Die Nacht brach ein. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages spiegelten sich noch im Hofteich, ehe die Sonne dann endgültig unter ging und die Gargoyles zum Leben erwachten.
Überall am Gemäuer des Schlosses, wo die steinernen Statuen der Gargoyles gestanden hatten, brachen nun einzelne Stücke von den Statuen ab und fielen zu Boden. Zunächst lösten sich nur winzige Steinchen im Bereich des Gesichtes von der Statue ab. Doch mit Zunahme der Dunkelheit begannen sich auch die Glieder der Gargoyles zu regen. Sie blinzelten und das charakteristische Schwarz in ihren Augen wurde sichtbar.
Überall im gesamten Schloss ertönte nun das geheimnisvolle Geräusch von Stein, das auseinander brach und im fernen Abgrund auf den Boden aufschlug. Die Gargoyles waren wach!
Auch der kleine Dario zählte zum Volk der Gargoyles. Er war jung, gerade mal 15 Jahre alt und doch hatte er schon Vieles gesehen im Leben. Mehr als die Meisten in seinem Alter...vorallem traumatisch war der Tod seines besten Freundes gewesen. Sowas konnte niemand so Recht vertragen, aber schon gar nicht Dario, der solch ein treues und liebes Wesen war.
Eine Träne kullerte die Wange herab, als Dario realisieren musste, dass eine weitere Nacht angebrochen war. Eine weitere Nacht ohne seinen einstigen Freund und Schützling Mathis. Dario atmete enttäuscht aus und schluchzte kurz auf. Er hatte insgeheim gehofft, dass er vielleicht diesen Tagesschlaf endlich sterben würde und nie mehr aufwachen würde. Doch leider war dies nicht passiert.
Dario leckte sich einmal reflexartig über die Klauen, als plötzlich eine Stimme ertönte:
"Dario, Schatz. Du musst was Essen," sagte die Mutter.
"Mutter...ich...", antwortete der kleine Gargoyle zaghaft. Er sprang den 5m Hang zur ihr runter. Aber das ohne die Leichtigkeit und den Frohsinn, mit der er dies sonst tat.
"Dario, was ist denn los. Du isst schon seit Nächten nichts mehr. Und ich hab dich die letzten Nächte kaum gesehen. Wo hast du dich denn getrieben? Warst du wieder mit deinem Freund unterwegs?", fragte Gabrielle besorgt.
Als seine Mutter Gabrielle seinen verstorbenen Mathis erwähnte schrie der Kleine auf. Er hatte ihr bis jetzt noch nichts von Mathis Tod erzählt.
"NEIN!", schrie er plötzlich erregt. Er wurde ganz rot im Gesicht, wie es immer war, wenn Dario emotional wurde.
""Ich...ich", Dario stammelte.
"Verdammt Mutter! Mathis ist tot!"
Gabrielle erschrak, als sie dies erfuhr. Sie nahm ihren Kleinen in den Arm, welcher darauf sofort in Tränen ausbrach. "Ich kann nicht mehr," weinte der kleine Gargoyle.
"Aber wie konnte dies passieren?", fragte Gabrielle besorgt.
Doch Dario antwortete nicht. Erst nach einem Happen zu essen, hatte er sich wieder beruhigt und so meldete er sich:
"Mutter, ich muss bisschen raus. Kann ich?"
Gabrielle sichtlich bemüht, nicht das Falsche zu tun, erwiderte mit trauriger Stimme:
"In Ordnung. Aber pass auf dich auf und melde dich in ein paar Stunden wieder!"
"Danke Mutter, du bist die Beste!", keuchte der Kleine und glitt mit diesen Worten in die Tiefen der Nacht.
* * * * *
- Ein paar Stunden später-
Dario machte seine übliche Route und war gerade schon auf dem halben Weg zurück, als plötzlich etwas unheilvoll am Horizont leuchtete, was der kleine Gargoyle noch nie wirklich wahrgenommen hatte. In dem Gebäude brennt Licht!, stellte Dario fest.
Er war neugierig und so glitt er etwas mehr in die Nähe des Gebäudes. Auf halber Strecke musste er aber einen Baum wieder ganz nach oben klettern, da er zuviel an Höhe verloren hatte. Als er schließlich nah genug dran war, schlich er sich langsam an das Gebäude heran. Er verhielt sich dabei so leise, dass ihn unmöglich jemand hören konnte.
Dario setzte vorsichtig ein Fuß nach dem Anderen und hörte seltsame Laute. Das Wiehern der Pferde, das Scharen von Hufen und andere Pferdegeräusche, die Dario aber nicht zuordnen konnte, da er solche Laute zum ersten Mal in seinem Leben wahrnahm.
Neugierig schlich er sich immer näher an das Gebäude heran, kletterte durch ein offenes Fenster hindurch und sah sich in Ruhe um.
Ihn ließ nicht mehr locker, woher dieses seltsame Geräusch kam und er tapste immer näher zur Quelle, von wo das Geräusch stammte.
Was ist das?, Dario kratzte sich am Kopf und stellte sich kurz in Sicherheit, in eine dunkle Ecke, um nachzudenken.
So ein komisches Geräusch habe ich noch nie gehört! Ich will wissen, was das ist!, sagte seine Neugier in ihm.
Aber was, wenn das ein böses Monster ist, was kleine Gargoyles frisst?, fragte sich der Kleine.
Ich sollte besser abhauen. Das ist zu gefährlich!, sagte die vorsichtige Stimme der Vernunft in ihm. Er ging schon bereits ein paar Schritte zurück, als sich die Neugier wieder meldete.
Wenn du jetzt nicht guckst, wirst du dich immer fragen, was das für ein Geräusch war... Mit diesem Gedanken ging er wieder ein paar Schritte vor zurück zu der Ecke, wo er gestanden hatte.
Jetzt trau dich, Feigling!, sprach er sich selbst Mut zu und öffnete dann die vermoderte Stalltür, die laut knatterte, als der kleine Gargoyle sie einen Spalt weit öffnete, um hindurchzuschlüpfen.
Als der Kleine das große vierfüßige Geschöpf sah, erschrak er. Er fing an zu fauchen an und sprang reflexartig an die nächstgelegene Wand. Das gewöhnliche Pferd wiederum war genauso erstaunt und wieherte noch lauter.
"Hey!", rief Dario mit leicht verzweifelter Stimmlage.
"Ruhig, sonst hört uns noch jemand!"