In der Villa Zitronengelb war der lecker-süssliche Geruch bis in die kleinste Ecke zu erschnuppern. Wollte der Ursprung dessen aufgespürt werden, brauchte der neugierige Besucher bloss den Zinken in die Luft zu strecken und der lockenden Duftnote durch die Gänge zu folgen.
Auf seinem Weg würde er viele Türen passieren, hinter denen sich ein bunter Haufen an Gestalten tummelte.
Ein Blick ins Studierzimmer offenbarte eine hitzige Debatte alleine darüber, ob das centaurische Amulett, welches vor ihnen auf dem massiven Eichentisch lag, denn nun eine Fälschung sei oder einer alten Tradition entsprang und das Volk der Centauren unter seinem Träger einigen könnte. Schwere Buchbände und mehrere Pferdelängen Pergament unterstützten die drei völlig unterschiedlichen Personen in ihren Nachforschungen.
Während Nicolai sich sicher war, dass seine Freundin auf dem Schiff eine wahrhaftige Entdeckung seines Volkes gemacht hatte, behauptete der Dekan steif und fest, es mit einer plumpen Fälschung zu tun zu haben.
„Es hahandelt sich dabei eindeutig um archaische Symbole!“, stotterte der Raktaure empört, als er die herablassende Aussage des Farisins vernommen hatte. Dabei schwang sein Schweif fahrig umher und wischte versehentlich einige lose Papiere zu Boden. Schnell bückte er sich, um die wertvollen Schriften aufzuheben, wobei ihm seine Brille von der Nase rutschte. Gerade noch konnte er das zerbrechliche Glas vor dem Aufprall am Boden erretten.
„Meine Herren“, mischte sich da die Älteste ein und versuchte die beiden Hitzköpfe zu beruhigen, denn vor allem einem Wutausbruch von Danilos wollte sie in einem Zimmer voller Bücherregale vorbeugen, „ich bin mir noch unsicher, wie es sich mit dem Amulett verhält. Doch wenn sogar uns dieser Talisman über eine womögliche Fälschung hinwegtäuscht, sollten wir uns überlegen, was mit diesem Fundstück alles bewerkstelligt werden könnte. Ein Zusammenschluss aller Centaurenstämme! Ich wünschte, ein solches Relikt würde auch das Volk der Tamjid einen.“
„Es sollte besser überdacht werden, wem daran gelegen ist, eine offensichtliche Fälschung zu platzieren und was er damit verfolgt!“, meinte der Farisin und seine Zunge zischelte dabei zwischen dem Echsenmaul hervor. Sogleich nahm die Diskussion zwischen den beiden Männern über den Wert des Gegenstands wieder seinen Lauf. Der beobachtende Besucher konnte im Vorbeigehen gerade noch einen Blick auf die Älteste Khaoula erhaschen, die genervt die Augen verdrehte und sich wieder dem Studium der Texte widmete.
Doch weiter lockte der süsse Geruch, zu welchem sich nun auch noch unterschiedliche Gewürznoten hinzugesellten. Zimt, Anis, Nelken, Kardamom und auch Vanille.
„Iiihh, raus mit dir“, war da ein wütendes Kreischen zu hören und im nächsten Moment flüchtete aus einem weiteren Zimmer eine skeletterne Katze, die einige schneeweisse Federn zwischen ihrem knöchernen Gebiss trug.
„Was sollte denn das bitteschön? Meine wunderschönen Federn! Ihr habt gesagt, das Vieh sei harmlos. Doch das nenne ich eher tollwütig!“, die Harpyie zeigte entsetzt auf ihren linken Flügel, wo, für ein fremdes Auge kaum wahrnehmbar, einige Federchen fehlten.
„Ihr solltet euch besser verarzten lassen. Es sieht nicht gut um Euch aus“, kommentierte die ruhige, kühle Stimme aus einem Sessel in der Nähe des flackernden Kaminfeuers.
„Ich entschuldige mich für das Verhalten meines Haustiers. Normalerweise verhält es sich ruhig. Doch Euer bezauberndes Federkleid scheint seine Jagdinstinkte wiedererweckt zu haben“, Yeriels Gesichtsausdruck strafte die Worte jedoch Lügen. Ein schelmisches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, das die Harpyie in ihrer Aufregung jedoch nicht bemerkte. Hingegen der junge Mann Farrinur, der bereits den ganzen Abend um die Frau im Federkleid herumscharwenzelte und Madame Iolanthe nun empört anfunkelte. In seinen Augen war Ilvara nämlich das atemberaubendste Lebewesen, das ihm jemals untergekommen war.
„Ich werde Euch zur Ältesten begleiten, ich habe gehört, dass sie sich mit der Heilkunde auskennt. Ihr solltet Euch besser von ihr untersuchen lassen“, meinte er besorgt und geleitete die Harpyie galant aus dem Zimmer ohne die Nekromantin im Sessel noch eines Blickes zu würdigen. Diese hingegen liess sich genüsslich in den weichen Stoff zurücksinken und schloss zufrieden die Augen. Endlich war sie das Geschnulze dieses Kerls und seiner Angebeteten los. Das konnte ja niemand aushalten!
„Achtuuung, aus dem Weg!“, das helle Kinderlachen tönte durch den Flur und liess die Bewohner schmunzeln. „Schneller Emilia, sie holt uns gleich ein!“
Gerade noch konnte der verdutzte Besucher zur Seite weichen, als der sandfarbene Löwenkörper durch den Flur geprescht kam. Die grünen Katzenaugen funkelten vor Freude genauso wie die blauen Kinderaugen des Mädchens, das sich am Nackenfell der Löwin festklammerte.
Wie in Zeitlupe konnte der Gast nun beobachten, wie die Raubkatze an ihm vorbeirauschte, direkt auf die Wand zu. Im letzten Moment bremste die Gestaltwandlerin, um die scharfe Rechtskurve noch zu kriegen. Dabei streifte sie jedoch die Blumenvase auf dem Stehtischchen, welche in hohem Bogen zu Boden ging und den Inhalt mit einem lauten Klirren auf dem Flur verteilte. Im selben Augenblick huschte ein obsidianfarbener Schatten an dem Besucher vorbei. Auch Lysa hatte die Verfolgerin bemerkt. „Atri holt auf“, kreischte sie ihrem Reittier zu und beobachtete, wie das Düsterlingsweibchen auf allen Vieren laufend mit einem Grinsen im Gesicht näherkam. Doch das Kind war nicht auf den Kopf gefallen; eine kurze Handbewegung reichte aus, um dem zuvor ausgeleerten Wasser einen magischen Schubser zu verpassen, so dass es mit einem Klatschen mitten im Gesicht des Staubteufels landete. Ein Fauchen war zu hören, gefolgt vom Glockenklang der Kinderstimme, dann war das rasante Trio auch schon um die Ecke verschwunden. Verwundert schüttelte der Besucher sein Haupt und setzte die Wanderung durch die Villa Zitronengelb fort, darauf bedacht, nicht den Weg für turbulente Verfolgungsjagden zu blockieren.
Merklich nahm der Duft zu. Inzwischen roch es nicht mehr nur nach süssen Keksen und Schokolade, sondern auch nach Pastete, Sauerkraut, Fisch, diversen Gemüsesorten und gerösteten Insekten.
Was der Gast nicht wissen konnte war, dass noch zwei fette Kühe und extrafrischer Käse aus dem Wychtelgebirge erwartet wurden. Erstaunt blieb der Besucher vor einem mächtigen Durchgang stehen, der in einen Raum führte, der grösser war, als die vorigen. Neugierig wurde der Kopf hineingestreckt. Runde Tische in allen Grössen und Höhen standen darin herum, umgeben von genauso diversen Stühlen. Manche aus Holz, andere aus Stein, solche mit weichen Sitzpolstern, andere mit Leiterstufen an der Seite, damit auch kleinere Gäste die Sitzgelegenheiten erklimmen konnten. Zwischendrin wuselten drei Gestalten herum und bemühten sich, die ganzen Teller, Bestecke und Dekorationen zu verteilen.
„Also ich finde, hier müssen unbedingt mehr bunte Kugeln aufgehängt werden“, befand Astroides und betrachtete kritisch den Raum, in welchem sie bereits unterschiedlichsten Krimskrams verteilt hatte, der womöglich nicht von jedem als dekorativ betrachtet werden würde. Mit einem fähigen Lehrer hatte es sich für die Shezem als einfach erwiesen, ihre Landgängergestalt zu nutzen, weshalb sie auf ihren rot-weiss-gestreiften Füssen barfuss durch den Raum tänzelte, so dass ihre Ketten und Armbänder fröhlich klimperten.
„Kolbakur, schieb bitte den Tisch noch etwas mehr in die Mitte, sonst wird es schwierig, dich und Nicolai daran unterzubringen“, kommandierte Kosima unterdessen den riesigen Raktauren selbstbewusst herum. Sie hoffte, dass der Süssfisch Lahiko und das Haimaul Shocai bald eintrudelten, um für Unterhaltung und Betreuung der Gäste zu sorgen. Der ehemalige Sklave liess dies nur allzu gern mit sich geschehen, beruhigten ihn doch gewohnte Strukturen. „Kolbakur, bitte bring mir doch einen Eimer Wasser! Dann kann ich Seifenblasen und Wasserblasen im Raum verteilen! Sie werden über uns unter der Decke schweben, das wird einfach traumhaft aussehen!“
Der Raktaure stapfte gehorsam davon, um die Wünsche der beiden Ladys zu erfüllen. Zwei Stunden später sollte der Raum von warmem Kerzenschein erfüllt sein, der sich in den schwebenden Seifenblasen spiegelte und die verspieltesten der Hausbewohner dazu einlud, lustige Luftsprünge zu unternehmen, um die Blasen mit einem sanften „Plop“ zum Platzen zu bringen.
Langsam konnte der Besucher erahnen, dass hier Vorbereitungen getroffen wurden für einen grösseren Anlass. Unverkennbar herrschte eine aufgeregte Stimmung vor, die sich bei den einen durch Tatendrang, bei anderen durch pure Freude und bei wieder anderen… durch Gereiztheit verdeutlichte.
Lautes Schimpfen und fürchterliches Fluchen waren aus einem weiteren Raum zu vernehmen. Es musste einfach die Küche sein, denn die diversen Duftnoten ballten sich an diesem einen Ort zusammen und verschmolzen zu einem Feuerwerk aus Gerüchen. Der neugierige Besucher wollte sich gerade der Türe nähern, als diese mit einem lauten Knall aufgestossen wurde und ein grosser Tiefling mit wütender Miene herausstürmte. Er trug eine Kochschürze, was so gar nicht zu seinem sonstigen Erscheinungsbild passen wollte.
„Und pass auf, dass die Holzscheite auch ja trockn sind! Sonst müssn wir wieder den Dekan rufn, um das Feuer zu entfachn! Und mach dir gefälligst diesmal die Schuhe sauber, bevor du wieder die Küche betrittst, Orobas!“, die krächzige Stimme gehörte der Zwiebelhex, welche mit einem hölzernen Kochlöffel neben einem riesigen Kochtopf stand.
„Die Jugend heutzutage!“, brummte sie zu Rósa hinüber, welche gerade mit kräftigen, ruhigen Bewegungen einen Brotteig durchknetete. Diese verzog bloss in einer stummen Geste das Gesicht, denn sie empfand Schrulla nicht gerade als angenehmere Gesellschaft. Vor allem nachdem sie darüber diskutiert hatten, dass nicht jedes Gericht mit Zwiebeln zubereitet werden musste. Zwiebelsalat, Zwiebelsuppe, Zwiebelkuchen, Zwiebelsosse, Zwiebelpudding, Zwiebelkekse, geröstete Zwiebeln, gebratene Zwiebeln, gedünstete Zwiebeln,… es gab nichts, was es nicht gab!
„Hach, mein Rücken schmerzt langsam von Rühren… Wenn Orobas zurück ist, soll er gefälligst Zwiebeln schneiden. Die Suppe könnte noch einige davon vertragen!“
Im selben Moment schaute die Norkara auf und bemerkte den Besucher an der Tür. Ein Blick in ihre Miene verdeutlichte dem Gast, dass er hier keinen Zutritt hatte und er wandte sich augenblicklich ab, bevor er eine grössere Schelte von den Frauen erhalten würde.
Bei seinem Rückzug bemerkte er die offene Haustür, bzw. eher das Tor, das Orobas in seinem Zorn wohl nicht geschlossen hatte. Die frische Luft lockte den Gast nach Draussen, denn in der Küche war es hitzig zu und her gegangen.
Die Villa Zitronengelb machte ihrem Namen alle Ehre, was sie wohl Floh zu verdanken hatte. Mit grosser Begeisterung hatte die Goblin jede einzelne Zinne bemalt und es sich nicht nehmen lassen, zwischendurch bunte Blumenranken einzufügen. Der Greif Fleygur hatte sie dabei unterstützt, indem er sie und ihre Farben aufs Dach geflogen und Acht gegeben hatte, dass die tollpatschige Goblin nicht in die Tiefe stolperte.
Es war bereits später Nachmittag und dicke Schneeflocken hüllten die Landschaft friedlich ein. Ein einziger Pfad führte zur Villa Zitronengelb, doch er war bereits zugeschneit und auch der Tannenwald, der hinter dem Haus aus dem Boden schoss, war wie von Puderzucker überzogen.
Floh stand leicht besorgt auf der Veranda, von der aus eine Treppe mitten ins Schneegestöber hineinführte. Hoffentlich verlaufen sich die Gäste nicht! Vielleicht wäre es gut, ihnen den Weg zu weisen… Und dann war da ja auch noch Arafis irgendwo da draussen…
Seit dem Vorfall in Rantamar war sie unberechenbar geworden und hielt sich von anderen Lebewesen fern. Dies hielt die liebevolle Goblin jedoch nicht davon ab, regelmässig in einigem Abstand zum Haus Mahlzeiten für die Wolfswandlerin bereitzustellen und zu hoffen, dass sie irgendwann wieder zu ihrem früheren Ich zurückfinden würde. Aus diesem Grund hatte Floh auch heimlich Urako und Selan eingeladen, so hoffte sie doch, dass die Beiden gute Erinnerungen hervorrufen könnten.
In ihre Gedanken vertieft bemerkte sie nicht den seltsamen Hügel im Schnee, der sich langsam auf sie zu bahnte. Als sie plötzlich überrascht die Augen aufriss, war es schon zu spät. Das grüne Wesen hatte sich aus dem Schnee katapultiert und Floh von den Füssen gerissen.
„Aah, nein Nepomuk, lass das bitte sein!“, die Goblin wand sich kichernd unter dem Xarrxe, der sie fröhlich abschlabberte wie ein Hund und sich an ihre Hand schmiegte, als sie ihm schliesslich lachend den Kopf kraulte. Seit die Goblin ihn mit Käse gefüttert und ihm für den Winter ein wärmendes Übergewand gestrickt hatte, liebte er sie über Alles. „Lass uns reingehen, Nepo! Du wirst dir noch die Klauen abfrieren!“
Der Kleindrache zuckelte artig hinter Floh her, welche ihm zuzwinkerte und dann heimlich, still und leise auf die Küche zusteuerte, wo es immer etwas zu naschen gab, wenn man sich nur geschickt genug anstellte.
Stille senkte sich über die Landschaft, nur durchdrungen von einem langgezogenen Wolfsheulen. Doch lange sollte sie nicht währen…
Die Idee für das Fest hatte sich mit der Zeit in den Köpfen der Bewohner der Villa Zitronengelb gebildet, wenn sie abends gemütlich zusammen sassen und von ihren Abenteuern erzählten.
„Ihr müsst unbedingt den grossen Ginimo kennenlernen! Es kann doch nicht sein, dass ihr noch nie von Ghul’n’Goblins gehört habt! Ich werde ihn einmal zum Abendessen einladen. Ihr müsst ihn einfach kennenlernen“, verkündete Floh, wobei ganz offensichtlich war, dass sie bis über beide Schlappohren in den Goblin verliebt war.
„Mamma, Mamma! Können wir Seweryn und Jeelen dann bitte auch einmal einladen? Du hast versprochen, dass wir sie einmal besuchen gehen!“, stimmte Lysa direkt in den Kanon mit ein, woraufhin sich plötzlich auch weitere Stimmen meldeten, welche gerne einmal ihre Mitabenteurer den Villa-Bewohnern vorgestellt hätten.
So verliessen einige Tage darauf verschiedene Einladungen das Haus und die Vorbereitungen für das Fest kamen ins Rollen.
Aus dem fernen Osten erwarteten Kosima und Khaoula den Tamjid Sal’jil und hofften darauf, ihn für die Unterredungen mit dem Sultan gewinnen zu können. Unterdessen sandte Emilia mit zwiespältigen Gefühlen eine Einladung an Dimicus, denn lange Zeit hatte sie sich wegen des Fluches von ihm ferngehalten. Yeriel erinnerte sich indessen an die interessanten Gespräche mit Davard von Hohenfelde, weshalb ebenfalls eine Einladung ins Geisterhaus flatterte, überbracht natürlich von einer untoten Elster.
Nicolai freute sich bereits auf das Wiedersehen mit Finja, denn unbedingt wollte er ihr von den neuesten Erkenntnissen hinsichtlich des Amuletts berichten.
Die Gäste wurden dazu eingeladen, Freunde und Verwandte mitzubringen und die Nachricht des bevorstehenden Festes verbreitete sich wie ein Lauffeuer und lockte sogar Bewohner Asamuras an, welche nicht auf der Besucherliste standen. Doch alle sollten sie herzlich Willkommen sein!