Beiträge von Mauli

    Mauli blickte auf und ließ die Steine fallen, mit denen er gespielt hatte. Mühsam stellte er sich aufrecht hin. Er war noch ein wenig angeschlagen und vor allem hungrig. Das Himmelsauge sah lecker aus. Sehnsüchtig betrachtete Mauli das viele schöne Fleisch. Aber er war noch nicht hungrig genug, als dass er sich nicht mehr beherrschen konnte. Er hatte zudem jedes Wort verstanden und wollte keinen weiteren Ärger verursachen.


    Er trat an Morasa und Firxas heran. "Geht nur", sagte er freundlich. Sein Hirn und sein Kehlkopf waren wieder so weit regeneriert, dass er sprechen konnte und man erkannte nun sein Gesicht. Er war offenbar früher mal ein recht ansehnlicher Mann gewesen, nur das ständige Verfaulen machte alles zunichte. "Danke für alles, meine Freunde. Macht euch keine Sorgen, ich komme schon zurecht." Er gab sowohl Morasa als auch Firxas und Terc seine kalte Hand. Terc wollte ihm nicht die Hand geben und versteckte seine Hände hinter Firxas.


    Mauli machte ihnen den Abschied leichter, indem er sich auf alle Viere stellte und so davon rannte. Bald war von ihm nichts mehr zu sehen und nur der Steinkreis, den er gebaut hatte, erinnerte daran, dass er da gewesen war.

    Mauli ließ sich widerstandslos in den Zuber mit dem Eiswasser legen. Seine Ohren funktionierten noch, so dass er alles verstanden hatte und den Zweck begriff. Er fühlte sich gleich viel besser, als man den Dreck aus seinen Wunden gewaschen hatte und seine Eingeweide schwerelos um ihn herumschwebten, anstatt mit ihrem Eigengewicht an ihrer Befestigung in seiner Bauchhöhle zu zerren.


    Kurz darauf hörte er auch die vertraute Stimme von Morasa. Da er ihn nicht sah, tastete er nach ihm, doch Morasa flutschte schon wieder davon. Doch diesmal kam er bald zurück und das sehr schnell. Er reichte Mauli mehrere handvoll körperwarme Fleischbrocken. Mauli grabschte sie und verzehrte sie gierig. Etwas zu gierig, einige seiner Zähne wurden dabei aus dem angegammelten Zahnfleisch gehebelt, doch das machte nichts. Ein gut genährter Ghul konnte so etwas problemlos regenerieren. Kurz darauf sah man, wie Maulis im Wasser schwebender Darm dicker wurde, die Adern daran hervortraten und die Peristaltik einsetzte.


    So weit man das bei einer halb verwesten Leiche sagen konnte, hatte Mauli bereits eine gesündere Gesichtsfarbe. Er tastete nach Morasas Arm, umgriff seine Hand und rieb seinen Kopf daran. Ein Stück Skalp löste sich vom Schädel und hing herunter.


    "Hanke", röchelte Mauli überglücklich.

    Der Ghul war froh, dass Varmikan und Dave so freundlich waren. Nicht anders hatte er sie in Erinnerung, doch war er unsicher gewesen, ob man ihn noch erkannte oder ihn so stinkend und faulend wie er war, überhaupt noch hier wollte. Ein Sabberfaden seilte sich aus Maulis Mundöffnung ab, als er vom Fleisch hörte. Dehydriert war er immerhin nicht, er hatte während der Reise sehr viel getrunken und Schlamm und Schneematsch gegessen, um den quälenden Hunger zu lindern. Er hoffte, dass sein Magen nicht verwest war und sein heraushängender Darm noch funktionierte, denn sonst hatte er ein ernstes Problem.


    Unendlich dankbar für die Hilfe schüttelte er dennoch den Kopf, als man ihn reinbat. Er würde nur schneller verwesen, wenn er ins Warme kam, er musste sich kühl halten, am besten nahe des Gefrierpunktes, bis Fleisch eintraf. Er blickte sich unnötiger Weise um, da er eh nichts sah mit seinen matschigen Augäpfeln, um zu schauen, ob Morasa sich näherte.

    Als sie die Tür öffneten, erblickten sie eine Leiche im fortgeschrittenen Verwesungsstadium, die vor ihrer Haustür saß und aus matschigen Augen versuchte, in ihre Richtung zu blicken. Mauli stank zum Himmel, sein Fleisch hing in fauligen Fetzen von seinem Körper und an den Gelenken schauten seine Knochen hervor. Er zog eine mehrere Meter lange Schleppe von Eingeweiden hinter sich her, die voller Dreck waren. Nur der Jahreszeit hatte er es zu verdanken, dass er nicht noch weiter verwest war und ihn weder Fliegen noch Maden plagten. Auf seiner wochenlangen Reise war Mauli mehrmals eingefroren, doch wegen des milden Winters wieder aufgetaut, so dass er seinen Weg zurück nach Shohiro hatte fortsetzen können.


    "Oraha", röchelte er. Sowohl Lippen als auch Zunge waren zu stark verwest, um vernünftige Laute zu erzeugen.

    Mauli hatte bis zum Schluss gewartet, dass Morasa ihm das Fleisch aushändigte und es ihm auch nicht aus den Händen gerissen, sondern ruhig entgegengenommen. Er hatte gelernt, dass er möglichst ruhig und ungefährlich wirken musste, um wenigstens einen Hauch von Akzeptanz zu erfahren. Die Angst, die manche vor hungrigen Ghulen hegten, war ja auch nicht ganz unbegründet.


    Aber jetzt, wo es sein war, hielt er es mit beiden Händen gepackt und biss und riss und schlang es in atemberaubendem Tempo herunter. Es war noch ganz frisch, kein bisschen modrig und von allererster Güte. Weich, mit schön vielen Fettfasern drin. Das Paket war deutlich größer als Maulis Kopf, aber er aß es vollständig auf und lutschte sich am Ende noch die Finger ab und leckte auch das Einpackpapier sauber. Nach der Mahlzeit sah er aus wie schwanger. Dunkle Adern zeichneten sich auf seinem nun glänzenden Bauch ab. Seine Gedärme waren zum Bersten gefüllt und man konnte fast zusehen, wie Mauli sich zu regenerieren begann und sein entsetzlicher Leichengestank schwächer wurde. Auch seine Sehkraft und sein Gedächtnis kehrten bereits ein wenig zurück. Natürlich würde er noch einen Verdauungsschlaf brauchen, um sich vollständig zu regenerieren. Dankbar schmiegte er sich an Mos Bein. Mo versprach gar, er würde für ihn jagen. Etwas, dass Crize nie getan hatte, andererseits hatte der inzwischen vermutlich eine ganze Tausendschaft zu betüdeln. Alles, was er getan hatte, war sie zum Schlachtfeld zu schicken, wenn sie hungrig waren und natürlich, sie ausgiebig zu tätscheln.


    "Kann selber auch jagen, wenn erlaubt ist", schnarrte er. Seine Stimme klang noch furchtbar, war aber zu verstehen.


    Mo verkündete gar, Mauli dürfe in seinem Bett schlafen und Mauli fielen fast die gammligen Augäpfel raus, weil er die Lider zu weit aufgerissen hatte. Er rieb sich die Augen, um sie wieder in Position zu bringen. Crize hatte ihn auch immer mit ins Bett nehmen wollen, um seine Beine auf ihn draufzulegen, aber die anderen Mitglieder seiner Familie hatten dafür wenig Verständnis und Mauli mit einem Besen wieder vor die Tür gescheucht, wenn sie ihn im Zelt entdeckt hatten.


    Der Ghul war dann abseits des Lagers gekrochen, wo er mit anderen Ghulen zu einem stinkenden Berg aufgetürmt im Sand geruht hatte, den Uneingeweihte oft mit einem von den Rakshanern errichteten Leichenhaufen verwechselt hatten. Das versprach zumindest einen gewissen Schutz vor den Hyänen, wenn es einem gelungen war, nach innen zu kriechen. Die begehrten Plätze im Inneren des Zeltlagers unter den Wagen waren meist von den am besten genährten und durchsetzungsstärksten Ghulen belegt, die optisch kaum von Lebenden zu unterscheiden waren und entsprechend wenig stanken und wenig ekelhaft anzusehen waren, so dass man ihre Anwesenheit eher duldete. Gerade die Ehefrauen und Kinder hatten sich mit Ghulen im fortgeschrittenen Verwesungsstadium manchmal arg zimperlich.


    "Danke für Essen, Mo.", sagte Mauli und rollte sich unter einer Bank ein, um dort zu ruhen und Mo nicht in seinem alltäglichen Treiben zur Last zu fallen.

    Mauli freute sich, dass Mo sich bei ihm entschuldigte und als dieser ihn festhielt, blieb er auch sofort stehen. Sein marodes Fleisch war an der Stelle ein Stück eingerissen, aber er spürte ohnehin keine Schmerzen und wenn er Nahrung bekam, würde es rasch wieder heilen. Er war, wenn nicht gerade hungrig, entgegen seiner Erscheinung ein ausgesprochen umgänglicher Ghul, der Grund, warum Crize ihn gern überall mit hingeschleppt hatte. Mauli war ein Ghul, der niemals Ärger machte - es sei denn, er knabberte vor lauter Hunger irgendwen an. Seine Aufgabe in Rakshanistan war es eigentlich nur gewesen anwesend zu sein und dabei Crizes Ideal von einem "süßen Baby" möglichst nahe zu kommen. Den Neuankömmling bemerkte er nur am Rande, aber Rakshaner waren meist eine gute Gesellschaft, wenn man tot war.


    Den unsäglichen Tiefling jedoch mochte Mauli gar nicht leiden. Auch wenn Urako es nicht ahnte - Mauli kannte ihn. Er spürte, dass zwischen ihm und Mo eine gewisse Spannung in der Luft lag, auch wenn beide versuchten, das zu überspielen und für Mauli war klar, für wen er im Notfall Partei ergreifen würde.


    Er konnte Mo nicht mehr gut erkennen, da seine Augäpfel langsam erschlafften, aber er roch, wo er war und hielt sich dicht bei ihm. Noch hatte er genügend Willenskraft, um auf das versprochene Paket zu warten, ohne eine Gefahr darzustellen. Er wich Mo deshalb nicht von der Seite, so wie er auch Crize nur selten von der Seite gewichen war und wartete. Er lag ganz still, um keine Energie zu vergeuden. Er musste andauernd rülpsen von dem Hähnchenstück, dass er Mo zuliebe runtergewürgt hatte und das hartnäckig versuchte, den umgekehrten Weg wieder herauszukommen.


    Als endlich das Paket kam, musste er sich extrem zusammenreißen, es Mo nicht sofort aus den Händen zu reißen. Auf die eine Minute kam es jetzt auch nicht an. Er blieb ganz still und wartete, aber seine Nasenflügel zitterten vor Gier.

    Mauli schnupperte sofort an den Hühnerstückchen, wich dann aber enttäuscht zurück. Seine Hoffnung kehrte zurück, als zwei der Leute, deren Namen er dank seines verwesenden Gehirns wieder vergessen hatte, ihn unterhakten und in die Speisekammer zerrten. Dort schnüffelte er alles an, doch nichts war dabei, was er essen konnte, ohne grässliche Bauchkrämpfe, schier unerträgliche Schmerzen und eine Kombination aus Kotzerei und Scheißerei zu bekommen. Etwas, das die wenigsten Ghule öfter als zwei oder dreimal ausprobierten, ehe sie resigniert feststellten, dass sie nichts als Humanoidenfleisch fressen konnten.


    Jemand strich ihm über die Glatze und Mauli drehte den Kopf, so dass die Hand ihm versehentlich übers Gesicht fuhr. Dabei streckte er die Zunge raus und schmeckte für einen Moment leckere, salzige Haut. Sein Magen knurrte. Selbst wenn ein Ghul schon zerfiel, die Eingeweide blieben bis zuletzt intakt.


    Hilflos sah er den beiden Leute nach, die ihn hierhergebracht und ihm wohlmeinend einen ganzen Fleischberg aus tierischem Material aufgetürmt hatten, dann aber wieder verschwunden waren. Noch hatte er ein letztes Bisschen Verstand. Er musste es gut einsetzen, bevor er endgültig zur Fressmaschine wurde. Aber was jetzt? Er konnte nicht mehr einfach auf den Friedhof spazieren, um nachzusehen, ob in der Kapelle jemand aufgebahrt war. Dafür war die Verwesung zu weit fortgeschritten. Aber wenn er hier bleiben würde, würde er innerhalb von weniger als vierundzwanzig Stunden vor lauter Hunger jemanden anfallen.


    Er kroch noch einmal zu ... Mo. Wenigstens dessen Name wusste er noch. Er stupste ihn zum Abschied an, damit er Bescheid wusste, dass er auf Nahrungssuche gehen würde. Zumindest sein alter Besitzer hatte diese Geste zu deuten gewusst. Danach würde er das Geisterhaus aus Sicherheitsgründen erst einmal verlassen, bis er hoffentlich etwas zu Essen fand, bevor er zerfiel.