sie bald wieder reingewaschen haben. So hatte sie sich nahe an die Felsen gedrückt und versucht, mit den Schatten eins zu werden.
    Und warum der ganze Aufwand?
    Weil einige Kilometer entfernt in der Nähe der Rabeninseln Sandjäger gesichtet worden waren.
    Bei dem Gedanken verdrehte Astroides genervt die Augen.
    Sie hatte bereits viele Geschichten über diese Shezem gehört. Vor allem in der Kinderstube hatten sie meistens von Giftstachler-fressenden-riesen-Ungeheuern mit Zähnen so gross wie Handflächen gehandelt.
    Inzwischen hatte sie zwar noch immer keinen Sandjäger aus der Nähe zu sehen bekommen, doch sie wusste immerhin, dass es Haimenschen waren und nicht viel grösser als andere Shezem sein mochten. Ausserdem, dass sie weit entfernt im Eismeer lebten und deshalb wohl kaum eine Bedrohung darstellen konnten.
    Natürlich erzählte man sich auch, dass sie einmal im Jahr in wärmere Gewässer zogen, um dort Hochzeit zu feiern.
    Doch ein einzelner verirrter Sandjäger bedeutet doch nicht, dass ganz Coralys evakuiert und in einen tranceähnlichen Zustand versetzt werden muss!
    Ausganssperre.., pah!


    Und das ausgerechnet jetzt, wo doch die Zeit der Ildrius-Muscheln war, einer Muschelart, welche sich nur in äusserst warmen Vollmondnächten öffnete, um ihr wunderschönes Geheimnis in ihrem Innern preizugeben. Man erzählte sich, dass die Perlen so schön waren, wie sonst keine anderen. Dass sie einen bläulichen Schimmer hätten, und wie das Meer im Lichte des Vollmondes glitzerten.
    Astroides seufzte bei dem Gedanken verträumt auf. Sie hatte noch nie eine solche Muschel gesehen, doch in jeder Geschichte steckte ihrer Meinung nach ein Kernchen Wahrheit. Und diese Nacht versprach das Meer seine Wärme wie eine Decke um seine Bewohner zu legen und der Vollmond würde so hell erstrahlen, wie schon lange nicht mehr.
    Deshalb war es eine Frage des Prinzips, Coralys hinter sich zu lassen und draussen im Riff nach dieser Rarität zu forschen.


    Noch durchzogen die letzten Sonnenstrahlen das Meer, und liessen das Wasser in ihrem Licht sanft schimmern. Nachdem die einzigartige Stadt sich langsam aus ihrem Sichtfeld entfernte, entspannte sich Astroides sichtlich. Diese Gegend war ihr vertraut, denn oft durchstöberte sie umliegende Teile des Korallenriffs nach möglichen Fundstücken. Manchmal hatte sie Erfolg dabei, doch immer häufiger wurde sie auch enttäuscht, denn andere Shezem suchten ebenfalls nach Wertstücken, um sie dann an die Landgänger zu verhökern.
    Sie verzog bei dem Gedanken das Gesicht.
    Gerne würde sie selbst einmal mit den Menschen Handel treiben, doch bis jetzt hatte sie sich nicht getraut ihrer Neugier nachzugeben und den Ozean zu verlassen. Er bot ihr eine gewohnte Sicherheit.
    Auch die Metamorphose schreckte sie ab, denn sie hatte diese Art von Magie nie angewandt. Astroides war noch jung, und das Meer bot so viele Wunder, die es ferner zu entdecken gab, dass die Oberfläche vorerst keinen allzu grossen Reiz darstellte.
    Vorerst… doch bis dahin genügte es ihr, versunkene Schiffsrümpfe zu durchforsten, um sich ein Bild von den interessanten Landgängern zu machen.


    Immer wieder hielt die junge Shezem inne, um einmal einen Doktorfisch zu bewundern, einen kleinen Tintenfisch auf der Lauer zu beobachten oder einen besonders schön geformten roten Schwamm zu umrunden. Diese Welt faszinierte sie immer aufs Neue, obwohl sie bereits 22 Jahre darin lebte. Ihre Fingerspitzen glitten liebevoll am Bauch einer Wasserschildkröte entlang, als diese nur wenig über ihr völlig entspannt ihrer Wege schwamm.
    Auf ihrer Suche nach der Ildrius-Muschel entfernte sich Astroides immer weiter von Coralys auf die Rabeninseln zu. Sie folgte keinem besonderen Plan, sondern schwamm dorthin, wo ihre Entdeckungen sie gerade führten.
    Das Wasser war herrlich warm und die junge Shezem liess sich von einer sanften Strömung treiben. Ihr Körper leuchtete inzwischen wieder in seinen Farben wie vor ihrem Algenbad und das Wasser streichelte sie bei jeder Bewegung.
    Die Sonne war hinter dem Horizont versunken. Da es über dem Meer jedoch keine anderen störenden Lichtquellen gab, wurde der Ozean nun von Mond und Sternen in silbriges Licht getaucht.


    Da sie nicht genau wusste, nach welcher Muschel sie Ausschau halten musste, untersuchte sie jede Ecke und Ritze sorgfältig, so dass ihr Nichts verborgen bleiben konnte. Dabei schreckte sie oft kleinere Fische auf, welche dort ihre Wohnstätten bezogen hatten.
    Als ihr jedoch eine Muräne mit weit geöffnetem Maul genauso überrascht wie sie selbst entgegenschoss, zuckte sie unwillkürlich zurück. Dabei scheuerte sie mit ihrem linken Arm über die raue Felsformation und erhielt als Belohnung einige blutige Schrammen. Die Muräne funkelte sie herausfordernd an, offensichtlich hatte sie nicht vor, ihr Heim der angeblichen Nesträuberin zu überlassen.
    Astroides hatte keine Lust das Risiko einzugehen, sich beissen zu lassen, obwohl Muränen meist eher scheue Tiere waren. Doch Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel…
    So schwamm sie immer weiter. Langsam war die Gegend ihr nicht mehr ganz so vertraut. Doch sie wollte nicht zurückkehren, zumindest so lange nicht, wie die Bedingungen perfekt waren.


    Der Höhleneingang tauchte urplötzlich als ein schwarzes Loch vor ihr auf. Er war etwas verborgen zwischen den Felsformationen und Korallen, doch gut zugänglich. Langsam wurde sie müde, doch ihr Wille war ungezähmt.
    Niemand hatte ihr genau erzählt, wo die Muscheln zu finden waren. Womöglich bevorzugten sie ja Höhlen. Man konnte nie wissen. Schlussendlich war es aber eher ihre Abenteuerlust, welche sie dazu bewog, zum Eingang hinunter zu schwimmen.


    Vorsichtig blickte sie hinein, denn sie hatte durch die Begegnung mit der Muräne gelernt. Eine Biegung verhinderte einen weitreichenden Ausblick. Sie musste ihre Brustflossen eng an den Körper pressen, um in den Durchgang hineinzupassen. Sie meinte eine Bewegung des Wasser wahrzunehmen, ein leises Geräusch, doch als sich pfeilschnell ein kleiner Fisch aus der Höhle rettete, glaubte sie, darin den Ursacher erkannt zu haben. Astroides war es gewohnt, sich in Sicherheit aufzuhalten. In Coralys und der nahen Umgebung gab es beinahe nichts, was ihr wirklich gefährlich werden konnte. So achtete sie nicht auf ihre natürlichen Instinkte und Sinne, welche ihr einen Schauer über den Rücken jagten, sondern schwamm zaghaft weiter, bis der Raum sich vor ihr ausdehnte. Alle Warnungen waren vergessen, allein der Augenblick zählte und die Freude über eine neue wundervolle Entdeckung.

    Astroides Calycularis


    Kurzinfo


    Name: Astroides Calycularis
    Alter: 22 Jahre
    Geschlecht: weiblich
    Volk: Shezem, Giftstachler


    Familienstand
    Astroides hat keinen wirklichen Bezug zu ihren nahen Verwandten, da die Giftstachler ihre Jungen im Kollektiv erziehen.



    Beruf und Glaube
    Wie alle Shezem verehrt auch Astroides Nyel noch immer als Gottheit. Obwohl er einst zu einem Elementar degradiert wurde, ist er für ihr Volk von grösster Bedeutung, da er sie in die Wassermagie eingeführt hat.


    Astroides bezeichnet sich selbst gerne als Sammlerin und Händlerin.
    Sie ist verrückt nach allem, was Einzigartig ist. Oft schwimmt sie zwischen abgelegenen Riffen herum, auf der Suche nach wertvollen Dingen. Dies können Perlen oder Korallen sein, jedoch auch Güter von längst versunkenen Schiffen.
    Mit ihren Fundstücken versucht sie zu handeln, auch wenn es ihr oftmals schwer fällt, sich von ihren Schätzen zu trennen. Oft wird dadurch ein gutes Geschäft vereitelt, und sie bleibt auf ihrem Fund sitzen.
    Ausserdem verhandelte sie nie direkt mit den Menschen, sondern nur mit ihrem eigenen Volk. Astroides war noch nie ausserhalb des Ozeans unterwegs, und hörte bis anhin nur Geschichten über die Landgänger.


    Da sie damit nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen kann, arbeitet sie hauptberuflich als Gärtnerin. Da Coralys mitten in einem Atoll erbaut wurde, hat diese Berufsgruppe eine wichtige Bedeutung. Die Gärtner pflegen Korallen, Anemonen und andere Wasserpflanzen, um das Riff weiter gedeihen zu lassen. Auch die Stadt in der Mitte dieses beträchtlichen Atolls ist von Korallen umgeben oder die Korallen werden aktiv umgepflanzt, um damit die Behausungen der Giftstachler zu gestalten. Die Stadt besteht in ständiger Veränderung und erinnert einen mächtigen lebendigen Organismus. Obwohl Astroides bei ihrer Arbeit oft Schneckenplagen und anderen Schädlingen den Kampf ansagt, ist sie trotzdem eine ausgesprochener Naturliebhaberin.



    Aussehen und Ausrüstung


    Der gesamte Körper von Astroides ist wie bei allen Giftstachlern mit einem auffälligen rotbraun-weissen Streifenmuster bedeckt, welches mittig breiter ausfällt. Die Shezem ist nicht sehr gross.
    Ihr Oberkörper gleicht dem eines Menschen, jedoch ist sie vollständig unbehaart und weisst keine äusserlichen Geschlechtsmerkmale auf.
    Stattdessen besitzt sie zwischen ihren Rippenbogen Kiemen, welche ihr das Atmen unter der Wasseroberfläche ermöglichen. Ihre Finger sind durch feine rote Membranen miteinander verbunden, jedoch schränken sie die Bewegungen kaum ein. Ihr Gesicht ist mit feinen Streifen und aneinandergereihten Punkten verziert, was ihr einen filigranen Ausdruck verleiht. Ihre Zähne sind zwar eher klein, jedoch sehr spitz und über den gen gesamten Unter-und Oberkiefer verteilt.


    Unterhalb ihres Brustkorbes, wachsen ihr fächerförmige, ausladende Brustflossen, welche eine leicht bläuliche Färbung aufweisen. Sie können flach an ihren Körper angelegt werden, um schneller und unauffälliger zu schwimmen, oder wie ein Fächer ausgebreitet werden, was ein wunderschönes Bild ergibt und sie wie einen Rochen dahingleiten lässt. Die Enden reichen ihr beinahe bis zur Schwanzflosse.
    Unterhalb ihres Nackens, zwischen den Schulterblättern bis zu ihren Hüften verläuft eine erste Rückenflosse, die jedoch aus mehreren länglichen Flossenstacheln besteht, welche nicht durch die übliche feine Flossenmembran verbunden sind. Diese gestreiften Stacheln sind mit Giftdrüsen versehen, wie auch die Flossenstacheln ihrer Afterflosse, und können zur Verteidigung genutzt werden.
    Ihre zweite, kleinere Rückenflosse direkt hinter der ersten ähnelt der Schwanzflosse, welche beinahe durchsichtig wirkt, jedoch mit feinen weissen Streifen und aneinandergereihten Punkten versehen ist.
    Während der Warmwasserzeit intensivieren sich die Farben und das rot-weisse Muster, sowie das Blau ihrer Brustflossen scheinen geradezu zu leuchten, um männliche Shezem anzulocken und in Hochzeitsstimmung zu versetzen.
    Astroides ist noch nie an Land gegangen, weshalb sie nicht weiss, inwieweit sie die Metamorphose beherrscht.


    Kleidung ist für die Shezem überflüssig, jedoch behängt sich die junge Frau gerne mit einfallsreichen Schmuckstücken. So kommt es vor, dass ihr Brustkorb von einer gezackten Gabel geziert wird, welche als Anhänger für eine ihrer Halsketten erkoren wurde, oder an ihren Handgelenken verbogene Münzen und alte Knöpfe fröhlich vor sich hinklimpern.


    (Aussehen angelehnt an Blauflossen Feuerfisch)



    Charakter und Fähigkeiten


    Astroides fehlt ein Teil des Gemeinschaftssinns der Giftstachler. Wo andere ihres Volkes gerne alles miteinander teilen, behält sie es lieber für sich. In ihrer Kindheit musste sie sich oft gegen die anderen Kinder behaupten und so fällt es ihr auch im Erwachsenenalter nicht einfach, anderen ganz uneigennützig etwas Gutes zu tun.
    Im Gegenteil ist sie oft sehr misstrauisch. Vor Allem wenn es um ihre Fundstücke geht, kennt sie kein Pardon. Obwohl es sie freut, wenn jemand Interesse für ihre Sammlung zeigt, kann dies auch schnell in ein abweisendes Verhalten umschlagen, wenn derjenige seine Blicke zu lange auf ihren Schätzen verweilen lässt. Mit bösen Blicken und giftigen Worten trieb sie auf diese Weise bereits mehrere mögliche Handelspartner in die Flucht.


    Astroides liebt alles, was andersartig ist. Sie lässt sich schnell von Lebewesen, aber auch Gegenständen oder Ritualen faszinieren und ist in diesen Momenten äusserst begeisterungsfähig. Manchmal muss sie sich jedoch auch beherrschen, um bereits vergebene Fundstücke nicht nebenbei unauffällig mitgehen zu lassen. Obwohl sie nicht kleptomanisch veranlagt ist, können manche Besonderheiten sie dazu veranlassen, sie sich „auszuleihen“, um den Klang ihrer Seele zu erforschen, wie sie es liebevoll formuliert.


    Ihr zu Hause gleicht einer chaotischen Abstellkammer, doch wenn man genauer hinschaut, vermag der geübte Blick die Ordnung und Harmonie zu erkennen, in der mit grösster Liebe jedes Stück nach Farbe und Form sortiert, seinen Platz zugeteilt erhielt. Die Wände ihrer Behausung sind mit unterschiedlichsten einfachen Zeichnungen und Worten vollgekritzelt, welche sie mit viel Geduld in die Wände gekratzt hat, um ihre Eindrücke festzuhalten.


    Knapp unter der Decke hängen Luftblasen, welche mit ihren Spiegelungen an Seifenblasen erinnern. Sie leuchten sanft in unterschiedlichen Farben und sind etwas grösser als eine geschlossene Faust.
    Wenn man genauer hinschaut, kann man erkennen, dass sich jede von der nächsten unterscheidet.
    In diesen Blasen hat Astroides ihre Erinnerungen an Entdeckungen gespeichert. Manche bewegen sich auf der Oberfläche der Blase, andere sind blosse Bilder, die wie eingebrannt zu sein scheinen. Die junge Shezem hat diese Fähigkeit erlernt, als sie irgendwann erkannte, dass die Fläche ihrer Höhle bloss eingeschränkt nutzbar war. Der Platz wurde immer weniger, und so suchte sie nach einer Lösung für ihr Problem. Sie fand sie in ihrer Begabung zur Wassermagie.


    Astroides interessiert sich auch für die Geschichten, welche hinter Allem stecken. Wenn sie diese nicht aus den älteren Shezem heraus zu kitzeln vermag, legt sie sich gerne eigene Erklärungen und Ursachen zurecht. Dabei lässt sie ihrer Fantasie freien Lauf und nervt damit auch schon den ein oder anderen Zuhörer.


    Was die junge Frau jedoch mit den anderen Giftstachlern verbindet, ist die Lust am Tanzen. In Coralys finden sich oft auf kleinen Plätzen Musiker ein, welche mit Muschelklängen in Kürze die tanzbegeisterten Shezem in einem Strudel aus Flossen und Streifen mit sich reissen. Es herrscht dann eine ausgelassene Stimmung und jeder tanzt mit jedem, egal ob Kind, Mann, Frau oder Greis. Diese Tänze sind natürlich Nichts im Vergleich zu den Hochzeitstänzen, doch sie lockern das Leben in Coralys auf und verbinden die Giftstachler durch gemeinsames Lachen. In solchen Momenten fühlt sich selbst Astroides als zugehöriger Teil ihres Volkes und kann die freudige und verspielte Stimmung ohne biestige Kommentare und misstrauische Blicke einfach bloss geniessen.


    Bei ihren Nachbarn ist Astroides bekannt für ihre verrückten Interessen. Da sie sich jedoch auch gerne begeistern lässt und ein aufgestelltes Naturell besitzt, sind ihr Bekannte gut gesinnt und sehen auch gerne einmal über ihre misstrauischen Launen hinweg.
    Auch als Gärtnerin kommt sie oft in Coralys und der Umgebung herum und kennt viele Giftstachler vom Sehen.


    Obwohl Astroides oft im Riff umherschweift, hält sie sich von tieferen Gewässern fern, wo das Licht nicht bis zum Grund hinunterleuchten mag. Sie schwimmt gerne in Bodennähe und nutzt den Schutz des Riffs.
    Die junge Giftstachlerin kam noch nie in den direkten Kontakt mit Menschen. Sie interessiert sich für deren Lebensweise, traute sich bis anhin jedoch noch nicht aus dem Ozean heraus.
    Stattdessen lümmelt sie sich mit Vorliebe in versunkenen Schiffsrümpfen, da es dort von Leben und Erinnerungen nur so wimmelt.



    Magie


    Astroides hat wenig Gebrauch von ihrer eigenen Magie gemacht.
    Jedoch lernte sie bald, wie man mit Hilfe eines kräftigen Wasserstrahls, der wie ein Schlag auf die Beute trifft, kleinere Fische betäuben oder gar töten kann, oder Feinde durch einen Wasserwirbel von sich fernhält oder verwirrt.
    Ausserdem vermag sie Wasser in unmittelbarer Nähe um einige Grad zu erwärmen oder kühlen.
    Mit der Metamorphose hat sie noch keine Erfahrungen gemacht.


    Ihre einzigartigste Fähigkeit hat sie sich nach vielen Jahren selbst gelehrt. Als sie mit dem Problem kämpfte, ihre Skizzen auf die Höhlenwand zu bringen, kam ihr der Einfall sich ihre Magie zu Nutze zu machen.
    Nach einigen Fehlschlägen gelang es ihr, eine Luftblase zu formen. Dies an sich war jedoch nichts Ungewöhnliches. Irgendwann hatte sie die Idee, mit Hilfe ihrer Magie die Blase als Leinwand zu nutzen. Sie vermochte es, die Farben auf den Seifenblasen Formen annehmen zu lassen. Und da Wasser ein Element ist, das sich in ständiger Bewegung befindet, war es sogar möglich, ihren Bildern „Leben“ einzuhauchen. Sie kann so beispielsweise kurze Bewegungsabläufe von Fischen festhalten oder einfach die feinen Muster einer besonderen Koralle formen.
    Sie muss sich dafür auf die Erinnerung in ihrem Kopf konzentrieren, sich die Einzelheiten ausmalen. Am einfachsten ist es, wenn sie die Vorlage vor sich hat und dann die Blase vorsichtig in ihrer Hand „wachsen lässt“. Die etwa 10 bis 15 cm grossen Seifenblasen halten so lange, bis sie zum Platzen gebracht werden, und dadurch die Erinnerungen bzw. Bilder zerstört werden. Sie lassen sich schwerlich transportieren, weshalb Astroides sie immer direkt in ihrem zu Hause anfertigt.



    Lebenslauf


    Kinderstube


    Astroides Calycularis wuchs wohlbehütet in einem Schwarm auf. Ihre Eltern kümmerten sich zusammen mit anderen Shezem gemeinsam um die jungen Giftstachler. Einen besonderen Bezug hatte sie deshalb nie zu ihren leiblichen Verwandten.
    Als Kind war sie eine Aussenseiterin. Da sie bereits damals kleiner als ihre Geschwister war, wurde sie gehänselt, ausgestossen und hatte das Nachsehen.
    Deshalb war es nicht verwunderlich, dass sie aus dieser Zeit einige Charaktermerkmale mit auf ihren Lebensweg nahm.
    Ihren Namen hat sich die junge Frau selbst gegeben. Als sie einmal aus der Kinderstube ausgebüxt war, um sich vor ihren Geschwistern zu verstecken, hatte sie eine kleine verborgene Höhle entdeckt. Ohne mögliche Gefahren zu bedenken, war sie neugierig hineingeschwommen. Und hatte eine wunderschöne Entdeckung gemacht. Denn dies war der Lebensraum unzähliger Sternkorallen. Die nur ein Centimer grossen Steinkorallen waren über alle Wände ausgebreitet und leuchteten wie ein orangefarbener weicher Teppich. Das Kind fühlte sich sofort wohl in ihrem Versteck und die kleinen, aber durchsetzungsfähigen Korallen erinnerten sie an sich selbst. So gab sie sich selbst den Namen Astroides Calycularis.



    Unstetigkeit


    Als sie alt genug war, alleine zu leben, bewohnte sie ein kleines Heim in einer der Korallenstädte im Ozean. Sie war jedoch nicht oft in ihrer Wohnung anzutreffen, denn früh entwickelte Astroides eine Faszination für alle möglichen Einzigartigkeiten. Sie wurde zu einer leidenschaftlichen Sammlerin und durchforschte Riffe auf der Suche nach wertvollen Perlen, Korallen oder versunkenen Schiffen. Besondere Begeisterung zeigt sie bei Fundstücken, welche von der Oberwelt stammen. Da sie selber noch nie an Land gegangen ist, bastelt sie sich oft gerne Geschichten zurecht über das Leben der Landgänger.
    Später entwickelte sie ihr Hobby zu einem Beruf. Sie begann mit Fundstücken zu handeln, wobei sie oft Probleme hat, sich schlussendlich von ihren Schätzen zu trennen.
    Ihr Heim ist bis in die kleinste Ecke mit allem möglichen Kleinkram vollgeräumt. Überall stehen verrostete Krüge und Gläser von versunkenen Schiffen herum, goldene Halsketten hängen an seltsam geformten Steinen und bunten Korallen, und sogar eine aussergewöhnliche seltene Schnecke wurde in der Wohnung angesiedelt, wobei Astroides immer wieder Mühe hat, sie am entwischen zu hindern.
    Da ihr dieses Hobby jedoch nicht genug einbringt, um davon Leben zu können, arbeitet sie hauptberuflich als Gärtnerin für die Stadt Coralys. Ihre Aufgabe ist es, die Korallen, Anemonen und anderen Pflanzen zu pflegen, welche sich in und um die Korallenstadt herum befinden.



    Auf der Suche


    Bis jetzt verlief das Leben der jungen Giftstachlerin ungewöhnlich ruhig. Klar kam sie manchmal in unbequeme Situationen, wenn ihr Forscherdrang sie allzu sehr bemächtigte und sie unvorsichtig wurde. So passierte es einmal, dass sie von einem riesigen Kraken vertrieben wurde, welcher eine Höhle, die Astroides Interesse geweckt hatte, sein zu Hause nannte. Ausserdem kam es häufiger vor, dass sie sich zwischen engen Luken hindurch quetschen musste, um an verborgene Gegenstände zu gelangen. Dabei ist ihr auch schon einer ihrer Giftstachel abgebrochen, was zwar schmerzhaft war, jedoch nichts im Gegensatz zur Freude über ihren Fund. Ausserdem wuchsen die Stachel mit der Zeit wieder nach.



    Hochzeitsfest


    Was die junge Frau jedoch nervös machte, war das baldige Fest, wenn das Wasser sich erwärmte und die Hochzeiten stattfanden. Bis anhin war sie zu jung gewesen, um daran teilzunehmen, doch dieses Mal war sie bereit dazu und die Angst vor der Ungewissheit, aber auch eine freudige Erregung machten sich in der jungen Shezem breit.