Beiträge von Yeriel Iolanthe

    "Ach was soll es, raus mit der Sprache - ich bin nicht gut in sowas Lady Iolanthe.
    Also nehmt es mir bitte nicht übel, falls ich einfach nichts zu sagen weiß.
    Das richtet sich nicht gegen Euch, ich bin halt sonst kein guter Gesellschafter. Vermutlich da ich sonst nicht allzu oft in Gesellschaft bin. Ich werde mich allerdings bemühen, ein angenehmer Gesprächspartner zu sein"
    , erklärte Dave.
    Yeriel blickte ihn etwas konsterniert an.
    Da versuchte sie schon einmal freundliche Konversation zu machen, und dann geriet sie an einen Mann, der sich ebenfalls als schlechter Gesellschafter betitelte. Das konnte ja noch gut werden.


    Anstatt ihre Frage zu beantworten, kaute er scheinbar genüsslich auf seinem Fleisch herum und wirkte dabei völlig entspannt. Der Glückliche fühlte sich in der Umgebung anscheinend um einiges wohler als sie selbst. Gerade als es langsam unhöflich wurde, liess er sich zu einer Antwort herab.
    "Das Fleisch schmeckt, die Kartoffeln nicht. Wo ich herkomme, isst man genauso wie es der persönliche Geschmack vorgibt Lady Iolanthe. Jedenfalls wenn Ihr meine Herkunftsfamilie meint - von Hohenfelde. Man wünschte etwas zu essen, und genau diese Speise wurde einem serviert. Es sei denn, es war ein Familienessen angeordnet worden - dann ass man am besten so langsam und so wenig wie möglich", schmunzelte Dave.


    «Nun, wenn ich so Euren Ausführungen zu der Herkunftsfamilie lausche, brauche ich Euch erst gar nicht nach dem Kontostand zu fragen», meinte Yeriel und versuchte die Menschen an den anderen Tischen auszublenden.
    «Wenn einem Speisen serviert werden nach Lust und Laune, dann kann der Geldbeutel nicht zu knapp bemessen sein», wandte sie ein und nahm damit Bezug auf seine Antwort zu den Ängsten, der er gekonnt ausgewichen war.
    «Und habt Ihr Euch aus Trotz gegenüber Eurer Familie geweigert die Nekromantie zu erlernen?»


    Familienessen… so etwas gab es für Yeriel schon sehr lange keine mehr. Ihre Eltern hatten sie verstossen, wie auch der Rest ihres Volkes und sogar ihre Gottheit es getan hatten.
    Einen Moment war Bedauern in ihrem Gesicht zu erkennen, dann verdrängte sie die Gedanken wieder.
    «Bei mir ist genau anders herum. Ein klein wenig war es wohl meinem jugendlichen Trotz geschuldet, dass ich die Nekromantie durchgesetzt habe. Mein Volk hat es mich büssen lassen. Vielleicht wisst Ihr darüber Bescheid, aber meine Magie ist bei meinesgleichen geächtet», sie zuckte gelassen mit der Schulter und schob sich ein Broccoli in den Mund. Etwas mehr Salz hätte das Grünzeug ihrer Meinung nach vertragen.


    Als er fortfuhr und erklärte, dass seine Mitbewohner dankbar seien, dass er keine Kochkünste ausübe, hätte sie sich beinahe am Gemüse verschluckt. Ein auflockerndes Lächeln hatte sich in ihren markanten Zügen gebildet und liess eine Reihe weisser Zähne aufblitzen.
    «Nun, da ergeht es uns etwa gleich», nuschelte sie und dachte daran zurück, wie ihre Goblindienerin einmal Händeraufend durch die Küche gezuckelt war, um die Hühnchensuppe zu retten, die Yeriel ihrer Ansicht nach völlig versalzen hätte. Aus purer Sturheit hatte die Hausherrin darauf bestanden, dass dem nicht so sei und hatte es sich schlussendlich selbst zu verdanken, dass sie die (eben doch versalzene) Suppe mit zusammengebissenen Zähnen alleine auslöffeln musste. Ihr Stolz hatte es natürlich verboten, auch nur ein Wort darüber zu verlieren.


    «Mitbewohner? Keine Bediensteten?», hakte Yeriel neugierig nach. Inzwischen begann ihr das Gespräch sogar ein wenig Spass zu bereiten, und solange sie seinen Ausführungen lauschte, vergass sie die ungemütliche Umgebung.
    "Ihr spracht davon, genug Fellnasen zu haben. Welche Art von Tieren haltet Ihr? Meine Fellnasen sind ein Wolfshund und im Moment zwei Pferde. Eines davon übrigens ein nekrotisches Schlachtross, dass bereits meinem Ur-Ur-Ur-Großvater diente. Es heißt Nachtmahr, sehr zuverlässiger Bursche", sagte Dave.
    Er schob den halb leeren Teller von sich weg, macht es sich etwas gemütlich und kraulte den kleinen Affen.


    Die Lichtalbin beobachtete, wie seine Hand durch das weiche Fell des Äffchens streichelte, dann blickte sie wieder den Herren von Hohenfelde direkt an. Seine graublauen Augen fielen ihr nun deutlich auf und sie fragte sich, welche Farbe er wohl im Nexus besass. Manche behaupteten, dass die Augen der Spiegel zur Seele seien. Sie hätte ihn gerne gefragt, ob da wirklich ein Zusammenhang bestand, verkniff sich die Frage jedoch fürs Erste.
    Vielleicht hielt er sie dann für zu neugierig, oder für einfältig. Schliesslich stimmten die Melodien der Seelen auch nicht unbedingt mit den Klängen ihrer irdischen Stimmen überrein.


    «Nun, oftmals beherberge ich Katzen, aber auch Hunde, Ratten, Fledermäuse, Schlangen, was grad so im Angebot ist», meinte sie.
    «Aber selten behalte ich die Tiere für lange Zeit. Die meisten haben einen Zweck zu erfüllen und leben nicht ewig. Da ich in einer kleinen Stadt wohnte, habe ich mir nur selten grössere Kadaver angeschafft. Die Leute beäugen mich schon so misstrauisch genug. Obwohl mir ihre Meinung im Grunde egal ist, bin ich trotzdem auf sie angewiesen. Interessant, ein solches Pferd zu besitzen. Es könnte bestimmt von unzähligen Erlebnissen berichten aus der Vergangenheit, wenn man es denn liesse. Ihr mögt Tiere», stellte sie fest.
    «Wenn Ihr Euren Hund einmal wiederhaben möchtet, könnt Ihr gerne bei mir anklopfen.»


    «Und Ihr seid also hier, weil Ihr in Geistmagie weiter ausgebildet werden wollt? Ich habe vor langer Zeit mit jenem Studium angefangen und dann damit gebrochen, zugunsten der Nekromantie. Nun bin ich hier, um die Lehre wiederaufzunehmen», sie war selbst darüber erstaunt, plötzlich so viel zu erzählen. Normalerweise gab sie kaum etwas von sich preis, egal ob es sich dabei um Belanglosigkeiten oder persönlichere Dinge handelte. Doch irgendwie schien ihr der Herr von Hohenfelde gar nicht so unähnlich zu sein.
    Zwei ruhige Einzelgänger schiene sich gefunden zu haben.
    Dafür meisterten sie ihre Konversation doch ganz passabel.

    Du hast den Test bestanden. Kannst wieder etwas abhaken, beglückwünschte Yeriel sich selbst mit einer Portion trockenem Humor.

    Yeriel wirkte amüsiert, als sie dem Herrn von Hohenfelde bei seinen Ausführungen lauschte.
    Konnte sie da etwa Begeisterung aus seinen Worten heraushören?
    Obwohl sie es nicht zugeben wollte, interessierte es die Lichtalbin zu erfahren, wie andere Magier den Nexus erlebten. Darum, dass er die Seelen in unterschiedlichen Farbnuancen sehen konnte, beneidete ihn die gelegentliche Künstlerin gar ein wenig.
    Es wäre bestimmt eine tolle Erfahrung und eine neue Herausforderung, die Geistwesen auf Leinwand zu bannen. Beinahe ein wenig wie Nekromantie. Yeriel schmunzelte.
    „Geräusche, Klänge, Melodien. Manche sind nicht einmal zu benennen, da sie nicht vergleichbar sind mit irgendetwas, das es auf dieser irdischen Welt zu hören gibt“, antwortete sie und war selbst erstaunt darüber, dass sie auf seine Erläuterungen reagierte.
    „Nun, manchmal ist der richtige Körper nicht mehr vorhanden, dann gilt es eben auszuweichen“, meinte die Nekromantin pragmatisch.
    „Mitunter kann es gar von Vorteil sein. Bloss Angehörige, welche mit Verstorbenen sprechen wollen, verhalten sich dahingehend oftmals dickköpfig. Sie sind allzu sehr auf die Äusserlichkeiten fokussiert.“


    Die Reaktion auf das Totenkopfäffchen verblüffte Yeriel dann tatsächlich. Im Grunde hatte sie den Geistmagier testen wollen und beinahe erwartet, dass er das Geschenk abwies.
    Nichts dergleichen geschah jedoch. Im Gegenteil beobachtete sie, wie seine unbeweglichen Gesichtszüge entgleisten und einem jungenhaften Grinsen Platz machten. Für einen Moment wirkte er nicht mehr unnahbar, sondern zugegebenermassen sympathisch. Vielleicht sollte sie die untoten Kadaver öfters verschenken, die Wirkung war irgendwie berauschend.
    Offensichtlich hatte der Herr von Hohenfelde keine Hemmungen dabei, das untote Spielzeug entgegenzunehmen.
    Folglich war er der Nekromantie nicht völlig abgeneigt, vielleicht liebäugelte er gar selbst damit? Oder aber er war ein ausgesprochener Heuchler, der die Magieform zwar verachtete und sich nicht die Finger damit beschmutzen wollte, sich gleichzeitig aber nicht dafür schämte, ihre Vorteile auszunutzen!
    Während er sie freundlich anschaute, blickte sie etwas skeptisch ab seiner guten Laune zurück.
    "Dankeschön. Für den Unterricht und vor allem für das Geschenk.“
    Yeriel nickte ihm höflich zu.
    „Keine Ursache. Ich habe bereits genügend eigene Fellknäuel in meiner Sammlung“, winkte sie ab. Keinesfalls wollte sie grosszügig rüberkommen oder allzu freundlich.
    Vermutlich würde sie ihn sonst gar nicht mehr loswerden!


    "Als Dank Retour Lady Iolanthe. Ihr - sprich Eure Farben", sagte Dave und übermittelte Lady Iolanthe das Bild, so wie er sie im Nexus wahrnahm.
    Yeriel erstarrte einen Moment in ihrem Rollstuhl, als das Gedankenbild in ihrem Kopf unvermittelt erschien. Eine bläuliche Lichtkugel war zu erkennen, die von innen heraus strahlte und gegen Aussen in sanften Regenborgenfarben verklang.
    Das soll ich sein?, dachte sie verwundert und positiv überrascht. Während sie sich vornahm, das Gedankenbild später auf eine Leinwand zu projizieren, setzte sie wieder eine ernste Miene auf.
    „Danke für den Einblick. Trotzdem bitte ich Euch darum, mir nicht ungefragt Gedanken zu übermitteln“, reagierte sie dann abweisender, als ihr tatsächlich zumute war.


    "Wir sollten uns den anderen anschließen. Ehe wir noch einen Rüffel bekommen, weil wir zu lange geblieben sind", schmunzelte Dave sie an und setzte sich den Affen auf die Schulter.
    Wir? Vielleicht hätte ich ihm den Affen doch nicht überlassen sollen...
    Yeriel seufzte, doch er hatte Recht. Sie waren schon wieder im Verzug und die anderen bereits in den Gängen entschwunden.
    Es sah nicht so aus, als würde er ihr eine ruhige Minute gönnen und sie in ihrem Buch schmökern lassen während der Zeit, die für das Mittagessen zur Verfügung stand, bevor eine weitere Vorlesung begann.
    Nun gut, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, sich einmal wieder in lockerer Konversation zu üben...


    „Ihr schreckt also nicht davor zurück mit einer Nekromantin Mittag zu essen. Gibt es etwas anderes, womit man Euch in Angst und Schrecken versetzen kann?“, fragte sie schliesslich und bemerkte, dass sie sich etwas entspannte, nachdem sie sich damit abgefunden hatte, dass er sie begleiten würde. Gleichzeitig fühlte sie sich seltsam nervös bei dem Gedanken, nicht alleine zu speisen. Normalerweise hielt sie sich abseits von den anderen Studierenden auf und diese mieden sie ebenfalls – dafür sorgte Yeriel mit ihrem abweisenden Blick.
    Inzwischen waren sie beim Speisesaal angelangt, der von lautem Stimmengewirr dominiert wurde.
    Riesige Leuchter hingen von der Decke herunter und erhellten das fröhliche Gewusel in dem Raum.
    An einem Ende des Saals hatte sich eine Schlange gebildet, dort befand sich die Essensausgabe, wo verschiedene Menüs zur Auswahl standen.
    Die Laune der Lichtalbin sank augenblicklich wieder in den Keller. Gewöhnlich beorderte sie Atri dazu, ihr die Mahlzeit in ihr Zimmer zu bringen, oder aber wenigstens an den Tisch.
    Als sie sich nun mit ihrem Rollstuhl dahin bewegte, fühlte sie sich exponiert und von allen Seiten beobachtet. Ihre Schultern waren verspannt und ihr Blick fixierte stier den Rücken einer Waldalbin, die vor ihr in der Schlange stand.
    Endlich an der Reihe, bestellte sie einen Teller voller Gemüse und machte dann rechtsumkehrt, ohne auf ihren Begleiter zu warten. Auf ein Getränk hatte sie wohlweislich verzichtet, denn sie musste ihr Tablett auf den Knien balancieren, während sie sich damit zu einem verlassenen Tisch vorschob.


    Als der Herr von Hohenfelde auch dazu stiess, versuchte Yeriel ihr Unwohlsein zu verbergen, indem sie plötzlich unheimlich gesprächig wurde.
    „Wie findet Ihr das Essen hier? Ich denke, es ist erträglich. Wie isst man dort, wo Ihr herkommt? Ich liebe ja gut gewürztes Essen“, begann sie über Belangloses zu reden und musste sich zusammen reissen, nicht in ihrem Teller herumzustochern.
    Jetzt reiss Dich gefälligst zusammen!
    Was ist denn nur los mit Dir?
    Das ist ein gewöhnliches Mittagessen. Normale Menschen nehmen nun einmal Mahlzeiten gemeinsam ein. Also mach kein Desaster draus!

    Doch für die kühle Einzelgängerin war dies völlig ungewohnt und sie fühlte sich deplatziert, während ihr Gegenüber sie nun ebenfalls seltsam zu mustern schien.
    Oder war das bloss ihre eigene Paranoia?

    Ein Geistmagier?
    Yeriel antwortete darauf nichts.
    Sie war hier, um diese Form der Magie auszubilden. Oftmals verwünschte sie ihr Volk, das ihr die Geistmagie aufgedrängt hatte. Sie waren schuldig, dass sie niemals eine vollwertige Nekromantin sein könnte. Weder Fisch noch Vogel, gefangen zwischen den beiden Magieformen. Immerhin hatte sie sich vorgenommen, beide perfekt zu beherrschen, soweit ihr dies möglich wäre.
    Ein wenig beneidete sie den Mann neben sich, der das volle Potenzial seiner Fähigkeiten auskosten konnte.
    „Nun, ich könnte tatsächlich behaupten, dass Gespräche unter Lebenden oftmals überflüssiger Natur sind. Und dass Kadaver nicht sinnlos widersprechen oder das Gesicht verziehen, wenn sie ihre Anweisungen erhalten“, antwortete Yeriel oberflächlich und schien damit seine Vermutung zu bestätigen, dass Nekromanten ihre Wiedergänger mit Vorliebe als Sklaven hielten.


    Tatsächlich empfand sie den Umgang mit Toten als wesentlich einfacher. Sie musterten sie nicht unverhohlen wegen ihrer körperlichen Schwäche und sie musste keine peinlichen Gesprächspausen aushalten, wenn das Gegenüber nicht wusste, wie es sich ihr gegenüber zu verhalten hatte. Auch gehorchten ihr die auferstandenen Tiere wortlos und sie musste nicht andauernd autoritäre Stärke beweisen, wie es bei der Düsterling Atri der Fall war.
    Gleichzeitig verspürte sie jedoch auch eine Faszination darin, einem toten Körper einen Hauch von Leben zurückzugeben, was eindeutig das schönere Gefühl war, als aus der Welt entrissen zu werden.


    Manchmal fragte Yeriel sich, ob sie auch dieses Interesse für die Nekromantie entwickelt hätte, wenn sie keine Todesahnungen wahrgenommen hätte.
    Anfangs wollte sie nur wissen, was es mit diesen plötzlich auftretenden Erfahrungen auf sich hatte, die sie als Jugendliche ängstigten. So hatte sie begonnen in Büchern zu schmökern, was sich als Lichtalbin als schwierig herausstellte und auch nicht geduldet wurde. Doch dann hatte sie eine Abhandlung zur Nekromantie in die Finger bekommen, einen zerfledderten dünnen Band, der ihr endlich Aufschluss darüber gab.
    Von diesem Augenblick an hatte ihr Interesse neuen Aufschwung erhalten. Dass Nekromantie in ihrem Volk verpönt war, tat dem keinen Abbruch, sondern verstärkte im Gegenteil wohl eher noch ihre Neugier.
    So hatte sie im Verborgenen begonnen die verbotenen Künste zu erlernen und hatte es ohne das Wissen ihrer Eltern nach Nebreszko geschafft, während ihre Familie sie im Studium der Geistmagie in Alessa meinte.


    Doch dann war sie aufgeflogen und Orils Fluch hatte sie getroffen.
    Yeriel jedoch blieb der Nekromantie treu.
    Sie war noch jung und teilweise handelte sie aus Trotz und Gekränktheit heraus. Doch gleichzeitig war die Nekromantie ein Teil von ihr geworden.
    Nicht immer liebte sie ihre Fähigkeit, denn den qualvollen Tod einer noch so flüchtigen Begegnung wahrzunehmen war eine grässliche Erfahrung.
    Einige Jahre verspürte Yeriel deshalb eine boshafte Genugtuung, wenn sie Seelen, die bereits nahe beim Äther verweilten und nur für albische Nekromanten noch erreichbar waren, wieder in einen Körper zerren konnte. Sie empfand es als Rache dafür, dass sie ständigen Todesahnungen ausgesetzt war. In ihren depressiven Phasen war Yeriel keine angenehme Zeitgenossin und bescherte ihren Nachbarn wortwörtlich Albträume.


    Erst nachdem sie ihr Studium abgeschlossen hatte, verflüchtigten sich ihre depressiven Stimmungen. Sie erkannte aufs Neue den Wert ihres Tuns. In vielerlei Hinsicht war die Magie praktisch. Ihre stummen tierischen Diener waren ihr zu Willen oder liessen sich für gutes Geld verkaufen. Gleichzeitig erkannte sie die breite Nachfrage der Lebenden nach Gesprächen mit den Verstorbenen. Zum einen liess sich daraus Kapital schlagen, und zum anderen gab es tatsächlich seltene Momente, in denen selbst die gefühlskühle Lichtalbin ergriffen eine Träne wegblinzeln musste.
    Inzwischen waren ihre Faszination und ihre Rachegelüste dem Pragmatismus und einer Freude an ihrem Können gewichen. Warum sollte sie auf ihre Begabung verzichten, wenn sie ihr in die Wiege gelegt wurde?
    Ausserdem… hatte sie damit sogar die Aufmerksamkeit einer Gottheit erlangt – und wer konnte das schon von sich behaupten?!


    Yeriel nickte und überlegte einen Moment.
    „Ihr könnt also den Nexus betreten, wenn Ihr Geistmagier seid. Ich schlage vor, dass wir uns gemeinsam auf die Suche nach dem kleinen Kerl hier begeben. Allzu weit kann die Seele noch nicht gekommen sein, der Leichnam ist noch frisch. Ausserdem bleiben die meisten Toten in der Nähe ihrer Gebeine, solange diese noch nicht zu Staub zerfallen sind.
    Manche klammern sich noch an das Leben, andere müssen zuerst ihre Orientierung wiederfinden“
    , sie warf Davard einen prüfenden Blick zu und kontrollierte, ob ihre Ausführungen ihn womöglich langweilten. Seine Miene war undurchdringlich, weshalb sie schliesslich einfach fortfuhr.
    „Ich weiss nicht, ob alle Nekromanten dies auf dieselbe Weise erleben. Doch als ich diese Magierichtung wenig beherrschte, war es nicht immer leicht, die lebenden und die toten Seelen zu unterscheiden. Inzwischen erkenne ich sie jedoch problemlos. Umso länger ich die Nekromantie ausübte, desto klarer begannen sie sich von den anderen abzuheben. Sie klingen dumpf, als wären sie unter einem Vorhang verborgen“, erklärte sie.


    Yeriel unterhielt sich nicht oft mit anderen Magiern. Sie hatte zwar bereits gelesen, dass es unterschiedlichste Arten gab, den Nexus und die Seelen wahrzunehmen, doch keine konkrete Vorstellung davon, wie das aussehen mochte.
    „Es ist auch möglich, einen falschen Geist in einen Leichnam zu bannen, doch stellt sich dieser dann noch um einiges widerspenstiger an. Manchmal stossen die Körper danach auch die Seele ab und sie wird wieder ins Jenseits katapultiert. Oder das Wesen kommt nicht mit seiner Hülle klar und verhält sich völlig irrational, wenn der Magier es sich selbst überlässt.“
    In der Zeit als es ihr Freude bereitete, die Seelen zu plagen, hatte sie dies öfters ausprobiert. Doch inzwischen empfand sie es für alle Beteiligten als angenehmer, nach dem richtigen Seelenwesen Ausschau zu halten.
    „Also… noch Fragen? Oder seid Ihr bereit, Herr von Hohenfelde?“, fragte Yeriel und ein spöttischer Klang schwang in ihrer Stimme mit.


    Die Lichtalbin fixierte mit ihren Augen für einen Moment den Kadaver des Totenkopfaffen, bevor sie die Lider senkte und in den Nexus eintauchte.
    Sofort meinte sie das Vibrieren körperlich wahrzunehmen, als sie ihre Wahrnehmung darauf fokussierte. Um sich herum konnte sie die Seelen ihrer Mitstudenten als verschwommene Formen erkennen, gerade so, als würden sie aus Rauch bestehen. Doch dies war nicht das Besondere an ihnen, gab ihnen doch bloss Yeriels Verstand dieses Aussehen, um sie in ihrer eigenen Wahrnehmung fassbarer zu machen. Es waren die Klänge, welche jeden Geist von den anderen unterschieden. Während ein Schemen von einem tiefen Brummen begleitet wurde, das den Raum um ihn herum in Bewegung versetzte, hüpfte eine andere Seele in einer schnellen Melodie im Staccato an ihr vorbei, und ein dritter Schatten erinnerte sie hingegen wieder an das Rauschen eines Bergbaches. Kam ihr eine Seele allzu nah, konnte sie die Schwingungen als sanfte Berührung empfinden.


    Davard von Hohenfelde war neben ihr erschienen und sie registrierte nebenbei seinen Seelenklang, welcher an die ruhigen Töne einer Trombone erinnerte.
    Dann verlor die Albin jedoch keine Zeit. Es war das Echo des Totenkopfaffen, dem sie zu folgen hatte. Es war, als würde man einer bekannten Melodie folgen durch die verwinkelten Gassen einer Stadt. Nur dass der Affe sich nicht weit entfernt hatte. Er turnte durch den Nexus und hinterliess dabei eine dumpfe keckernde Lautfolge.
    Yeriel wartete ab, ob ihr Begleiter seine Seele ebenfalls erkennen würde, bevor sie sich auf ihre Magie zu konzentrieren begann, die den Sog entfesselte, ausgehend von dem toten Körper auf dem Tisch. Sie konnte beobachten, wie der schattenhafte Schemen verzweifelt zu entkommen versuchte, das Keckern wurde lauter, und wurde von einem Kratzen begleitet, als würden Krallen über den Boden schaben. Die Seele war agil, versuchte sich zu entwinden, doch ein Entkommen war sinnlos. Es sah aus, als würde der Rauch in einen Strudel hineingezogen, der unaufhaltsam zum Kadaver führte, um dann von ihm verschluckt zu werden. Augenblicklich verstummte das dumpfe Keckern, als Yeriel in die materielle Welt zurückkehrte und beobachtete, wie der Totenkopfaffe sich wie betäubt aufrappelte und das Fell durchschüttelte. So lange sie ihm keine Befehle gab, verhielt er sich wie ein gewöhnliches Tier, das jedoch keine Nahrung benötigte, sondern von ihrer Magie gespeist wurde.


    „Aaah Lady Iolanthe, wie ich sehe, haben Sie die Aufgabe gemeistert. Ein schönes Kerlchen. Für nächste Woche habe ich Meerestiere bestellt, vielleicht wird das eine neue Herausforderung für Sie darstellen!“, begeisterte sich Madame vom Felsenschlund.
    „Und Herr von Hohenfelde? Welche Erfahrungen konnten Sie sammeln?“, wandte sie sich schliesslich prüfend an den Geistmagier.
    „Ich würde mich freuen, Sie wieder einmal hier begrüssen zu dürfen… vielleicht jedoch etwas pünktlicher.“


    Schliesslich klatschte sie in die Hände.
    „Für heute ist die Lektion beendet. Verfahren Sie wie üblich mit Ihren Kadavern und Wiedergängern. Und lesen Sie bis nächste Woche das fünfte und sechste Kapitel des 13. Bandes von Mirabella Tiefenthal der Siebten zur Thematik „Konservierung und Aufbewahrung von untoten Meereslebewesen“."
    Während die anderen Schüler ihre Bücher einpackten und die unbelebten Tiere auf einem Tisch im Raum ablegten, wandte sich Yeriel dem Totenkopfaffen zu.
    „Hiermit gehörst du dem Herren von Hohenfelde. Befolge seine Anordnungen und mache mir keine Schande.“
    Dann packte sie ihre Sachen zusammen und legte das Buch der Flüche auf ihren Schoss, während der Totenkopfaffe begann sein Fell zu lausen, so lange er von seinem neuen Besitzer keine genaueren Anweisungen erhielt.

    „Nichts?“, nun hatte er tatsächlich doch noch ihre Aufmerksamkeit erhascht, als sie sich mit verwundert hochgezogener Augenbraue von dem tierischen Leichnam abwandte.
    „Wollt Ihr damit andeuten, dass Ihr über keine nekromantische Begabung verfügt? Oder konntet Ihr Euch bloss noch nicht dazu überwinden, den Pfad der Nekromantie zu beschreiten?“
    Yeriel fragte sich ernsthaft, was der Kerl in der Akademie wollte, wenn er noch nicht einmal eine grundlegende Ausbildung genossen hatte. Es war nicht üblich, die ersten Magiegrade etliche Meilen unter dem Meeresspiegel zu erlernen, weit von der nächsten Zivilisation entfernt.
    Ausserdem hatte ihn Madame vom Felsenschlund einen „von“ genannt, demzufolge besass er höchstwahrscheinlich eine wohlhabende Familie, welche bestimmt für einen privaten Lehrer aufkommen konnte.
    Unmerklich schüttelte sie das Haupt über sich selbst.
    Was interessierte sie sich für seine Abstammung?
    Die Professorin hatte ihr aufgetragen sich seiner anzunehmen und nichts Anderes war ihre Aufgabe.
    „Was fasziniert Euch am Tod?“, fragte Yeriel ihn und bei dieser Frage musste sie ihr Interesse nicht einmal heucheln, „oder aus welchem Grund seid Ihr sonst hier?“


    Ihre Augen huschten einmal durch den Raum und beobachteten die Kommilitonen in ihrem Tun. Tatsächlich krabbelten bereits einige Kakerlaken herum, während der Leib einer Ratte bloss seltsam zuckte, während die Magierin dahinter sich verkrampft zu konzentrieren versuchte.
    Ein amüsiertes Lächeln stahl sich auf Yeriels Lippen, als die junge Almanin sich schliesslich völlig entmutigt auf ihren Stuhl zurückfallen liess und auf ihrer Lippe herumkaute.
    Da fixierte die Lichtalbin selbst den Körper des kleinen Nagetiers, fokussierte sich vollkommen auf den untoten Leib, bevor sie die Augen schloss.
    Sie konnte ihre Magie spüren und mit ihr die Seelen, welche immer anwesend waren. Manche bekam sie mit ihrem Geist zu fassen, andere wiederum waren schlüpfrig wie ein nasser Fisch.
    Es war ein Leichtes für Yeriel, die kleine Ratte wiederzuerwecken. Es war wie ein Sog, der plötzlich von dem toten Leib auszugehen schien und die sich windende Seele einfach in sich verschluckte.
    Mit einem Quietschen sprang das belebte Tier urplötzlich auf die Beine. Die Magierin hinter dem Tisch kreischte entsetzt auf, und fiel vor Schreck rückwärts von ihrem Sitzplatz. Yeriels Mundwinkel zuckten verräterisch, doch als sie sich wieder zum Herren von Hohenfelde umwandte, war ihre Miene ausdruckslos wie zuvor.

    „Ich habe Euch nicht um Eure Meinung, sondern allein um einen Gefallen gebeten“, konterte Yeriel ungerührt und ihr kühler Blick hätte wohl die meisten Leute zurückweichen lassen. Keinesfalls jedoch den Almanen, welcher ihr mit freundlicher Höflichkeit begegnete.


    Nichts desto trotz nahm sie den alten, ledernen Einband mit einem dankenden Nicken entgegen und legte ihn behutsam auf ihren Schoss. Sein Gewicht fühlte sich beruhigend an und gleichzeitig schienen ihr die Worte aus dem Buch heraus verheissungsvoll zuzuflüstern. Gerne hätte die Lichtalbin die Seiten aufgeschlagen, einen tiefen Atemzug genommen und durch diese blosse kleine Geste einen ersten Eindruck von dem Werk erhalten.


    Weder war dies aber die passende Situation für solcherlei verträumte Gesten, noch der richtige Zeitpunkt. Bereits jetzt würde sie verspätet in den Unterricht hineinplatzen und sich damit die düsteren Blicke von Madame vom Felsenschlund einhandeln, welche sich nur eines tadelnden Kommentares enthielt, da sie die junge Frau um ihre Gehbehinderung bedauerte.


    „Ihr scheint in Eile zu sein, ich möchte Euch nicht weiter aufhalten“, wandte sich Yeriel an den Almanen, während sie den goblinischen Rollstuhl mit Hilfe ihrer Hände an den grossen, dünnen Rädern in Bewegung setzte. Obwohl gänzlich unbequem, war das Gefährt leicht gebaut und gut zu lenken.
    Da der Mann sich jedoch nicht anschickte geschwind seiner Wege zu gehen, zuckte sie gelassen mit den Schultern und rollte neben ihm den Gang entlang ohne das Wort ein weiteres Mal an ihn zu richten.


    In Gedanken blätterte sie bereits durch das Buch auf ihrem Schoss, dessen Erkenntnisse sie gierig zu verschlingen gedachte. Vielleicht würde es endlich die Antwort auf die Frage bereithalten, welche sie schon einige Jahre quälte. Obwohl sie es weder sich selbst noch einer anderen Person eingestehen wollte, wurde sie von einer anhaltenden Unruhe gequält, welche sie dazu drängte, nach einer Lösung für ihr immerwährendes Dilemma zu suchen.
    Im Grunde war sie nicht nur in der intermagischen Akademie gestrandet, um ihre Magiefähigkeiten zu vertiefen, sondern auch um von dem gewaltigen Wissensschatz zu profitieren, der in den Tiefen des Meeres seit hunderten von Jahren von der Göttin Xerzai gehütet wurde.


    Sie tauchte erst aus ihren Gedanken hervor, als die Gänge breiter wurden und an den teilweise abgetretenen Steinfliesen zu erkennen war, dass hier ein regelmässigerer Betrieb herrschte als in der Bücherabteilung.
    Ihr stiller Begleiter war noch immer neben ihr und Yeriel fragte sich unwillkürlich, wo sein Ziel liegen mochte. Bevor sie sich jedoch dazu herablassen konnte ihn danach zu fragen, entschied sie, dass es sie im Grunde gar nicht wirklich interessierte. Er war einer unter vielen, eine Unterhaltung mit ihm völlig überflüssig.


    Schliesslich hatte Yeriel ihr Ziel erreicht und kam vor einer schweren, schwarzen Holztür mit alten Symbolen zum Stehen. Der Gang führte weiter durch die Akademie und entliess seine Benützer in unterschiedliche Seminarräume, aus welchen monotones Gemurmel, Wasserrinnsale oder der Geruch nach verbranntem Stoff hervordrangen.
    "Nun denn, hier trennen sich wohl unsere Wege. Gehabt Euch wohl", sagte sie noch zu dem Almanen, dann drückte sie mit kräftigem Griff die Klinke herunter und öffnete die Tür nach Innen.
    Siebzehn Paar neugieriger Augen und ein vorwurfsvolles Paar mit hochgezogener Braune blickten ihr entgegen.
    "Lady Iolanthe und der Herr von Hohenfelde. Schön, dass Sie beide uns auch noch mit Ihrer Anwesenheit beehren. An der Seite sind noch Plätze frei", sie wies einmal quer durch den Raum.


    Yeriel liess sich ihre Überraschung nicht anmerken, als sie auf einen Tisch zurollte und ein aufmerksamer Kommilitone den dort befindlichen Stuhl beiseiteschob.
    "Nun wenden Sie sich bitte wieder ihrer Aufgabe zu", sofort legte sich das leise Gemurmel, das bei dem Erscheinen der Verspäteten aufgekommen war, und die Studenten widmeten sich den toten Nagetieren, die die junge Nekromantin vor ihnen auf den Tischen erkennen konnte.
    "Ich weiss, dass Sie bereits mehr Erfahrung damit haben Zombies zu erschaffen, Fräulein Iolanthe. Doch wie Sie wissen, sind die Studierenden alle auf einem unterschiedlichen Niveau. Deswegen habe ich Ihnen ein etwas interessanteres Exemplar mitgebracht", mit einem befehlsgewohnten Wink beorderte sie einen Wiedergänger heran, welcher der jungen Frau ein noch gut erhaltenes Exemplar eines Totenkopfäffchens vor die Nase legte.
    "Vielleicht könnten Sie sich zusätzlich noch dem Herrn von Hohenfelde annehmen. Er interessiert sich für die Künste der Nekromantie", setzte sie noch hinzu, bevor sie davonmarschierte, um die Erfolge und Misserfolge der restlichen Schüler mit trockenen Kommentaren zu beantworten.


    Einen Augenblick lang wirkte die Lichtalbin genervt.
    Hatte Madame vom Felsenschlund sie gerade beauftragt einen Neuling zu hüten?
    "Was könnt Ihr denn bereits?", fragte sie nur mit halber Aufmerksamkeit den Almanen, den die Professorin zu ihr beordert hatte.
    Yeriel nahm an, dass er noch am Anfang seiner Ausbildung stand und sich womöglich nicht für bestimmte Zauber entscheiden konnte und deshalb Entscheidungshilfe benötigte.
    Ihr Unmut verflog jedoch rasch, als ihr Interesse sich auf den Leichnam fokussierte. Er konnte noch nicht lange verstorben sein und wirkte frisch. Sein bräunlichgraues Fell war nicht abgestumpft und der Verwesungsgeruch hatte noch nicht eingesetzt.
    Der Mann an ihrer Seite schien bereits in Vergessenheit geraten zu sein.

    Wie Yeriel ihr hilfloses Dasein bisweilen verfluchte.
    Gefesselt an die goblinische Konstruktion eines Rollstuhls wurden bereits einfachste Tätigkeiten zu Herausforderungen oder gar Unmöglichkeiten.
    Normalerweise hatte sie für solche Fälle einen Diener dabei, doch ihr neuer Helfer war eindeutig noch nicht so gut zurechtgeschliffen wie die Goblindame, die sie früher immer begleitet hatte. Atri war ein Staubteufel, der am liebsten überall herumstreunte.
    Ausserdem schien der Düsterling sich nie gänzlich entscheiden zu können, ob er sie wegen ihrer Gehbehinderung verachten, oder wegen ihrer kühlen Art und der unheimlichen Gabe fürchten sollte. Und deshalb war es oftmals ein wahrer Kraftakt, den jungen Kerl unter ihren Fittichen zu halten. So war er auch an diesem Tag irgendwo in dem riesigen Gemäuer am Grund des Meeres verschwunden, vermutlich um Ratten und Schaben zu jagen.
    Die Lichtalbin seufzte genervt auf und versuchte sich nach dem heiss begehrten Buch zu recken, das nur etwa zwei Köpfe über ihr im Regal thronte. Jeder andere hätte problemlos danach greifen können, doch ihr blieb es versagt.
    Nur ihr eiserner Stolz liess es nicht zu, dass sie laut fluchte, obwohl sie im Inneren brodelte. Stattdessen liess sie sich mit wütend funkelnden Augen in den unbequemen Stuhl zurücksinken und ballte die Fäuste.
    Oril und seine Priester seien verdammt!


    Im nächsten Moment hörte sie das Echo eiliger Schritte und ihr Kopf wirbelte herum.
    Hatte jemand ihre verzweifelten Versuche beobachten können?
    Ihr Blick verdüsterte sich, als sie einen grossgewachsenen Mann den Regalreihen entlang auf sich zukommen sah.
    Yeriel war erst seit wenigen Wochen an der Akademie und noch immer fand sie sich in dem verwinkelten Gebäudekomplex schwer zurecht. Die steinernen Gänge glichen einer dem anderen, nur die staubigen Buchrücken gaben Aufschluss darüber, in welcher Abteilung man sich gerade aufhielt. So kam es nicht wenig vor, dass sie die Orientierung verlor oder plötzlich von einer Treppe überrascht wurde.
    Ein Blick auf die magisch schimmernden Stalaktiten an der Decke, welche je nach Tageszeit leicht ihre Farbe veränderten, liess sie zusammenzucken. In nur wenigen Minuten begann der Nekromantieunterricht bei Madame vom Felsenschlund und sie konnte Unpünktlichkeit nicht ausstehen – Yeriel im Grunde genommen ja auch nicht!
    Der Mann war nun beinahe auf ihrer Höhe angelangt und offensichtlich war er ebenso in Eile. Im Grunde interessierte er sie nicht und hätte sie eine andere Möglichkeit gehabt, hätte sie ihn einfach ignoriert.


    „Könnt Ihr mir einen Gefallen tun?“, fragte sie deshalb, wobei sie ihm ein Lächeln schenkte, das ihre kühlen Augen jedoch nicht erreichte. Dabei hatte sie ihren Blick herausfordern auf ihn gerichtet.
    War er einer derjenigen, die sich voller Schadenfreue über ihre Misere lustig machten? Oder einer, welcher alles stehen und liegen liess, um der armen Frau zu Hilfe zu eilen? Und dann gab es ja auch noch die Sorte, welche einfach Augen und Ohren verschloss und schnell an ihr vorbeihastete.
    Er schien ihr entfernt bekannt vorzukommen, war er in einem ihrer Kurse oder ein ebenso häufiger Besucher der Bibliothek wie sie selbst?
    Immerhin hatte er angehalten und schaute sie fragend an.
    Yeriel nutzte die Chance: „Mit einem Griff nach dem grünen Umschlag dort könnt Ihr mir eine Menge weiteren Frust ersparen.“
    Das besagte Buch trug den freundlichen Titel: „Verflucht nochmal – Flüche und ihre Nebenwirkungen“.

    Aufmerksam betrachtete die Albin den Mann, der sich beinahe lautlos mit seiner Begleitung angenähert hatte. Nur das Rascheln ihres Kleides hatte die beiden verraten. Tuk war schon lange verschwunden, nachdem er die beiden Frauen vor dem Wagen des Direktors abgestellt und wortlos von Dannen geschritten war. Yeriel hatte ihm einen herablassenden Blick geschenkt und dann hatte das Warten begonnen.
    Während die Goblin immer unruhiger wurde und nervös Ausschau hielt nach sich nähernden Personen, wurde die junge Albin ruhiger. Fasziniert studierte sie den Sternenhimmel, der in dieser Nacht besonders klar war.
    Was die Sterne ihr heute wohl mitteilen wollten?


    Doch sie kam nicht mehr dazu, sich Gedanken über die Sternbilder zu machen, denn da näherte sich auch schon Herr van Blutar in Begleitung.
    Er trug noch immer dieselbe Kleidung wie in der Vorstellung und Yeriel konnte eine Anspannung in seiner Haltung erahnen, die sich jedoch sofort zu verflüchtigen schien, sobald er die beiden Besucherinnen erblickte. Entweder hatte sie es sich also bloss eingebildet, oder er war gut darin, seiner Umgebung etwas vorzumachen.
    Sie erkannte trotz der Dunkelheit die Umrisse eines kantigen Gesichts und lange schwarze Haare. Sein Gang war aufrecht und selbstbewusst.
    Yeriel hatte gelernt mit den Blicken der Leute umzugehen, und auch bei ihm bemerkte sie einen Augenblick der Irritation in seinen Augen, als er ihren goblinischen Rollstuhl musterte.
    Seine Begleitung war schön, das konnte Yeriel sogleich erkennen, auch wenn die Laterne vor dem Wagen sie nur dürftig beleuchtete. Sie unterdrückte ein Lächeln, hatte sie die beiden womöglich gerade bei einer Liaison unterbrochen? Erklärte das seine Anspannung?


    Als er sowohl ihr als auch ihrer Dienerin die Hand küsste, wusse Yeriel nicht, ob sie empört oder belustigt reagieren sollte. Sie wahrte jedoch ihr Gesicht, indem sie sich vorstellte.
    „Mein Name ist Yeriel Iolanthe. Meine Dienerin und ich haben der Vorstellung beigewohnt. Beeindruckende Künstler, das muss ich zugeben. Und auch ihre Darbietung war nicht unbeträchtlich. Doch dies ist nicht der Grund, weshalb ich hier bin, es gibt bestimmt genügend Besucher, die Ihnen die Ohren mit Honig vollschmieren“, sie schenkte ihm ein kühles Lächeln.
    „Meine Dienerin hier ist sehr abergläubisch. Wie Sie sehen können, benutze ich einen Rollstuhl, da ich nicht des Gehens mächtig bin. Sie hat jedoch ihre Show gesehen und ist nun der Überzeugung, dass Sie tatsächlich ein Mittel besitzen, Beine zusammenzufügen und Menschen wieder gehen zu lassen.
    Obwohl sie eine treue Dienerin ist und es nur gut meinte, möchte ich sie nicht in dem Irrglauben belassen, der sie von ihrer Arbeit abhalten würde. Wäret Ihr so freundlich und würdet ihr erklären, dass nur ein einfacher Trick hinter alledem steckt?“
    , eine Warnung schwang in der Stimme mit, auch wenn Yeriel gegen Aussen hin freundlich wirkte.


    Sie wusste nur allzu gut, dass Illusionsmagier ungern ihre Tricks preisgaben, doch er sollte es bloss nicht wagen, ihr eine Lüge aufzutischen. Sie war sich bereits bewusst, dass sie eine Behinderung hatte, da musste man ihr dies nicht auch noch weiter vor Augen führen.
    Erwartungsvoll starrte Dorothea van Blutar an und die Hoffnung war deutlich zu sehen. Yeriel tat es beinahe Leid, dass sie die Goblin enttäuschen musste.

    Obwohl Yeriel sich anfangs dagegen gesträubt hatte, die Zirkusvorstellung zu besuchen, sass sie nun in ihrem goblinischen Rollstuhl neben Dorothea, die ihren Sitzplatz mit einem Kissenstapel erhöht hatte. Hinten hörte man unfreundliches Murren, denn die langen Goblinlauscher und der runde Kopf verdeckten den anderen Zuschauern merklich die Sicht.
    Die Haushälterin war jedoch so erfreut, dass sie das Fräulein Iolanthe überreden konnte, doch noch an der letzten Vorstellung teilzunehmen, dass sie die bösen Blicke erst gar nicht bemerkte.


    Tatsächlich war die Lichtalbin nur wegen der alten Goblin hergekommen. Auch wenn Yeriel es sich niemals anmerken liess, mochte sie das Weibchen und es erfüllte sie mit Zuneigung, sie so besorgt und aufgeregt zugleich zu sehen.
    „Jetzt kommt dann gleich die Stelle, Fräulein Iolanthe“, flüsterte ihr die Kleinere zu, ohne dabei die Augen von den Orks zu wenden, welche behäbig das Netz und die Stangen abbauten, wo kurz zuvor noch zwei Albinnen durch die Luft geschwebt waren.
    Yeriel nickte beiläufig. Die Aufführung der beiden Schwestern hatte ihr wieder einmal vor Augen geführt, wie eingeschränkt sie doch mit ihrer Gehbehinderung war. Die beiden flogen durch das Zelt als hätten sie Flügel, und sie selbst konnte noch nicht einmal über den Boden laufen.
    Ihre Aufmerksamkeit wurde auf den Herrn Direktor gelenkt, der jetzt die Manege betrat.


    „Nun meine lieben Damen und Herren, werde ich etwas ihnen vorführen was sie sich nicht zu träumen wagen. Mit dieser Säge...“, er hielt das scharfkantige Gerät nochmals hoch „werde ich nun diese Albin in zwei Teile schneiden, sie wird dann nicht mehr gehen können!“
    Das ist ja Mal was Neues.
    Yeriel schielte zu Dorothea hinüber, deren Blick ängstlich an den Sarg geheftet war. Die Lichtalbin schüttelte verwundert den Kopf. Obwohl die Goblin wusste, was nun passieren würde, war sie nervös wie ein kleines Kind.


    Wie die Haushälterin es ihr bereits erzählt und Elliot es bestätigt hatte, wurde nun der Sarg in der Mitte durchsägt. Blut quoll hervor und die Dame begann zu schreien, um dann abrupt zu verstummen, als sie in eine Ohnmacht fiel. Yeriel war beeindruckt von den schauspielerischen Künsten, denn im Gegensatz zu Dorothea glaubte sie nicht daran, dass die Frau tatsächlich gerade ihre Beine verloren hatte.
    Trotzdem beobachtete sie mit einem Lächeln, wie der Zirkusdirektor nun eine Phiole mit einer Flüssigkeit aus seiner Tasche hervorzauberte und ihre Funktion erklärte.
    „Seht ihr Fräulein Iolanthe! Gleich kann sie wieder gehen!“, die abergläubische Goblin quiekte beinahe vor Staunen, als kurz darauf die junge Dame vor dem Publikum herumtänzelte, gänzlich unbeschadet.
    Yeriel seufzte. Wenn es doch bloss so einfach wäre.


    Nachdem die Vorstellung beendet war und die Lichtalbin bereits auf den Ausgang zusteuerte, stellten sich ihr ein dicker Goblin mit Schnurrbart und Dorothea in den Weg. Fragend und streng zugleich zog Yeriel die Augenbraue in die Höhe. Obwohl die alte Goblin sich lieber geduckt hätte, stotterte sie tapfer ihr Anliegen hervor.
    „Fräulein Yeriel, das ist Tuk der Eisenbeisser. Er hat sich bereit erklärt, Sie zum Direktor zu führen, damit wir ihn um ein Gespräch bitten können.“
    Die Albin wusste nicht, was sie sagen sollte, so plapperte Dorothea schnell weiter, bevor Einwände kommen konnten.
    „Ich dachte, nun also, die Frau in dem Sarg… sie konnte danach auch wieder gehen und vielleicht wäre es ja möglich… nun ja, Sie können es sich bereits denken… von dem Herrn Direktor eine solche Phiole voll von der Flüssigkeit zu erkaufen.“
    Dorothea war ganz dunkelgrün im Gesicht geworden, blickte mit ihren treuen Augen jedoch mutig zu der Herrin hoch.


    Da wurde Yeriel doch wütend. Nicht auf Dorothea, welche alles tun wollte, um dem Fräulein Iolanthe zu helfen, sondern auf Menschen, die solche gutgläubigen Leute zum Narren hielten. Sie meinte bereits das gierige Lächeln auf dem Gesicht Tuks zu erkennen, der bestimmt nicht abgeneigt war, gutes Geld damit zu erlangen.
    Da die Lichtalbin ihre alte Haushälterin jedoch gut genug kannte, stimmte sie dem Vorschlag zu. Dorothea musste selbst erkennen, dass alles bloss Humbug war, ansonsten würde sich noch ewig hinter dem Zirkus hertrauern.
    „Nun gut, Herr Tuk. Führe uns bitte zum Herrn Direktor. Ich bin gespannt darauf, ihn kennenzulernen!“, wandte sie sich in einem herrischen Tonfall an den dicken Goblin, der sich sofort mit einer spöttischen Verbeugung vor der Alten und der Frau im Rollstuhl verbeugte, und dann den Weg zu den Wagen einschlug.
    Yeriel nahm sich vor, dem Direktor die Leviten zu lesen und gleichzeitig Dorothea davon zu überzeugen, dass es leider keine so einfachen Hausmittelchen gab, um ihre Behinderung in Luft aufzulösen.

    «Mylady, ein Brief ist für Euch angekommen!», aufgeregt wuselte Dorothea durch die ebenerdige Wohnung, jedoch nicht ohne sich zuerst davon zu überzeugen, dass die untote Katze der Nekromantin ausser Reichweite war. Obwohl das Tier nicht bösartig auftrat, es befolgte nur die Befehle seiner Herrin und verlor dabei büschelweise Fell, gruselte der älteren Goblin vor dem Vieh. Und das, obwohl dieser Zombie noch einer der schöneren war, da er erst vor Kurzem den Tod gefunden und wiederbelebt wurde.


    Dorothea selbst hatte den Auftrag erhalten, den toter Körper bei einer Nachbarin abzuholen, nachdem diese sich bei Fräulein Iolanthe gemeldet hatte.
    Manchmal wurde der älteren Dienstmagd jedoch auch aufgetragen, einen Leichnam in einer dunklen Gasse einzusammeln, den zuvor eine der untoten Ratten ausfindig gemacht hatte. Dorothea ärgerte sich darüber, dass nicht der centaurische Diener für diese Aufgabe eingeteilt wurde, doch gleichzeitig war ihr auch bewusst, dass er weit mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken würde in der Stadt, als eine alte Goblin. Sie mochte den Centauren nicht.
    Wie konnte Fräulein Iolanthe bloss so einen Halbmenschen in ihrer Gesellschaft wünschen?
    Doch die Wege der Lady waren unergründlich.


    Yeriel sass indessen in ihrem Rollstuhl, der nach Goblinart gefertigt war. Sie hasste dieses Ding, es erinnerte an einen klapprigen Stuhl mit Rädern. Er war steinhart und nur dank Dorotheas Häkel- und Strickkunst federten zwei weiche blumenbestickte Kissen das Ruckeln des Untergrundes ab.
    Eine albische Konstruktion wäre um einiges bequemer und vor Allem ästhetischer ausgefallen – doch auch unglaublich unhandlich. Ungern erinnerte sich Yeriel an zentnerschwere Gefährte, die, wenn sie denn einmal in Fahrt kamen, kaum zu bremsen waren. Dahingegen waren die goblinischen Rollstühle unheimlich leicht und gut händelbar für die feingliedrige Lichtalbin.


    Sorgfältig öffnete sie das Couvert und zwei Eintrittskarten fielen ihr in den Schoss. Mit den Fingern tastete sie nach einem Brief, doch kein Schreiben war beigelegt.
    Neugierig betrachtete sie die Einladungen, auf denen in verschlungenen Buchstaben der Name Variete Kuriosita auszumachen war. Ein durchschnittlicher Zeichner hatte einen Feuerschlucker und einen Drix darauf abgebildet. Es war keine Orts- und Zeitangabe zu erkennen, und Yeriel vermutete bereits den Grund dafür. Dies waren Karten für eine Zirkusvorstellung und diese verweilten bekanntlich nie lange in derselben Stadt.
    Verächtlich zog sie die Augenbrauen hoch.
    Da hatte sich wohl wieder einmal jemand einen bösen Scherz mit ihr erlaubt. Es war an der Zeit, sich einen neuen Wohnort zu suchen, die Leute hier waren zu engstirnig für ihre Nekromantiekünste und auch ihre Bilder verkauften sich in diesem verschlafenen Kaff nur schlecht. Sie bräuchte fantasievolle Käufer, keine dumpfen Kleinbürger.


    „Oooh, ihr habt Karten für das Varieté erhalten“, Dorothea starrte mit leuchtenden Augen auf die Tickets. Yeriel bemerkte vergnügt das erwartungsvolle Glitzern in den Augen der Goblindame. Ihre eigene Miene blieb unbeteiligt, als sie wie nebenbei bemerkte: „Vermutlich nur wieder von einem der Bauerntölpel, die mich demütigen wollen. Eine Behinderte passt doch ganz passabel in ein Varieté Kuriosita. Ich werde diesem Anlass fernbleiben.“
    Sogleich ersetzte Enttäuschung die freudige Erwartung von Dorothea, die sich bereits als mögliche Begleiterin sah.
    „Stattdessen gönnen Du und Elliot euch einen unterhaltsamen Abend“, setzte sie ihre Worte mit Bedacht und einem leichten Lächeln fort. Als Dorothea endlich ihre Dankesbekundungen beendet und aus dem Haus getürmt war, um den Centauren aufzusuchen, liess sich Yeriel nachdenklich ins Kissen zurücksinken, allein mit ihren Gedanken.

    Name: Yeriel Iolanthe
    Volk: Lichtalben
    Fraktion: Schatten
    Alter: 56 Jahre
    Größe: 1,68
    Statur: grazil, leicht, wenig muskulös
    Herkunft: Avinar
    Sprachen: Asameisch
    Familienstand:
    Ledig, verstossen von ihrer Familie, als sie ihr Interesse für die Nekromantie bekundete
    Beruf:
    Malerin, Wahrsagerin, Geisterbeschwörerin, Unterhaltungs-Künstlerin, Verkäuferin, Diebin, Spionin, Studentin und was sich alles so ergibt.


    Aussehen
    Yeriel besitzt einen feingliedrigen und leichten Körper. Sie wirkt wie eine zarte Blume, was oft über ihre innere magische Stärke hinwegtäuscht. Sie hat hohe Wangenknochen und ein spitz zulaufendes Kinn. Die Augen erinnern an die Farbe von Veilchen, die je nach Licht eisig Blau bis Violett schimmern. Der Ausdruck ist kühl und sie wirkt meist unnahbar. Nur wenn sie eine Todesahnung erfährt, ist ein oberflächlicher Schmerz darin zu erkennen.


    Auch sonst ist ihre Haut sehr hell, und ihr glattes Haar schneeweiss. Nur die sehr spitz zulaufenden, langen Ohren schimmern rosig.


    Im Alter von 35 Jahren wurde Yeriel von Oril auf Bitten der Priesterschaft hin mit einem Fluch belegt, der ihr das Gefühl und die Kontrolle über ihre Beine nahm. Durch die fehlende selbständige Bewegung haben sich die Muskeln zurückgebildet und die Extremitäten wirken unnatürlich dünn.


    Yeriel passt ihre Kleidung gerne den Umständen an. Da die Lichtalben sie verstossen haben, trägt sie oftmals dunkle Kleider in Violett- und Blautönen. Selten trägt sie auch helle Gewänder. Da sie zeitweise in Naridien lebt, sieht man sie auch in eleganten und gleichzeitig bequemen Pluderhosen.
    Die dunkle Gewandung verleiht ihr wegen ihrer hellen Gestalt einen unwirklichen und beunruhigenden Ausdruck.


    Die Lichtalbin ist der Ästhetik nicht abgeneigt, und aus Trotz gegenüber ihrem Volk und Oril trägt sie nicht nur Goldschmuck, sondern mit Vorliebe auch Silberarm- und -fussbänder, sowie Ohrringe.
    Da sie die Dunkelheit fürchtet, schmückt eine silberne Kette mit einem schimmernden Stein ihr Dekolleté. Das Artefakt beginnt in der Dunkelheit zu leuchten.


    Charakter und Besonderheiten
    Yeriel Iolanthe ist alles andere als eine gewöhnliche Lichtalbin. Nichtsdestotrotz liebt sie ästhetische Dinge, wobei sie manchmal eine ganz eigene Vorstellung hat, was sich sowohl in ihrer Magie als auch in ihren selbst gemalten Bildern zeigt.
    Diese beiden Themen sind es auch, die sie aus der Reserve zu locken vermögen.
    Ansonsten ist die junge Frau kühl und unnahbar, was wohl auch mit ihrer Vergangenheit und ihren Erfahrungen zusammenhängt.


    Mit dem Bruch zu ihrem Volk und zu Oril veränderte sich ihr Leben schlagartig. Die Nekromantie wurde zu ihrer Leidenschaft und der Fluch sonderte sie von ihresgleichen ab, brachte ihr aber gleichzeitig neue Bewunderer und Freunde ein.
    Mitleid und Bemutterungen sind bei der stolzen Frau fehl am Platz und werden bloss mit Verachtung gestraft. Einzig ihre Dienerschaft und sehr aufmerksame Beobachter haben einen Einblick darin, wie schutzlos und hilflos sich Yeriel in manchen Situationen auf Grund ihrer Gehbehinderung fühlen mag.


    Trotzdem fürchtet sich die Albin nur vor sehr wenigen Dingen. Eines davon ist die Dunkelheit, die in ihrem Volk von Malgorion verkörpert wird. In der völligen Schwärze der Nacht fühlt sie sich verletzlich, weshalb sie immer ein schimmerndes Artefakt in Form einer Halskette um den Hals trägt.
    Nur ganz selten zweifelt sie an ihrer Entscheidung, ihrer Gabe den Vorrang vor ihrem Volk gegeben zu haben. Vor Allem dann, wenn sie glückliche Familien sieht. Yeriel hegt die Angst, niemals wieder Liebe zu verspüren oder ihre Lust ausleben zu können.


    Für Yeriel war der Tod immer etwas Natürliches, trotzdem fiel es ihr anfangs schwer, Tote auferstehen zu lassen in Form von Zombies. Dies legte sich jedoch mit der Zeit, als sie den Nutzen in ihrem Tun erkannte oder wie sie den Lebenden einen Funken Glück schenken konnte, wenn sie mit den Verstorbenen kommunizierte.


    Womit sie sich jedoch niemals anfreunden konnte, waren die Todesahnungen. Sie zeigen sich in unterschiedlichster Form, meistens so, wie auch das Ende desjenigen auftritt. Viel schlimmer als das Bewusstsein um den Tod eines Lebewesens, ist für Yeriel deshalb das Gefühl des Sterbens selbst. Friedlich einzuschlafen ist eine Sache, aber die Empfindung zu ertrinken, erdolcht oder gehängt zu werden, ist jedes Mail ein Albtraum für sich.
    Dies ist auch der Grund, warum die Albin andere auf Distanz hält und niemanden an sich heranlässt. Obwohl sie das Innerste eines Lebewesens zu ergründen vermag mit Einblick in ihre Träume oder durch die Todesahnungen, möchte sie im Gegenzug keinem diese Macht über sich selbst zugestehen.


    Yeriel hat eine engere Beziehung zu ihrem centaurischen Diener Elliot. Sie vertraut ihm ihren Körper an, wenn sie ein Ritual begeht, oder auch einfach von einem Ort zum anderen getragen werden möchte.
    Eine zusätzliche Dienerin hilft ihr beim Einkleiden und schmeisst den Haushalt.
    Treue Gefährten, die jedoch immer wechseln, sind ihre untoten Tiere. Sie erfüllen bestimmte Aufgaben für ihre Erschafferin, welche von der Unterhaltung als Haustier bis hin zu Spionage und Diebstahl führen können.


    Ein Liebes-Hass-Beziehung führt die Gehbehinderte zu ihrem goblinischen Rollstuhl. Obwohl fürchterlich unbequem, kann sie sich mit seiner Hilfe in ihrem eigenen zu Hause ohne Unterstützung fortbewegen.


    Yeriel hat eine Vorliebe für Veilchen und Vögel.
    Wenn es ihr schlecht geht, trösten sie Blumen oder Vogelgezwitscher oder aber auch einige Schlucke Nebelwein, der wie der Name schon sagt, die Sinne für eine Zeit lang verwischt.
    Auch ihre Geistmagie bietet ihr die Möglichkeit, in eine Art Rausch zu verfallen, wenn sie des nachts die Träume der Schlafenden beobachtet, oder manchmal sogar verändert.


    Glaube
    Früher verehrte Yeriel wie die meisten Lichtalben die Gottheit Oril. Im Verlauf ihres Lebens kam es jedoch zu einem Bruch mit ihrer Religion. Da die Priesterschaft es nicht anerkennen konnte, dass die Albin den Sitten widersprach und die Nekromantie erlernte, baten sie Oril, die Unwürdige zu bestrafen. Er verfluchte sie, worauf sie ihre Beine nicht mehr spüren und kontrollieren konnte. Ihre Familie und das Volk der Lichtalben verstiessen sie aus dem Reich Avinar.
    Da sie schon als Kind die Dunkelheit zu fürchten gelernt hatte, konnte sie jedoch auch keine Sympathie für Malgorion empfinden.


    So wandte sich die junge Albin schliesslich Ainuwar zu, der besonders unter den Nekromanten verehrt wird, jedoch als Gott des Geistes auch unter Geistmagiern angesehen ist.
    Im Alltag lebt sie ihren Glauben aber kaum aus. Ihre schlechten Erfahrungen liessen sie sich von der Verehrung der Götter abwenden, so dass sie nur an wirklich wichtigen Anlässen einen Tempelbesuch unternimmt. Gegenüber Priestern verhält sie sich abweisend und misstrauisch. Ihre Verachtung ist deutlich spürbar.


    Fähigkeiten
    Lesen, schreiben und rechnen
    Asameisch
    Reiten
    Sterne deuten
    Malerei
    Unfreiwillige Todesahnungen


    Magie
    Nekromantie (3.Grad):
    Dunkle Prophezeiung, Kleiner Spuk, Schakalnase
    Grabesgeruch, Grabestiefe, Gesang der Seele
    mit Toten reden, Seelenbesuch, Kleiner und grosser Tierzombie


    Geistmagie (2 .Grad):
    Willkommen, Traumwelt
    Traumflüsterer



    Lebenslauf
    Geboren im Lichtalben Reich Avinar wuchs Yeriel als dritte Tochter von Clariel und Lonear Iolanthe auf. Die Familie Iolanthe war ein altes, wohlhabendes Geschlecht, weswegen dem jüngsten Kind bereits von klein an Respekt und Ansehen entgegengebracht wurde.
    Obwohl Yeriel als das Nesthäkchen gerne von allen verwöhnt wurde, musste sie doch auch schnell lernen, welche Ansprüche und Erwartungen an einen Spross ihrer Familie gestellt wurden.
    Die beiden Schwestern hatten sich einerseits der Astronomie, andererseits der Priesterschaft verschrieben, und erfüllten die Eltern mit Stolz.


    Nachdem die schulische Ausbildung der Jüngsten bereits weit vorangeschritten war, sie mit Gelehrten über geschichtliche Ereignisse und religiöse Ansichten zu debattieren vermochte, beschieden ihre Eltern, sie auf die Akademie für Geistmagie zu schicken, um sich dem Studium zu widmen.
    So begann Yeriel die Lehre zur Geistmagierin. Obwohl sie eine passable Schülerin war, kam sie nie über den 2. Grad ihrer Ausbildung hinaus.
    Denn im Alter von 37 Jahren begann sich etwas im Leben der Albin zu verändern.


    Eines Tages, als die Albin auf dem Weg nach Hause war, begegnete sie einem Mann. Die Begegnung war flüchtig, doch als sich ihre Blicke trafen, spürte sie Übelkeit in sich aufkommen und hatte plötzlich das furchterregende Gefühl zu fallen.
    Am darauf folgenden Tag erfuhr sie, dass ebenjener Albe ein Gärtner war, und von der Brüstung gestürzt war, als er die Pflanzenpracht an einer der schlanken Holzfassaden zurechtstutzen wollte.
    Von diesem Augenblick an häuften sich die Todesahnungen.
    Die junge Frau war oft in sich gekehrt, machte sich Gedanken und Vorwürfe, traute sich nicht mehr auf die Strasse zu gehen in der Angst, jemandes Tod vorauszusehen. Da Nekromantie ein Tabuthema war, wusste Yeriel lange Zeit nicht, was mit ihr los war.


    So begann sie im Heimlichen zu forschen und sich für den Tod zu interessieren. Ein befreundeter Bibliothekar verhalf ihr zu neuer Literatur, welche sie nächtelang im Kerzenschein verschlang.
    Und eines Tages war zwischen all den Schinken über das Sterben, Nahtoderfahrungen und Wiederbelebung ein zerfleddertes Heftchen aufgetaucht. Yeriel wusste nicht, ob es die Absicht ihres Freundes gewesen war, oder ein blosser Zufall, doch der kurze Abspann über Nekromantie erfüllte die Albin mit neuer Lebensenergie und Neugier.
    Etwas widerwillig schmuggelte der Bibliothekar die verbotene Lektüre zu der Lichtalbin und schürte so ihren Wissensdurst.


    Ihre Leistungen im Studium liessen immer mehr zu wünschen übrig. Stattdessen erwachte in Yeriel der Wunsch, an der Akademie von Nebreszko Nekromantie zu studieren.
    Sie überredete ihre Familie dazu, sie nach Naridien zu schicken, um in Alessa ihre Fähigkeiten in der Geistmagie vertiefen zu können. Ihre Eltern stimmten dem zu, doch stattdessen reiste die Lichtalbin an die Hochschule für Nekromantie in Nebreszko und begann die verbotene Lehre als Nekromantin.
    Ihr Versteckspiel hielt nicht lange an und wurde von aufmerksamen Lichtalben durchschaut.


    Man forderte die junge Albin auf, sofort ins Reich zurückzukehren und Busse zu tun, um in der Gemeinschaft verbleiben zu dürfen.
    Yeriel aber hatte ihre Gabe erkannt und weigerte sich, nach Hause zurückzukehren und der Nekromantie abzuschwören.
    Daraufhin bat die Priesterschaft die Gottheit Oril einzugreifen und die Albin zu bestrafen. Oril statuierte ein Exempel an der Lichtalbin und verfluchte sie.
    Von nun an konnte sie ihre Beine weder spüren noch bewegen und war dazu verdammt «im Staube zu kriechen». Ausserdem gilt sie fortan als Ausgestossene unter ihresgleichen.


    Yeriel liess sie davon nicht abhalten. Sie war eine talentierte Nekromantin und meisterte in den nächsten Jahren drei Grade der Magie.
    Dank einflussreicher Freunde unter den Nekromanten und Naridiern, welche sie dafür bewunderten, einem ganzen Volk zu trotzen, konnte sie in guten Verhältnissen leben. Yeriel hatte einen gewissen Bekanntheitsgrad dafür erhalten, den Fluch des Lichtgottes in sich zu tragen.


    Nachdem sie mit 45 Jahren den dritten Grad erreicht hatte, beendete sie gezwungenermassen ihr Studium. Da sie bereits den zweiten Grad der Geistmagie erlernt hatte, blieben ihr weitere Wege der Nekromantie versagt.
    Yeriel arbeitete daraufhin mehrere Jahre in der Akademie als Bibliothekarin, wodurch sie immerhin Zugang zu ihren geliebten Büchern hatte.
    Nachdem sie so viel theoretisches Wissen über die Welt angesammelt hatte, gelüstete es sie danach, diese auch zu erforschen. Für eine gehbehinderte Person jedoch kein einfaches Unterfangen.


    Sie begann nach einem geeigneten Diener zu suchen, der sie auf ihrer Reise begleiten konnte. Zufälligerweise hörte sie von einem Centauren, dessen Herr verstorben war, und der nun der Sklavenarmee zugeteilt werden sollte.
    In seiner Not stimmte der junge Mann widerwillig zu, obwohl er von der Nekromantin fast genauso wenig zu halten schien, wie von der Aussicht, in einer Armee zu kämpfen.
    Elliot stellte sich mit den Jahren als treuer Begleiter heraus, der sich an seine Herrin gebunden fühlte.


    Die Magie half Yeriel, ihr Leben in guten Verhältnissen fortzusetzen.
    Die untoten Tiere unternahmen für sie Diebstähle oder spionierten angesehene Bürger aus. Die Albin lernte schnell, dass manche Menschen viel Geld liegen liessen, um ein Geheimnis zu erkaufen.
    Und vor Allem erkannte sie den Nutzen einer Behinderung – die Meisten unterschätzten ihre Fähigkeiten und es wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, die gestohlene Perlenkette beim armen Fräulein Iolanthe zu suchen.


    Mit 52 Jahren hatte die Albin genug vom Reisen. Sie liess sich mit ihrem Diener in einer kleineren Stadt in der Nähe von der Handelsstadt Obenza nieder.
    Dort entdeckte sie die Malerei für sich und baute sie zu einem Handwerk aus, mit dem sie fortan ihren Lebensunterhalt verdiente.