Vorbereitung zur Exekution
Maximilien hatte gemeinsam mit Ansgar und Leon den Hof erreicht. Der Duc entsandte umgehend Bellamy, damit dieser seinem Sohn Ciel beistehen konnte und so reiste der Greif gleich wieder in die Richtung ab, aus der er gekommen war.
Max schaute dem imposanten Tier hinterher und wünschte sich er könnte es dem großen Geschöpf gleich tun, seine Schwingen ausbreiten und allem davonfliegen. Aber dem war nicht so, er war erd- und amtsgebunden.
Maximilien wandte sich an seine Begleiter. Er schaute Leon lange schweigend an. Er hätte den Mann jederzeit wieder erkannt, es gab kaum ein Gesicht dass er so gut kannte wie das Leons. Und dennoch, die Zeit ließ alle Bilder verblassen, sogar das geliebter Personen. Die kleinen feinen Nuancen verschwanden und die Bilder wurden unscharf.
Im goldenen Schein von Leon gehüllt, frischte Maximilien die Erinnerungen an seinen langjährigen Leibdiener, besten Freund und Ziehvater auf. Es gab so unendlich viel zu sagen, aber sie hatten sich im Grunde bereits alles gesagt. Das wusste Max und Leon wusste es ebenso.
"Leb wohl alter Freund", sagte Maximilien mit Wehmut zu Leon.
"Du möchtest nicht darüber reden?", fragte der Geist des alten Leibdieners erstaunt.
"Nein es ist alles gesagt. Ruhe in Frieden Leon, das ist mein Scherbenhaufen, nicht Deiner", antwortete Maximilien und Ansgar gab den Geist frei.
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Was Maximilien bevorstand waren einige der schwersten Stunden. Vielleicht nicht als Außenstehender betrachtet, aber nahm man sich die Zeit hinter die Kulissen zu schauen, sah man dass der Mann der alles besaß, doch nichts wirklich sein Eigen nennen konnte.
Fast nichts.
Maximilien setzte sich zu Fabien und schaute seinen Leibdiener nachdenklich an. Fabien schaute freundlich zurück und schob seinen Kaffeebecher in die Mitte, damit Max einen Schluck nehmen konnte.
"Was trägt man als Teilnehmer einer Hinrichtung?", fragte Max Fabien, der ihn schockiert musterte.
"Bitte?", fragte Fabien perplex.
"Nicht meine eigene, die meiner Mutter. Aber auf gewisse Art fühlt es sich wie meine eigene Hinrichtung an Fabs. Das einzige Stück Wurzel, dass von mir übrig geblieben ist, muss ich am kommenden Morgen selbst abhaken", sinnierte Max und nahm einen Schluck Kaffee.
"Ich kenne die Hintergründe nicht, aber das hieße ja...", ließ Fabien den Satz unvollendet und rutschte näher zu Max auf.
"Ja, genau so ist es auch Fabien. Ich habe meinen Vater verloren, ich habe meinen Bruder verloren.
Am kommenden Morgen werde ich meine Mutter als Hochverräterin verlieren. Vor wenigen Minuten habe ich Leon erneut verloren.
Mein Vater starb, da meine Mutter nicht in einer Zwangsehe mit ihm leben konnte und wollte.
Mein Bruder wurde versehentlich mit in den Tod gerissen.
Und um das Ganze zu vertuschen, wurde von dieser Frau ein Orden in den Tod geschickt und in Misskredit gebraucht.
Lebe ich so anders als mein Vater? Nein. Auch ich führe eine Pflichtehe als Erstehe. Wie meine Frau tatsächlich zu mir steht, ist mir unbekannt. Ich habe zwei weitere Frauen, geführt als Liebesehen. Aber was diese von mir halten, ist mir ebenso unbekannt.
Heiratete eine von ihnen Maximilien oder heirateten sie alle nur den Duc?
Die Frage kann ich weder Dir noch mir beantworten.
Welches Grauen für alle Beteiligen aus solchen Absprachen entstehen kann, siehst Du am Beispiel meiner Eltern.
Dreux hingegen bestand darauf, dass auch die Erstehe eine Liebesehe sein darf, dass auch diese Ehe von Zuneigung, Vertrauen und Freundschaft getragen werden sollte. Er hat Recht und ich wünsche ihm, dass seine Ehe genau das wird - eine Liebesehe.
Meine Mutter hatte ein Verhältnis mit Parcival. Scheinbar wurde er als Werkzeug für ihre Pläne genutzt. Ich denke beide haben sich gleichfalls mit Schuld beladen, denn es gehören immer zwei dazu. Einer der benutzt und einer der sich ohne jede Gegenwehr benutzen lässt.
Ich musste mit 17 Jahren den Thron besteigen und von Null anfangen. Leon stand mir bei und lehrte mich die Dinge, die ich trotz aller Ausbildung nicht kannte. So war es Tradition, ebenso wie es Tradition war, dass die Erstehe eine Pflichtehe ist. Anstatt das Amt mit kalten, toten Händen weiterzureichen, wie es mir mein Vater überreichte, änderte Dreux die Tradition und nun wird das Amt mit warmen, lebenden Händen weitergegeben. Auch hier hatte er Recht.
Vielleicht sollte man sich nicht jeder Tradition ungefragt beugen, sondern im Zweifelsfalle die Tradition ändern, wenn sich das Beugen zu sehr schmerzt.
Und den Umstand über den Fall der Agenten der Autarkie, wie auch den Unfall meines Vater zu klären wurde Leon mein alter Leibdiener beschworen. Er klärte uns auf, was sich damals zugetragen hatte Fabien. Zum Klärungsbedarf kam es, da sich zwei Kinder der Agenten der Autarkie als Paar zusammengeschlossen haben. Wir befürchteten ein Bündnis gegen die Krone dahinter, aber Ciel war dafür genau den Umstand offen anzusprechen. Allein den Kindern der Agenten wurde damals Gnade gewährt, sie wurden mental bereinigt und dann in Kinderheime gegeben.
Und auf einmal aus heiterem Himmel, bittet mich Chevalier de Mancini im Thronsaal darum, Boldiszar meinen Leibgardisten erwerben zu dürfen. Beides jene Kinder der Agenten. Dass ich in dem Fall nicht an Zufälle glauben konnte, war klar.
Der Zufall führte sie aber nicht zusammen um uns zu schaden, sondern um altes Unrecht zu sühnen. Und um wieder zusammenzufügen, was zusammen gehört.
Die Klärung fand bei der Ruine der Gewitterfeste statt, da sich Ciel dort vor Ort befand. Ein passender Ort - eine Ruine, genau dass was unsere Familie auch bald werden.
Nach Leons Aufklärung, bat Ciel darum, mit Parcival persönlich die Aussprache suchen zu dürfen. Ich gewährte ihm seine Bitte. Abseits von uns führten sie das Gespräch und es zog sich besorgniserregend in die Länge.
Bis zu jenem Punkt, so Parcival Ciel magisch angriff. Glücklicherweise hatte mich Davard begleitet. Leon lenkte Parcival ab, Davard störte den Angriff auf Ciel und in dem Moment enthauptete ich Parcival um das Leben meines Sohnes zu retten.
Eine Handlung, die jeder liebende Vater begangen hätte.
Eine Handlung, die in den Augen von Ciel verachtenswert war.
Ciels Wut nach Parcivals Tod richtete sich gegen mich. Seine Trauer galt nicht Paricvals Opfer, sondern dem Verräter. Weder kann ich dies logisch noch emotional erfassen, es entzieht sich meinem Verständnis.
Ciel warf vor dem Gespräch die Frage auf, ob es möglich wäre, dass ich der Sohn von Duchesse Francoise Esme de Souvagne und Parcival wäre. Demzufolge wären wir, sprich ich sowie alle meine Nachkommen keine de Souvagnes und der Thron würde an die de Neufvilles übergehen. Seltsamerweise schien er von der Idee sehr angetan zu sein, ebenso davon, dass Parcival sein Großvater sein könnte.
Wenn dem tatsächlich so wäre Fabien und ich kein de Souvagne wäre, dann wäre mein gesamtes Leben eine Farce. Weder hatte ich eine Kindheit, noch hatte ich ein richtiges Erwachsenenleben, noch habe ich eine Familie wie man sie allgemein hin kennt. Ich hatte und habe stets ein Amt erfüllt und selbst das wäre nicht das meine gewesen. Meine gesamte Existenz wäre sinnlos.
Für Dreux, Greg und Ciel wäre ein Umdenken sowie eine Umkehr nicht zu spät. Zwar hatten sie auch die Kindheit eines Adligen zu leben, aber ich habe ihnen alle Möglichkeiten geboten, die mir zur Verfügung standen. Ich weiß was ich selbst vermisst habe, aber ich weiß auch, wo man für junge Adlige und vor allem für zukünftige Monarchen die Grenze ziehen muss.
Wenn man mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde, kann man gerne behaupten auf alles zu verzichten. Aber würden sie das wirklich wollen? Würde Ciel das tatsächlich wollen? Der Palast, die Diener, die gesamte höfische Leben, die Lebensart und die Lebensweise, der Reichtum, die existenzielle Sorglosigkeit - all das was wir genießen dürfen, wäre fort.
Nichts davon würde bleiben, denn die Geburtslinie des Mannes ist ausschlaggebend und Parcival war nicht einmal von Stand oder Adel. Würde Ciels Wunschtraum in Erfüllung gehen würde er als freier, mittelloser Mann aufwachen. Es wäre von Vorteil, dann auf die Freiheit zu verzichten und sich einen guten Lehnsherren zu suchen, denn einen Beruf der einen ernährt haben wir nicht gelernt. Wir könnten uns höchstens als Buchhalter, Büttel oder Söldner verdingen, resultierend aus dem was ein Adliger nebenbei lernt.
Trotz all seiner Wünsche, Tagträume und Hirngespinste kann ich jedem versichern der Sohn meines Vaters Alain Etienne de Souvagne zu sein, denn ich würde einem Mann nicht dermaßen optisch ähnlich sehen, wenn wir nicht blutsverwandt wären.
Was ist nun die Quintessenz aus dem heutigen Tage?
Das ist trotz all meines Wohlstands nichts besitze.
Weder Vater, Mutter, noch Bruder, aufgrund ihres Todes.
Weder Ehefrauen, noch Kinder, aufgrund seelischer Distanz.
Weder Freunde, Kameraden, noch Kumpel, aufgrund meines Amtes.
Die wahre Bedeutung von Duc ist allein.
Ich besitze einzig und allein einen einzigen Vertrauten - Dich.
Und morgen früh gilt es, nicht nur das tonnenschwere Ornat zu tragen, sondern auch das Reichs- und Richtschwert um damit die Duchesse persönlich vor aller Augen zu richten. Niemand, auch nicht die alte Duchesse steht über dem Duc selbst. Keine Person in Souvagne steht über dem Großherzog. Ein Angriff auf ihn wird stets und in aller Härte mit dem Tode geahndet.
Auch wenn mir die Duchesse Francoise Esme de Souvagne nie etwas als Mutter bedeutete, ist sie dennoch die Frau die mich gebar, ein Teil meiner Wurzeln, ein Teil von mir selbst.
Ich möchte sie nicht töten, ich will sie nicht persönlich richten. Aber ich werde es tun, wie stets der Tradition folgend. Und der Tradition folgend, werde ich Rüstung tragen, so wie der Duc de Souvagne einem Feind auf dem Feld gegenübertritt.
Ich überlege ob dies meine letzte Amtshandlung als Duc sein wird. In dem Fall werden wir den Hof, aber nicht Sovagne verlassen Fabien. Die Verhaftung aufgrund von Hochverrats müsste bereits erfolgt sein. Sei so gut und rufe Remy zu mir", erklärte Maximilien sanft.
Fabien stand auf, nickte stumm und machte sich umgehend auf den Weg. In der Tür blieb er stehen und schaute zu seinem Herrn und besten Freund zurück. Müde und ausgelaugt, saß der Duc am Tisch und trank gedankenverloren seinen Kaffee.