Beiträge von Vendelin von Wigberg

    Vendelin ließ das Haupt gesenkt, während der Zorn des Mannes über ihn hinwegbrandete, den man den Weißen Seelöwen nannte. In der jungen Stimme hörte er den gleichen Sturm, der auch Sirio di Ledvico einst zu großen Taten getrieben hatte - vergeblichen Taten, aber großen Taten. Schlummerte auch in seinem Sohn dieser Wille? Bisher hatte Tazio sich eher passiv verhalten, Stabilisierung suchend statt Neuerung.


    "Es ist, wie ich Euch sagte, Eure Majestät: Souvagne wurde und wird von der Mördersippe Hohenfelde unterwandert. Die Verbannung von Linhard von Hohenfelde diente allein der Wahrung des Scheins. Es ist nicht länger Souvagne, welches die Krone trägt, sondern Hohenfelde. Das sage ich als Familienoberhaupt der Wigbergs, die über Jahrhunderte durch verwandtschaftliche Beziehungen mit Hohenfelde verbunden waren. Nun ist die Loslösung endgültig. Diese Machtergreifung werden wir nicht tragen noch bin ich bereit, sie tatenlos hinzunehmen. Sie ist unvereinbar mit den Werten von Wigberg.


    Irving von Kaltenburg hat sich bereiterklärt, für mich und die Meinen zu bürgen.


    Nun erwarte ich nicht, dass Ihr mir blind Glauben schenkt. Aber als Spion habe ich meine Möglichkeiten, meine Aufrichtigkeit unter Beweis zu stellen. So habe ich Gesprächsprotokolle und Kopien einiger Dokumente bei mir, die ich euch aushändigen werde. Es ist alles chronologisch geordnet und mit Kommentaren zur Einordnung in das aktuelle politische Geschehen versehen. Berichte meiner Lotos-Agenten vervollständigen das Bild, in vorderster Reihe jene Eures Landsmannes Alejandro Alballo, der für mich unter dem Namen Vittorio Polarotti operiert.


    Nehmt Einsicht in diese Unterlagen, schlaft darüber, besprecht Euch ein weiteres Mal mit Euren Beratern. Wenn es Euch beliebt, werde ich in die Dienste von Ledwick übertreten und dann soll die Gesamtheit meiner geheimen Bibliothek Euch gehören, einschließlich dem gesamten Agentenapparat und des weltweiten Netzes von Spitzeln."

    Vendelin griff mit der Rechten Irvings Hand und legte ihm die Linke an den Oberarm. Sein Griff war fest, kalt und etwas feucht.


    "Sei mir gegrüßt, mein Lieber. In Zukunft werden wir viel Zeit für ausführliche Gespräche haben."


    Mehr, als Vendelin recht sein konnte, doch die Zeiten änderten sich. Die Brandung brach sich an starken Mauern, doch Sickerwasser drang durch jede Spalte. Alles, was es benötigte, war Zeit. Viel hatte Vendelin bewirkt und allzu viele Jahre blieben ihm nicht mehr, bevor das Alter ihn einschränken würde. Im Gegensatz zu anderen hatte ihn nie die Unsterblichkeit gereizt. Die Aufgabe in den letzten Jahrzehnten war die Sicherung dessen, was er erreicht hatte, eines sicheren Hafens für die wenigen Blutsverwandten in direkter Linie, die ihm geblieben waren, allen voran für seinen Sohn und seinen Enkel. Er würde alles mitnehmen, was er für notwendig erachtete.


    Unbezahlbar war, was er unsichtbar bei sich trug: sein Gedächtnis und all die Geheimnisse und Informationen, die er im Laufe seiner Zeit als Spion zusammengetragen hatte. Und diese würden ihm die Legitimation liefern, den Schutz der Korallenkrone höchstselbst zu erbitten.

    "Das Konzil?", fragte Vendelin und öffnete in einer Geste der Hilflosigkeit die gepflegten Hände. War denn alles null und nichtig? In den Augen von Osmund sucht er ein Verstehen, welches er nicht fand. "Es gab entsprechende Vereinbarungen zur Ächtung von Gewalt innerhalb der Sippe", versuchte Vendelin zu erklären. "Das ist noch nicht lange her."


    Er ließ eine Pause, doch Osmund antwortete nicht. So fuhr Vendelin fort.


    "Ich habe ein natürliches Interesse an der Klärung dieser Angelegenheit, da meine Frau Isabella eine Eibenberg ist. Die Mutter meines Sohnes Moritz. Mein Zweig unterhält aus gutem Grund seit Generationen keine direkte Verwandtschaft zu Hohenfelde, wohl aber zu den sehr viel nützlicheren und zuverlässigeren Eibenbergs. Natürlich ist mir folglich daran gelegen, dass Eibenberg nicht der Willkür anderer ausgesetzt ist! Was scheren mich Hohenfeldes kriminelle Traditionen? Warum sollte ich Verständnis dafür haben, dass meine Verwandten ermordet werden?"


    Doch musste Vendelin erkennen, dass er bei Osmund vor verschlossenen Toren stand. Er ließ die Hände wieder sinken und wirkte unnahbar wie eh und je. Auch er hatte seine Tore verschlossen.


    "Nun, es ist wohl an der Zeit für mich, zu akzeptieren, dass das Konzil fehlgeschlagen ist", fasste Vendelin zusammen. "Es war das naive Konstrukt eines Träumers. Ich werde die Auflösung des Vertrages mangels Sinnhaftigkeit verkünden." Vendelin erhob sich. "Ich danke dir für deine Gastfreundschaft, Osmund.


    Was mich mit Veyd verband - ein wohlgehütetes Geheimnis, das ich ihm niemals mitteilte, so lange er lebte. Hätte es etwas geändert? Ich werde es nicht mehr erfahren. Veyd könnte dir all deine Fragen beantworten. Er ist der Kronzeuge in diesem Fall. Und darum wirst du ihn nicht zurückholen, so wenig wie jeder andere Nekromant dieser Sippschaft mir helfen wird. Es ist das erste Mal, dass ich bedaure, dass mein Zweig nicht selbst imstande ist, Magie zu wirken. Doch bekanntlich hat alles seinen Preis. Leb wohl, Osmund."


    Damit war die endgültige Spaltung der Sippe zementiert. Der zerissene Faden war nicht aufgegriffen worden, die losen Enden blieben frei schwebend im Gefüge aus Zeit und Raum. Vendelin konnte sie nicht mehr verbinden. Er tippte an seinen Hut, nickte Osmund zu und verließ das Haus. Für seinen Zweig war es erneut an der Zeit, unterzutauchen.


    Diesmal würde es keine Wiedervereinigung geben - nicht mit Hohenfelde.


    Flucht aus Souvagne >>

    "Ah, die unappetitlichen Ghule, ja. Ich habe ja selbst einen geerbt, der mich regelmäßig mit seinen kulinarischen Vorlieben behelligt. Womit wir über einen kleinen Umweg beim Thema wären. Es geht um unseren Verwandten, Veyd von Eibenberg. Einem mir teuren Verwandten, wie ich hinzufügen möchte. Dir ist vielleicht aufgefallen, dass man von ihm seit geraumer Zeit nichts mehr hört."


    Vendelin klang gefasst, doch ließ er zu, dass Osmund eine ehrliche Gefühlsregung in seinem Gesicht sah, das sonst einer beweglichen Maske glich, eine fassungslose Trauer. Seine Stimme behielt ihren sachlichen Ton bei, als er fortfuhr:


    "Er kann nicht mehr von sich hören lassen. Der Grund liegt in Veyds Ermordung. Täter war niemand anders als jener Unsicherheitsfaktor namens Davard von Hohenfelde, über dessen Gebaren sich einige von uns schon sehr lange ärgern. Das Konzil ist Geschichte, es war eine Idiotie von mir, anzunehmen, dem Wort eines Hohenfelde sei irgendein Wert beizumessen. Es sind keine Edelleute, nur Relikte der Vergangenheit, die durch eine unglückliche Fügung den Zusatz "von" im Namen tragen. Nichts an ihnen ist edel, nicht das inzestuöse Blut, noch das Verhalten."


    Er atmete durch, musste sich bewusst beruhigen, da ihn der Tod von Veyd innerlich zutiefest erschüttert hatte. Bislang war keine Zeit gewesen, Trauer zuzulassen. Sie war auch jetzt nicht und so fuhr er, wieder ruhig, fort:


    "Lassen wir meinen Schmerz außer Acht und konzentrieren uns auf die familienpolitischen Fakten. Im Prinzip haben wir eine Kriegserklärung des Hauses Hohenfelde gegenüber Eibenberg vorliegen. Die einzige Möglichkeit, die Blutfehde abzuwänden, wäre, wenn ein anderer Hohenfelde die Sache eigenhändig bereinigt. Es kommen spannende Zeiten auf uns zu. Den kleinen Linhard hatte ich hierbei im Sinn ... vielleicht sollte man ihn entsprechend kontaktieren. Weißt du, wer gegenwärtig Oberhaupt des Hauses Hohenfelde ist? Ich will eine Stellungnahme einfordern, bevor wir weitere Schritte erwägen."


    Vendelin schlug ein Bein vornehm über das andere und blickte Osmund in die Augen, deren obere Ränder von hängenden Lidfalten verdeckt wurden. Der alte Nekromant hatte viele Sommer und Winter verstreichen sehen, manch Familienoberhaupt kommen und gehen sehen.


    "Sollte die Blutfehde ausbrechen, stellt sich mir die Frage nach der Positionierung von Wigberg nicht, denn ich werde nicht mit Blutsverrätern paktieren. Zusammenhalt, das war stets unser Credo, daran wird sich nichts ändern. Wie siehst du die Angelegenheit?"

    Dieser Ort war mehr als ein Haus - er war ein zu Hause. Vendelin fühlte sich auf Anhieb wohl in dem dämmrigen Labyrinth, dessen Winkel manchen Schatz bargen. Verzückt strichen seine Blicke über all die Reize, die sie fanden.


    Das Lächeln seines Verwandten erwiderte er. „Osmund, mein Lieber. Zu lange ist es her. Danke für deinen Empfang. Bevor ich zum Wesentlichen komme, gestatte mir ein Kompliment. Dein zu Hause ist ein Traum, gewoben aus Sinnesreizen und Behaglichkeit. Wer ist die Person, die hier zu dienen scheint?“


    Mit diesen Worten ließ Vendelin sich in einem der bequemen Stühle nieder.

    Vendelins Lächeln wurde eine Spur breiter bei diesem Empfang. Er folgte dem Weg in das Innere, dem Küchenduft nach, denn die Wahrscheinlichkeit, Osmund zu finden, war dort recht hoch. Die Tür zu schließen, machte er sich keine Mühe. Der Mechanismus würde in beide Richtungen funktionieren.

    Der Duft frisch gebratener Plinsen mit Apfelstückchen und Rosinen wehte aus dem geöffneten Küchenfenster. Draußen hörte Vendelin, wie Alejandro mit dem Geschirr klapperte. Efeu rankte über das Haus. Die moosige, verfallene Mauer diente einigen kleinen Schlangen als Sonnenplatz. Dort stand auch die kaputte Bank, auf der Vendelin mit dem Häuflein Elend saß, das einst sein Bruder gewesen war.


    Vendelin hörte zu, dann las er selbst das Schreiben.


    "Kein Anlass zur Trauer, Vanja. Was geschah, ist kein Verlust, sondern eine Reinigung. Habe ich dich nicht gelehrt, aufmerksam zu lesen? Trockne die Tränen und öffne die Augen: Davards Loyalität gilt nicht der Familie, sondern der Krone. Ich finde das eine interessante Aussage. Was mag das Haus Hohenfelde davon halten, wie Nimmersatt sich von ihnen abwendet und wimmernd vor der Krone das Hinterteil reckt? Wie er offen allen Blutsbanden entsagt? Auf uns kommen interessante Zeiten zu, mein kleiner Bruder."


    Aus dem Fenster rief Alejandro zum Essen. Lächelnd bot Vendelin seinem Bruder den Arm.

    Nicht von ungefähr nannte man ihn "die Lotosspinne". Die Fäden, die seine Agenten woben, umspannten weite Teile der Welt. Ein unsichtbares, tödliches Netz. Im Zentrum von allem saß Vendelin von Wigberg und hielt die Fäden in der Hand. Weder der Tod seiner Eltern noch die Niederlage gegenüber dem Roten Hahn, der mithilfe der Bluthexer und Himmelsaugen seinen geplanten Putsch aufdeckte, hatte seine Machtposition langfristig geschwächt. Riss ein Faden, wob Vendelin einen neuen. Heute war ein solcher Tag, an dem er einen weiteren Schicksalsfaden spann.


    Die Vorbereitungen waren, wie immer, langfristig erfolgt. Vendelin hatte sich die zerstückelten Überreste des Veyd von Wigberg von Garlyn aushändigen lassen. Treu und brav hatte der Ghul getan, was er tun konnte, auch wenn sein Magen knurrte und er hier und da schon geknabbert hatte.


    Im Keller des Herrenhauses von Hohenfelde ruhte Veyds zerstörter Leib seither auf Eis.


    Der nächste Schritt war gewesen, Davard von Hohenfelde ruhig zu stellen, der Veyd hatte ermorden lassen. Nur mit großem Aufwand und unter aller Aufbietung seiner Schauspielkünste war es ihm gelungen, einen Frieden auf tönernen Füßen herauszuhandeln, doch besser als keiner. Der alternde Geistmagier war vorerst mit seinem Schützling Jerome beschäftigt, den Vendelin ihm organisiert hatte, und Vendelin war vorerst aus dem Fokus.


    Und so kam es, dass Vendelin zu gegebener Zeit ungestört und unbemerkt seinen Verwandten Osmund von Wigberg in Naridien auf ein Kaffeekränzchen besuchte.

    Das Versprechen des Aals


    Als beide Monde am Himmel standen, ließ Vendelin gerade noch einmal die süße kleine Sklavin seine Kleider richten, ehe er an den Wächter herantrat, um mit ihm zu sprechen. Er verschwand im Inneren des Anwesens, in dem trotz der späten Stunde noch Licht schien. Wie es aussah, war der General noch wach. Während Vendelin darauf wartete, dass man ihm öffnete, betrachtete er die Kutsche, die neben der Einfahrt stand. Augenscheinlich hatte Burkhard von Klingenberg bereits Besuch ... das war nicht gut. Er würde sehen, ob er seinen Plan dennoch in die Tat umsetzen konnte. Wenn nicht, waren wochenlange Vorbereitungen umsonst gewesen, doch stets seine Pläne ändern oder gar verwerfen zu müssen, gehörte in seinem Beruf zum Alltag. Der Wächter hatte Vendelin trotz der ungelegenen Stunde freundlich empfangen, natürlich hatte er das. Die Beißerfreunde des Generals waren dem Personal bekannt. Musik war allerdings keine zu hören, vermutlich war es ein privater Besuch im kleinen Rahmen. Die Sklavin schob ihre grazile Hand unter seinem Arm hindurch, den Vendelin nun anwinkelte. Sie streichelte seinen Bizeps.


    »Darf ich etwas fragen, Onkel Timo?«, wisperte sie.


    »Nur zu«, ermunterte er sie.


    »Wann werde ich Eure Leibsklavin sein? Ich kann es kaum erwarten. Ihr wisst, dass ich Euch liebe und ich würde Euch besser dienen können als je zuvor.«


    Er gestattete sich ein Lächeln, das in seiner Warmherzigkeit absolut echt wirkte. »Die Nacht ist wundervoll, es ist das erste Mal seit Jahren, dass du die Monde siehst. Das Leben im Pfuhl muss schwer zu ertragen sein.«


    Die Worte klangen einfühlsam, doch Loria erkannte die tödliche Schnappfalle darin. Kein Jäger wollte hören, dass er die Notlösung war, um einem noch größeren Übel zu entkommen. »Das Leben in der Himmelsröhre ist durch und durch gerecht. Somit ist es ganz anders als die Welt hier draußen. Jeder erhält dort, was er verdient. Darüber bin ich sehr froh, denn jeder Mensch verdient Gerechtigkeit. Die Jäger ebenso wie die Sklaven.« Das hatte Loria sich geschickt überlegt. So etwas gefiel Vendelin.


    Sein Lächeln wurde breiter. Mit Loria konnte man sich bedenkenlos der Öffentlichkeit präsentieren, ohne eine Blamage fürchten zu müssen. »Du bist ein kluges Mädchen. Und da wir in einer solch gerechten Gesellschaft leben, was schlussfolgerst du?«



    »Dass ich noch nicht verdiene, Eure Leibsklavin zu werden.« Ihre Stimme klang leise, doch sie hielt sich tapfer. Alles andere wäre fatal, denn Vendelin war trotz seiner freundlich wirkenden Art nicht für seine Nachsicht bekannt.


    »Richtig, denn würdest du es verdienen, meine Leibsklavin zu sein, dann wärst du es auch schon längst geworden. Das hast du gut erkannt. Streng dich weiter an, meine Liebe. Immerhin habe ich von allen Pfuhlsklavinnen dich ausgewählt, mich zu begleiten.«


    »Danke, Onkel Timo«, sagte Loria und ihr Brustkorb hob sich vor Aufregung.


    Sie klang überglücklich, da dieser mageren Happen an Zuwendung und Hoffnung mehr war, als sie sonst zu hören bekam. Sie schmiegte ihren Lockenkopf an seine Schulter. Er ließ sie zufrieden gewähren. Der Diener öffnete die Tür und bat Vendelin samt Begleitung hinein. Ihnen wurden die Hüte und Mäntel abgenommen. Dass Loria darunter völlig nackt war, ignorierte der Diener in professioneller Manier. Beide führte er auf direktem Wege ins Wohnzimmer des Generals. Der hochgewachsene Greis erhob sich mit einem herzlichen Lächeln, das seine geschärften Zähne zeigte. Burkhard von Klingenbergs Vorliebe für hohe Stiefel und Uniformen hatte er nicht abgelegt und Vendelin musste zugeben, dass der Greis noch immer eine verblüffend gute Figur darin machte.



    »Timo, welch freudige Überraschung! Komm rein.«



    Er fasste Vendelins Hand und tätschelte seine Schulter, während dieser in gleicher zähnefletschender Manier zurücklächelte, auch wenn er seine Zähne bewusst stumpf trug. Es spielte keine Rolle, die Bedeutung blieb stets, dem anderen nicht zu verbergen, was man war. Dem anderen Gast des Generals hingegen sanken die Mundwinkel hinab und er bekam das erforderliche Lächeln nicht zustande.


    »Timo«, grüßte Dijon kurz angebunden, ohne vom Ledersofa aufzustehen.


    »Es ist mir eine Freude, Dijon.«


    Vendelin log dermaßen offensichtlich, dass sogar der alte General auflachte. »Kein böses Blut in meinen privaten Gemächern, ihr beiden. Wir sind hier unter Beißern. Und wie ich sehe, hast du dir einen eigenen Leckerbissen mitgebracht.« Die Sklavin senkte schüchtern den Kopf und zog die Schultern nach vorn, so dass ihre winzigen Brüste nach vorn gepresst wurden. Den General würde sie damit nicht beeindrucken, sein Geschmack zeigte sich anhand des Jungen, der gerade den Tisch deckte. »Setz dich doch, Timo«, bat er und nahm ebenso wieder Platz.


    Die drei Beißer tauschten einige Belanglosigkeiten aus. Es war offensichtlich, dass Vendelin ungelegen kam, wenn man Dijon fragte, auch wenn dieser es nicht aussprach. Dessen neue Errungenschaft vollzog derweil die Aufgabe, die zahllosen Kerzen auf den Fensterbänken, Kommoden und an den Wänden anzuzünden. Vendelin war neugierig.


    »Aus dem Pfuhl?«, wollte er wissen und nickte in Richtung des nackten jungen Mannes.


    »Dort erwählt, nun persönliches Eigentum.« In Dijons Stimme schwang nun Stolz. Bislang war er ohne privaten Sklaven ausgekommen, doch dieser junge Mann schien es ihm angetan zu haben. »Arkady heißt er.«


    »Ich sehe noch keine Narbe?« Vendelin sah genauer hin, doch Hals und Schultern des Jünglings waren makellos.


    »Die Markierung soll heute stattfinden, im angemessenen Rahmen.«


    Vendelin nickte lächelnd. »Verstehe, ich bleibe nicht allzu lange. Hätte ich das gewusst, hätte ich ein zweites Geschenk mitgebracht zur Feier des Abends.«


    Er nahm dieses Stichwort zum Anlass, Loria mit einem Fingerzeig zu befehlen, ihm seine Ledertasche zu geben. Als langjähriger Bekannter des Hausherrn war er nicht durchsucht worden und diese Maßnahme wäre auch ohne Ergebnis geblieben. Vendelin trug nichts bei sich, um Burkhard von Klingenberg oder Dijon de la Grange zu schaden. Ein Set von zwölf kunstvollen Silberbechern, verziert mit bunten Edelsteinen, wurden einer nach dem anderen auf den flachen Tisch gestellt. Die Sklaven waren vergessen, die Männer nahmen die Trinkgefäße in die Hand, um sie zu bewundern.


    »Zwergenbecher! Das passt ja«, freute sich der General. »Als hätte der Älteste es gewusst. Kürzlich konnte ich zwei Flaschen Stollensilber aus den letzten Beständen erstehen. Dies sind die passenden Becher dazu. Jerome! Bring uns eine Flasche.« Was für ein glücklicher Zufall. Vendelin schmunzelte in sich hinein. Der zarte Sklave verneigte sich und ging. Vendelin sah dem Jungen nach, was Burkhard einen triumphierenenden Blick entlockte. »Der Kleine ist wundervoll, nicht wahr?«


    »Sehr niedlich«, bestätigte Vendelin. »Und wie gut erzogen!«


    Er hörte, wie Loria auf diese Bemerkung hin trocken schluckte, sich aber gleich wieder fing. Kurz darauf war Jerome mit der Flasche zurück. Durch das transparente Glas, das wie Perlmutt schimmerte - allein die Flasche war beachtliche Handwerkskunst - sah man den Likör glitzern, als bestünde er aus flüssigem Silber. Burkhard persönlich entkorkte sie und schenkte seinen Gästen ein. Unter vielen Ahs und Ohs wurde der Likör in die Becher gefüllt.


    Dass Burkhard einer Flasche lieblichem Stollensilber nicht widerstehen konnte, war leicht zu erraten gewesen, nachdem Vendelin seine Akte durchgegangen war. Seit dem Untergang der Zwerge wurde dieser mit echtem Silberstaub angereicherte Likör nicht mehr hergestellt. Die Preise für alte Bestände waren astronomisch und ein nur scheinbar naiver Händler hatte dem alten General die beiden Flaschen zu einem Spottpreis verkauft. Zwei deshalb, damit er eine einlagern und die andere ohne schlechtes Gewissen probieren konnte. Der heutige Anlass war zu banal für solch einen edlen Tropfen, doch in Anbetracht der kaum weniger wertvollen Becher bot es sich dermaßen an, dass Burkhard nicht hatte widerstehen können. Und so tranken sie, auch Vendelin, der kurz zuvor ein Gegengift genommen hatte.


    Die Wirkung des Likörs war drogenartig. Sowohl Burkhard als auch Dijon waren schon nach einem Becher in erregter Stimmung. Der Verlauf des Abends wurde auf diese Weise beschleunigt. Vendelin beobachtete, wie Dijon das Monstrum zwischen seinen Beinen entfesselte und sich Arkady zwischen seinen Knien niederlassen musste, um ihn zunächst mit dem Mund zu verwöhnen. Als der Sklave sein schmatzendes Werk begann, warf Dijon dem alten General einen fast verliebten Blick zu. Ein interessantes Detail, doch der alte Mann bemerkte es nicht, da er seinerseits den noch viel jüngeren Jerome in Anspruch nahm. Der Junge gab sein Bestes, es dem Greis recht zu machen und unterdrückte seine Tränen so tapfer wie Lori, die rittlings auf Vendelins Schoß saß und sich in seinem Takt wiegte, bis er sie mit einem Seufzen erzitternd an sich zog. Einige glückselige Momente war er ganz von dieser Welt entrückt und spürte nur ihren Leib, eng wie eine seidene Schlinge, und ihre kalten kleinen Brüste über seinem bebenden Herzen.


    Dijon und Burkhard sanken nach dem Akt schlafend auf dem Sofa nieder. Ihre Sklaven schauten ungläubig, waren dann aber froh. Fast niedlich sahen die beiden alten Herren aus, die übereinander gesunken waren. Vendelin ließ Loria aufstehen und sich dann zu den anderen beiden Sklaven setzen. Er zog seine Hose vernünftig an und war dann ganz der freundliche Onkel Timo. Mit einem verschmitzten Lächeln schenkte er auch den Sklaven etwas Stollensilber ein. Ganz heimlich nur, viel zu edel war der Trunk für Sklaven, doch das gehörte alles zu seiner Rolle. So tranken sie grinsend und bald schliefen auch die Sklaven. Vendelin setzte seine Runde mit der Flasche in der Hand und zwei Bechern in der anderen fort. So stattete er dem nichtsahnenden Personal einen freundschaftlichen Besuch ab, um zu plaudern und gemeinsam ein Gläslein zu trinken. Natürlich war Alkohol im Dienst ein Unding, doch wer würde dem freundlichen Onkel Timo einen so edlen Tropfen aus solch feinen Becher abschlagen? Es war ja nur ein winziger Schluck ...


    Viel Personal brauchte ein einsamer alter Mann nicht, so dass Vendelin bald so weit war. Er kehrte zurück in das Wohnzimmer. Totenstille lag über dem Anwesen, nur das Kaminfeuer knisterte leise.


    Er zückte das Fieberthermometer und hielt es erhoben, während er Dijons verdächtig geröteten Anus entblößte. Wie es schien, hatte der Marquis eine besondere Freude entdeckt. Wer könnte das gewesen sein? Arkady wohl kaum, er war nur ein Sklave, und der alte General war für diese Art Spaß nicht zu haben. Vendelin würde sich ein wenig umhören. Vendelin schob das Fieberthermometer vollständig hinein und drückte mit dem Finger nach, damit es auch wirklich fort war. Der riesige Penis zuckte kurz, dann lag der Marquis wieder still. Dijon würde den Gruß richtig zu deuten wissen, sobald er den Quell der Schmerzen entdeckte, was sicher eine Weile dauern würde. Den General hingegen verschonte Vendelin von solcherlei Schickanen - er würde heute eine andere Art von Schmerz erfahren.


    Vorsichtig hob Vendelin Jerome auf und trug ihn in die Empfangshalle, wo er ihn in den Mantel und den Hut von Loria kleidete. Auch sich selbst kleidete er wieder reisefertig an und holte seine zwei Pferde aus dem Stall. Das Kind und das Gepäck landeten auf dem einen, während Vendelin selbst sich auf das andere setzte. Nachdem sie die Salzstraße erreicht hatten, ritt er so schnell, wie es die Dunkelheit erlaubte.


    Vendelin hatte nicht vergessen, welches Versprechen Davard von Hohenfelde einst erbrachte. Das Alter machte sich in seinen Knochen bemerkbar, doch auch in seinem Geist, denn mit jedem Jahr wuchsen Erfahrung und List des Stählernen Lotos. Er hatte gute Gründe für den Raub dieses von der Sache her wertlosen Sklaven. Seine Gedanken gingen weit über die Verbesserung seines Verhältnisses zu diesem geschundenen Mann hinaus. Er wollte nicht weniger, als ein Zeichen für die gesamte Sippe setzen und für all ihre Feinde. Sie waren nicht länger uneins. Und er hoffte, dass Davard von Hohenfelde seine Einladung annahm und seine Familie sich dem im Konzil beschlossenen Pakt anschloss. Den General hatte Vendelin bewusst am Leben gelassen. Er würde es Davard nicht nehmen, seinen alten Feind eigenhändig zur Strecke zu bringen.


    Zum nächsten Sonnenaufgang lag der schlafende Junge vor der Tür des Geisterhauses, in welchem Davard wohnte. Eine Lotosblüte steckte hinter seinem Ohr. Vendelin klingelte und verschwand.

    Nachträgliche Geburtstagsfeier des Duc de Souvagne

    Vendelin von Wigberg war nach der Befreiung von Jerome auf dem direkten Weg zurück nach Souvagne gereist. Dem Einladungsschreiben folgend schaute heute also auch das Oberhaupt des Stählernen Lotos sich auf der Feier um. Die Festlichkeit war im vollen Gange, das Gedränge entsprechend dicht. Seit der Vermählung einer Tochter des Duc mit dem Duca di Ledvico waren auch vermehrt Ledvigiani am Hof anzutreffen oder auch Souvagner, deren Mode vom Küstenstaat beeinflusst wurde. Anstelle des Dreispitzes trug manch einer nun die turbanähnliche Chaperon, so wie in Ledwick spiegelverkehrt dazu vermehrt Dreispitz getragen wurde.


    Vendelin hatte sich dem angepasst. Er trug braune Kniebundhosen zu wollfarbenen Beinlingen, dazu bequeme braune Schuhe. Auch das Hemd war naturbelassen und nicht gebleicht, der Gehrock darüber moosgrün. Auf dem Haupte aber prangte anstelle des sonstigen Hutes heute ebenfalls ein Bündel gewickelten Stoffes, das gemustert war und eine unordentliche Formation auf seinem Haupt bildete. Die Damen übersahen Vendelin, die Herren belächelten ihn mit mildem Spott.


    Bei sich trug er ein kleines Geschenk. Er übergab es nicht persönlich, sondern überreichte das in Butterbrotpapier geschlagene Werk einem Diener, der es zu den anderen Geschenken verbrachte, so dass der Duc es sich bei Gelegenheit besehen konnte.


    Das Geschenk


    Die Brosche spiegelte Vendelins stille Art von Humor wieder, enthielt aber eine Botschaft. Zum einen, weil dieses Kleinod verpackt war wie Abfall. Zum anderen, weil das Kleinod eine Fälschung war, in der tatsächlich nicht ein einziges Körnchen Gold zu finden war.


    In sich hineinschmunzelnd widmete Vendelin sich dem Buffet.

    Das Versprechen des Aals

    Als beide Monde am Himmel standen, ließ Vendelin gerade noch einmal die süße kleine Sklavin seine Kleider richten, ehe er an den Wächter herantrat, um mit ihm zu sprechen. Er verschwand im Inneren des Anwesens, in dem trotz der späten Stunde noch Licht schien. Wie es aussah, war der General noch wach. Während Vendelin darauf wartete, dass man ihm öffnete, betrachtete er die Kutsche, die neben der Einfahrt stand. Augenscheinlich hatte Burkhard von Klingenberg bereits Besuch ... das war nicht gut. Er würde sehen, ob er seinen Plan dennoch in die Tat umsetzen konnte. Wenn nicht, waren wochenlange Vorbereitungen umsonst gewesen, doch stets seine Pläne ändern oder gar verwerfen zu müssen, gehörte in seinem Beruf zum Alltag. Der Wächter hatte Vendelin trotz der ungelegenen Stunde freundlich empfangen, natürlich hatte er das. Die Beißerfreunde des Generals waren dem Personal bekannt. Musik war allerdings keine zu hören, vermutlich war es ein privater Besuch im kleinen Rahmen. Die Sklavin schob ihre grazile Hand unter seinem Arm hindurch, den Vendelin nun anwinkelte. Sie streichelte seinen Bizeps.


    »Darf ich etwas fragen, Onkel Timo?«, wisperte sie.


    »Nur zu«, ermunterte er sie.


    »Wann werde ich Eure Leibsklavin sein? Ich kann es kaum erwarten. Ihr wisst, dass ich Euch liebe und ich würde Euch besser dienen können als je zuvor.«


    Er gestattete sich ein Lächeln, das in seiner Warmherzigkeit absolut echt wirkte. »Die Nacht ist wundervoll, es ist das erste Mal seit Jahren, dass du die Monde siehst. Das Leben im Pfuhl muss schwer zu ertragen sein.«


    Die Worte klangen einfühlsam, doch Loria erkannte die tödliche Schnappfalle darin. Kein Jäger wollte hören, dass er die Notlösung war, um einem noch größeren Übel zu entkommen. »Das Leben in der Himmelsröhre ist durch und durch gerecht. Somit ist es ganz anders als die Welt hier draußen. Jeder erhält dort, was er verdient. Darüber bin ich sehr froh, denn jeder Mensch verdient Gerechtigkeit. Die Jäger ebenso wie die Sklaven.« Das hatte Loria sich geschickt überlegt. So etwas gefiel Vendelin.


    Sein Lächeln wurde breiter. Mit Loria konnte man sich bedenkenlos der Öffentlichkeit präsentieren, ohne eine Blamage fürchten zu müssen. »Du bist ein kluges Mädchen. Und da wir in einer solch gerechten Gesellschaft leben, was schlussfolgerst du?«


    »Dass ich noch nicht verdiene, Eure Leibsklavin zu werden.« Ihre Stimme klang leise, doch sie hielt sich tapfer. Alles andere wäre fatal, denn Vendelin war trotz seiner freundlich wirkenden Art nicht für seine Nachsicht bekannt.


    »Richtig, denn würdest du es verdienen, meine Leibsklavin zu sein, dann wärst du es auch schon längst geworden. Das hast du gut erkannt. Streng dich weiter an, meine Liebe. Immerhin habe ich von allen Pfuhlsklavinnen dich ausgewählt, mich zu begleiten.«


    »Danke, Onkel Timo«, sagte Loria und ihr Brustkorb hob sich vor Aufregung.


    Sie klang überglücklich, da dieser mageren Happen an Zuwendung und Hoffnung mehr war, als sie sonst zu hören bekam. Sie schmiegte ihren Lockenkopf an seine Schulter. Er ließ sie zufrieden gewähren. Der Diener öffnete die Tür und bat Vendelin samt Begleitung hinein. Ihnen wurden die Hüte und Mäntel abgenommen. Dass Loria darunter völlig nackt war, ignorierte der Diener in professioneller Manier. Beide führte er auf direktem Wege ins Wohnzimmer des Generals. Der hochgewachsene Greis erhob sich mit einem herzlichen Lächeln, das seine geschärften Zähne zeigte. Burkhard von Klingenbergs Vorliebe für hohe Stiefel und Uniformen hatte er nicht abgelegt und Vendelin musste zugeben, dass der Greis noch immer eine verblüffend gute Figur darin machte.


    »Timo, welch freudige Überraschung! Komm rein.«


    Er fasste Vendelins Hand und tätschelte seine Schulter, während dieser in gleicher zähnefletschender Manier zurücklächelte, auch wenn er seine Zähne bewusst stumpf trug. Es spielte keine Rolle, die Bedeutung blieb stets, dem anderen nicht zu verbergen, was man war. Dem anderen Gast des Generals hingegen sanken die Mundwinkel hinab und er bekam das erforderliche Lächeln nicht zustande.


    »Timo«, grüßte Dijon kurz angebunden, ohne vom Ledersofa aufzustehen.


    »Es ist mir eine Freude, Dijon.«


    Vendelin log dermaßen offensichtlich, dass sogar der alte General auflachte. »Kein böses Blut in meinen privaten Gemächern, ihr beiden. Wir sind hier unter Beißern. Und wie ich sehe, hast du dir einen eigenen Leckerbissen mitgebracht.« Die Sklavin senkte schüchtern den Kopf und zog die Schultern nach vorn, so dass ihre winzigen Brüste nach vorn gepresst wurden. Den General würde sie damit nicht beeindrucken, sein Geschmack zeigte sich anhand des Jungen, der gerade den Tisch deckte. »Setz dich doch, Timo«, bat er und nahm ebenso wieder Platz.


    Die drei Beißer tauschten einige Belanglosigkeiten aus. Es war offensichtlich, dass Vendelin ungelegen kam, wenn man Dijon fragte, auch wenn dieser es nicht aussprach. Dessen neue Errungenschaft vollzog derweil die Aufgabe, die zahllosen Kerzen auf den Fensterbänken, Kommoden und an den Wänden anzuzünden. Vendelin war neugierig.


    »Aus dem Pfuhl?«, wollte er wissen und nickte in Richtung des nackten jungen Mannes.


    »Dort erwählt, nun persönliches Eigentum.« In Dijons Stimme schwang nun Stolz. Bislang war er ohne privaten Sklaven ausgekommen, doch dieser junge Mann schien es ihm angetan zu haben. »Arkady heißt er.«


    »Ich sehe noch keine Narbe?« Vendelin sah genauer hin, doch Hals und Schultern des Jünglings waren makellos.


    »Die Markierung soll heute stattfinden, im angemessenen Rahmen.«


    Vendelin nickte lächelnd. »Verstehe, ich bleibe nicht allzu lange. Hätte ich das gewusst, hätte ich ein zweites Geschenk mitgebracht zur Feier des Abends.«


    Er nahm dieses Stichwort zum Anlass, Loria mit einem Fingerzeig zu befehlen, ihm seine Ledertasche zu geben. Als langjähriger Bekannter des Hausherrn war er nicht durchsucht worden und diese Maßnahme wäre auch ohne Ergebnis geblieben. Vendelin trug nichts bei sich, um Burkhard von Klingenberg oder Dijon de la Grange zu schaden. Ein Set von zwölf kunstvollen Silberbechern, verziert mit bunten Edelsteinen, wurden einer nach dem anderen auf den flachen Tisch gestellt. Die Sklaven waren vergessen, die Männer nahmen die Trinkgefäße in die Hand, um sie zu bewundern.


    »Zwergenbecher! Das passt ja«, freute sich der General. »Als hätte der Älteste es gewusst. Kürzlich konnte ich zwei Flaschen Stollensilber aus den letzten Beständen erstehen. Dies sind die passenden Becher dazu. Jerome! Bring uns eine Flasche.« Was für ein glücklicher Zufall. Vendelin schmunzelte in sich hinein. Der zarte Sklave verneigte sich und ging. Vendelin sah dem Jungen nach, was Burkhard einen triumphierenenden Blick entlockte. »Der Kleine ist wundervoll, nicht wahr?«


    »Sehr niedlich«, bestätigte Vendelin. »Und wie gut erzogen!«


    Er hörte, wie Loria auf diese Bemerkung hin trocken schluckte, sich aber gleich wieder fing. Kurz darauf war Jerome mit der Flasche zurück. Durch das transparente Glas, das wie Perlmutt schimmerte - allein die Flasche war beachtliche Handwerkskunst - sah man den Likör glitzern, als bestünde er aus flüssigem Silber. Burkhard persönlich entkorkte sie und schenkte seinen Gästen ein. Unter vielen Ahs und Ohs wurde der Likör in die Becher gefüllt.


    Dass Burkhard einer Flasche lieblichem Stollensilber nicht widerstehen konnte, war leicht zu erraten gewesen, nachdem Vendelin seine Akte durchgegangen war. Seit dem Untergang der Zwerge wurde dieser mit echtem Silberstaub angereicherte Likör nicht mehr hergestellt. Die Preise für alte Bestände waren astronomisch und ein nur scheinbar naiver Händler hatte dem alten General die beiden Flaschen zu einem Spottpreis verkauft. Zwei deshalb, damit er eine einlagern und die andere ohne schlechtes Gewissen probieren konnte. Der heutige Anlass war zu banal für solch einen edlen Tropfen, doch in Anbetracht der kaum weniger wertvollen Becher bot es sich dermaßen an, dass Burkhard nicht hatte widerstehen können. Und so tranken sie, auch Vendelin, der kurz zuvor ein Gegengift genommen hatte.


    Die Wirkung des Likörs war drogenartig. Sowohl Burkhard als auch Dijon waren schon nach einem Becher in erregter Stimmung. Der Verlauf des Abends wurde auf diese Weise beschleunigt. Vendelin beobachtete, wie Dijon das Monstrum zwischen seinen Beinen entfesselte und sich Arkady zwischen seinen Knien niederlassen musste, um ihn zunächst mit dem Mund zu verwöhnen. Als der Sklave sein schmatzendes Werk begann, warf Dijon dem alten General einen fast verliebten Blick zu. Ein interessantes Detail, doch der alte Mann bemerkte es nicht, da er seinerseits den noch viel jüngeren Jerome in Anspruch nahm. Der Junge gab sein Bestes, es dem Greis recht zu machen und unterdrückte seine Tränen so tapfer wie Lori, die rittlings auf Vendelins Schoß saß und sich in seinem Takt wiegte, bis er sie mit einem Seufzen erzitternd an sich zog. Einige glückselige Momente war er ganz von dieser Welt entrückt und spürte nur ihren Leib, eng wie eine seidene Schlinge, und ihre kalten kleinen Brüste über seinem bebenden Herzen.


    Dijon und Burkhard sanken nach dem Akt schlafend auf dem Sofa nieder. Ihre Sklaven schauten ungläubig, waren dann aber froh. Fast niedlich sahen die beiden alten Herren aus, die übereinander gesunken waren. Vendelin ließ Loria aufstehen und sich dann zu den anderen beiden Sklaven setzen. Er zog seine Hose vernünftig an und war dann ganz der freundliche Onkel Timo. Mit einem verschmitzten Lächeln schenkte er auch den Sklaven etwas Stollensilber ein. Ganz heimlich nur, viel zu edel war der Trunk für Sklaven, doch das gehörte alles zu seiner Rolle. So tranken sie grinsend und bald schliefen auch die Sklaven. Vendelin setzte seine Runde mit der Flasche in der Hand und zwei Bechern in der anderen fort. So stattete er dem nichtsahnenden Personal einen freundschaftlichen Besuch ab, um zu plaudern und gemeinsam ein Gläslein zu trinken. Natürlich war Alkohol im Dienst ein Unding, doch wer würde dem freundlichen Onkel Timo einen so edlen Tropfen aus solch feinen Becher abschlagen? Es war ja nur ein winziger Schluck ...


    Viel Personal brauchte ein einsamer alter Mann nicht, so dass Vendelin bald so weit war. Er kehrte zurück in das Wohnzimmer. Totenstille lag über dem Anwesen, nur das Kaminfeuer knisterte leise.


    Er zückte das Fieberthermometer und hielt es erhoben, während er Dijons verdächtig geröteten Anus entblößte. Wie es schien, hatte der Marquis eine besondere Freude entdeckt. Wer könnte das gewesen sein? Arkady wohl kaum, er war nur ein Sklave, und der alte General war für diese Art Spaß nicht zu haben. Vendelin würde sich ein wenig umhören. Vendelin schob das Fieberthermometer vollständig hinein und drückte mit dem Finger nach, damit es auch wirklich fort war. Der riesige Penis zuckte kurz, dann lag der Marquis wieder still. Dijon würde den Gruß richtig zu deuten wissen, sobald er den Quell der Schmerzen entdeckte, was sicher eine Weile dauern würde. Den General hingegen verschonte Vendelin von solcherlei Schickanen - er würde heute eine andere Art von Schmerz erfahren.


    Vorsichtig hob Vendelin Jerome auf und trug ihn in die Empfangshalle, wo er ihn in den Mantel und den Hut von Loria kleidete. Auch sich selbst kleidete er wieder reisefertig an und holte seine zwei Pferde aus dem Stall. Das Kind und das Gepäck landeten auf dem einen, während Vendelin selbst sich auf das andere setzte. Nachdem sie die Salzstraße erreicht hatten, ritt er so schnell, wie es die Dunkelheit erlaubte.


    Vendelin hatte nicht vergessen, welches Versprechen Davard von Hohenfelde einst erbrachte. Das Alter machte sich in seinen Knochen bemerkbar, doch auch in seinem Geist, denn mit jedem Jahr wuchsen Erfahrung und List des Stählernen Lotos. Er hatte gute Gründe für den Raub dieses von der Sache her wertlosen Sklaven. Seine Gedanken gingen weit über die Verbesserung seines Verhältnisses zu diesem geschundenen Mann hinaus. Er wollte nicht weniger, als ein Zeichen für die gesamte Sippe setzen und für all ihre Feinde. Sie waren nicht länger uneins. Und er hoffte, dass Davard von Hohenfelde seine Einladung annahm und seine Familie sich dem im Konzil beschlossenen Pakt anschloss. Den General hatte Vendelin bewusst am Leben gelassen. Er würde es Davard nicht nehmen, seinen alten Feind eigenhändig zur Strecke zu bringen.


    Zum nächsten Sonnenaufgang lag der schlafende Junge vor der Tür des Geisterhauses, in welchem Davard wohnte. Eine Lotosblüte steckte hinter seinem Ohr. Vendelin klingelte und verschwand.

    Der Mann ohne Gesicht


    Jahr 171 nach der Asche, Souvagne, Beaufort.

    Vendelin war zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre jung.


    Die Pantoffeln schlurften unermüdlich über den staubigen Teppich des verwaisten Hauses. Von Schrank zu Schrank, wo Vendelin wühlte, von Tisch zu Tisch, wo er alles zur Sichtung ausbreitete. Er arbeitete sich von Raum zu Raum, ging die Treppen hinauf, stieg sie wieder hinunter. Eine Reise durch die Vergangenheit, die sich an der Gegenwart wie eine Brandung brach und ihre Spuren überall verteilte. Vendelin wich den auf dem Boden verstreuten Habseligkeiten seines Vaters mit den Schritten aus. Geschirr, angeblich Erbstücken, eine Knochenkette aus Rakshanistan, almanische Trinkgefäße aus verzierter Keramik, bemalte Essstäbchen aus Arashima samt des dazu gehörenden Porzellans, fremdartige Glücksbringer, deren Herkunft er nicht entschlüsseln konnte. Aber auch eine Sammlung unterschiedlichster Kleidung, mehr eine Kostümsammlung für all die unterschiedlichen Anlässe, in denen Wenzel sich unerkannt hatte bewegt. Stempel, falsche Siegel, eine Sammlung von Unterschriften, die er bei Bedarf kopieren konnte.


    Ölmalfarben! Wozu hatte Wenzel Ölmalfarben gebraucht? Vendelin hatte ihn niemals malen gesehen und fand auch keine Leindwände, wenngleich ein Skizzenbuch erahnen ließ, dass er künstlerisch talentiert gewesen war. Beim Durchblättern fanden sich zahllose Portraits, ausdrucksvolle Gesichter, versehen mit einem Namen und einer kurzen Personenangabe. Ah, Phantombilder. Oder vielmehr eine Recherchesammlung als Inspirationsquelle für die eigene Maskerade? Vendelin vermochte es nicht zu sagen, aber dieses Skizzenbuch legte er auf den Tisch mit den Dingen, die er gesondert verwahren wollte. Jeder Tuschestrich trug eine Handbewegung seines Vaters konserviert in sich. Einen Moment hielt Vendelin inne und drückte das Buch an sein Herz.


    Lange hatte er sich nicht dazu durchringen können, all dies auch nur zu betrachten, geschweige denn, es durchzugehen, für sich in geeigneter Weise zu sortieren und Unbrauchbares auszumisten. Wenzel hatte unwahrscheinlich viele Dinge besessen - doch was davon gehörte wirklich ihm und was gehörte den falschen Identitäten? Das war in den meisten Fällen unmöglich, zu erkennen. Die wenigen Schätze, die zweifelsohne der Person seines Vaters zuzuordnen waren, wollte Vendelin von dem übrigen Hausrat trennen. Er lauschte in die Leere, die ihn trotz der überbordenden Fülle umgab.


    Still war es im Haus, während er innehielt. Nur der Wind heulte im kalten Kamin und ließ die Äste der Platanen wie knorrige Finger an den Fenstern kratzen. Die verstaubten Spinnweben wehten wie Banner des Verfalls. Das Haus, das zu Lebzeiten von Wenzel und Marilou trotz seines beträchtlichen Inventars so ordentlich gewesen war, dass es Vendelin steril und tot erschienen war, quoll nun über vor Dingen, die sonst ordentlich in den Schränken verstaut oder im Dachboden und Keller gelagert gewesen waren: Gemalte Postkarten, mit Grüßen an einen Mann, der gar nicht existierte, Briefe und Regale voller Bücher, von denen Vendelin nicht unterscheiden konnte, ob Wenzel sie gern gelesen hatte oder ob sie Teil seiner Maskerade gewesen waren. In all den Lügen, die seine Familie gelebt hatte, suchte Vendelin seinen Vater.


    Er suchte nicht Soel, das Mitglied eines Geheimordens und auch nicht Eloy, den Agentenlehrling. Er suchte den unverfälschten Wenzel von Wigberg, den er nie unmaskiert hatte kennenlernen dürfen. Welche Kleidung er wohl getragen hätte und wie sein Haar frisiert? Vendelin durchwühlte das ganze Haus aus auf der Suche nach Spuren, die ihm Anhaltspunkte für Wenzels wahre Persönlichkeit liefern konnten. Er legte das Skizzenbuch auf einen der Tische und suchte weiter. Zwischendurch weinte er, dann riss er sich zusammen und wühlte, bis er hinter mit Laken verhangenen Möbeln eine Truhe fand, die sein Interesse weckte. Der Schlüssel steckte nicht, doch sie war leicht zu knacken. Vendelin öffnete sie mit einem zurechtgebogenen Draht. Sie war unter den Rand befüllt, doch sein Blick verharrte auf dem Ersten, was er sah. Ganz oben lag in einem weichen Körbchen wie in einem Bett eine nackte Puppe mit Holzkopf, Holzgliedern und einem weichen Stoffkörper. Sie stellte kein Kind dar, wie viele Puppen es taten, sondern war den Proportionen und Formen nach ein Mann.


    Mit der Puppe in der Hand sank Vendelin auf dem Teppichboden zusammen. Er betrachtete sie länger, als die anderen Gegenstände. Sie war alt, vermutlich älter als die Maskerade, und sehr abgegriffen. Wahrscheinlich hatte sie Wenzel durch seine Kindheit begleitet. Sie hatte sogar eine geschnitzte Frisur, einen naridischen Seitenscheitel. Hier war sie, die erste Spur von Wenzel höchstselbst, von seiner Kindheit in Naridien. Das Gesicht der Puppe war teilweise mit einer Feile entfernt worden, die Spuren waren noch deutlich zu sehen. Das Holz war dort viel heller. Die Augen und das Innenleben der Ohren waren von dem naturgetreu geschnitzten Holzkopf heruntergefeilt worden. Es war, als hätte Wenzeln versucht, die Puppe ihrer Sinne zu berauben. Taubblind war sie vielleicht ein kleiner Stellvertreter für Wenzel selbst, der in seiner falschen Identität gefangen versuchte, zu vergessen, wer er einst gewesen war. Diese Puppe repräsentierte vielleicht sein früheres Selbst und war ihm Gefährte im Leid. Doch der Mund der Puppe war erhalten geblieben. Sie musste sprechen können, um zu lügen.


    Was auch immer Wenzel mit der Zerstörung tatsächlich beabsichtigt hatte - die taubblinde Puppe sagte viel über seinen inneren Zustand aus. Er hätte sie entsorgen oder vernichten können, wenn ihre Gegenwart ihm Unbehagen bereitete. Stattdessen hatte er seinen kleinen Begleiter aus Kindertagen mit der Präzision eines Chirurgen verstümmelt, so dass er sein Leid teilten musste. Trotz allen Unbehagens hatte Wenzel sich an ihn geklammert, ihn in unschädlich gemachter Form behalten und ihn in einer Truhe versteckt wie in einem verborgenen Gefängnis. Interessant war auch der Umstand, dass der weiche Stoffkörper nackt war, bloßgestellt, verwundbar. Die Kleider der Puppe - eine Hose, ein Hemd und eine Jacke, sowie kleine Schuhe, alles naridisch - lagen gesondert in einer winzigen Puppentruhe. Und in dieser war noch eine weitere Puppe verwahrt, das winzige Äquivalent zu jener, die Vendelin gerade in der Hand hielt.


    »Ach, Papa«, seufzte Vendelin.


    Er nahm die unbekleidete Puppe samt ihrer Truhe mit sich. Die kleine Truhe stellte er auf den Nachttisch neben seinem neuen Bett. Seine alte Schlafstatt, in der die Leiche seiner Mutter geruht hatte, hatte er schon vor Jahren gemeinsam mit Wenzel verbrannt und sein ehemaliges Zimmer in ein Alchemielabor umgebaut. Vendelin war damals umgezogen ins Gästezimmer. Hatte er als Kind noch im Bett seiner Mutter geschlafen, als würde er auf den heimkehrenden Wenzel warten, so hatte er damit aufgehört nach Wenzels Tod. Die leere Betthälfte war nicht zu ertragen gewesen. Vielleicht sollte er das Haus noch weiter umräumen.


    Er kleidete die Puppe liebevoll an, setzte sie vor die Truhe und lehnte sie mit dem Rücken dagegen, so dass er sie vom Bett aus dort sitzen sehen konnte. In die Holzhände legte er ihren winzigen Puppenkollegen, eingeschlagen in ein kleines Tuchstück wie ein Kind. Dann wanderte er weiter durch das verwüstete Haus. Vielleicht sollte er es nicht nur umräumen, sondern gänzlich entleeren und komplett neu einrichten, die Wände anders bemalen, die Teppiche herausreißen. Doch allein der Gedanke daran trieb ihm erneut die Tränen in die Augen. Dass hier war alles, was ihm von seinem Vater geblieben war: ein viel zu großes Haus und ein noch größeres Geheimnis.

    "Patrice ist bei Tekuro. Und als neuer Palaisin des Duca ist Tekuro bei diesem im Palast. Der Duca ist magisch zu erreichen, er kann Patrice einfach mit einem Prachtadler hierher schicken. Gleichzeitig schicken wir einen Brief an Kazrar in Schönschrift."


    Vendelins Gesicht nahm einen milden Ausdruck an.


    "Hector, du musst die Jagdgründe und die Beute kennen, damit die Jagd ein Genuss wird und du auch kapitale Beute schlagen kannst anstelle kleiner Fische. Ich werde dich einführen in diese Welt, sobald wir die Zeit finden. Und dein kleiner Kakko kann so viel Milch trinken, wie er möchte - wir alle haben unsere kleinen oder größeren Geheimnisse. Um die Gesundheit meines Sohnes mach dir keine Sorgen. Patrice ist ein erfahrener Agent."

    Vendelins Brauen wanderten bei Hectors Tirade immer höher, bis seine Stirn falten schlug.


    "Mein lieber Hector, ich bin schockiert von deinen Gedanken. Der Duca trank natürlich nicht in der Öffentlichkeit aus der Brust. Die meisten wissen nicht einmal von diesem Faible, aber ich bin ein Wigberg und darum sind mir solche Dinge vertraut. Ebenso wie der Umstand, dass eine einzige Amme keinen erwachsenen Mann ernähren könnte; er hatte ein ganzes Heer von Ammen, die er allesamt abgöttisch geliebt hat. Zudem wäre eine Amme längst tot bei einer Giftmenge, die den Duca umbringen würde, zumal ihr Körper das Gift zu einem gewissen Maß filtert. Dafür, dass dich das nicht interessiert, lieber Hector, hast du dich ziemlich detailliert darüber ausgelassen. Gibt es dafür einen Grund?"


    Vendelin musste sich zusammenreißen, es nicht zu übertreiben, er fand die Situation ausgesprochen komisch. Hector hatte bei seinem Mündel tatsächlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte, mit einer Ausnahme - er liebte seinen Sohn.


    "Ob Arashi Milch vertragen, ist leicht herauszufinden. Teste es, es gibt genügend in den Ställen. Warum du Patrice einen Keuschheitsgürtel verpassen möchtest, ist mir schleierhaft. Damit nimmst du ihm eine entscheidende Handlungsmöglichkeit."

    "Richtig, Moritz und Patrice sind zwar nicht deine Kinder, aber sie gehören dennoch über mich zu deiner Familie, so wie ich auch für Kakko einstehen würde." Zu dessen Eignung Vendelin dem Schatten vollkommen zustimmte.


    "Apropos Milchtrinker ..." Vendelin konnte es sich nicht verkneifen in der Gleichen Wunde zu bohren. "Bei manchen Völkern geht man davon aus, dass Muttermilch auch für Erwachsene gesund und förderlich ist. Der Großvater des heutigen Duca di Ledvico soll sich von nichts anderem als Ammenmilch direkt aus der Brust ernährt haben, da er fürchtete, man könnte sein Essen vergiften. Offenbar frönen auch einige Ohnezähne des Zirkels diesem Fetisch."


    Er schmunzelte einen Hauch breiter und drehte Däumchen.


    "Eine Sicherung für Patrice, na, da bin ich gespannt. Er war bisher stets seine eigene Sicherung. Was stellst du dir vor?"

    "Patrice hat eine Nahkampfausbildung, allerdings hat er die in einem anderen Körper absolviert. Wie er sich in diesem schlägt, weiß ich nicht. Natürlich würde ich meinen Sohn als Köder einsetzen - wem könnte ich mehr vertrauen? Dazu wurde er schließlich auch ausgebildet."


    Dass Patrice sich an Hector herangewanzt hatte, wunderte Vendelin überhaupt nicht, es wäre eher merkwürdig, wenn Patrice plötzlich seinen Sinn für Anstand entdecken würde.


    Vendelin musterte den Schatten, der gerade eine Grimasse zog. "Möchtest du etwas anmerken, Urban?"

    "Volle Zustimmung, die eigenen Kinder und die der Familie anzugehen, ist ein Verbrechen, heute genau so wie damals schon, nur ahndete es niemand."


    Vendelin verschränkte vornehm seine gepflegten Hände, wobei seine Bewegungen ganz weich wirkten. Nichts ließ darauf schließen, wofür er ausgebildet worden war, wenn man es nicht wusste. So, wie er da saß in seiner altbackenen Kleidung und mit dem spießigen Gebaren, wirkte er noch immer wie der perfekte Buchhalter.


    "Was haltet ihr von meinem Vorschlag, Kazrar über Patrice an einen Ort zu locken, wo wir ihn festsetzen?"

    "Kazrar mag dem Blute nach ein Wigberg sein, doch er benahm sich nicht wie einer. Mein Vater war ihm sehr verbunden, das weiß ich. Wenzel war der Junge, der Kazrar im Zirkel willkommen hieß und sein Spielgefährte wurde. Ich folgte dem Wunsch meines Vaters und wachte meinerseits über Kazrars Sohn. Wenn ausgerechnet ich dennoch Kazrar dem Gericht der vereinten Häuser der Sippe vorführe, könnte die Botschaft nicht deutlicher sein. Ich sehe keinen Anlass, den Wunsch meines Vater weiter zu interpretieren als notwendig. Mein Auftrag lautete, Tekuro zu schützen und dem kam ich nach. Was dessen Vater betrifft, so sehe ich keine Verpflichtung, ihn zu schonen."

    "Manfredo durch Archibald erledigen zu lassen, ist eine blendende Idee, das spart uns viel Arbiet. Kazrar soll also die Nummer eins sein", wiederholte Vendelin. "Ihn einzuladen, so dass er von allein zu uns kommt, dürfte leicht sein, denn Kazrar ist sozusagen mein Schwager. Sein Sohn Tekuro war einst meinem Sohn sehr zugetan, was überaus praktisch ist. Besser gesagt, dessen gespielter Persona Patrice, bevor sie sich als Seelenscherbe verselbstständigte und in einen eigenen Körper zog, um ein neues, autarkes Leben zu beginnen. Dennoch erhebe ich Anspruch auf dieses künstliche Wesen, es ist Produkt meiner Familie und Teil meiner Familie. Wir könnten vorgeben, bezüglich einer Hochzeit von Tekuro und Patrice mit Kazrar verhandeln zu wollen und wer würde Nein sagen, wenn die Möglichkeit besteht, in eine Familie wie die unsere einzuheiraten? Und dann schnappt die Falle zu."

    Dieses Buch schließt nach den Ereignissen der Jungfernfahrt der Tordalk an.

    << Kapitel 46 - Wenn der Aal auftaucht

    Die Jagd beginnt

    "Wir haben hier eine Tabelle mit den Namen und den Daten von jenen, die gegen das Gesetz der Sippe verstießen und nun die Antwort erhalten werden", erklärte Vendelin und schob Hector eine Liste hinüber. "Alles, was ich zu diesen Männern und Frauen in Erfahrung bringen konnte, findest du in Kurzfassung dort, weitere Akten stehen mir zur Verfügung. Im Anhang sind die Namen ihrer Helfer und weiterer Kontaktpersonen. Mit dieser Kurzfassung sollten wir uns zunächst eine Orientierung schaffen, eine Reihenfolge festlegen und dann blasen wir zur Jagd."


    Er gab Hector Zeit, sich die Tabelle und die Anhänge zu Gemüte zu führen.


    "Primäres Ziel ist es, die inneren Bande der Sippe zu stärken, indem wir ein Exempel statuieren. Wer sich an den unseren vergreift, wird bestraft, auch rückwirkend. Beispielhaft soll der erste Vergeltungsschlag für die Verbrechen an Davard von Hohenfelde erfolgen. Die Namen der Täter stehen daher ganz oben. Sie alle sind gewöhnliche Sterbliche, mit Ausnahme von Archibald von Dornburg, dem Vampir."


    Vendelin tippte auf die Tabelle.


    "Nachdem die Sippe durch den symbolträchtigen Akt der Rache innerlich gestärkt wurde und auch dem letzten Zweifler in unseren Reihen bewiesen wurde, das der Zusammenhalt sich lohnt, werden wir uns gemeinsam dem großen Verbrecher Dunwolf zuwenden. Dunwolf, dem Ältesten, Dunwolf, dem Herrn aller Grausamkeit. Einen solchen Gegner fällt man nicht nebenbei, auch wenn er durch den Verlust seiner beiden Seelenanteile merklich geschwächt wurde. Mit dem Artefaktschwert Schattenschlinger kennen wir zudem die Waffe seiner Vernichtung. Es ist jedoch nicht nur seine schiere Macht, sondern vor allem die jahrhundertealte Listigkeit, die ihn so gefährlich macht. Hast du bis hierhin Fragen oder Anmerkungen?"