Beiträge von Ditzlin von Wigberg

    "Zerstört und zu neuer Herrlichkeit zusammengefügt ist nicht kaputt", beharrte Ditzlin. "Eine Vase ist nur ein Gefäß. Eine Vase, aus Scherben gefügt, ist Kunst und wer sie falsch berührt, wird bluten."


    Während er seinen Mann streichelte, fiel sein Blick auf den schlafenden Nicodemus. Ditzlin wurde von solcher Liebe ergriffen, dass es ihm körperlich regelrecht weh tat. Die Vorstellung, dass da draußen drei Mörder lauerten, um dieses wunderbare Kind zu verletzen und zu quälen, war für ihn unerträglich. Das würde er nicht zulassen. Und entgegen zu den meisten anderen Wigbergs war das Verbergen allein nicht sein Ding. Ditzlin war auffällig, er war präsent und er zeigte seine Klauen und Zähne, wie es ein jeder gebürtiger Hohenfelde tun würde. Und er würde sie ebenso erbarmungslos benutzen.


    Er schenkte Indutiomarus einen Kuss, dann zog er ihn auf die Füße. Er nahm das Gefäß mit Nicodemus, schlug es dick in ein Tuch und trug es mit sich. "Komm, Liebster. Unser Bett ruft. Morgen machen wir uns gestärkt auf den Weg zu Enderlen."

    "Er hat dich nicht zerstört, Indu, denn du bist hier, bei mir. Er hat dir etwas geraubt, das niemand dir zurückgeben kann. Aber er trug nicht den Sieg davon, er starb durch deine Hand und du bist noch immer auf Asa Karane. Und du bist nicht allein, du bist nicht länger der ängstliche Junge, du bist Indutiomarus, der Herr des Schmerzes und der Dunkelheit. Und du wirst geliebt von einem, der deine Leidenschaften teilt und der stets an deiner Seite steht."


    Er drückte seine Handflächen fest in die Wunden, als er seinen Mann an sich drückte und lange küsste.


    "Wenn du Enderlen zum Verbündeten wünschst, so wähle ein Geschenk in geistiger Form. Wissen. Teile etwas von deinem Wissen mit ihm, das dir nicht weh tut, aber keine Bagatelle ist, sondern echten Wert für Enderlen hat. Es muss bedeutsam sein. Und versuche nicht, ihn zu belügen, die meisten Wigbergs merken dass, selbst wenn sie das nicht sofort zeigen, vielleicht auch nie. Sie stellen sich gern unwissend und testen. Ich sagte ja bereits, sie sind das Gegenteil der Hohenfeldes. Wo deine Söhne mit ihrer Stärke und ihrer Macht protzen, stellen die Wigbergs sich harmlos.


    Du musst keine Angriffe fürchten als Gast in Enderlens Hallen. Abgesehen davon, dass du mein Mann bist, werden Gäste bei ihnen stets gut behandelt, auch die ungebetenen. Die Zungen der Häuser kommen lieber zu ihnen als zu jedem anderen. All das ist nur bedingt ein Zeichen tatsächlicher Freundlichkeit, es ist Teil ihrer Strategie. Aber es kann nicht schaden, zu wissen, dass du keiner Leibwachen bedarfst, wenn du meinem Vater einen Besuch abstattest. Lass ihn uns nur zu zweit besuchen. Das wird ihn überraschen - und neugierig machen.


    Und was die Bestenauslese angeht - wer der Beste deiner Söhne ist, hast du bereits entschieden."


    Er küsste seinen Mann ein weiteres Mal.


    "Mach dir um sie keine Sorgen."

    Indutiomarus hatte nicht mehr lange zu arbeiten. Einmal mehr zeichnete ihn Ditzlin mit Rot und Weiß, so wie Indutiomarus ihn wenige Stunden zuvor gezeichnet hatte. Als Indutiomarus sich anschließend auf ihm zur Ruh bettete, fühlte er sich leicht an. Er war größer als Ditzlin, aber wog weniger, er war mager bis zur Knochigkeit. Ditzlin bettete seine Hände auf seinem Rücken, so dass Indutiumarus sie schützend und warm auf sich Ruhen fühlte. Das nun folgende Streicheln war intensiv, da Ditzlin genau durch die Schnitte strich, damit Indutiomarus sich auf das Hier und Jetzt konzentrierte.


    "Für das Vertrauen besten Dank und für die Information, dass das Scheusal sein verdientes Ende erlangte. Was er dir antat, brauchst du nicht auszusprechen, ich kann es erahnen. Er beging das letzte Verbrechen, das einem Tabu unterliegt, jenes, das selbst unter den sechs Häusern geächtet ist, von denen keines sich der Sanftmut rühmen kann. Warum fürchtete er dich? Aus dem Grunde, wie auch du deine Söhne erziehst? Fürchtete er, durch deine Hand zu fallen?"

    Ditzlins Augen weiteten sich, als er den Jungen erkannte und die Bedeutung der Geste. Du gehörst mir, ich kann mit dir tun und lassen, was ich will. Was das alles gewesen sein mochte, konnte Ditzlin nur Raten, aber der Gesichtsausdruck des Kindes verriet, dass es nichts Gutes war. Warum Indutiomarus nun daran dachte oder an den Besuch von Enderlen, war leicht zu erklären - er entspannte. Dann gingen seine Gedanken, die sonst fokussiert waren wie ein Speer, auf die Reise.


    Das Bild verschwand, er lag erneut auf dem Boden des Labors. Die Meeresbrise wurde vom scharfen Gestank nach Lösungsmittel hinweggeweht. Indutiomarus hatte nicht aufgehört, ihn zu reiten. Das Alter hatte ihm kaum etwas von seiner Elastizität und Ausdauer geraubt. Ditzlin griff nach vorn, um ihn fest zu massieren, während er ihn von unten durchschüttelte und Nico in seinem Glas guckte, was sie trieben.


    "Wir besuchen Enderlen, wann immer es dir beliebt ... meine schwarze Lilie ... dieser Mann, wie hieß er? Ist er noch da draußen und wartet auf seinen Dolch? Wenn du es nicht vermagst ... ich vermag es für dich."


    Ditzlins Hoden genossen die Massage und der Geschmack von ihrem Blut war köstlich. Eine von Indutiomarus' Händen lag noch auf seiner Brust. Ditzlin umschloss sie und presste fest, trieb sich die Klauen in die Haut. Mit tiefem Stöhnen bäumte er sich unter ihm auf, zog ihn zu sich hinab, ließ nun seinerseits die Klauen über den dürren Rücken gleiten, wo sie auf jeder Rippe einen Schnitt hinterließen.

    Ditzlin schmunzelte, als ihr Söhnchen kleine Knurrlaute von sich gab. In dieser Größe klang das noch niedlich, in einigen Jahren würde dieses Geräusch eine ganz andere Wirkung haben. Wobei es im Moment so schien ... war das ein Schnurren?


    Indutiomarus Arm zog sich fester um seinen Hals. Ditzlin wandte seine Aufmerksamkeit seinem Mann zu, den Mann, mit dem er heute auf magischem Wege Vater eines gemeinsamen Kindes geworden war. Sie waren Väter ... konnte man jemandem eine schönere Liebeserklärung machen? Ditzlin verwandelte das Ziehen von Indutiomarus in ein Schieben seinerseits. Indutiomarus sank rücklings auf den Boden. Hart war es da, doch hart war auch der Thron, auf dem er saß.


    In diesem Moment fasste Ditzlin einen Entschluss. Er würde nicht warten, bis Indutiomarus seine anderen drei Söhne eigenhändig beseitigt hatte. Er würde das für ihn tun. Sie wurden ihm langsam zu gefährlich, er sah, wie sie ihre Bündnisse schmiedeten, ihre Fäden enger um den Mann zogen, den er liebte. Indutiomarus brauchte sie nicht mehr. Er hielt sie ohnehin für Schwächlinge. Ditzlin würde ihm die Arbeit abnehmen. Zum Wohl des Indutiomarus von Hohenfelde, zum Wohl ihres Sohnes! Der Entschluss beflügelte seine Lust. Oh, sie würden leiden, daran hatte nicht nur Indutiomarus Freude. Sie teilten diese Leidenschaft.


    Er senkte seinen Körper auf Indutiomarus nieder. Sein Blick loderte vor Verlangen, als er sich den Raum schuf, den er mit seinem Körper in ihm beanspruchte. Er schonte den alten Mann nicht. Ihn zu schonen, käme einer Beleidigung gleich. Ditzlin liebte ihn mit ungezügelter Leidenschaft, Schweiß trat auf ihre Haut und in den Regalen klirrten die Gläser im Takt.

    "Doch es ist keine Zier, Indu", antwortete Ditzlin und schmunzelte, als ihr Söhnchen versuchte, seinen Vater zu beißen, obwohl sein Mund noch nicht einmal die Fingerkuppe hätte umschließen können. "Es handelt sich um eine Strategie. Eine, die sich bewährt hat. Ich sage das nicht, um die deine herabzuwürdigen ... sondern als Tipp, einmal vorbeizuschauen bei Fürst Enderlen. Es ist still im Hause Wigberg hinter den vier Bergen, doch glaub mir, dort herrscht mehr Leben als noch anderswo. Und ob es hinter den Horizonten Lande gibt, die lohnen, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht sind sie so wie dieses am ausbluten? Darum meine Bemerkung. Vielleicht kennt mein Vater Mittel und Wege, die auch deiner Magie nützen könnten. Einige von den Kaltenburgs sind daran interessiert ... wir stehen in gutem Kontakt zu ihnen. Mir wäre daran gelegen, wenn es nicht sie sind, sondern Hohenfelde, die von der Kunst meines Vaters profitieren.


    Unseren Nicodemus zu verbergen, halte ich für den besten Weg. Er ist zwar ein winziger Mann, aber dennoch auch eine Art Baby."

    Ditzlin drehte den Stuhl, so dass die Lehne nach hinten zeigte, und zog sich Indutiomarus auf den Schoß. Einfach aufzustehen und ihm den Platz anzubieten wie einem Greis, wäre ein Unding gewesen. Man wies einen Hohenfelde nicht auf eine Schwäche hin und so umging Ditzlin elegant diesen lauernden Fauxpas. Die Fürsorge gegenüber Indutiomarus musste anders aussehen als das, was andere unter Fürsorge verstanden ... eine stetige Huldigung und Ditzlin huldigte ihm nur allzu gern. Es wurde ihm mehr als nur vergolten.


    Er strich das lange Haar mit der Nase aus Indutiumarus' Nacken und biss zärtlich hinein. Sacht nur heute, ohne ihn zu verletzen, denn er hatte genug geblutet.


    "Er ist wundervoll. Und ich denke, die Perfektion ist dir gelungen. Er hat keinen Makel. Er wird geistige Qualitäten entwickeln müssen, um das lebensnotwendige Blut zu erjagen, denn seine Beute ist stark und wehrhaft und nicht minder gerissen, wenn er es nicht nur auf Sklavenblut abgesehen hat und auch das wird es einst nicht mehr geben. Wir verbrauchen diese Insel immer schneller, alle Magier von Asa Karane tun das, denn jeder spürt, dass das Ende naht. Alles, was uns bleibt, ist die anderen nach und nach auszulöschen, um ihren Verbrauch zu beenden und unseren eigenen zu reduzieren.


    Die Drosselung des Verbrauchs ohne Einschränkung der Sicherheit wäre der Garant für das dauerhafte Überleben. Das ist, woran das Haus Wigberg arbeitet. Sie sind extrem sparsam im Verbrauch ... und dennoch sind sie noch hier, als ein Haus von nur sechsen."

    Das Ritual war längst beendet, doch der Zauber ungebrochen, der sich in Ditzlins goldbraunen Augen spiegelte. Er aß nicht, er trank nicht, er saß nur auf dem Holzstuhl des Labors und betrachtete seit Stunden ihren gemeinsamen Sohn. Die Lehne hatte er nach vorn zwischen seine Beine gedreht, so dass er die Unterarme auflegen und sein Kinn darauf betten konnte. Sein Blick war auf das Glas auf dem Tisch gerichtet, das genau vor ihm stand, sicher eingefasst, so dass es nicht herunterfallen konnte.


    Und er sang. Leise und schön klang seine Stimme.


    "Nicodemus, Hohenfeldes Sohn,

    geliebtes Kind seiner Dunkelheit

    Spürst du den Lebenshunger schon?

    Möge die Nacht dein Schutzmantel sein.


    Nicodemus, Wigbergs Sohn,

    geliebtes Kind seines Wissens Schein.

    Spürst du auch den Wissendurst schon?

    Möge die Neugier dein Leuchtfeuer sein.


    Nicodemus, reinster Sohn,

    aus zweier Väter Blut gemacht,

    geleitet von Licht, umarmt von der Nacht,

    wir lieben dich, darum fürchte dich nicht."


    Man sagte es so alltäglich dahin, von wem man abstammte, doch dieses Wesen war wirklich aus ihrem Blut erschafffen worden und weder Samen noch Schoß hatte es dafür bedurft. Ditzlin leckte mit der Zungenspitze durch die klaffende Schnittwunde an seinem Arm. Er würde sie nicht nähen lassen, er wollte, dass die Narbe so wulstig und deutlich wie möglich wurde.


    "Nicodemus", lockte er mit einer Stimme, die sonst nur Indutiomarus in ihrer Sanftheit kannte. Sein Sohn presste die winzigen Hände an die Scheibe, weil Ditzlin aufgehört hatte zu singen und vielleicht versuchte, er hinter dem Glas etwas zu erkennen. Ob ihm das gelang oder ob seine Äuglein noch reifen mussten, konnte Ditzlin nicht sagen. Sein Gesicht war nur eine Handbreit von dem Glas entfernt. Er öffnete den Verschluss. Nicodemus hatte schon gelernt, dass es gleich Blut gab, wenn der Deckel geöffnet wurde, er wurde nun ganz unruhig. Ditzlin stach mit der Klaue seine Wunde an und fütterte sein Kind erneut, das sich unter dem heißen Tropfenregen wand, während es die Nahrung absorbierte.


    "Nummer vier in der Reihe der Söhne", sagte Ditzlin und verschloss den Deckel sorgfältig wieder. "Nicht lange und dann wirst du Nummer eins sein."

    Ditzlin blinzelte ihn verträumt an, während die Klauen durch sein Haar fuhren, was nicht darüber hinwegtäuschen durfte, dass er putzmunter war. Als Wigberg hatte er einen anderen Tag-Nacht-Rhythmus als sein Lieblings-Hohenfelde.


    "Du sprachst von einem gemeinsamen Kind, wenn ich das recht verstanden habe. Einem Kind von dir und mir. Es hört sich an wie ein Traumgespinst, doch wenn du schon einmal Leben erschaffen hast, kannst du es wieder. Aber wie? Wie soll unser Kind entstehen und heranreifen? Ich stellte es mir vor, sein schönes Gesicht, dachte daran, welch edles Geschöpf daraus erwachsen müsste, wenn wir uns körperlich vermählen könnten in fruchtbarer Weise. Unsere Herrlichkeit würde sich potenzieren, denn an uns sind keinerlei Makel zu finden. Es wäre das schönste, das machtvollste Wesen unserer Insel. Aber es wäre auch in höchster Gefahr, so lange es jung ist.


    Drei, Indu. Drei Söhne hattest du stets. So viele sind es nun. Aber wie viele Drei gab es zuvor? Arbogast als Ältester wird wissen, dass seine Tage gezählt sind, wenn unser Kind im Thronsaal dem Hofstaat vorgestellt wird, damit sie seinen Namen preisen und seine Brüder ihn verfluchen können. Und auch die Sanduhr der beiden anderen rieselt alsdann schneller, denn deine Söhne scheinen mir stets annähernd gleich alt zu sein. Das wird sie aggressiv machen und ein Baby bedarf des Schutzes, es kann nicht Werkzeug der Selektion sein, so lange es hilflos ist. Wie gedenkst du zu verfahren?"


    Der Gedanken an ein gemeinsames Kind erschien Ditzlin merkwürdig, waren sie beide doch nur dazu bestimmt, Kinder zu zeugen, doch wie sollte es ausgetragen werden? Seine langen Klauen verletzten Indutiomarus nicht, als Ditzlin die in samtgleiche Haut geborgenen Juwelen streichelte.


    "Aber ich dachte an mehr, noch, an den Anbeginn des Lebens auf Asa Karane, oh Stern der Finsternis", säuselte Ditzlin. "Denn wie kam es, dass die Wege der Häuser sich trennten? Und wie entstand Wigberg, sofern du davon weißt?


    Und eine letzte Frage vorerst. Ich gehe nicht davon aus , dass ein Mann wie du über all die Jahrhunderte einseitig lebte und dem körperlichen Genuss allein frönte, ohne die anderen Freuden, die wir beide nur teilen. Ich fragte mich, ob es vor mir bereits einen Ditzlin gab und was mit ihm geschah?"

    Als Ditzlin erwachte, war es finster. Das Meer war fort, der Strand, die Blumen. Die Gegenwart hatte sie wieder. Er spürte den harten Leib von Indutiomarus hinter sich liegen, fühlte ihn atmen und das Herz gleichmäßig pochen. Sein pechschwarzes Haar ruhte auf Ditzlins Flanke, zusammen mit der klauenartigen Hand, die nun ganz schlaff war. Ditzlin war glücklich, wie immer, wenn sie beide sich dermaßen innig Zeit füreinander nahmen und die Intrigen und das ewige Spiel draußen vor der Tür beließen. Diese Stunden waren wertvoll und nach Ditzlins Dafürhalten zu kurz. Er umschloss Indutiomarus' Handgelenk mit den Fingern und zog ihn noch fester an sich, wobei er eine halbe Rolle vollzog, so dass sein Mann halb auf ihm zum Liegen kam.


    "Liebling", sprach Ditzlin sanft, um ihn schonend zu wecken. "Liebling, ich möchte noch ein wenig mit dir Reden und die Zeit nutzen die wir haben."


    Er drehte sich in die andere Richtung, Indutiomarus entgegen und nun lagen sie Bauch an Bauch. Durch die schmalen, trockenen Lippen blitzten die Zähne, nicht minder scharf wie die von Ditzlin. Ditzlin ließ keinen Zweifel daran, dass er die Ideologie von Indutiomarus aus ganzen Kräften unterstützte, er trug die gleichen Zähne, die gleichen Klauen und sie teilten ganz ähnliche Neigungen. Er hatte mitunter eigene Vorstellungen, sicher, nicht alles war ihm verständlich, war er doch gänzlich anders erzogen worden, doch nach außen hin waren sie eine einzige Macht und Ditzlin würde seinem Mann nicht öffentlich widersprechen oder an ihm zweifeln.


    "Ich habe über die Erinnerung nachgedacht, die du mir gestern gezeigt hast und über deine Worte, die gleich edlen Blutstropfen in mein Gehör perlten."

    Wie immer leistete Ditzlin keinen Widerstand, als Indutiomarus in seinen Geist eindrang. Jede Weigerung wäre vergebens gewesen und hätte nur unnötigen Schmerz verursacht. Locker lassen ... geistig wie körperlich. Indutiomarus konnte bei Ditzlin etwas spüren, dass er von seiner Familie nicht kannte, vielleicht von überhaupt keinem anderen Menschen: Vertrauen. Ditzlin liebte ihn mehr, als jeder andere den uralten Magier liebte und er war vielleicht der einzige, der ihm vertraute. Ob das Vertrauen berechtigt war, wusste Indutiomarus allein. Ditzlin war bereit, es darauf anzulegen, sich völlig in seine klauenbewehrten Hände fallen zu lassen, auch auf die Gefahr hin, eines Tages zerrissen zu werden. Mit einer Liebe, die jeder Beschreibung spottete und die Harubold völlig verkannte, blickte er den hageren alten Mann an, strich ihm nun seinerseits mit den eigenen schwarzen Klauen über die Haut. Sie waren so unterschiedlich und doch so gleich ... sie waren die Sonne und der Himmel, sie waren Daibos und Oril, untrennbar, wenn es nach Ditzling ginge, auch wenn er wusste, dass er nicht der Einzige im langen Leben von Indutiomarus gewesen war und auch nicht der Letzte bleiben würde.


    Ditzlin gab sich dem Erinnerungsgespinst hin. Er sah, wie sie strandeten und wie sie fielen und nur wenige überlebten. Ein Theaterstück voll Schönheit, Schmerz und Nostalgie, dem er gern beiwohnte.


    Als die Wellen das Bett küsten, erhob er sich, stieg zwischen Indutiomarus Beine und lehnte sich nach hinten an ihn an. Gemeinsam blickten sie über die wogende See. Er spürte die Rippen an seinem Rücken, die sich sanft hoben und senkten, darunter schlug das Herz, das nicht ganz vollkommen finster war.


    "Die Blumen ... dein Garten."


    Er griff nach der runzligen Hand und küsste sie liebevoll. Natürlich war es die Macht von Indutiomarus und die Grausamkeit, zu der er fähig war, die Ditzlin gereizt hatte, doch das war nicht, warum er nun hier war. Inmitten all den Speichelleckern und Arschkriechern wie Vanessa gab es einen, der den alten Mann aus ganzem Herzen liebte und nur ihn. Wenn Harubold tatsächlich genau so empfand für Dunwolf ... Ditzlin dachte scharf nach.


    "Du solltest die Liason zwischen Harubold und Dunwolf unterbinden, bevor sie zu fest wird. Mit Harubold hätte er eine zuverlässige und effektive Waffe in der Hand. Eine, die kein Interesse am Platz an der Spitze hat, sondern an ihm. Harubold würde ihm so wenig einen Dolch in den Rücken rammen wie ich dir, mein Gemahl.


    Ich bin freundlich zu meiner Umgebung, weil ich auch nicht den gezogenen Dolch vor mir hertrage, wenn er Blut kosten soll, sondern ihm verborgen im Ärmel trage. Aber Leopoldius schafft es, dass ich ihm den Dolch an die Kehle halten will. Bevor du nun deine Klauen in mein Fleisch schlägst, wisse, dass ich deine Regeln akzeptiere und keinen Hohenfelde anrühren werde in dieser Weise. Nur ein Hohenfelde hat das Recht, einen Hohenfelde zu töten. Ich weiß es und ich füge mich diesem Dekret, auch wenn es mir schwer fällt, an seinen Sinn zu glauben, aber ich wuchs auch anders auf.


    Die Lebenden, die du aus den Überresten der Gefressenen schufst ... wer waren sie? Und wie hast du das bewerkstelligt, oh Blume der Finsternis?"


    Eine Zunge, genau so lang und wendig wie die von Indutiomarus, strich ihm von unten über den Kiefer.

    Ditzlin hatte sich recht schnell wieder gesammelt. Zum einen war er trotz seiner bisweilen tuckigen Erscheinung robust. Zum anderen lag er gerade in einer regenerierenden Brühe. Er schlug die goldbraunen Augen wieder auf und sie blickten sanft.


    "Ein Blutttausch. Wie romantisch!"


    Geschmeidig erhob er sich aus der Wanne. Sein Leib war schlank, aber nicht hager. Er war ausreichend bemuskelt, um im Notfall auch körperlich kämpfen zu können, wenngleich er dies verabscheute. Gegen Leute wie Harubold hätte er jedoch keine Chance. Dafür musste er sich anderer, besserer Waffen bedienen. Nicht, dass er damit rechnen würde, dass sein kleines Brüderchen ihm je den Degen auf die Brust setzen würde. Sie waren Wigbergs und sie hielten zusammen.


    Er stieg aus der Wanne und trocknete sich ab, ehe er Indutiomarus nackt ins Schlafzimmer folgte. Sein Haar wirkte nass, als wäre es schwarz. Er sah den Hohenfeldes nicht unähnlich auf den ersten Blick. Auf den zweiten sah man, dass er weichere Gesichtszüge hatte, vollere Lippen und eine völlig andere Augenfarbe.


    "Was bietet die Zunge denn im Namen ihres Herrn? Und warum spricht sie dafür mit Arbogast und nicht mit dir?


    Was deine Söhne betrifft, so muss ich sagen, dass Poldi mich nicht ausstehen kann und ich darum nicht einsehe, warum ich mich ihm gegenüber freundlicher als nötig verhalten sollte."

    Ditzlin ließ seinen Kopf widerstandslos am Haar in den Nacken ziehen. Die zärtliche Begrüßung ließ die Anspannung aus seinem Gesicht weichen. Er schenkte seinem Mann ein Lächeln.


    "Offenbar muss ich dir meinen - oder sollte ich sagen, Dunwolfs? - Gast nicht vorstellen. Harubold ist der zweitjüngste von uns vieren. Leider will nicht in seinen Schädel, dass das Gemisch aus Asche, halbverrotteten organischen Abfällen und Sand, das unsere Insel überzieht, giftig ist. Er trainiert täglich mit den Wigbergkriegern auf dem Drillplatz unter freiem Himmel. Er atmet diese Luft, er trägt den verseuchten Staub in Haar und Kleidung. Er ist jünger als ich, aber er sieht deutlich älter aus. Es tut ihm nicht gut, er wird eines Tages daran zugrunde gehen, doch dann bitte ohne mich. Er hat mich mit seiner dreckigen Rüstung angerempelt, darum habe ich meine Kleider in die Wäsche gegeben und unterziehe mich diesem Bad. Hast du unser Gespräch verfolgt? Weißt du bereits, dass er meint, du seist mein Rettungsanker? Man könnte das fast als Kompliment durchgehen lassen. Mir ist es nur Recht, wenn er mich für dermaßen ..." Er seufzte übertrieben laut. "... kaltherzig hält.


    Welche deiner Söhne sind ausgeflogen? Vermutlich eine Reaktion auf den Gast. Was ist inzwischen mit ihr geschehen, mit der Zunge von Kuttenthal?"


    Ditzlin griff aus der Wanne nach der dürren Hand von Indutiomarus. Sie beide trugen die Nägel als schwarze Klauen, die nun zärtlich umeinander strichen.


    "Dein Hund wünscht vielleicht, meine Wanne auszutrinken. Aber ich würde ihm davon abraten, es sind alchemistische Zusätze beigefügt, nicht nur Blut."

    Zwei Wigbergs in Hohenfelde

    Ditzlin führte seinen jüngeren Bruder von der Rüstkammer in den Flügel von Indutiomarus. Ihre Stiefel knirschten auf den dunklen Steinstufen. Die weichen Stiefel von Ditzlin kaum hörbar, die schweren Kampfstiefel von Harubold laut und schwer. Dass Ditzlin der Ältere von beiden war, war körperlich nicht zu erkennen. Harubold war einen halben Kopf größer, wog fünfzehn Kilo mehr und hatte das ernste und zerbeulte Gesicht eines erfahrenen Kriegers. Ditzlin war kleiner, schlanker und gab sein Bestes, um sein Gesicht auf dem Stand eines Zwanzigjährigen zu belassen, auch wenn er die Dreißig längst überschritten hatte. Das waren die Vorteile, die seine Art von Magie mit sich brachten - wenn man sie denn auf seinem Niveau beherrschte. Sein langes, glattes Haar floss glänzend von seinen Schultern. Das einstige kupferrot war zu einem sehr dunklen, fast schwarzen Blutrot geworden, seit er hier wohnte. Harubold hingegen hatte seins zu festen Würsten verfilzt, damit er es nicht zu kämmen brauchte und wirkte heute ein wenig nachlässig rasiert. Aber so unterschiedlich die beiden Brüder vom Äußeren und vom Wesen her auch waren, sie beide stammten aus Wigberg und das finstere und bedrückende Gemäuer von Hohenfelde über dem Kopf zu wissen, war für sie keine Selbstverständlichkeit.


    "Ich verstehe nicht, wie du es hier auf Dauer aushältst", murrte Harubold und blickte die Wand aus blanken Gesteinsquadern hinauf, die doppelt so hoch war, wie es bei den Räume in ihrer Heimatburg war. "Kein bemalter Putz, kaum Teppiche. Dieser Herrensitz sieht aus wie eine Kathedrale der Finsternis, aber nicht wie eine Wohnung."


    "Es ist eine Kathedrale der Finsternis", antwortete Ditzlin. "Indutiomarus´ Kathedrale. Kannst du dir ein würdigeres Anwesen für ihn vorstellen?"


    Harubold betrachtete zweifelnd eine Fackelhalterungen in Gestalt einer enstellten Hand. "Aber wie kann er sich hier wohlfühlen? Oder erwarten, dass seine Familie es tut? Asa Karane ist heruntergekommen genug. Da sollte es wenigstens in den eigenen vier Wänden so behaglich wie möglich sein."


    "Da missverstehst du etwas, Haru. Hohenfeldes sind keine Wigbergs. Es liegt Indutiomarus fern, je zu wünschen, dass sich hier irgendjemand wohl fühlt. Immer wachsam, immer auf der Hut sollen seine Söhne sein. Die Gefahr ist allgegenwärtig und das sollen sie nicht vergessen. Nur so haben sie bis heute überlebt, denn in jeder Mauerritze kann der Tod lauern. Asa Karane stirbt, die bewohnbaren Flächen schmelzen wie Eisschollen in der Sonne. Ein Nebeneffekt unserer magischen Aktivitäten. Je knapper das Leben wird, umso weiter sich unsere Zeit gen Ende neigt, umso agressiver und rücksichtsloser werden die letzten Ressourcen verschlissen um der Letzte zu sein, der zum Schluss noch am Leben ist. Am Ende aller Tage wird nur noch ein Haus übrig sein, das weißt du so gut wie ich, das weiß jeder."


    "Aber du kannst nicht wollen, dass es Hohenfelde ist."


    "Nicht?", flötete Ditzlin. "Mir ist der Name vollkommen gleich. Meinetwegen könnte er auch Kaltenburg oder Ratzenreuth lauten, so lange für mich und meine Nachkommen dort noch ein Plätzchen frei ist. Auf unser Blut kommt es an, Haru, das Blut der Wigbergs muss überleben. Erkannt oder unerkannt."


    Harubold nickte langsam. "Ich verstehe. Du bist hier, weil du glaubst, dass du hier die besten Chancen hast, zu überleben." Er machte eine Umfassende Geste. "Ausgerechnet hier!"


    "Wer ist sicherer vor einer Viper, als der Mungo an ihrer Seite? Du bist auch aus anderen Gründen hier, als nur um deinen Bruder zu besuchen. Nicht wahr? Du hast dir ebenso einen Rettungsanker nach Hohenfelde geworfen, nur für den Fall der Fälle. Glaub nicht, dass ich davon nicht wüsste. Ich bin dein Bruder und wie wir alle habe ich die Augen eines Falken, die Ohren eines Luchses und den Verstand eines Schakals."


    "Und die Bescheidenheit eines Pfaus." Harubold grinste, ohne ihm die rage zu beantworten, und rempelte Ditzlin im Gehen freundlich mit der Schulter an.


    Hätte er es nur gelassen.


    Ditzlins soeben noch gut gelauntes Gesicht verwandelte sich in eine Fratze. "Die Robe war frisch", schnauzte er. Mit seinen klauenbewehrten Fingern prüfte er den Stoff an seiner Schulter. "Suuuper! Staub! Bleib mir bloß vom Leib mit deiner dreckigen Rüstung!"


    Harubold blickte ihn von der Seite an, ohne den Kopf zu drehen. "Du bist vorhin an die Wand gekommen. Meine Rüstung ist sauber. Meinst du, ich kreuze wie ein Schwein hier auf?"


    "Mit der Rasur nimmst du es schließlich auch nicht so genau. Alle Einsatzrüstungen sind dreckig! Das ist schließlich keine Paraderüstung! Damit wälzt du dich mit den anderen Soldaten draußen im verseuchten Schlamm, wenn ihr eure Übungen macht! Wenn dir das egal ist, ob du irgendwann von Entartungen entstellt aufwachst und ein weiteres Ungetüm der Wildnis wirst oder ob deine Kinder einst aussehen werden wie wandelnde Trüffel auf Beinen, ist das deine Sache. Aber mir ist das nicht egal!" Ditzlin wurde dermaßen wütend, dass er Harubold auf schnellstem Wege ins Gästegemach führte, obwohl er ihm eigentlich noch den Rest des Anwesens hatte zeigen wollen. Wenn er ihn nach diesem Patzer noch länger sah, würde er anfangen, ihn richtig zu beschimpfen. "Hier wohnst du. Gute Nacht!"


    "Warte, bekomme ich wenigstens noch einen Sklaven, den ich nach etwas zu Essen schicken kann?"


    Harubold bekam statt einer Antwort einen Stiefel gegen den Hintern gedrückt. Ditzlin schob ihn mit dem Fuß in das Gästegemach und schlug hinter ihm die Tür zu. Mit vor lauter Ekel gespreizten Fingern ging er steifbeinig zurück zu der Wohnung, die er mit Indutiomarus bewohnte. Sie lag ganz in der Nähe im gleichen Flügel, denn er wollte seinen Bruder hier nicht allein wissen. Er brüllte nach den Sklaven, die ihn - noch im Gang stehend - auszogen, damit die Verseuchung nicht in die Wohnung hineingetragen wurde. Zwei weitere Sklaven ließen ihm derweil ein heißes Bad ein, das er mit einem alchemistischem Badezusatz nach der Rezeptur Kuttenthals versah. Der Zusatz öffnete die energetischen Kanäle der Haut, wenn man dem gestohlenen Wissen glauben schenken. Ein speziell zu diesem Zwecke gehaltener Sklave, der groß und gut genährt war, musste als Blutspender herhalten für die letzte und wichtigste Zutat des Bades. Mit geübter Hand ritzte Ditzlin ihn an, ließ ihn in eine Flasche bluten und schickte ihn dann zum Heiler. Die Flasche aber entleerte er in die Wanne. Während irgendwo in den Eingeweiden des Anwesens seine verseuchte Robe ausgekocht wurde, ließ Ditzlin sich in das nun rosafarbene Wasser sinken und schloss die Augen. Der Duft des Badezusatzes, die regenerierende Wirkung und der sanfte Kerzenschein halfen ihm dabei, wieder herunterzufahren.