Der Untergang von Burg Wolkenstein

  • Der Untergang von Burg Wolkenstein

    Kennst du Sonnenfalter? In der Natur ernähren sie sich vom Nektar, doch in einer Welt ohne Blumen gab es lange Zeit auch keine Sonnenfalter mehr. Mit dem Schiff haben wir uns welche mitbringen lassen und Honig, um sie zu nähren. Man nennt Honig auch das flüssige Gold, denn mit nichts Geringerem wird der süße Blütensaft auf der toten Insel Asa Karane aufgewogen.


    In der Halle der Schmetterlinge waren die Wände mit Blüten bemalt, wie sie in den naturwissenschaftlichen Werken noch abgebildet waren. Vom grün gebeizten Parkett des Bodens über die mit bunten Blüten übersäten Wände bis hinauf zur Decke, die einen blauen Himmel mit einer weißen Sonne zeigt, ist diese Halle bunt wie die Natur, die einst auf der Insel lebte. Was bunt ist, möchtest du wissen?


    Bunt war das Gold in unseren Schatzkammern, das mir dir durch die Hände rann, als ich es fasziniert betrachtete. Bunt waren die Smaragde, Rubine und Saphire, die an Ketten auf den weißen Brüsten meiner Schwestern lagen. Bunt war das gelbe Pergament und die Kleckse dunkler Tinte darauf, die ich im Übermut verspritze, um daraus Figuren zu zeichnen. Bunt war das Grün von Ditzlins Augen, als er mich fest ansah und das Rosa seiner Zunge, als er sich langsam die roten Lippen leckte. Bunt waren meine Träume, bunt meine Seele. Bunt war einst meine ganze Welt, so sehr, dass es auf Burg Wolkenstein keinen Platz für Dunkelheit gab.


    Von Sitzmöglichkeiten aus geflochtenem Korb sah man in der Halle der Schmetterlinge die Brutanlage unserer Sonnenfalter, die frei in der Halle flogen, sich auf die Gewänder setzten und auf einem eigenen Tischlein von Wasser und Honig zehrten, so lange sie leben. Die Brutanlage war ein Baum in der Mitte der Halle. In einem der letzten lebenden Bäume der Insel, am Leben gehalten durch Essenzspenden und alchemistisches Licht, legten die Sonnenfalter ihre Eier. Hunderte Puppen hingen von den Ästen wie Fledermäuse. Es flatterte fast das gesamte Jahr.


    Diese Halle war unser aller Lieblingsort und wir musizierten dort für den Baum und die Sonnenfalter, denn wir hatten das Gefühl, dass es ihnen guttat und sogar die Essenzspenden überflüssig machte. Ich tanzte dort mit meinen Schwestern, wir sangen, wir spielten Instrumente und für einige Zeit vergaßen wir, dass außerhalb unserer Mauern die Welt im Sterben lag.


    Das Ende, du kennst das Ende ...


    Als Burg Wolkenstein geschleift wurde, machten die Invasoren vor gar nichts halt. Die Soldaten getötet zu haben, genügte ihnen nicht, meinen Vater und meine Mutter henkten sie über dem Tor. Sie zerschlugen die Instrumente, steckten den Baum mit den Puppen in Brand, die Vorhänge fingen Feuer, der grüne Holzboden, alles. Sie schändeten meine Schwestern, ehe sie sie töteten. Als ich aus Burg Wolkenstein verschleppt wurde und weinend auf mein brennendes zu Hause blickte, stoben die Sonnenfalter zu tausenden hinauf in den grauen Himmel. Für einen Moment lang waren Kaltenburgs Soldaten von Ehrfurcht erfüllt, als die goldenen Falter sie umflatterten, sich auf ihre stahlblauen Rüstungen setzten und langsam ihre Flügel bewegten. Es war der erste Tag seit Jahrhunderten, dass Asa Karane wieder freie Schmetterlinge sah, die zum Sterben verdammt hinaus in die tote Welt zogen.


    Als letzter meines Hauses brachte man mich in die Folterkammer, wo der Henker mit chirurgischer Präzision meine Hoden entnahm. Hätte es etwas am Resultat geändert, mir ein Betäubungsmittel zu geben? Man gönnte mir keins und es dauerte lange, ehe ich mein Lager wieder verlassen konnte.


    Und so endet das Kapitel Wolkenhaim, denn nach mir wird es nie wieder jemanden meines Namens geben.