Beiträge von Amias von Wolkenhaim

    "Ich war nie Gabad, Burkhard. Nicht einmal, als man mich als Gefangenen hielt. Es ist nicht die von außen zugesprochene Stellung, die einen zum Gabad macht, sondern man ist Gabad im Kopf oder man ist es nicht. Sieh dir Arkady an - er trägt keine Ketten, er bewegt sich frei, aber ist er es? Gabad zu sein bedeutet, nicht mehr selbst zu denken, sondern die Gedanken des Herrn außerhalb von dessen Hirn fortzusetzen und danach zu leben. Arkady hat kein Selbst, er hat nur seine Funktion als Sklave des Burgherrn.


    Ich hingegen war gefangen im höchsten Turm von Kaltenburg, doch meine Gedanken waren frei. Ich tüftelte und wartete und formte das Beste aus meiner Situation. Irving nannte mich auch nie seinen Sklaven, er nannte uns seine Schmetterlinge. Wir waren ihm kostbar, Cinjamin und ich."


    Er musste sich räuspern, seine Stimmbänder schmerzten.


    "Was das Schiff betrifft", krächzte er heiser, "so war es etwas Besonderes. Auf Asa Karane gab es kein leben mehr, also auch kein Holz. Was schwimmt noch und ist stabil genug, um daraus ein Schiff zu bauen? Das Boot bestand es aus den Knochen unserer Toten und es war beseelt von Thabit von Wigberg. Er hätte es sicher gern versenkt, doch er tat es nicht, denn der Mann, den er liebte, saß mit darauf. Das war besagter Irving von Kaltenburg, der Irre Irving und er wollte seine Ruspanti dabei haben und setzte dies durch. Deine Schilderungen von solchen Situationen sind recht zutreffend."


    Er hustete absichtlich, räusperte sich und schaute, ob es etwas zu trinken gab.


    "Wie passt dein Streben nach Freiheit mit dem Dienst als Soldat zusammen, Burkhard? Und noch eine Frage. Du sagtest, du wärst fast der Mann geworden, der du sein möchtest. Was fehlt dir?"

    Amias machte eine leichte Wischbewegung mit der zarten Hand, es war keine hektische Geste, eher, als würde er einen Schleier mit dem Handrücken beiseitestreichen, um Burkhard betrachten zu können. Was den Generall verwirrte, war vielleicht die Tatsache, dass Amias sich anschmiegsam und fügsam gab, seinem Gegenüber jedoch in die Augen blickte und sein Gang aufrecht war.


    "Heute nennt man es Beißer. Früher auf Asa Karane nannte man es Adel. Man wurde nicht zum Beißer erweckt, man wurde als Edler geboren. Jedoch war es nicht Sitte im Reich meiner Väter, sich die Zähne zu schärfen, denn die von Wolkenhaim aßen nicht reißend wie ein Tier, sondern mit feinem Besteck. Wir waren ein kultiviertes Haus, das den Gesang und die schönen Künste liebte. Trotzdem verzehrten auch wir das Fleisch unserer Feinde, kulinarisch ansprechend angerichtet zu einem großen Fest, denn diese Tage waren ganz besondere Festtage.


    Du hörst, ich war kein kleiner Adliger. Geboren wurde ich als Prinz Amias von Wolkenhaim und mir stand der Thron meines Vaters zu. Ich wäre gewesen, was Prince Dreaux de Souvagne hier in Souvagne ist, wartend auf den Tag, da er das Land regiert. Der Mann, der mich zeichnete, war der Prinz des verfeindeten Hauses, sein Name ist Irving von Kaltenburg. Seine Zähne sind scharf, denn Kaltenburg ist ein Haus von Kälte, Schlamm und Dreck, voll stinkenden Nebeln, aus den Gossen sickernder Krankheit und feuchtem grauem Gestein.


    Wir Ruspanti waren Irving die einzigen Farbtupfer und dafür, dass wir Kriegstrophäen waren, behandelte er uns gut, er wollte, dass wir nicht zittern, sondern gut zu ihm sind, doch natürlich haben wir trotzdem gezittert. Mit den Jahren haben Cinjamin und ich gelernt, mit ihm umzugehen und ihn vielleicht auch ein bisschen zu lenken. Aber pst."


    Er blinzelte vertraulich.


    "Die Plätze auf dem Schiff waren knapp, eigentlich dem überlebenden Adel vorbehalten, doch uns nahm er mit, weil er sich nicht von uns trennen konnte. Der Mann, den er liebte, damit meine ich, den er wirklich liebte auf Augenhöhe, jenen hatte er verloren. Doch er hatte noch mich und ich versprach ihm, Thabit einen neuen Leib zu suchen. Das tat ich und Irving war vieles, aber niemals undankbar und in dieser schrecklichen neuen Welt, die kaum besser war als die alte, etablierte er den uralten Kult der Ruspanti, der einst von den Feuerinseln kam, erstmalig auf dem Festland. Freilich half ich ihm dabei, ich war sein Ideengeber und er freute sich, wenn ich mich freute, auch wenn er es kaum zeigte.


    Du sprichst sehr vornehm, Burkhard Klingenberg, wie kommt das?"

    "Gekränkt wurde ich mitnichten. Es sind doch nur Worte, Burkhard, nichts als Schall, so wie meine Musik. Wie soll Schall mich verletzen, wo mein Körper doch feststofflich ist?"


    Amias ließ sein Gewand wieder fallen. Er setzte sich, als sei nichts gewesen. Im Laufe seines oft unerfreulichen Lebens als Sklave von Kaltenburg hatte er jede Scham verloren.


    "Falls mein alter Herr bemerkt, dass ich die Operation zunichtegemacht habe, könnte er ungehalten reagieren. Heutzutage sind Ruspanti freie Menschen. Doch ich wurde nach altem Recht zu einem gemacht und er gab mich niemals frei. Dass ich hier bin, entspricht nur einer Duldung.


    Deine Welt kenne ich nicht, Burkhard, oder sollte ich sie kennen, da du so selbstverständlich davon sprichst? Spielst du auf die Zähne an oder auf Naridien?


    Heute ist es so, dass Ruspanti sich aus freiem Willen entmannen lassen. So erlischt das Triebfeuer bis auf ein zartes Flämmchen und der Geist ist frei. Ruspanti sind daher in der Lage, eine besondere Magie zu wirken, die anderweitig nur schwer erlernbar ist und kaum in dieser Effizienz. Vor allem aber wird die Konzentration weg vom Körperlichen gelenkt, hin zu den Dingen, die man nicht mit der Hand berühren oder dem Auge sehen kann und die doch da sind und viel wichtiger als Fleisch und Begierde: Die Seele der Menschen.


    Nun, ich möchte ehrlich sein. Da ich nie freiwillig Ruspante war, habe ich die Körperlichkeit sehr wohl ausgelebt in dem mir möglichen Rahmen und vermisst, was ich nie geben durfte. Jetzt, da mein Körper geheilt ist, bin ich erneut ein plumpes Geschlechtswesen und der Blick für die zwischenmenschlichen Feinheiten hat sich vergröbert."


    Er hob entschuldigend die Hände.


    "Meine Aufgabe auf Asa Karane bestand darin, meinen Herrn zu erfreuen. Er hatte sonst keine Freude und ich schätze, er liebt mich so sehr, wie man einen Sklaven nur lieben kann, was recht wenig ist, wenn man bedenkt, was er mir antat. Aber immerhin. Ich lebte mit ihm und einem anderen Eunuchen namens Cinjamin gemeinsam eingesperrt in einem Turm.


    Die heutigen Ruspanti darf niemand mehr einsperren. Das ist aufs Strengste untersagt und ich darf mit stolz behaupten, dass diese Entwicklung mein Verdienst ist."


    "Ich bin mehr als ein freier Mann, ich bin von Stand, ein Fürst ohne Land, es sei denn, man zählt eine Ascheebene mit einer Ruine im toten Herzen als solches. So warst du ein Klingentänzer, Burkhard? Ich bin ein Tänzer und war ein Sänger, doch meine einst herrliche Gesangsstimme ist leider inzwischen verdorben."


    Seine Finger glitten filigran über die Saiten der Kithara, dann begann er zu spielen, doch ohne Gesang. Die Zeiten, da sein Gesang noch erfreulich geklungen hatte, waren vorüber.


    "Es ist richtig, Burkhard. Mein Haus wurde besiegt und ich ging als Kriegsbeute nach Kaltenburg. Es war damals Sitte, die Männer des besiegten Hauses zu entmannen, wenn man sie am Leben ließ, damit ein Überleben der Linie ausgeschlossen war. Wenn man so möchte war ich eine lebende Trophäe. Heute ist das kaum noch vorstellbar, früher galt es sogar als gnädig. Schließlich hätte man mich auch zu Tode foltern können, wie es mit Feinden Usus war, nicht wahr?"


    Er legte die Kithara beiseite und erhob sich.

    "Jedoch bietet die Magie mitunter Möglichkeiten, die der Chirurgie verwehrt sind." Er raffte das Pludergewand empor und entblößte seine Scham. Sie war völlig intakt, haarlos, rosig und hübsch anzusehen. "Bis vor kurzem noch hätte ich dir eine saubere Narbe präsentieren können, wo man mir die Hoden entfernt hatte. Um mit einem Eunuchen zu sprechen, musst du einen anderen Ruspante fragen."

    Amias winkte lächelnd zurück. Wenig später war er beim General angekommen.


    "Dem Licht zum Gruße. Ich bin Amias von Wolkenhaim, Ruspante. Und Ihr seid General Burkhard Klingenberg aus Naridien?" Amias rückte einen der geflochtenen Gartenstühle zurecht und setzte sich in eine Entfernung, die den meisten angenehm war, nicht zu nahe, aber erst recht nicht zu weit weg, denn wer mit einem Ruspante sprach, tat dies, um seine Seele zu öffnen.


    Amias klimperte mit seinen nackten Zehen, in denen der Sand hing, während er den alten Mann betrachtete. Was mochte einem General seines Kalibers wohl auf dem Herzen liegen?

    Der Schmetterling

    Amias war nicht gern auf dem Sonnenstein zu Besuch. Obgleich die Festung im Vergleich zu seiner alten Heimat auf Asa Karane lichtdurchflutet, warm und luxuriös war, machten die riesigen Mauern ihm Angst. Wann immer er sein Augenmerk auf die gelben Sandsteinquader lenkte, die das Innere tonnenschwer umschlossen, schnürte die Kehle des zierlichen Ruspante sich zusammen. Erinnerungen an eine Zeit, die er vergessen wollte, kehrten zurück.


    Doch lag es nicht in seiner sonnigen Natur, das eigene Leid zu beklagen, wenn es andere Herzen zu trösten gab. Ein alter Mann, der zu Gast sei, wolle ihn dringend sehen und benötige seinen Rat. Amias kam das gerade recht, denn Alexandre saß mit seinem Vater beim Tee.


    So zog Amias ein leichtes, süß duftendes Pludergewand an, rot mit hellgrünen Schnörkeln, das ihn umflatterte, als er sich ein paar Mal leichtfüßig im Kreis drehte, bevor er sich aufmachte, den alten General am vereinbarten Platz zu treffen, um seine geschundene Seele mit einem Funken von Alvasheks Licht zu wärmen. Anbei war Cinjamins uralte Kithara, die noch immer ihren Dienst so wunderbar verrichtete, wie kein modernes Instrument es vermochte.

    "Was sind denn Phylakterien? Was könnte er damit anfangen?", erkundigte Amias sich neugierig. "Die Taudisschwingen und das Wibran hören sich schon mal gut an, Arbogast. Ich würde anstelle des ausführlichen Briefes ein ausführliches Treffen vorschlagen. Und wenn Ihr erlaubt, würde ich Eure Ahnen sehr gern einmal sehen", sprach Amias freundlich. "Wenn das Werben sich schwierig anfühlt, sagt man, dann ist er oder sie nicht der Richtige. Es muss fließen, Arbogast, doch die Umstände sind freilich nicht optimal für Gefühlsdinge."

    Amias schloss die Augen und kuschelte seine zarte Wange gegen die Bartstoppeln von Arbogast, einen Moment trauernd, dass ihm selbst nie ein Bart wachsen würde, doch dann wieder konzentriert auf die Zukunft.


    "Achte darauf, nicht mit Eventualitäten zu spielen, Arbogast", empfahl Amias freundlich. "Das Erbe ist erst dann ein Argument, wenn es dir sicher ist, denn zuvor würde es bedeuten, dass dein Mann investieren müsste in ein Geschäft mit ungewissem Ausgang. Krieg ist teuer, er verschlingt unwahrscheinlich viele materielle, magische wie menschliche Ressourcen. Es wäre folglich eher eine Drohung an euren Zukünftigen, würdet Ihr ihn damit konfrontieren, sich das Erbe erst erstreiten zu müssen, ohne zuvor gebührend in Vorkasse gegangen zu sein. Das Erbe ist womöglich später ein Argument ... aber noch nicht zu Anfang."

    "Es mag schwer zu glauben sein, Arbogast, aber momentan bin ich glücklich. Darf ich mir meinen Wunsch an Euch aufsparen? Sicher wird der Tag kommen, da ich Eure Hilfe benötige, so wie Ihr heute die meine.


    Dalibor von Eibenberg ist am Besten damit zu beeindrucken, indem Ihr ihm Euren Wert verdeutlicht ... das dürfen keine immateriellen Werte sein, mit einem guten Charakter werdet Ihr ihn nicht überzeugen. Macht eine Auflistung an handfesten Vorteilen, die für ihn und sein Haus mit der Hochzeit herausspringen. Die Aussicht auf eine beträchtliche Mitgift wird sicher auch nicht schaden."


    Amias hielt sanft die Hände von Arbogast, während sie sich in der Folterkammer langsam umeinander drehten.


    "Von Schuld redet schon lange niemand mehr, Arbogast, dafür reicht die Kette von Ursache und Wirkung zu sehr in die Vergangenheit. Wer soll den Anfang noch finden, das, womit alles begann? Wir können nur versuchen, uns nicht in ihr zu verheddern."

    "Freilassen? Töte sie nicht ... nicht, bevor du sie nicht gefragt hast. Mach ihnen das Angebot, mit dem Nest. Vielleicht wollen sie trotz allem leben, Arbogast. Du liebst sie, also versuche, daran zu denken, was du dir von jemandem wünschen würdest, den du liebst."


    Amias tanzte so, wie es Arbogast gefiel. Er hatte den kurzen, sanften Blick gesehen und auch die sanften Berührungen an seinem Rücken nicht vergessen. Nein, Arbogast wäre nicht so gewesen, wie er heute war, hätte man ihn nur gelassen. Amias war geneigt, ihm eine faire Chance einzuräumen im Kampf um den hohenfeldschen Thron, oder zumindest um sein Leben. Dass Leopoldius und Dunwolf sich verbündet hatten, war nicht zu übersehen gewesen und sicher hatte Leopoldius es auch genau darauf angelegt.


    "Wirst du meinen Vorschlag mit Dalibor überdenken?"

    Amias übernahm die Bewegungen von Arbogast. Langsam, zärtlich tanzten sie durch diese Folterkammer. Den Vorschlag, wie das Elend der Männer zu lindern sei, hatte Arbogast überhört, ebenso die Feststellung, dass er diese Männer liebte. Amias spürte die Verzweiflung in dem Mann, der sein Herz verzweifelt zu vergraben suchte und gleichzeitig froh darüber war, es in Gegenwart des Eunuchen nicht zu müssen. Warum die Menschen dazu neigten, ihm ihr Herz zu öffnen, wusste Amias nicht. Vielleicht, weil er aufgrund seiner Zartheit nicht als Mann wahrgenommen wurde, nicht als Rivale und nicht als Gefahr, sondern ein schützenswertes und liebliches Wesen.


    Amias spürte, wie sehr Arbogast ihn gerade brauchte und Amias half ihm, sein Leid für einen Augenblick zu vergessen, und sang für ihn eine freundliche Weise, die von der guten alten Zeit handelte, als der Himmel noch blau war wie ein Saphir. Das allgegenwärtige magische Netz, das Ditzlin gesponnen hatte, schmolz um sie herum - und das Loch blieb. Amias sang und tanzte mit ihm und Arbogast spürte, wie die Magie in seinem Kopf ihre Wogen glättete, wie sie ihn in einem gleichmäßigen Strom verließ, als würde man eine Kanne leeren. Das Gefühl hatte überraschenderweise nichts Bedrohliches an sich, denn auch von außen war keine feindliche Magie mehr spürbar. Da war nur - Stille, Ruhe, Frieden. Arbogast war magisch entblößt, doch er spürte, dass er gleichzeitig vollkommen sicher war, so lange Amias ihn schützte.


    "Dalibor von Eibenberg", sprach Amias sanft und niemand in der ganzen Feste konnte sie magisch belauschen.

    Amias lachte gekünstelt mit noch piepsigerer Stimme als sonst über den geschmacklosen Witz. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.


    "Wolkenhaim geht auf die Rechnung von Kaltenburg und ich bin Irvings Trophäe. Du liebst diese neun Prinzen, nicht wahr? Du hast sie als deine Männer bezeichnet. Darum hältst du sie hier in Sicherheit verwahrt."


    Irving dachte ganz ähnlich, weshalb es Amias leicht fiel, das Schema zu verstehen. Arbogast meinte es auf seine kranke Weise wirklich gut.


    "Für meine Torsi würde ich den Raum anders einrichten", plauderte er in möglichst unbeschwertem Tonfall. "Mit einem gepolsterten Boden und vielen Kissen, so dass sie ein wenig herumkriechen und miteinander kuscheln können. Welchen Namen sollte ich nennen?"

    "Nicht als Torso, denn davon habt Ihr schon neun", mahnte er in dem sinnlosen Versuch, keine Angst zu zeigen, um Arbogasts Beutetrieb nicht zu reizen.


    Er streichelte Ferdinand das vom Muskelschwund schlaffe Hinterteil. Es war ein Reflex von Amias, der gelernt hatte, jemanden in Not sofort mit sanften Fingern zu trösten. Nichts anderes hatte er in den letzten Jahren getan und da er stets dafür belohnt worden war, hatte sich dieses Verhalten gefestigt.


    "Ich bin ein Prinz, Arbogast, der eine herausgehobene Behandlung verdient. Zudem, wie sollte ich so Eure Füße massieren? Du hast vergessen, mir zu beantworten, ob sie Endlinge sind."

    Amias, der bei jeder aufregenden Gelegenheit eine Gänsehaut bekam, spürte diese nun wie ein prickelndes Korsett um seinen Leib, das ihn überall einschnürte. Er rief sich zur Ordnung, dass er Gast von Indutiomarus war und dass Arbogast nicht wagen würde, ihm etwas zu tun ... aber würde er das wirklich nicht?


    "Du wirst mir hoffentlich nicht die Arme und Beine abschlagen?", fragte Amias in dem Versuch, es wie einen Witz klingen zu lassen, doch sein Stimmchen zitterte dabei.


    Um Arbogast abzulenken, spazierte Amias zwischen den verstümmelten Männern herum. "Deine eigene Art einer Sammlung. Sind sie Endlinge, so wie ich?" Im Dämmerlicht konnte Amias nicht viel sehen, also prüfte er mit einem vorsichtigen Griff seiner zarten Hand, ob Ferdinand von Diessensee entmannt war.


    "Wenn die Frage gestattet ist, warum diese massiven Türen? Es macht nicht den Anschein, als würden diese Männer fliehen können, würden die Türen offenstehen."

    "Wer war denn jener, der einen solchen Preis dafür zahlte, seinem Namen entsagt zu haben? Schwäche ist Liebe mitnichten, Arbogast. Ich würde eher sagen, sie ist taktisch unklug, wenn sie dem Falschen gilt. Dass Euer Haus so reagieren würde, wusste ich nicht. Ich nahm an, die Sache hätte sich erledigt, wenn Ihr durch Heirat einen Verzicht auf den Thron erklärt. Bitte seid so freundlich, mir zu erklären, warum ein Verzicht nicht anerkannt wird."


    Amias legte seine Hände in den Schoß und blickte Arbogast freundlich an.


    "Für mich ist es keine Sklavenarbeit, Euch die Füße zu massieren. Ich wollte Euch Gutes tun, da Ihr so wirktet, als könntet Ihr das gerade brauchen. Verzeiht, wenn ich aufdringlich war."


    Das sagte er, während er immer noch auf Arbogasts Bett saß, doch dann stand sein Gastgeber auf. Amias folgte ihm. Er war gespannt, was ihn erwartete, wer die neun Seelen wahren und vor verzückter Aufregung bekam er eine Gänsehaut.

    "Natürlich seid Ihr nicht besser ... denn was ist schon gut? Was ist schon gut auf dieser Insel, Arbogast? Das Wenige davon ist das Erste, was stirbt. Ich habe es gesehen, ich habe es erlebt.


    Ja, das war ein Anblick, die goldenen Sonnenfalter auf den blaustählernen Rüstungen. Die Soldaten, die soeben noch gebranntschatzt, geschändet und gemordet hatten, blickten sie an wie Wesen aus einer anderen Welt. Niemand, niemand dieser Männer hat sie unwirsch verjagt oder gar erschlagen. In diesen Faltern lag eine ganz natürliche Magie des Friedens, bevor sie starben."


    Amias stellte die Schüssel beiseite und erhob sich. Er setzte sich auf das Fußende an Arbogasts Bett und knetete ihm die Füße, um ihn zu trösten.


    "Eure Worte sind sicher bei mir. Meine Zunge ist die letzte mir verbliebene Waffe, doch werden Eure Worte für mich nie Werkzeug werden. Dies ist ein Versprechen, Arbogast, reinste Seele von Hohenfelde. Bitte zeigt mir die anderen neun."

    Der Untergang von Burg Wolkenstein

    Kennst du Sonnenfalter? In der Natur ernähren sie sich vom Nektar, doch in einer Welt ohne Blumen gab es lange Zeit auch keine Sonnenfalter mehr. Mit dem Schiff haben wir uns welche mitbringen lassen und Honig, um sie zu nähren. Man nennt Honig auch das flüssige Gold, denn mit nichts Geringerem wird der süße Blütensaft auf der toten Insel Asa Karane aufgewogen.


    In der Halle der Schmetterlinge waren die Wände mit Blüten bemalt, wie sie in den naturwissenschaftlichen Werken noch abgebildet waren. Vom grün gebeizten Parkett des Bodens über die mit bunten Blüten übersäten Wände bis hinauf zur Decke, die einen blauen Himmel mit einer weißen Sonne zeigt, ist diese Halle bunt wie die Natur, die einst auf der Insel lebte. Was bunt ist, möchtest du wissen?


    Bunt war das Gold in unseren Schatzkammern, das mir dir durch die Hände rann, als ich es fasziniert betrachtete. Bunt waren die Smaragde, Rubine und Saphire, die an Ketten auf den weißen Brüsten meiner Schwestern lagen. Bunt war das gelbe Pergament und die Kleckse dunkler Tinte darauf, die ich im Übermut verspritze, um daraus Figuren zu zeichnen. Bunt war das Grün von Ditzlins Augen, als er mich fest ansah und das Rosa seiner Zunge, als er sich langsam die roten Lippen leckte. Bunt waren meine Träume, bunt meine Seele. Bunt war einst meine ganze Welt, so sehr, dass es auf Burg Wolkenstein keinen Platz für Dunkelheit gab.


    Von Sitzmöglichkeiten aus geflochtenem Korb sah man in der Halle der Schmetterlinge die Brutanlage unserer Sonnenfalter, die frei in der Halle flogen, sich auf die Gewänder setzten und auf einem eigenen Tischlein von Wasser und Honig zehrten, so lange sie leben. Die Brutanlage war ein Baum in der Mitte der Halle. In einem der letzten lebenden Bäume der Insel, am Leben gehalten durch Essenzspenden und alchemistisches Licht, legten die Sonnenfalter ihre Eier. Hunderte Puppen hingen von den Ästen wie Fledermäuse. Es flatterte fast das gesamte Jahr.


    Diese Halle war unser aller Lieblingsort und wir musizierten dort für den Baum und die Sonnenfalter, denn wir hatten das Gefühl, dass es ihnen guttat und sogar die Essenzspenden überflüssig machte. Ich tanzte dort mit meinen Schwestern, wir sangen, wir spielten Instrumente und für einige Zeit vergaßen wir, dass außerhalb unserer Mauern die Welt im Sterben lag.


    Das Ende, du kennst das Ende ...


    Als Burg Wolkenstein geschleift wurde, machten die Invasoren vor gar nichts halt. Die Soldaten getötet zu haben, genügte ihnen nicht, meinen Vater und meine Mutter henkten sie über dem Tor. Sie zerschlugen die Instrumente, steckten den Baum mit den Puppen in Brand, die Vorhänge fingen Feuer, der grüne Holzboden, alles. Sie schändeten meine Schwestern, ehe sie sie töteten. Als ich aus Burg Wolkenstein verschleppt wurde und weinend auf mein brennendes zu Hause blickte, stoben die Sonnenfalter zu tausenden hinauf in den grauen Himmel. Für einen Moment lang waren Kaltenburgs Soldaten von Ehrfurcht erfüllt, als die goldenen Falter sie umflatterten, sich auf ihre stahlblauen Rüstungen setzten und langsam ihre Flügel bewegten. Es war der erste Tag seit Jahrhunderten, dass Asa Karane wieder freie Schmetterlinge sah, die zum Sterben verdammt hinaus in die tote Welt zogen.


    Als letzter meines Hauses brachte man mich in die Folterkammer, wo der Henker mit chirurgischer Präzision meine Hoden entnahm. Hätte es etwas am Resultat geändert, mir ein Betäubungsmittel zu geben? Man gönnte mir keins und es dauerte lange, ehe ich mein Lager wieder verlassen konnte.


    Und so endet das Kapitel Wolkenhaim, denn nach mir wird es nie wieder jemanden meines Namens geben.

    "Habt Ihr je gefragt? Es wäre ein guter Tausch ... denkt darüber nach, Arbogast. Nein, ich könnte Euch nicht heiraten, denn es ist, wie Ihr sagt, wir würden gemeinsam untergehen. Hebt Eure Hand für jemanden auf, der Euch mehr nützt, macht es wie Ditzlin.


    Die Geschichte des Amias von Wolkenhaim ist die Geschichte eines Sonnenfalters, dem man die Flügel ausriss.


    Kennst du Sonnenfalter? In der Natur ernähren sie sich vom Nektar, doch in einer Welt ohne Blumen gab es lange Zeit auch keine Sonnenfalter mehr. Mit dem Schiff haben wir uns welche mitbringen lassen und Honig, um sie zu nähren. Man nennt Honig auch das flüssige Gold, denn mit nichts Geringerem wird der süße Blütensaft auf der toten Insel Asa Karane aufgewogen.


    In der Halle der Schmetterlinge waren die Wände mit Blüten bemalt, wie sie in den naturwissenschaftlichen Werken noch abgebildet waren. Vom grün gebeizten Parkett des Bodens über die mit bunten Blüten übersäten Wände bis hinauf zur Decke, die einen blauen Himmel mit einer weißen Sonne zeigt, ist diese Halle bunt wie die Natur, die einst auf der Insel lebte. Was bunt ist, möchtest du wissen?


    Bunt war das Gold in unseren Schatzkammern, das mir dir durch die Hände rann, als ich es fasziniert betrachtete. Bunt waren die Smaragde, Rubine und Saphire, die an Ketten auf den weißen Brüsten meiner Schwestern lagen. Bunt war das gelbe Pergament und die Kleckse dunkler Tinte darauf, die ich im Übermut verspritze, um daraus Figuren zu zeichnen. Bunt war das Grün von Ditzlins Augen, als er mich fest ansah und das Rosa seiner Zunge, als er sich langsam die roten Lippen leckte. Bunt waren meine Träume, bunt meine Seele. Bunt war einst meine ganze Welt, Arbogast, so sehr, dass es auf Burg Wolkenstein keinen Platz für Dunkelheit gab.


    Von Sitzmöglichkeiten aus geflochtenem Korb sah man in der Halle der Schmetterlinge die Brutanlage unserer Sonnenfalter, die frei in der Halle fliegen, sich auf die Gewänder setzen und auf einem eigenen Tischlein von Wasser und Honig zehren, so lange sie leben. Die Brutanlage war ein Baum in der Mitte der Halle. In einem der letzten lebenden Bäume der Insel, am Leben gehalten durch Essenzspenden und alchemistisches Licht, legten die Sonnenfalter ihre Eier. Hunderte Puppen hingen von den Ästen wie Fledermäuse. Es flatterte fast das gesamte Jahr.


    Diese Halle war unser aller Lieblingsort und wir musizierten dort für den Baum und die Sonnenfalter, denn wir hatten das Gefühl, dass es ihnen gut tat und sogar die Essenzspenden überflüssig machte. Ich tanzte dort mit meinen Schwestern, wir sangen, wir spielten Instrumente und für einige Zeit vergaßen wir, dass außerhalb unserer Mauern die Welt im Sterben lag.


    Das Ende, Arbogast, du kennst das Ende ...


    Als Burg Wolkenstein geschleift wurde, machten die Invasoren vor gar nichts halt. Die Soldaten getötet zu haben, genügte ihnen nicht, meinen Vater und meine Mutter henkten sie über dem Tor. Sie zerschlugen die Instrumente, steckten den Baum mit den Puppen in Brand, die Vorhänge fingen Feuer, der grüne Holzboden, alles. Sie schändeten meine Schwestern, ehe sie sie töteten. Als ich aus Burg Wolkenstein verschleppt wurde und weinend auf mein brennendes zu Hause blickte, stoben die Sonnenfalter zu tausenden hinauf in den grauen Himmel. Für einen Moment lang waren Kaltenburgs Soldaten von Ehrfurcht erfüllt, als die goldenen Falter sie umflatterten, sich auf ihre stahlblauen Rüstungen setzten und langsam ihre Flügel bewegten. Es war der erste Tag seit Jahrhunderten, dass Asa Karane wieder freie Schmetterlinge sah, die zum Sterben verdammt hinaus in die tote Welt zogen.


    Als letzter meines Hauses brachte man mich in die Folterkammer, wo der Henker mit chirurgischer Präzision meine Hoden entnahm. Hätte es etwas am Resultat geändert, mir ein Betäubungsmittel zu geben? Man gönnte mir keins und es dauerte lange, ehe ich mein Lager wieder verlassen konnte.


    Und so, Arbogast, endet das Kapitel Wolkenhaim, denn nach mir wird es nie wieder jemanden meines Namens geben."

    Amias musste kichern bei der Beschreibung der unmusikalischen Darbietungen. Da er gerade Fleisch im Mund hatte, hielt er sich dabei die Hand vor den Mund.


    "Er hat eine akustische Waffe als Instrument getarnt. Raffiniert, oder? Nur leider hat er sie stümperhaft eingesetzt, er endete als Dörrfleisch. Ihr habt Recht, Arbogast!" Amias zeigte bestätigend mit dem Finger auf ihn. "Ditzlin von Wigberg haust hier wie die Made im Speck."Amias genoss es, den Mann ans Messer zu liefern, der ihn seinerseits im Stich gelassen und Irving an seiner Stelle mitgenommen hatte. "Alles, was er dafür tun musste, war den richtigen Mann zu heiraten. Klingelt es?"


    Amias zwinkerte lieblich.


    "Alles, was Ihr tun müsst, ist, Euch einen Mann in einem anderen Haus zu suchen. Einen Mann, das ist wichtig, denn wenn Ihr in sein Haus zieht und seinen Namen annehmt, seid Ihr raus aus der Erbfolge. Ein eleganter Verzicht, ganz ohne Blutvergießen. Tönt das nicht wundervoll?"


    Dann blickte er etwas traurig zu Boden. Eine Weile schwieg er und spielte mit der Schüssel in seinen Händen.


    "Ja, ich träume noch, Arbogast. Von Rache und Totschlag, von fruchtbaren Gärten mit Vogelgesang, von meinen Schwestern im Reigen und von den Folterkammern von Kaltenburg. Von meinen eigenen Schreien, die von den Wänden wiederhallen, bis ich aufwache und merke, ich schrie im Schlaf. Von der Vergangenheit in den bunt getünchten Hallen Wolkenhaims und von dem grauen Himmel, unter dem die Ruine nun liegt. Ja, ich träume noch."

    "Wenn Euch meine Musik nicht gefällt, werde ich nicht für Euch spielen", beruhigte Amias sein Gegenüber und naschte noch einen Streifen, den er diesmal bewusster kaute.


    Er nickte anerkennend.


    "Wirklich gut! Was meinen Vorschlag anbelangt, so geht er nicht mit einer unwürdigen Lebensweise einher. Sondern mit einer standesgemäßen. Eine Flucht in die Wildnis möchte ich niemandem zumuten und so würde ich auch selbst nicht leben wollen.


    Es gibt Alternativen. Ein Prinz sollte nur von den Besten lernen. Wer lebt als einziger in der gegenwärtigen Konstellation ohne jede Gefahr in Hohenfelde? Na?"