Kapitel 19 - Nesthäkchens Neugier

  • Nesthäkchens Neugier


    Die Tage verstrichen wie zäher Sirup, in denen Marthis seinen Bruder nicht sprechen konnte. Alles hatte damit angefangen, dass ein Gast über ihrer Feste, nach seinem Bruder schreiend verlangt hatte. Ein Hohenfelde auf einer ihrer Taudisschwingen. Normalerweise verhieß es nichts Gutes, wenn man jemanden aus diesem morbiden Haus der langen Dolche begegnete. Aber dieser Mann war allein angereist und Dalibor war bereit gewesen, den Gast zu empfangen und ihm sein Gehör zu schenken. Solch eine Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Feste. Vermutlich war dies in jeder Feste so. Jeder wollte die Neuigkeiten zuerst hören und auch weitertragen. Wer etwas wusste, war gefragt. Gefragt hatte sich Marthis auch so einiges.


    Was hatte den Mann veranlasst nach Eibenberg zu reisen und dies allein? Weshalb verlangte er lautstark nach seinem Bruder Dal, anstatt nach ihrem Vater? Und was hatte der ganze Trubel zu bedeuten, dass man einen Hohenfelde bei ihnen einquartierte und sogar verköstigte? Fragen über Fragen die nur einer klären konnte, Dalibor. Gut Marthis hätte auch den Gast selbst fragen können, aber er hatte sich damit begnügt, ihn in Augenschein zu nehmen und zu grüßen. Er wollte klare Fakten und kein seichtes Geseier. Wobei er nicht davon ausging, dass sich ein Hohenfelde in derartige Ergüsse erging. Dennoch wollte er lieber mit seinem Bruder sprechen, da er so genau wusste dass er danach noch alle Körperteile hatte.


    Nun hätte er etwas verloren, hätte der Hohenfelde auch etwas verloren, kurzum alles. Aber Marthis war nicht darauf aus, jemanden zu provozieren oder sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Er wollte wissen was hier los war und was Dalibor so schnell hatte auf einem Schlitten abreisen lassen. Der hohenfeldische Gast blieb derweil wo er war, aß und las und hatte schienbar den Spaß seines Lebens auf ihre Kosten. Wenig entzückend.


    Der Morgen graute und Marthis war früh erwacht, wie üblicherweise. Kaum dass ihn sein Leibdiener gewaschen und hergerichtet hatte, machte er sich auf den Weg zu seinem Bruder. Er klopfte gut gelaunt, seinen Leibdiener samt Frühstück im Schlepptau. Sicher war Dal nach der langen Reise ebenso erschöpft wie hungrig.

  • Dalibors Leibdiener Cesare weckte vorsichtig seinen Herrn, um ihm mitzuteilen, dass sein kleiner Bruder ihn zu sprechen wünsche. Sehr müde kroch Dalibor ein Stück aus dem dicken, mit Samt bezogenen Bettzeug hervor. Sein Atem schlug Dampfwolken. Eine empfindliche Kälte schlug ihm entgegen, denn das Holz wurde immer knapper. Dicke Kleidung konnte den warmen Ofen an vielen Tagen nur bedingt ausgleichen, weshalb die Öfen nur noch ausnahmsweise angeheizt wurden. Er fragte sich, wie diese verdammten Wigbergs das machten.


    "Mein Bruder darf eintreten, Cesare."


    Der Leibdiener teilte das dem Gast leise mit, bat ihn hinein und zog sich dann diskret zurück. Verknittert und müde, aber grinsend schaute Dalibor dem kleinen Bruder entgegen.


    "Was treibt dich zu mir, Marthis?"

  • Marthis betrat das Gemach seines Bruder und drückte ihn zur Begrüßung. Einerseits, da er sich wirklich freute und andererseits um ihn ein klein wenig zu wärmen. Der Leibdiener von Marthis, Röndull, trat ebenfalls ein und servierte das Frühstück für die beiden Herren. Marthis gab seinen Bruder frei und nahm mit einem freundlichen Lächeln Platz.


    "Guten Morgen Dalibor, mich treibt die Neugier zu Dir. Aber setzt Dich doch erst einmal, ich habe Frühstück mitgebracht. Lass und etwas plaudern. Wie ich mitbekommen habe, hast Du den hohenfeldischen Gast Dein Ohr geschenkt und ihm ebenso Unterkunft und Logis gewährt. Du warst danach fort und ich war in Sorge. Ferner habe ich mir den Gast einmal angeschaut, aber nicht weiter mit ihm gesprochen. Was wollte dieser Hohenfelde von Dir? Wo warst Du? Und was macht der Mann überhaupt hier? Greif zu bevor das Essen kalt wird", bat Marthis.


    Er hatte für seinen Bruder und sich eine warme Frühstückssuppe anrichten lassen, zwischen der cremigen Suppe schwammen einige feste Breistücke und sogar einige Trockenfrüchte waren dazugegeben worden. Gewürzt war sie mit Honig, Dal schmeckte förmlich, wie viel er seinem Bruder wert war, sollte er von der Suppe kosten.

  • Dalibor legte einen Arm um Marthis und genoss kurz dessen Körperwärme. Würden sie nicht dieses köstliche Frühstück serviert bekommen haben, würde Dalibor ihn in sein Bett eingeladen haben, um liegend zu plaudern und dabei die Bettwärme zu teilen. So wickelte er sich die angewärmte Decke um die Hüfte. Sein flauschiges Nachthemd hielt die schlimmste Kälte ab, dennoch sehnte er sich nach dem Sommer und der Herbst hatte gerade erst angefangen!


    "Nicht Gold, noch Juwelen oder Geschmeide - Wärme ist der größte Luxus auf Eibenberg. Man findet sie nur dort, wo ein Feuer sich lohnt, das betrifft die Öfen so wie die Herzen. Ich danke dir für die Suppe, Marthis."


    Dalibor löffelte sie genüsslich, aber nicht zu langsam aus, damit sie nicht unnötig kalt wurde. Sie schmeckte köstlich ... sogar Honig war beigefügt worden. Erst danach antwortete er seinem Bruder.


    "Arbogast ehemals von Hohenfelde, nunmehr bloß Arbogast, suchte Eibenberg auf, weil er um meine Hand anhalten wollte. Er nannte seinen Grund offen: Angst. Er fürchtet die Klinge seiner Familie und möchte das Spiel, wie sie ihre perverse Tradition nennen, verlassen. Nachdem ich seine Gesinnung überprüft und mit Vater gesprochen hatte, reiste ich nach Hohenfelde, um den alten Indutiomarius zu überzeugen. Er zeigte sich erstaunlich leutselig, war vermutlich froh, den Mitesser loszusein."

  • Marthis aß seine Suppe in der gleichen Geschwindigkeit wie sein Bruder. Sie durfte die wertvolle Wärme nicht verlieren, sonst wäre alles umsonst gewesen. Besonders die warmen Früchte liebte Marthis und so hatte er seinem Bruder auch eine gute Portion in die Suppe geben lassen.

    "Die Informationen sind erstaunlich und verständlich. Wer möchte schon gerne in Angst leben Dalibor? Aber das ein Hohenfelde zu einer derartigen Erkenntnis kommt erstaunt mich. Oder möglicherweise wohnt vielen von ihnen diese Erkenntnis inne. Sie folgen möglicherweise genau deshalb der Tradition. Töten oder sterben, Arbogast wählte einen anderen Weg. So wie der alte Erzhexer der Hohenfeldes aussieht, hat er nicht mal genug Futter für sich selbst", antwortete Marthis mit einem verschwörerischen Zwinkern.


    "Du wirst diesen Mann folglich bald Dein eigen nennen können. Ich beglückwünsche Dich zu dieser Transaktion. Du hast ein geschicktes Händchen für Geschäfte Dalibor. Dein Mann weiß gar nicht wie viel Glück er hat. Wir können das Gespräch gerne nach dem Frühstück im Bett fortsetzen, ich sehe dass Du friest. Aber so bist Du ein bisschen innerlich aufgewärmt und der Honig wird Dir nach der Reise gut tun.


    Die klamme Kälte zieht auf Dalibor und sie kriecht über die Haut in alle Knochen und Glieder. Dieses Jahr wird es ein harter Winter werden, hart, dunkel, kalt und entbehrungsreich. Aber wir haben uns und Honig", sagte Marthis gut gelaunt.