Heimreise nach Souvagne
Die Friedensverhandlungen hatten eine seltsame Wendung genommen. Niemand konnte ahnen, was noch geschehen würde. Der Duc hatte sein Gefolge in aller Eile zurück nach Hause geschickt. Er selbst war mit einer winzigen Schar in Ehveros geblieben, um die Verhandlungen zu Ende zu führen. Der Tross bewegte sich seit einigen Tagen in Richtung Souvagne. Sie waren im Eiltempo unterwegs und die Ungewissheit, was geschehen würde, zehrte an manch Nervenkostüm. In dieser Situation tat es dem jungen Prince Ciel gar nicht gut, seine wichtigsten Bezugspersonen zurücklassen zu müssen.
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Ciel:
Prince Ciel hatte seinen Vater, seinen Berater, seinen Ausbilder und seinen ehemaligen Leibdiener zurücklassen müssen. Geblieben waren ihm unter anderem seine beiden Leibdiener Ferrau und Nathan, aber auch Maurice de la Cantillion, den Bruder seines Ausbilders Massimo. »Maurice, auf ein Wort«, bat er den Geistmagier für eine persönliche Unterredung zu sich.
Maurice:
Das Himmelsauge musterte kurz seinen jungen Herrn und folgte ihm dann umgehend. »Ihr habt nach mir gerufen Herr? Wie kann ich Euch dienen?«, fragte Maurice freundlich wie respektvoll.
Ciel:
»Ich benötige Ihre Dienste als Geistmagier. Es geht um eine persönliche Angelegenheit und verlangt Diskretion.« Ciel lenkte sein Pferd etwas beiseite und gab den Gardisten Zeichen, etwas mehr Abstand als sonst zu halten.
Maurice:
Lenkte sein Pferd genau neben das des Prinzen und nickte auf die Bemerkung hin. »Ihr könnt Euch ganz auf meine Verschwiegenheit verlassen Herr«, antwortete Maurice. Er streckte kurz den Arm nach oben aus und einen Moment später landete sein Falke. Für seine Aufgabe konnte der Magier keine mentale Ablenkung gebrauchen
Ciel:
»Es geht um meinen Leibdiener Nathan. Etwas stimmt nicht mit ihm, er ist unkonzentriert und angespannt. Er versucht es zu überspielen, aber mich täuscht er nicht. Es weist Parallelen zur Migräne von Khawa auf. Aber Nathan kenne ich schön sehr viel länger, er hat keine Migräne. Ich habe versucht, mit ihm zu reden, aber er behauptet, es sei nichts. Ich bin besorgt. Ich möchte Sie bitten, in seinem Kopf nach dem Rechten zu sehen.«
Maurice:
»Ich werde mich umgehend darum kümmern. Seien Sie unbesorgt«, erwiderte der Magier. Maurice schloss mit seinem Pferd umgehend zu Nathan auf und tippte ihn an. »In Namen der Himmelsaugen fordere ich Dich auf, sofort mit mir zur Seite zu kommen. Zuwiderhandlung muss ich abstrafen. Bitte unauffällig«, bat Maurice leise.
Nathan:
Nathan wurde kurzzeitig schwarz vor Augen. Er wäre fast vom Pferd gefallen. Nur mühsam konnte er sich wieder aufrecht hinsetzen. Hilfesuchend blickte er zu Ciel, doch der sah weg. Und auch Edo konnte ihm nicht helfen. Mit zittrigen Fingern raffte er die herumbaumelnden Zügel ordentlich zusammen. »Was habe ich denn falsch gemacht?«, fragte er mit brüchiger Stimme. »Muss ich ins Gefängnis?« Er ließ sein Pferd zu dem von Maurice gehen und ritt neben ihm her. Nathan war zum Heulen zumute, während er gedanklich sein Register an Unzulänglichkeiten herunterratterte.
Maurice:
»Aber nein nur aufgrund der akuten Gefahrenlage bin ich gehalten Deinen Mentalzustand zu durchforschen. Du wurdest gemeldet, dass Du Dich sehr auffällig und sonderbar verhältst. In Tagen wie diesen kann dies alles bedeuten. Solange Du Dich meiner Auslesung nicht verschließt, wirst Du keine Schmerzen verspüren. Also sei einfach locker, ansonsten muss ich Zwang anwenden. Schau mir in die Augen«, bat Maurice.
Nathan:
Erneut blickte Nathan hilfesuchend zu Ciel, doch der tat, als würde er es nicht bemerken. Natürlich war das gelogen, denn Ciel merkte alles, was seine Diener um ihn herum taten oder nicht taten. Gerade eben besprach er etwas mit Ferrau. Zufall oder Absicht? Was fragte Nathan sich das überhaupt, natürlich war das Absicht! Wer ihn gemeldet hatte, lag auf der Hand. Es gab kein Entrinnen. Nathan versuchte sich zu zwingen, dem Himmelsauge in die Augen zu sehen, doch das war etwas, das er nicht gut konnte und seine Augen sahen von allein immer wieder weg.
Maurice:
Der Magier starrte Nathan so durchdringend an, dass er allein davon schon Kopfschmerzen bekam. »Du machst es nur grundlos schlimmer«, sagte Maurice leise. Er grabschte Nathan im Schopf und fixierte dessen Kopf. Maurice schaute Nathan genau in die Augen und zwar so nah, dass sich ihre Nasen fast berührten. Urplötzlich spürte Nathan eine zweite Präsenz in seinen Gedanken, die seine Erinnerungen wie ein Buch durchforsteten.
Nathan:
Nathan bekam Panik und versuchte, den Mann von sich wegzuschieben. Aber er war nur ein Diener und der andere war ein Kampfmagier. Er hatte keine Chance, sich herauszuwinden, egal, wie sehr er sich mühte. Maurice riss ihm bei dem Versuch mehrere Haarbüschel heraus. Nathan kniff die Augen ganz fest zusammen.
Maurice:
Der Magier schloss die Augen und konzentrierte sich darauf die Mentalbarriere von Nathans Geist niederzureißen, um ihn weiter auslesen zu können. Dies war für Nathan allerdings nun allerdings alles andere als schmerzfrei. Er fühlte sich, als würde jemand mit glühenden Stäben in seinem Hirn herumbohren.
Edo:
Edoardo beobachtete die Situation eine Weile. Das Zucken in Nathan Gesicht zeigte ihm, dass er sich wohl wehrte. Der Gardist beschleunigte sein Pferd kurz und hielt dicht neben Nathan. Er legte seine Hand auf dessen Schulter. »Nathan du solltest dich besser nicht wehren. Er kann dich so oder so lesen.«
Nathan:
Nathan krallte seine Hände panisch in den Wappenrock von Maurice, der seine Haare erbarmungslos festhielt, so dass er nicht fortkonnte. Der Schmerz in seinem Kopf war so heftig, dass ihm die Tränen rannen und es fühlte sich an, als ob jemand mit einem Rührbesen sein Gehirn durchschlug. »Bitte nicht«, flehte er. »Bitte...!« Dann wurden die Schmerzen so übel, dass er nicht mehr reden konnte und jeder innere Widerstand zusammenbrach. Wimmernd und weinend hing er mit zusammengekniffenen Augen im Griff des Himmelsauges.
Maurice:
`Ich habe Dich gewarnt, mach es nicht schlimmer, als es ist. Verhalte Dich kooperativ und friedfertig. Dann wird Dir bei der Überprüfung nichts geschehen. Lass mich einfach meinen Job erledigen´, übermittelte Maurice Nathan mental und las dessen Gedanken aus, während er ihm zeitgleich etwas beruhigende Gedanken übermittelte. Er las zuerst die jüngsten Ereignisse, da sie wohl die wichtigsten waren, dann las er die vergangenen.
Nathan:
Nathan spürte, wie Maurice sich systematisch und erbarmungslos durch seine Erinnerungen wühlte. Das intime und so zärtliche Ereignis mit Fabien wurde brutal zutage gerissen, ebenso das Treffen mit den Gardisten in dem leerstehenden Verlies. Dann sah er den Ausflug mit dem Duc zum Sklavenmarkt, wo Nathan versucht hatte, sich mit Edoardo anzufreunden, den er mochte. Als Maurice noch tiefer grub, fand er weitere Ereignisse, in denen Nathan auf seine ungeschickte Weise versucht hatte, Freundschaften zu schließen und jedes Mal gescheitert war. »Aufhören!«, rief Nathan und versuchte, den Magier weiter von sich wegzuschieben. Der Magier gelangte zu den Erinnerungen, als Khawa in sein Leben trat und ihm die Aufmerksamkeit seiner einzigen Bezugsperson - Ciel - gekonnt streitig machte. Er sah sehr viel Einsamkeit. Doch als er noch weiter wühlte und in Nathans Jugend angelangte, sah er eine tiefe Freundschaft, die ihn mit Ciel verband und die durch die neuen Ereignisse völlig durcheinander kam. Als Maurice noch tiefer grub, gelangte er zu Nathans Gesangesprobe, die zur Verbannung der de Duponts geführt hatte und entdeckte noch früher, dass Nathan tatsächlich einmal eine wunderschöne Stimme gehabt hatte. Nathan zitterte am ganzen Körper.
Maurice:
Der Magier zog sich behutsam aus den Gedanken von Nathan zurück und strich ihm die Haare wieder glatt. Er musterte ihn einen Moment schweigend, nickte knapp und ritt dann zurück zu Ciel. »Herr ich habe Euren Leibdiener ausgelesen. Er hat keine Migräne oder der gleiche. Nichts davon war in seiner Erinnerung zu lesen«, sagte Maurice.
Ciel:
»Sondern?«, fragte Ciel.
Maurice:
»Möchtet Ihr die Wahrheit hören? Und nichts als die Wahrheit? Darf ich offen und ohne Sanktionen sprechen?«, fragte Maurice.
Ciel:
»Was glauben Sie, wofür ich Sie damit beauftragt habe?«, schnauzte Ciel. »Jetzt sprechen Sie schon!« Das Herumgedruckse von Maurice machte ihn nicht weniger nervös. Hoffentlich hatte er keine Geisteskrankheit oder gar einen Hirntumor in Nathans Kopf entdeckt!
Maurice:
»Wie Sie wünschen Herr. SIE sind das Problem. Sie machen den Mann krank. Er ist einsam, sie waren sein einziger Freund. Seine einzige Bezugsperson, seitdem er ein Junge ist. Er sah zu ihnen auf, er war ein Teil von ihnen. Und dann kam dieser Rakshaner und machte ihm seinen Platz streitig. Er ist nicht einmal eifersüchtig, er ist nur todtraurig und einsamer als ein Mensch sein sollte. Er hat versucht, Freunde zu finden, aber selbst dies haben Sie ihm unmöglich gemacht. Einsamkeit Herr, löst die gleichen Beschwerden aus wie körperlicher Schmerz. Dies habe ich gesehen und gelesen«, erklärte der Magier.
Ciel:
Ciel war niemand, der außerhalb des Privatlebens lachte, doch er gab ein kurzes Geräusch von sich, das so ähnlich klang. »Ich weiß, dass Nathan einsam ist, das ist nun einmal so als Leibdiener. Anderen geht es sicher ähnlich. Dieser Zustand dürfte demnach schon länger währen. Aber seit einigen Tage verhält er sich anders als sonst. Er schludert bei der Arbeit! Das ist nicht seine Art! Was ist los? Was haben Sie gelesen?«
Maurice:
Der Magier kaute kurz auf der Innenwange und musterte Ciel. Er war der Krone gegenüber zur Wahrheit verpflichtet, auch wenn er den Bengel vor sich am liebsten gerade eine gepfeffert hätte. Dennoch war dies ein Sohn des Duc. Und auf seine seltsame verdrehte Art schien er sich sogar zu sorgen. Maurice wollte Nathan nicht anschwärzen, aber er hatte ein Gelübde abgelegt und dies schloss Ciel als Teil der Krone mit ein. »Er hatte das erste mal in seinem Leben Sex«, flüsterte der Magier. Der Falke auf seinem Arm gab ein leises Zischen von sich. Er äußerte, was sein Herr nicht sagen durfte.
Ciel:
Ciels Gesicht wurde zu Eis. Eine Weile starrte er Maurice einfach nur an. Er überlegte, ob er wissen wollte, wer es gewesen war. Er sah Nathan, der etwas abseits gerade seine Frisur und seine Kleidung wieder richtete und fertig aussah. Fertig! Weshalb eigentlich, er hatte doch offenbar bekommen, was er wollte. Wie Ciel sich fühlte, war ihm offenbar gleichgültig. Ciel fühlte sich hintergangen, verraten vom einzigen Menschen, der ihm je wirklich nahegestanden hatte, ihre Freundschaft besudelt. Andererseits ... wer sagte denn, dass man ihn nicht dazu gezwungen hatte? Vielleicht war die Person handgreiflich geworden und Nathan sah darum so aufgebracht aus! »Wer war das«, wollte Ciel nun doch wissen und egal, wie die Antwort ausfiel, er würde diejenige oder denjenigen auf den Block schicken!
Maurice:
»Es war ein Mann, der ihn ausgesprochen ... nun nenne ich es mal liebevoll behandelte. Es war der Leibdiener Eures Vaters. Fabien Lacomb. Nathan und er haben sich im Schloss des Großherzogs Felipe zurückgezogen und dort ist es passiert«, flüsterte Maurice, der sich selbst gerade vorkam wie bei einem Verhör.
Ciel:
Ciel musste diese Information erst einmal setzen lassen. Er versuchte, die positiven Aspekte zu sehen. Nathan war gesund. Er war nicht misshandelt worden oder schlimmeres. Doch diese Dinge schienen geradezu lächerlich gegen das, was gerade in Ciel vorging. »Danke, Sie können mit Ihrer Arbeit weitermachen.«
Maurice:
Der Magier schaute Ciel einen Moment an, so als ob er noch etwas sagen wollte. Aber jeder weitere Kommentar war überflüssig oder würde Nathan schaden. Stattdessen verneigte er sich knapp im Sattel. »Wie Ihr wünscht Herr«, gab er betreten zurück und ritt zurück zu seinem Bruder.