Das Versprechen des Aals
Als beide Monde am Himmel standen, ließ Vendelin gerade noch einmal die süße kleine Sklavin seine Kleider richten, ehe er an den Wächter herantrat, um mit ihm zu sprechen. Er verschwand im Inneren des Anwesens, in dem trotz der späten Stunde noch Licht schien. Wie es aussah, war der General noch wach. Während Vendelin darauf wartete, dass man ihm öffnete, betrachtete er die Kutsche, die neben der Einfahrt stand. Augenscheinlich hatte Burkhard von Klingenberg bereits Besuch ... das war nicht gut. Er würde sehen, ob er seinen Plan dennoch in die Tat umsetzen konnte. Wenn nicht, waren wochenlange Vorbereitungen umsonst gewesen, doch stets seine Pläne ändern oder gar verwerfen zu müssen, gehörte in seinem Beruf zum Alltag. Der Wächter hatte Vendelin trotz der ungelegenen Stunde freundlich empfangen, natürlich hatte er das. Die Beißerfreunde des Generals waren dem Personal bekannt. Musik war allerdings keine zu hören, vermutlich war es ein privater Besuch im kleinen Rahmen. Die Sklavin schob ihre grazile Hand unter seinem Arm hindurch, den Vendelin nun anwinkelte. Sie streichelte seinen Bizeps.
»Darf ich etwas fragen, Onkel Timo?«, wisperte sie.
»Nur zu«, ermunterte er sie.
»Wann werde ich Eure Leibsklavin sein? Ich kann es kaum erwarten. Ihr wisst, dass ich Euch liebe und ich würde Euch besser dienen können als je zuvor.«
Er gestattete sich ein Lächeln, das in seiner Warmherzigkeit absolut echt wirkte. »Die Nacht ist wundervoll, es ist das erste Mal seit Jahren, dass du die Monde siehst. Das Leben im Pfuhl muss schwer zu ertragen sein.«
Die Worte klangen einfühlsam, doch Loria erkannte die tödliche Schnappfalle darin. Kein Jäger wollte hören, dass er die Notlösung war, um einem noch größeren Übel zu entkommen. »Das Leben in der Himmelsröhre ist durch und durch gerecht. Somit ist es ganz anders als die Welt hier draußen. Jeder erhält dort, was er verdient. Darüber bin ich sehr froh, denn jeder Mensch verdient Gerechtigkeit. Die Jäger ebenso wie die Sklaven.« Das hatte Loria sich geschickt überlegt. So etwas gefiel Vendelin.
Sein Lächeln wurde breiter. Mit Loria konnte man sich bedenkenlos der Öffentlichkeit präsentieren, ohne eine Blamage fürchten zu müssen. »Du bist ein kluges Mädchen. Und da wir in einer solch gerechten Gesellschaft leben, was schlussfolgerst du?«
»Dass ich noch nicht verdiene, Eure Leibsklavin zu werden.« Ihre Stimme klang leise, doch sie hielt sich tapfer. Alles andere wäre fatal, denn Vendelin war trotz seiner freundlich wirkenden Art nicht für seine Nachsicht bekannt.
»Richtig, denn würdest du es verdienen, meine Leibsklavin zu sein, dann wärst du es auch schon längst geworden. Das hast du gut erkannt. Streng dich weiter an, meine Liebe. Immerhin habe ich von allen Pfuhlsklavinnen dich ausgewählt, mich zu begleiten.«
»Danke, Onkel Timo«, sagte Loria und ihr Brustkorb hob sich vor Aufregung.
Sie klang überglücklich, da dieser mageren Happen an Zuwendung und Hoffnung mehr war, als sie sonst zu hören bekam. Sie schmiegte ihren Lockenkopf an seine Schulter. Er ließ sie zufrieden gewähren. Der Diener öffnete die Tür und bat Vendelin samt Begleitung hinein. Ihnen wurden die Hüte und Mäntel abgenommen. Dass Loria darunter völlig nackt war, ignorierte der Diener in professioneller Manier. Beide führte er auf direktem Wege ins Wohnzimmer des Generals. Der hochgewachsene Greis erhob sich mit einem herzlichen Lächeln, das seine geschärften Zähne zeigte. Burkhard von Klingenbergs Vorliebe für hohe Stiefel und Uniformen hatte er nicht abgelegt und Vendelin musste zugeben, dass der Greis noch immer eine verblüffend gute Figur darin machte.
»Timo, welch freudige Überraschung! Komm rein.«
Er fasste Vendelins Hand und tätschelte seine Schulter, während dieser in gleicher zähnefletschender Manier zurücklächelte, auch wenn er seine Zähne bewusst stumpf trug. Es spielte keine Rolle, die Bedeutung blieb stets, dem anderen nicht zu verbergen, was man war. Dem anderen Gast des Generals hingegen sanken die Mundwinkel hinab und er bekam das erforderliche Lächeln nicht zustande.
»Timo«, grüßte Dijon kurz angebunden, ohne vom Ledersofa aufzustehen.
»Es ist mir eine Freude, Dijon.«
Vendelin log dermaßen offensichtlich, dass sogar der alte General auflachte. »Kein böses Blut in meinen privaten Gemächern, ihr beiden. Wir sind hier unter Beißern. Und wie ich sehe, hast du dir einen eigenen Leckerbissen mitgebracht.« Die Sklavin senkte schüchtern den Kopf und zog die Schultern nach vorn, so dass ihre winzigen Brüste nach vorn gepresst wurden. Den General würde sie damit nicht beeindrucken, sein Geschmack zeigte sich anhand des Jungen, der gerade den Tisch deckte. »Setz dich doch, Timo«, bat er und nahm ebenso wieder Platz.
Die drei Beißer tauschten einige Belanglosigkeiten aus. Es war offensichtlich, dass Vendelin ungelegen kam, wenn man Dijon fragte, auch wenn dieser es nicht aussprach. Dessen neue Errungenschaft vollzog derweil die Aufgabe, die zahllosen Kerzen auf den Fensterbänken, Kommoden und an den Wänden anzuzünden. Vendelin war neugierig.
»Aus dem Pfuhl?«, wollte er wissen und nickte in Richtung des nackten jungen Mannes.
»Dort erwählt, nun persönliches Eigentum.« In Dijons Stimme schwang nun Stolz. Bislang war er ohne privaten Sklaven ausgekommen, doch dieser junge Mann schien es ihm angetan zu haben. »Arkady heißt er.«
»Ich sehe noch keine Narbe?« Vendelin sah genauer hin, doch Hals und Schultern des Jünglings waren makellos.
»Die Markierung soll heute stattfinden, im angemessenen Rahmen.«
Vendelin nickte lächelnd. »Verstehe, ich bleibe nicht allzu lange. Hätte ich das gewusst, hätte ich ein zweites Geschenk mitgebracht zur Feier des Abends.«
Er nahm dieses Stichwort zum Anlass, Loria mit einem Fingerzeig zu befehlen, ihm seine Ledertasche zu geben. Als langjähriger Bekannter des Hausherrn war er nicht durchsucht worden und diese Maßnahme wäre auch ohne Ergebnis geblieben. Vendelin trug nichts bei sich, um Burkhard von Klingenberg oder Dijon de la Grange zu schaden. Ein Set von zwölf kunstvollen Silberbechern, verziert mit bunten Edelsteinen, wurden einer nach dem anderen auf den flachen Tisch gestellt. Die Sklaven waren vergessen, die Männer nahmen die Trinkgefäße in die Hand, um sie zu bewundern.
»Zwergenbecher! Das passt ja«, freute sich der General. »Als hätte der Älteste es gewusst. Kürzlich konnte ich zwei Flaschen Stollensilber aus den letzten Beständen erstehen. Dies sind die passenden Becher dazu. Jerome! Bring uns eine Flasche.« Was für ein glücklicher Zufall. Vendelin schmunzelte in sich hinein. Der zarte Sklave verneigte sich und ging. Vendelin sah dem Jungen nach, was Burkhard einen triumphierenenden Blick entlockte. »Der Kleine ist wundervoll, nicht wahr?«
»Sehr niedlich«, bestätigte Vendelin. »Und wie gut erzogen!«
Er hörte, wie Loria auf diese Bemerkung hin trocken schluckte, sich aber gleich wieder fing. Kurz darauf war Jerome mit der Flasche zurück. Durch das transparente Glas, das wie Perlmutt schimmerte - allein die Flasche war beachtliche Handwerkskunst - sah man den Likör glitzern, als bestünde er aus flüssigem Silber. Burkhard persönlich entkorkte sie und schenkte seinen Gästen ein. Unter vielen Ahs und Ohs wurde der Likör in die Becher gefüllt.
Dass Burkhard einer Flasche lieblichem Stollensilber nicht widerstehen konnte, war leicht zu erraten gewesen, nachdem Vendelin seine Akte durchgegangen war. Seit dem Untergang der Zwerge wurde dieser mit echtem Silberstaub angereicherte Likör nicht mehr hergestellt. Die Preise für alte Bestände waren astronomisch und ein nur scheinbar naiver Händler hatte dem alten General die beiden Flaschen zu einem Spottpreis verkauft. Zwei deshalb, damit er eine einlagern und die andere ohne schlechtes Gewissen probieren konnte. Der heutige Anlass war zu banal für solch einen edlen Tropfen, doch in Anbetracht der kaum weniger wertvollen Becher bot es sich dermaßen an, dass Burkhard nicht hatte widerstehen können. Und so tranken sie, auch Vendelin, der kurz zuvor ein Gegengift genommen hatte.
Die Wirkung des Likörs war drogenartig. Sowohl Burkhard als auch Dijon waren schon nach einem Becher in erregter Stimmung. Der Verlauf des Abends wurde auf diese Weise beschleunigt. Vendelin beobachtete, wie Dijon das Monstrum zwischen seinen Beinen entfesselte und sich Arkady zwischen seinen Knien niederlassen musste, um ihn zunächst mit dem Mund zu verwöhnen. Als der Sklave sein schmatzendes Werk begann, warf Dijon dem alten General einen fast verliebten Blick zu. Ein interessantes Detail, doch der alte Mann bemerkte es nicht, da er seinerseits den noch viel jüngeren Jerome in Anspruch nahm. Der Junge gab sein Bestes, es dem Greis recht zu machen und unterdrückte seine Tränen so tapfer wie Lori, die rittlings auf Vendelins Schoß saß und sich in seinem Takt wiegte, bis er sie mit einem Seufzen erzitternd an sich zog. Einige glückselige Momente war er ganz von dieser Welt entrückt und spürte nur ihren Leib, eng wie eine seidene Schlinge, und ihre kalten kleinen Brüste über seinem bebenden Herzen.
Dijon und Burkhard sanken nach dem Akt schlafend auf dem Sofa nieder. Ihre Sklaven schauten ungläubig, waren dann aber froh. Fast niedlich sahen die beiden alten Herren aus, die übereinander gesunken waren. Vendelin ließ Loria aufstehen und sich dann zu den anderen beiden Sklaven setzen. Er zog seine Hose vernünftig an und war dann ganz der freundliche Onkel Timo. Mit einem verschmitzten Lächeln schenkte er auch den Sklaven etwas Stollensilber ein. Ganz heimlich nur, viel zu edel war der Trunk für Sklaven, doch das gehörte alles zu seiner Rolle. So tranken sie grinsend und bald schliefen auch die Sklaven. Vendelin setzte seine Runde mit der Flasche in der Hand und zwei Bechern in der anderen fort. So stattete er dem nichtsahnenden Personal einen freundschaftlichen Besuch ab, um zu plaudern und gemeinsam ein Gläslein zu trinken. Natürlich war Alkohol im Dienst ein Unding, doch wer würde dem freundlichen Onkel Timo einen so edlen Tropfen aus solch feinen Becher abschlagen? Es war ja nur ein winziger Schluck ...
Viel Personal brauchte ein einsamer alter Mann nicht, so dass Vendelin bald so weit war. Er kehrte zurück in das Wohnzimmer. Totenstille lag über dem Anwesen, nur das Kaminfeuer knisterte leise.
Er zückte das Fieberthermometer und hielt es erhoben, während er Dijons verdächtig geröteten Anus entblößte. Wie es schien, hatte der Marquis eine besondere Freude entdeckt. Wer könnte das gewesen sein? Arkady wohl kaum, er war nur ein Sklave, und der alte General war für diese Art Spaß nicht zu haben. Vendelin würde sich ein wenig umhören. Vendelin schob das Fieberthermometer vollständig hinein und drückte mit dem Finger nach, damit es auch wirklich fort war. Der riesige Penis zuckte kurz, dann lag der Marquis wieder still. Dijon würde den Gruß richtig zu deuten wissen, sobald er den Quell der Schmerzen entdeckte, was sicher eine Weile dauern würde. Den General hingegen verschonte Vendelin von solcherlei Schickanen - er würde heute eine andere Art von Schmerz erfahren.
Vorsichtig hob Vendelin Jerome auf und trug ihn in die Empfangshalle, wo er ihn in den Mantel und den Hut von Loria kleidete. Auch sich selbst kleidete er wieder reisefertig an und holte seine zwei Pferde aus dem Stall. Das Kind und das Gepäck landeten auf dem einen, während Vendelin selbst sich auf das andere setzte. Nachdem sie die Salzstraße erreicht hatten, ritt er so schnell, wie es die Dunkelheit erlaubte.
Vendelin hatte nicht vergessen, welches Versprechen Davard von Hohenfelde einst erbrachte. Das Alter machte sich in seinen Knochen bemerkbar, doch auch in seinem Geist, denn mit jedem Jahr wuchsen Erfahrung und List des Stählernen Lotos. Er hatte gute Gründe für den Raub dieses von der Sache her wertlosen Sklaven. Seine Gedanken gingen weit über die Verbesserung seines Verhältnisses zu diesem geschundenen Mann hinaus. Er wollte nicht weniger, als ein Zeichen für die gesamte Sippe setzen und für all ihre Feinde. Sie waren nicht länger uneins. Und er hoffte, dass Davard von Hohenfelde seine Einladung annahm und seine Familie sich dem im Konzil beschlossenen Pakt anschloss. Den General hatte Vendelin bewusst am Leben gelassen. Er würde es Davard nicht nehmen, seinen alten Feind eigenhändig zur Strecke zu bringen.
Zum nächsten Sonnenaufgang lag der schlafende Junge vor der Tür des Geisterhauses, in welchem Davard wohnte. Eine Lotosblüte steckte hinter seinem Ohr. Vendelin klingelte und verschwand.