Beiträge von Khawa

    Khawa war überhaupt nicht zum Grinsen zumute und er wagte auch nicht, den Palaisin für seine vorsorgliche Drohung finster anzusehen. Massimo war in der Stimmung, ihn allein für einen falschen Blick zu läutern, wenn Khawa das richtig einschätzte. Also guckte er besonders lieb, als er den Palaisin ansprach.


    "Gestattet mir eine Anmerkung, Palaisin", sagte er so ruhig wie nur irgendwie möglich. "Ich habe zehn Jahre lang gemeinsam mit Nathan dem Princen Ciel gedient. Nathan war all die Zeit über lieb und fügsam und er war auch nicht triebig, ganz im Gegenteil, er hat sich vor allem und jedem gefürchtet. Vielleicht ist das Ganze in seinem Fall nur ein Missverständnis. Ich nenne es mal beim Namen, er ist leidet unter Schwachsinnigkeit. Er ist geistig auf dem Stand eines Kindes. Wäre so jemand überhaupt schuldfähig?


    Sollen wir sie wirklich alle töten? Nathan, Nori und Arbogast galten als unschuldig und Robere wurde Gnade versprochen. Wer der Arashi ist, wissen nicht einmal, vielleicht ist es nur ein Reisender, der den selben Weg nimmt und nicht allein reisen möchte."

    Khawa musste mit ansehen, wie der Palaisin seinen Verlobten packte und brutal mit sich schliff. Leider durfte er nichts dagegen sagen, aber er dachte eine Tirade von wüsten Beschimpfungen und rakshanischen Flüchen, die Massimo hoffentlich empfangen würde. Niemand konnte einem verbieten, im Affekt gedanklich auszuticken, auch nicht gegenüber jemandem eines höheren Standes. Schließlich stellte man sich manchmal auch vor, wie man jemanden ermordete, aggressive Wunschvorstellungen waren normal, so lange es beim Wünschen blieb. Die Gedanken waren frei, zumindest hatte ihm bisher niemand etwas Gegenteiliges gesagt und für den Notfall würde Prince Ciel sich für ihn einsetzen. Khawa schimpfte sich alle Wut von der Seele.


    Kaum waren Massimo und Jules um die Ecke, schlich Khawa hinterher. Schleichen war ebenso wenig verboten; Ferrau tat es andauernd. Das Ziel war offenbar der Teil des Palastes, wo die Leibgarde ihren Sitz hatte. Warum Massimo dort hin wollte, war klar, er war der neue Oberbefehlshaber, aber warum nahm er Jules mit? Auf halbem Wege blieben die beiden unvermittelt stehen, Massimo grollte irgendetwas, gab Jules dann frei und ging allein weiter. Sofort flitzte Khawa heran, richtete Jules Kragen und kontrollierte, ob er Spuren am Hals hatte.


    »Was wollte der?«, fragte er besorgt. »Ich mach uns dann gleich erstmal einen Mokka.«

    »Danke, Comtesse«, erwiderte Khawa freundlich zu Monique. »Für die Erklärung und die Glückwünsche. Euch das Gleiche.«


    Dann spürte er, wie der Palaisin in seinen Geist eindrang. In Khawas Seele musste Massimo erst einmal durch einen dicken, honigartigen Schmierfilm aus Lüsternheit tauchen, ehe er überhaupt an dessen Verstand herankam. Der Quell entpuppte sich als die bloße Anwesenheit von Jules de Mireault und weder der Streit noch die Adelung hatten dazu geführt, dass Khawas Fixierung auf seinen Liebsten sich minderte. Khawa vergötterte seinen Partner, allerdings musste man so ehrlich sein, dass er dabei recht oberflächlich war. Jules war für ihn optisch einfach nur lecker mit seiner weißen Haut, den hellen Augen und dem männlichen Körperbau. Das lange glänzende graue Haar fand ebenso höchsten Anklang. Am Charakter seines Verlobten gefiel ihm schlichtweg die Tatsache, dass er launisches Grobholz war. Dies führte bei Khawa zu den wildesten Fantasien. Das war schon alles. Das zusammen reichte Khawa vollkommen aus, um bis über beide Ohren in den Chevalier verknallt zu sein und ihn bei jeder Gelegenheit besteigen zu wollen. Viel mehr war nicht dahinter, aber Khawas Liebe war intensiv und aufrichtig.


    Als Massimo sich endlich durch Khawas hormongeflutetes Hirn bis zu seinem Verstand durchgearbeitet hatte, konnte er sich weiter umschauen.


    Es gab viele Dinge, die Khawa an seiner neuen Heimat nicht mochte und die Vorstellung, dass ein Stück Land irgendwem gehören konnte, war ihm nach wie vor unbegreiflich. Für ihn gehörte das Land demjenigen, der sich gerade darauf befand. Wenn Souvagner mitten in der Steppe eine Burg errichten würden, würden die Rakshaner es nicht als Invasion auffassen, sondern pragmatisch vorgehen und wahlweise ihre Wanderrouten ändern, schauen, was es Neues zu plündern gab oder ob Anlass zu einer riesigen Feier bestand, bei der man Hochzeiten arrangierte und Freundschaften knüpfte, aber auch verhandelte und Geschenke austauschte. Sie würden jedoch nicht das Bedürfnis haben, ›ihr‹ Land zu befreien. In dieser Hinsicht war Khawa noch durch und durch Rakshaner.


    Andere Dinge in Souvagne gefielen ihm gut, wie die Bequemlichkeit, durch einfaches Kaufen an sein Essen oder seine Kleidung zu gelangen und die Märkte bei Nacht, wenn es Feuertänzer gab, Spießbraten, Narrenspiele und Musik. Zudem hatte er viele Souvagner gefunden, die er gut leiden mochte oder sogar liebte, allen voran natürlich Jules, aber auch Ciel, Nathan und Fabien waren ihm wichtig. Die Großzügigkeit des Ducs nicht zuletzt hatte Khawa sehr daran erinnert, wie dessen Sohn ihm eins das Leben geschenkt hatte. Dafür war der ehemalige Tarrik aus tiefstem Herzen dankbar.


    In Khawa waren alles in allem keine unliebsamen Überraschungen zu finden, von der extremen Fixiertheit auf Jules` körperliche Vorzüge und seinem gewöhnungsbedürftigen Humor abgesehen. Er hatte nicht vor, irgendjemanden in Souvagne zu verraten, nicht einmal Massimo, obgleich er dem von Herzen alles Schlechte wünschte und ausgesprochen schadenfroh darüber war, wie grauenhaft dessen Beziehung lief.

    Khawa warf Jules einen bösen Blick zu. Dann musste er feixen.


    "Mein lieber July, kein Grund eifersüchtig zu sein, nur weil ich auch mal einen anderen Mann mit Lebensmitteln bewerfe. Wie sollte ich mich sonst zur Wehr setzen gegen Massimos Feindseligkeit? Jetzt bin ich selber von Stand, ab heute kann ich ihm unverblümt die Meinung geigen! Bislang war mir das jedoch nicht vergönnt, ich durfte ihm nicht offen widersprechen oder mich mit ihm kloppen, ohne dass ich mich damit in Lebensgefahr gebracht hätte. Du findest meine Rosinenattacke vielleicht kindisch und ganz ehrlich, ich hätt auch lieber die Fäuste sprechen lassen. Aber ehe ich Kopf und Kragen riskiere oder gar nichts mache, ärgere ich ihn mit solchen Kleinigkeiten. Das bringt ihn auf die Palme und mir bringt es Genugtuung."


    Massimo und seine Frau kamen gerade wieder zurück.


    "Habt Ihr es Euch überlegt, Palaisin?", fragte Khawa betont höflich. Während er mit dem Comte sprach, betastete er ungeniert Jules knackigen Hintern.


    "Darf ich jetzt eigentlich Du sagen, July, oder muss ich dich weiterhin in der Öffentlichkeit in der Mehrzahl ansprechen?"

    Khawa trat einen weiteren Schritt nach vorn und kniete erneut nieder, diesmal, um das Reichsschwert zu küssen. Die Klinge war sauber, vermutlich wurde sie sofort abgewaschen, nachdem jemand seinen Abdruck darauf hinterlassen hatte. Khawa drückte ohne zu zögern seine Lippen auf die blanke Klinge.


    Im selben Moment kam Jules auf die Idee, Khawa magisch anzustupsen und ihm eine mentale Liebeserklärung zu unterbreiten. Was so etwas anging, war Khawa nicht gerade multitaskingfähig. Während er dem Duc durch den Schwertkuss huldigte und somit den Eid komplettierte, bekam er unwahrscheinlich Bock, seinen persönlichen Chevalier zu packen und ihm an Ort und Stelle zu demonstrieren, wie sehr er die Liebe erwiderte. Gleich hier auf dem Teppich vor dem Thron, wo Massimo es sah und sich vor Neid darüber einscheißen konnte, was der verhasste Ex-Rakshaner zustandebrachte, während er selbst seine Ehefrau im Bett mit höfischer Etiquette zu Tode langweilte und Monique gedanklich die Einkaufsliste für die Bediensteten durchging, um sich die Zeit zu vertreiben, bis er endlich fertig war. Jules hingegen kam gar nicht zum Denken, dafür sorgte Khawa und er tat das sehr nachhaltig.


    Nachdem er seine Lippen von der kalten Klinge gelöst hatte, grinste Khawa vor lauter Freude den Duc breit an. Er wusste, dass er das nicht durfte, aber er konnte es auf die kulturellen Unterschiede schieben und Maximilien sollte sehen, wie sehr er sich freute. "Danke", sagte er leise.

    Khawa bemerkte Massimos abfälligen Seitenblick, verkniff es sich aber, zurückzuschauen, da er dazu den Blick hätte abwenden müssen. Er konzentrierte sich ganz auf den Duc, der seine Hände mit den seinen umschlossen hielt.


    "Ich schwöre Euch Treue und Loyalität", sagte er fest.

    "Danke für die Erläuterung, Majestät."


    Khawa ging mit gesenktem Kopf nach vorn und kniete wieder nieder, um Maximilien die Hände hinzuhalten, damit dieser sie mit seinen eigenen Händen umschließen konnte.

    Massimo und Jules zankten sich mental noch immer und im Nexus spielte sich ein wahres Feuerwerk gegenseitiger Beleidigungen und Vorwürfe ab, ohne dass die beiden eine Miene verziehen würden. Maximilien bekam davon nichts mit. Khawas braunes Gesicht wurde von einem weißzahnigen Grinsen gespalten, als der Duc seine Worte sprach.


    "Danke, Majestät! Hiermit gelobe ich, Chevalier Khawa Laurent Rosseau, Euch treu zu dienen und der erwiesenen Ehre stets Rechnung zu tragen." Khawa guckte verstohlen in Richtung des Ducs, ohne ihm in die Augen zu blicken, um zu schauen, ob er alles richtig gemacht hatte oder ob Maximilien noch etwas hören wollte. "Gestattet Ihr einem Unwissenden die Frage, warum ich kein 'de' im Namen habe? Nicht, dass ich es benötigen würde, aber ich würde das im Zuge meiner unersättlichen Neugier bezüglich der almanischen Kultur schon gerne wissen. Immerhin bin ich seit einer Weile Teil davon und möchte auch den mir unbekannten Rest noch verstehen lernen."

    "Ihr beide seid Geistmagier", sagte Khawa, tief verletzt, bevor sie den Thron erreichen. "Wenn wir hier fertig sind, was auch immer uns erwartet, lest. Ich lade Euch ein in meinen Kopf. Besonders dich, July. Aber Euch auch, Palaisin Massimo de la Cantillion. Ich mag ein Wilder sein, Ihr mögt meinen Humor nicht teilen und ich mag viele Dinge anders sehen, aber auch ich habe ein Herz, das schlägt."


    Mit gesenktem Haupt erwartete er das Wort des Ducs.

    "Ein paar geworfene Rosinen sind wohl harmlos. Der soll sich mal nicht so haben, an einer Rosine im Kragen ist noch keiner gestorben. Es war ein harmloser Scherz, mehr nicht. Der soll mal wieder runterfahren", murrte Khawa.


    Khawa ließ sich von Jules abführen, Jules hatte ihn fest fixiert und schliff ihn mit. Auf der anderen Seite bugsierte Jules den Comte. "Und lass den Kerl los, der kann allein gehen, ich mag es nicht, wenn du ihn anfasst." Khawa war von der Sache her nicht sonderlich eifersüchtig, da er selbst auch gern mit anderen herumschäkerte, aber den Comte hasste er dermaßen, dass er richtig wütend darüber wurde, dass Jules den Mann ebenfalls untergehakt hatte. Wären sie außerhalb des Thronsaals gewesen, hätte er nun dafür gesorgt, dass die Berührung endete, aber so beließ er es dabei, leise rumzugiften. Wenigstens hatte Jules Massimo von ihrer Hochzeit ausgeladen. Dass der Läuterer da aufkreuzte, hätte noch gefehlt.


    Vor dem Duc angelangt hatte er immer noch einen erhöhten Puls, aber vor Maximilien würde er sich keine Respektlosigkeit erlauben. Der Mann war es, der ihn vom Sklaven zu einem freien Bürger gemacht hatte. So zögerte Khawa auch nicht, sich ehrerbietig vor dem Duc zu verneigen.

    Massimo las in Khawas Gedanken, wie er nackt hinter einer Hyäne her geschliffen wurde, bis er nur noch ein mit Steppenstaub bedeckter, zuckender, blutiger Klumpen war, mit dem die Hyänen zum Abschluss ein Zerrspiel veranstalteten. Es war eine Form der Todesstrafe, die in Rakshanistan besonders unliebsamen Feinden vorbehalten war, denn sie konnte sich über Stunden hinziehen, ohne dass das Opfer bewusstlos wurde oder starb. Wenn man wollte, auch Tage.


    Über den Vergleich seiner Hautfarbe mit Ausscheidungen ärgerte Khawa sich maßlos. Für Almanen gab es in der Steppe auch alle möglichen mehr oder weniger lustigen Beschimpfungen, aber die würde er hier nicht aussprechen. Damit würde er nicht nur Massimo, sondern unweigerlich auch Jules beleidigen, den Hofmarschall und sogar den Duc, der am anderen Ende des Saals noch immer auf seinem Thron ausharren musste, während seine Gäste sich stritten.


    »Keine Ursache«, sagte Khawa so normal wie möglich. »Unfälle passieren.«
    >Arschloch<, fügte er gedanklich hinzu, nicht daran denkend, dass Massimo das vermutlich lesen würde.


    Er klopfte sich seine Knie ab, obwohl sie sauber waren. Der Boden des Audienzsaals war natürlich spiegelblank gewienert. Er trug heute vollständig souvagnische Kleidung, allerdings von der bequemen Sorte.

    Khawa gab ein kurzes Ächzen von sich, ansonsten verkniff er sich jeden Schmerzenslaut und ertrug die Pein in seiner Niere, aber ihm trat kalter Schweiß auf die Stirn. Er zog es vor, vor Schmerzen in die Knie zu gehen, anstatt sich an Jules festzukrallen und ging zu Boden. Als sich auch noch die Rosinen in Zecken verwandelten und anfingen, sich durch seine Eingeweide zu fressen, krallte er die Finger auf seinen Bauch. Ihm schoss die Frage durch den Kopf, ob es eine Magieform gab, welche tatsächlich in der Lage war, eine solche Verwandlung zu vollbringen oder ob es nur eine Illusion war, da brach der Angriff ab. Die Rosinen waren wieder harmlose Rosinen, aber seine Niere fühlte sich an, als würde ihm ein Dolch im Rücken stecken.


    Massimo stand hinter ihm, Khawa konnte seinen Blick spüren. Verärgert quälte Khawa sich wieder auf die Füße. Ihm war von dem Nierenhaken kotzübel. "Ein paar Meter zu zeitig auf die Knie gefallen, oder?", sagte er grinsend zum Hofmarschall. Falls Massimo noch in seinem Kopf rumspukte, konnte der nun lesen, was sich Khawa vorstellte, mit ihm zu machen.

    Khawa war etwas nervös, aber er war niemand, der sich von einer bevorstehenden Audienz die gute Laune verderben ließ, selbst wenn es eine Audienz beim Duc war. Er knabberte Rosinen, um sich die Zeit beim Warten zu vertreiben, warf einige davon hinterrücks auf Massimo und hoffte, dass sie in seinen Kragen fielen und schwatzte mit Jules. Nachdem die Rosinen alle waren, stellte Khawa sich strategisch geschickt hin, so dass er zwischen Jules und Massimo stand, damit die beiden sich nicht miteinander unterhalten konnten, ohne dass er sich einmischte und ihnen das Gespräch durch absichtlich dumme Anmerkungen verdarb. Er hasste den Comte und wollte nicht, dass der mit Jules quatschte. Schlimm genug, dass die beiden sich als Geistmagier mental unterhalten konnten, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.


    Als Jules ihn gut gelaunt anrempelte, stolperte Khawa absichtlich stärker als nötig, rempelte so seinerseits gegen Massimo und trat ihm auf den Fuß. »Verzeihung, Comte«, sagte er und guckte betreten.


    In dem Moment öffnete der Hofmarschall von innen die gewaltige Pforte. Khawa stelle sich rasch ordentlich hin und setzte seinen seriösen Blick auf. Jetzt wurde ihm doch langsam etwas mulmig. Er ging dicht neben Jules, so dass ihre Arme sich im Gehen berührten. Er war gespannt, was sie erwartete.

    Majestät,


    ich bedanke mich überschwänglich und Ihr wisst, wer dafür herhalten muss. :klasse:
    Das Lehen wird nach bestem Wissen und Gewissen verwaltet, aber July muss mir helfen.
    Sonst entsteht da Klein Rakshanistan.


    Alles Liebe (die korrekte Grußformel eines Edlen ist mir leider noch fremd)
    Chevalier Khawa Laurent Rousseau

    "Ist nicht wahr. Zufälle gibt`s ..."
    Khawa grinste gequält und tanzte weiter.


    Er tanzte zu Jules, griff nach seinen Händen und zog ihn mit sich auf die Tanzfläche.


    "Versuch`s auch mal", schnurrte er verliebt und von ganz und gar unlauteren Gedanken erfüllt bei der Vorstellung. "Schau, der kleine dicke Kerl da versucht es auch gleich!" Er zeigte auf Holzi, der von Damir sehr nachdrücklich angetanzt wurde.

    Nicht nur der Duc erreichte noch rechtzeitig zur Hochzeit der Prinzen Souvagen. Auch Jules und Khawa gelangten zu dieser Zeit in Beaufort an. Das große Schlachtross, auf dem sie hintereinander saßen, bahnte ihnen einen Weg durch die angereisten Bevölkerungsscharen. Khawa war überglücklich. Er fühlte, dass er nach Hause kehrte. Seine Heimat war längst nicht mehr die Steppe, auch wenn der Nordwind hin und wieder seinen Namen rief - er würde dem Ruf nicht folgen. Sein Platz war hier. Selten war er so rundum zufrieden wie an jenem Tage.


    "Das haben sie aber schön für uns geschmückt", fand er. "Aber woher wussten die nur, dass wir heiraten werden?" Sie drängten sich mit dem Pferd weiter durch die Menge auf der Suche nach bekannten Gesichtern.

    Khawa blieb fast die Spucke weg, als July auf sein Schwert gestützt vor ihm niederkniete und, ganz entgegen seiner sonst zur Schau getragenen Art, mitten in dem verwüsteten Land um Khawas Hand anhielt. Ganz ohne Blumen und Firlefanz, staubig und verschwitzt wie sie waren und so wie Khawa es liebte. Khawa drängelte sich an dem Schwert, was zwischen ihnen stand, vorbei und nahm seinen Chevalier fest in die Arme. Die Kettenhemdringe bohrten sich in seine Arme und in seine Brust. Khawa war schwer aus der Fassung zu bringen, doch jetzt war er es - im guten Sinne. Er küsste Jules lange und ausgiebig. Er legte nicht nur all seine Liebe, sondern auch all seine Leidenschaft in diesen Kuss und davon hatte er reichlich. Der einzige andere Kuss, der damit vergleichbar war, war der erste, den sie überhaupt getauscht hatten. Erst danach antwortete Khawa auch verbal.


    "Von Herzen gern, July, aus ganzem Herzen Ja!" Khawa drückte ihn auf den Rücken, so dass Jules im Dreck lag, das Schwert lag irgendwo kreuz und quer. Er legte sich auf ihn und küsste ihn ein weiteres Mal mit Lippen und Zunge ab. Dabei hielt er ihn mit aller Kraft fest. "Ich liebe Euch so dermaßen, July. Normalerweise müsste ich Euch hier und jetzt gleich zeigen, wie sehr, weil ich es kaum in Worte fassen kann." Er presste seine Hüfte fest gegen ihn. "Ich habe Euch schon immer geliebt, das wisst Ihr, aber Ihr wisst nicht, wie stark meine Liebe geworden ist, seit Ihr mein Sehnen erwidert. Werden wir dann zusammen wohnen? Und wo? Und wem gehöre ich dann, irgendeinem Comte oder nur Euch? Ich will Euch gehören, July ... ich wäre von Anfang an am liebsten Euer Diener gewesen." Khawa musste sich gerade extrem zusammenreißen. Er war emotional und körperlich auf Anschlag gespannt.

    Sie kamen gut voran und bald näherten sie sich Goldwasser, der Hauptstadt der Hohen Mark. Goldwasser war unverkennbar besetztes Gebiet. Die Rakshaner hatten Gardinen, Decken und vergleichbares Tuch aus den Häusern geholt und sich daraus Zelte gebaut. Keine sorgfältig verschlossenen Wohnzelte, sondern solche, um tagsüber darunter herumzulungern, Tee zu trinken (es gab aufgrund der Situation keinen Kaffee) und dabei auch bei Regen draußen sein zu können.


    Als Jules ankündigte, nach Abschluss ihrer Mission etwas sehr ernstes Privates mit ihm besprechen zu wollen, bekam Khawa einen Moment die Flatter. Erst der Nachsatz, dass es sich um etwas Schönes handelte, beruhigte ihn wieder. »Leute zu erschrecken findest du offenbar lustig«, schmunzelte Khawa. »Soll ich für das Gespräch eine Rüstung anziehen? Dann müsstest du mir allerdings eine leihen, meine ist noch in Rakshanistan.«


    Sowohl Almanen, als auch Tieflinge und Rakshaner waren zu sehen, wobei die Almanen in der Überzahl waren. Khawa und Jules wurden entsprechend nicht weiter beachtet, abgesehen davon, dass Khawa wegen seines fehlenden Turbans manchmal schief angeschaut wurde und manch einer dem großen Pferd allzu hungrig nachschaute. Im Großen und Ganzen war es hier jedoch momentan friedlich und vom Krieg wenig zu merken. Sie hielten auf das Anwesen zu. Die Leichname der Familie des verschollenen Großherzogs Roderich steckte noch immer gut sichtbar auf Pfählen vor dem Zugang. Wegen der Kälte hielt die Verwesung sich noch in Grenzen, aber es war dennoch kein schöner Anblick, hingerichtete Zivilisten vorzufinden. Es wimmelte hier von Tieflingen und Rakshanern.


    Khawa stieg ab, pickte sich irgendeinen heraus, der ihm passend dafür erschienen und sprach ihn auf Rakshanisch an. Es war seltsam, seine alte Muttersprache wieder zu verwenden und er musste sich dafür konzentrieren. Er hatte sogar das Gefühl, kein Hochrakshanisch mehr zu sprechen, sondern einen intensiven souvagnischen Akzent zu haben.


    »Grüße. Wir suchen Euren Anführer.«


    Der Rakshaner störte sich offenbar an dem Wort ›eurer‹, denn er guckte ziemlich schief. Er fragte: »Und wer seid ihr?«


    »Chevalier Jules de Mireaul, Himmelsauge des Duc de Souvagne und Khawa Laurent Rousseau.« Der Blick des Rakshaners wurde nicht besser. »Mann«, schnauzte Khawa in seinem früheren Befehlston, der allerdings ziemlich seltsam klang mit seinem Akzent. »Wir haben Botschaft von Tarrik Tarkan!«


    Das genügte, der Rakshaner nickte. »Folgt mir. Ich bringe euch zu Lexi von der Hohen Mark.«


    Khawa rollte gedanklich mit den Augen ob des Spottnamens, der auf den almanischen Adel anspielte. Tatsächlich sah besagter Tiefling kein bisschen fürstlich aus, abgesehen davon, dass er sich eine Krone organisiert hatte. Er wirkte vielmehr, als hätte er die Krätze und Khawa hielt einen Sicherheitsabstand ein. »Grüße«, sagte er nur, da er nicht der Meinung war, einen Hochstapler wie einen Fürsten grüßen zu müssen. »Wir haben Botschaft von Tarrik Tarkan.« Er hielt ihm das kurze Schreiben hin.


    Befehl von Tarrik Tarkan
    - Abzug der Truppen aus der Hohen Mark -


    An den Kommandanten des Südgeschwaders
    Lexi von der Hohen Mark


    Die Luftstreitmacht und sofern inzwischen eingetroffen auch die Infanterie ist vollumfänglich mit sofortiger Wirkung aus der Hohen Mark abzuziehen und nach Dunkelbruch zu verbringen. Die Hohe Mark ist nicht länger in unserer Hand, doch es war nicht umsonst. Alles Weitere persönlich.


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    Lexi las es. »Geht mal kurz raus«, scheuchte er und trieb die Gäste nach draußen. Nach einer Weile kam Lexi von selbst wieder zum Vorschein. »Wir haben uns beraten. Wir werden uns ab morgen nach Festung Dunkelbruch zurückziehen.«

    Khawa klammerte sich von hinten an Jules fest. Sie waren schon etliche Male zusammen geritten. Das Pferd war massiv und stark, es konnte sie mühelos beide tragen, wenn sie es nicht zu Gewaltstrecken zwangen. Jules ließ das Vernon zügig vorankommen. Khawa genoss den Ritt und betrachtete die Landschaft von Ehveros. Er verdrängte die aufsteigende Nervosität, bald seinesgleichen unter die Augen treten zu müssen, bei denen er als Verräter galt und konzentrierte sich auf die Zeit, die er gemeinsam mit dem Chevalier verbrachte, so lange er noch konnte.


    Bald überquerten sie die Grenze zur Hohen Mark, doch bis zur Hauptstadt war es noch ein gutes Stück. Dennoch sahen sie bereits hier die Spuren der Kampfhandlungen. Zerstörte Gehöfte tauchten in der Ferne auf. Es war kaum ein Mensch zu sehen. Viele waren tot oder geflohen. Auf dem Land war die Hohe Mark großflächig verwüstet. Die Städte jedoch waren noch intakt. Hier sammelten sich die heimatlosen und hungernden Bauernfamilien.


    "Wir sollten Abstand halten", fand Khawa.

    Khawa nahm die Botschaft mit unverholener Begeisterung entgegen. Er durfte mit July gemeinsam in die Hohe Mark reisen! Was für eine äußerst positive Wendung! Er steckte das Schreiben ein und verneigte sich tief vor dem Mann, der ihm die Freiheit geschenkt hatte.


    "Ich schwöre, ich werde Euch nicht enttäuschen, Durchlaucht!"
    Nein, das würde er nicht.


    Während der Verneigung schielte er unter seinem Arm durch, wo genau die Tür lag. Rückwärts ging er den ganzen Weg durch den Saal hinaus, die Gardisten öffneten beide Türflügel und endlich durfte Khawa sich wieder aufrichten. Er wartete darauf, dass Jules zu ihm aufschloss.