Zwei Tage waren vergangen seit Finja und Nicolai von der Taverne "Zum Schluckspecht" aus aufgebrochen waren. Sie nutzten die Zeit und lernten sich etwas besser kennen. Finja hatte Nicolai ein Bild von ihrem Bruder gezeigt. "Seweryn" stand dort in krakeliger Schrift in einer Ecke geschrieben. Nicolai fiel auf, dass Finja dieses Bild nicht bei den anderen aufbewahrte, sondern in einer kleinen Tasche unter ihrer Lederrüstung trug. An den Faltkanten war das Pergament bereits leicht porös und hier und da eingerissen. Das Bild schien etwas Besonderes für sie zu sein.
Finja hätte bereits zu diesem Zeitpunkt ihrer Reise im Freien übernachtet, doch sie kamen unterwegs in der Scheune eines kleinen Bauerngehöfts unter, was Nicolai durchaus besser zu gefallen schien. Von der Bauernfamilie hatten sie sogar ein kleines Frühstück mit auf den Weg bekommen!
Es war fast Mittag und Finja knabberte an den Resten des frisch gebackenen Brötchens, welches sie von der Bäuerin geschenkt bekommen hatte. Schon bald würden die beiden das Dorf "Felsensenke" erreichen. "Einige nennen das Dorf auch "Rattenkuhle". Es ist auf kaum einer Karte verzeichnet und wie ich hörte gefällt auch genau das den Einwohnern sehr.", erklärte Finja dem Raktauren. "Der Spitzname kommt daher, weil bei einem Rudel Ratten auch alles drunter und drüber geht.". Grinsend schaute sie zu Nicolai hinüber. "Mach dir nicht ins Hemd, es klingt tatsächlich schlimmer als es ist. Halt dich einfach an mich, dann wird dir nichts passieren.". Finja zwinkerte ihm zu. "Die Leute dort sind wirklich friedlich, solange man ihnen nichts tut.". Ihr Gang hatte mittlerweile etwas leicht federndes und der Speer, den sie locker geschultert hatte, wippte bei jedem Schritt sanft auf und ab. "Wir werden ja eine alte Bekannte von mir besuchen, sie nennt sich "Luna". Ist ein Spitzname. Sie hat in ihrem Warenlager so ziemlich alles, was wir brauchen oder kann es ohne großen Aufwand besorgen. Natürlich bekommen wir einen Freundschaftspreis.". Finja freute sich schon auf das Wiedersehen mit Luna. Nicht selten hatte sie sich bei ihr für ihre Aufträge mit diversen Ausrüstungsgegenständen eingedeckt. Luna war einfach immer die beste Ansprechpartnerin für sowas, fand Finja. "Oh und wenn wir dort sind sollten wir auf jeden Fall ein Glas "Krautwasser" zusammen trinken! Das ist eine Art Tee, doch er wird fast eiskalt getrunken. Sehr erfrischend und gleichzeitig würzig, das MUSST du einfach probieren! Das gibt es nur da!". Finja hielt kurz inne. "Keine Sorge, da ist kein Alkohol drin...ehm...trinkst du eigentlich?". Sie war, wie Nicolai mittlerweile wusste, "dem ein oder anderen Getränk" nicht abgeneigt.
"Ein weiterer Vorteil: Von der Rattenkuhle aus gibt es eine alte und fast vergessene, befestigte Händlerstraße, die uns näher zu deinem...nein...unserem Treffpunkt bringen wird. Da werden wir angenehmer reisen als auf diesen dreckigen Waldwegen hier. Unterwegs gibt es auch gute Übernachtungsmöglichkeiten.".
Finja hatte das Brötchen aufgegessen, fummelte den Trinkschlauch von ihrem Gürtel ab und nahm einen tiefen Schluck. Dann schaute sie den Raktauren ernst an. "Nicolai...verzeih mir bitte wenn ich dich falsch einschätze, aber falls du nicht mitkommen möchtest, dann geh ich allein dahin und wir treffen uns einfach später hinter der Rattenkuhle wieder. Manchmal bin ich vielleicht etwas zu...übereifrig?". Sie machte eine kurze Pause. "Aber...ich würde mich freuen, wenn du mich begleiten würdest, verstehst du?". Finja ging ein paar Schritte schweigend neben Nicolai her. "Solche Idioten wie vor dem Gasthaus gibt es da auf jeden Fall nicht. Jeder ist dort willkommen, die Leute wollen nur ihren Geschäften nachgehen. Und wer weiss? Vielleicht findest du da ja auch etwas, was dir gefällt oder was dir nützlich sein kann?". Finja hoffte so an Nicolais Neugier und Forschergeist zu appelieren. "Vertrau mir einfach.". Sie lächelte.