Die Elemente tragen unsere Welt. Sie sind die Konstanten im Wechselspiel von Licht und Schatten, Geburt und Tod, Wachstum und Erneuerung. Sie stärken und kontrollieren sie sich gegenseitig in perfekter Balance.
Oder im ewigen Wettstreit.
Es ist eine Frage des Blickwinkels.
Prolog
Ein Ast knackte unter Raks Fuß. Sofort verharrte er und lauschte. Er zog seinen Schild näher zu sich heran, ging leicht in die Knie. Hatten sie ihn gehört? Der Wald wirkte verlassen, doch er wusste, dass sie da waren und ihn jagten.
Er drehte den Kopf. Bis auf das Rascheln der trockenen Blätter war nichts zu hören, bis auf die Schattenspiele der späten Sonnenstrahlen nichts zu sehen. Sein selbst gezimmertes Holzschwert fest gepackt, setzte er sich wieder in Bewegung. Geduckt schlich er den engen Pfad entlang, der nach etlichen Biegungen zum Fluss führen würde.
Mit Sicherheit würden sie das Ufer überwachen, doch dort konnte er sich schneller bewegen und war das unangenehme Gefühl los, jeden Moment aus dem Hinterhalt angegriffen zu werden. Er musste es nur bis zur Böschung schaffen, dann könnte er sich zwischen den moosigen Felsen und krummen Bäumen verstecken und seine Verfolger aus sicherer Entfernung beobachten.
Ein Surren in der Luft schreckte Rak aus seinen Gedanken auf. Er zuckte zusammen und direkt neben ihm schlug ein Pfeil in den Stamm eines Baumes ein. Sofort drehte sich Rak um, riss den Schild hoch und duckte sich dahinter weg. Ein zweiter Pfeil prallte daran ab. Sie hatten ihn gefunden…
Der Bogenschütze rief etwas. Langsam ging Rak rückwärts, ohne seine Deckung zu lichten. Wieder schlug ein Peil gegen einen Baum. Dann sah er die ersten Schemen seitlich im Unterholz. Sie kamen zu fünft auf ihn zu. Er war umzingelt und seine einzige Waffe war ein hölzernes Schwert. Trotzdem packte er es fest. Er war bereit, den Kampf aufzunehmen.
„Dieses Mal bist du weit gekommen“, sagte Sara. „Wir waren uns sicher, dass du dich nicht an einen der Pfade hältst.“
Sie legte sich ihr Kurzschwert über die Schulter und trat hinaus auf den Weg.
„Ja… Wenn Matthes dich nicht gefunden hätte, wärst du bis zum Fluss gekommen.“ Jaspar grinste.
„Es ist noch nicht vorbei! Ihr müsst mich angreifen!“, forderte Rak.
Sara seufzte. „Und dann verpfeift uns dein Vater wieder, weil du so viele blaue Flecken hast. Nein danke.“
Rak spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. „Ich werde sie ihm sicher nicht zeigen“, presste er hervor.
„Wir haben sowieso gewonnen.“ Mit gespannter Sehne trat nun auch Matthes aus dem Gebüsch. „Lass gut sein für heute, Rak. Ich habe Bier am Fluss versteckt. Wir sollten es trinken, bevor die Strömung es sich holt.“
Mit grimmiger Miene sah Rak den Knappen an. Es war fast immer er, der ihn aufspürte und mit seinen stumpfen Pfeilen beschoss. Aber kein Wunder: immerhin genoss er im Gegensatz zu den anderen die nötige Ausbildung.
„Du schuldest mir noch einen Zweikampf… irgendwann… dann musst du diese feige Waffe ablegen und wie ein Mann kämpfen.“
Matthes lachte und klopfte Rak auf die Schulter.
„Wenn du das wirklich willst… und jetzt kommt.“
Am Fluss wartete nicht nur gekühltes Bier auf sie, sondern, wie Rak erstaunt feststellte, die Prinzessin höchst selbst.
„Was starrst du so?“, fuhr sie Rak an. „Im Gegensatz zu meinem hohen Bruder vermisst meine Anwesenheit bei so einem Schwachsinn wie diesen Turnieren niemand. Da kann ich genauso gut ein wenig Spaß haben.“
Rak bezweifelte allerdings, dass sie alleine hier war. Er blickte sich um und lange suchen musste er nicht: am Waldrand waren drei Ritter der königlichen Garde postiert. Er fragte sich, ob es Fluch oder Segen war, immer von dieser schweigenden Horde flankiert zu werden.
Sie saßen am Flussufer und tranken. Klara hatte ihren Kopf auf Jaspars Schoß gelegt, der seinem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck zum Trotz verkrampft und regungslos da saß. Rak verstand sich eigentlich gut mit dem Sohn des Waffenschmieds, doch es störte ihn, dass der Freund sich von der Prinzessin so manipulieren ließ. Ihm musste doch klar sein, dass für ihn nichts als Ärger aus so einer Verbindung herausspringen würde.
„Hört ihr das auch?“, sagte Matthes plötzlich in die Stille. „Hier summt etwas.“
„Du summst“, lachte Bastian. „Du hast wohl schon zu viel Bier getrunken.“
„Eben, das kommt bestimmt nur aus der Imkerei“, ergänzte Sara.
„Nein. Ich höre es auch. Das sind keine Bienen.“ Rak wusste genau, wie sich Bienen anhörten, da sich auch seine Eltern ein paar kleinere Stöcke hielten. Die Insekten summten auf eine gleichmäßige und sanfte Weise, doch dieses Geräusch war scharf wie eine Schneide und unstetig.
„Es kommt von hier drüben“, sagte Matthes und ging in Richtung einer dichteren Böschung. „Hier ist es richtig laut.“
Rak stand auf und folgte dem Knappen. Er hatte Recht: das Geräusch schwoll an und pochte in dröhnenden Wellen in seinem Kopf. Rak spürte ein Kribbeln in seinen Händen. Er konnte das Geräusch nicht länger nur hören, sondern auch fühlen. In Wellen strich es über seine Haut und pulsierte durch sein Blut. Instinktiv hielt er sich die Ohren zu.
„Da ist etwas in dem Gebüsch“, sagte Matthes, dem das Summen offenbar weniger zusetzte. „Lass uns nachsehen, was es ist.“
Rak wollte protestieren, doch er war wie betäubt und der Knappe griff bereits zum Heft seines Kurzschwerts und entfernte das Gebüsch.
„Was ist das?“, raunte Bastian aus einiger Entfernung.
„Ein Stein, was sonst“, warf Jaspar ein.
„Das ist kein normaler Stein“, sagte Sara. „Seht doch wie die Luft um ihn herum vibriert und wie es summt.“
Der Rest der Gruppe schloss zu Rak und Matthes auf. Jaspar streckte die Hand nach dem Pfeiler aus.
„Vielleicht sollten wir es lieber nicht anfassen“, sagte Rak unsicher.
Klara schnaubte. „Hast du Angst, Brötchen?“
„Er hat Recht“, sagte Sara. „Wir wissen ja gar nicht, was das ist. Vielleicht sollten wir die Ritter rufen.“
„Spinnst du? Weißt du, wie lange ich gebraucht habe, sie davon zu überzeugen, dass sie nicht pausenlos direkt hinter mir stehen müssen? Lasst mich machen. Im Gegensatz zu euch bin ich nicht so ein Angsthase.“
Klara streckte die Hand aus und legte sie auf den Pfeiler. Ihre Augen weiteten sich kurz, dann aber lächelte sie.
„Seht ihr, ihr Feiglinge? Das ist nur ein Wegestein! Früher hat es solche Markierungen oft gegeben.“
Zufrieden wollte sie ihre Hand wieder wegziehen, doch es ging nicht. Entsetzen machte sich in ihrem Gesicht breit und Rak folgte ihrem Blick bis zur Hand und sah den Grund dafür: der Stein bewegte sich. Es wirkte ein bisschen wie grauer Brötchenteig und langsam schloss sich die Masse um Klaras Hand.
„Tut etwas, so tut doch etwas!“, rief die Prinzessin verzweifelt.
Die merkwürdige Steinmasse hatte bereits ihr Handgelenk erreicht und es machte nicht den Anschein, als würde es dort stoppen. Hilflos stand die Gruppe Jugendliche um das Mädchen und starrte aus bleichen Gesichtern auf den verschwindenden Arm. Mittlerweile hatten die Ritter sie erreicht.
„Euer Majestät, was habt ihr getan?“, rief einer aus, den Rak als Sir Wernett erkannte. Klara schrie wie am Spieß, doch auch die Ritter schienen unfähig etwas zu tun. Bevor er wusste was er tat, griff sich Rak Matthes‘ Schwert und trennte mit einer schnellen und gezielten Bewegung die Hand der Prinzessin ab.
Klara verstummte kurz. Rak spürte alle Blicke auf sich. Dann begann die Prinzessin wieder zu schreien, dieses Mal vor Schmerz.
Rak stand da wie erstarrt.
Klara weinte und schrie und es war fast schon erlösend, als sie schließlich das Bewusstsein verlor.
„Du hast die Prinzessin verletzt!“, rief Sir Wernett.
„Ich… ich habe sie gerettet“, stammelte Rak.
„Du hast die Klinge gegen Eure Majestät erhoben“, beharrte der große Mann. „Das wird mit dem Tode bestraft.“
Rak wollte etwas erwidern, doch Jaspar erhob zitternd die Hand und zeigte auf die Prinzessin.
„Klara! Was passiert mit ihr?“
Die anderen folgten seinem Blick. Die Haut der Prinzessin verfärbte sich grau und schien brüchig zu werden.
„Sie verwandelt sich in Stein“, flüsterte Rak eigentlich mehr zu sich selbst, doch Sir Wernett blickte ihn aus strengen blauen Augen an.
„Du scheinst ja sehr genau Bescheid zu wissen. Das ist Hexerei, das ist…“
Weiter kam er nicht. Klara öffnete die Augen und sah sich panisch um. Ihre Pupillen tanzten in den Höhlen, doch kein Laut kam aus ihrem Mund.
„Sir, wir müssen sie ins Schloss bringen“, sagte einer der anderen Ritter und Sir Wernett nahm widerwillig seinen Blick von Rak. „Bringt sie zu meinem Pferd. Und danach legt diesen Bastard in Ketten und werft ihn in den Kerker.“
Rak stand da, als wäre er ebenfalls versteinert. Er hatte doch nur helfen wollen!
Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter.
„Komm, Junge.“ Sir Kartoffs Stimme duldete keine Widerrede, doch Rak hatte sowieso nicht vor sich zu wehren. Was sollte er gegen den großen Ritter schon ausrichten?
Er ließ sich an den anderen vorbei führen und sah nicht zu ihnen auf. Keiner hatte versucht, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Stumm standen sie da, wie sie es schon getan hatten, als Klara angegriffen worden war. Sie waren allesamt Feiglinge!
Kartoff hob ihn auf das Schlachtross und schwang sich hinter ihn in den Sattel.
„Zur Burg“, knurrte Sir Penleff. Wernett war mit der Prinzessin bereits losgeritten.
Rak kannte den Weg in und auswendig. Er musste nicht aufsehen, um zu wissen, dass sie erst die Obsthaine durchquerten, die ersten Ausläufer des Dorfes passierten und schließlich durch das Haupttor in den ersten und durch das Basalttor in den zweiten Mauerring gelangten. Immerhin fand gerade das Turnier statt und Marktplatz und Gassen waren verwaist.
„Ich habe sie gerettet“, flüsterte Rak, doch falls Sir Kartoff ihn hören konnte, ignorierte er ihn.
Wie um alles in der Welt sollte er sich verteidigen, vor allem, wenn die anderen den Mund nicht aufbrachten? Er verstand ja selbst nicht einmal, was dort passiert war. Seit wann wurde Stein lebendig? Hexerei… Sir Wernetts Worte fielen ihm wieder ein und seine Augen weiteten sich. Sie würden ihn steinigen, sie würden ihn hängen! Der Gedanke erschien so aberwitzig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er derjenige war, dem die Leute Krinkgards demnächst üble Dinge zuriefen, den sie mit Steinen und Mist bewarfen und einen Hexer schimpften. Doch selbst wenn Matthes oder Jaspar ihn verteidigten, wer würde ihnen glauben? Selbst Saras Wort würde nicht genug Gewicht haben, obwohl sie die Cousine der Prinzessin war. Die Prinzessin… was würde mit ihr geschehen?
„Was machen wir mit ihm?“, drang Sir Penleffs Stimme in Raks Bewusstsein.
„Verlies“, brummte Sir Kartoff.
„Ich habe sie gerettet.“ Dieses Mal sprach Rak lauter und versuchte die Angst in seiner Stimme zu verbergen.
„Du hast den verdammten Stein auf sie gehetzt, Junge.“ Rak erwiderte Penleffs Blick und schüttelte energisch den Kopf. „Nein! Das stimmt nicht! Wie sollte ich so etwas tun?“
„Schweig. Der König wird über dich entscheiden“, mischte Kartoff sich ein.
„Er hat uns immer gewarnt“, Sir Penleff führte sein Pferd näher heran. „Wir haben ihn alle für verrückt erklärt, aber er hat uns gewarnt.“ Er flüsterte nun fast. „Die Magie kehrt zurück.“
1. Die Nacht und das Feuer
Die Schwärze der Nacht ging nahtlos in die Wände der Festung Xarchavas über. Das bleiche Licht des Mondes kämpfte allein gegen die Dunkelheit, doch schon bald würde es Beistand erhalten. Ein riesiger Scheiterhaufen wartete darauf, entzündet zu werden. Triborin rückte die enge Lederuniform am Hals zurecht und verlagerte das Gewicht.
„Nervös?“, zischte Rachmar höhnisch von der Seite. „Lass das besser nicht den Lord sehen.“
Triborin knirschte mit den Zähnen. „Ich bin nicht nervös“, log er.
Es war seine erste große Hinrichtung, nun, da er die Akademie verlassen und als Leibgardist dem Ritual beizuwohnen hatte.
„Ich rate dir, nicht das Gesicht zu verziehen, wenn sie schreien“, fuhr der ältere Krieger fort. „Er wird es merken.“
Daran zweifelte Triborin nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Lord Xyrius überhaupt etwas entging. Doch er hatte nicht vor, das Gesicht zu verziehen. Diese Leute hatten verdient den Feuertod zu sterben, denn sie hatten ihren Herrn betrogen und damit auch ihre Göttin.
Der umliegende Platz war überfüllt. Die ganze Hauptstadt schien sich versammelt zu haben, voller Hass und Gier danach, die Verräter sterben zu sehen. Des Lords Platz war leer, gesäumt von Reihe um Reihe seiner Leibgarde, viele pechschwarze Treppenstufen über dem Scheiterhaufen und dem gemeinen Volk. Eine gespenstische Stille lag über der ganzen Szene. Dann klirrten die Ketten der Verurteilten hinter Triborin, als diese durch den schmalen Korridor zwischen den Reihen der Krieger und Stufe um Stufe hinab in Richtung Tod marschierten. Der junge Elf schielte zu ihnen hinüber. Die Männer und Frauen trugen helle Hemden, als Zeichen ihrer Schande. Ihr Haar war abrasiert worden und viele ließen Schultern und Köpfe hängen, zerstört und gebrochen von Folter und Verhör. Nur einige wenige hatten das Kinn stolz nach vorne gestreckt mit grimmigem Ausdruck und Trotz in den Augen. Als Triborin schon meinte, der Zug würde gar nicht mehr aufhören, kam das letzte Opfer an ihm vorbei und sein Herz setzte einen Moment aus. Es war ein Kind.
„Was kann ein Kind…“, murmelte er fassungslos, da trat Rachmar ihm auf den Fuß. Lord Xyrius hatte das Podest betreten und seine purpurnen Augen streiften über all die Köpfe hinweg. Er trug das weißblonde Haar offen und streng nach hinten gekämmt. Seine Gewänder waren pechschwarz und aufwendig gearbeitet und die Halskrempe reichte ihm bis an die scharfe Linie seines Kiefers. Der Lord der Dunkelelfen nahm Platz und hob eine Hand und, wenn es denn überhaupt möglich war, wurde es noch stiller. Langsam trat ein Beamter neben dem Thron hervor und entrollte ein Stück Pergament.
„Die hohe Rasse der Dunkelelfen, auserkoren von Noxa, der einzig wahren Göttin über Himmel und Erde, Leben und Tod, überdauert auf diesem Planeten schon seit je her… weil eines stets ihr Grundsatz war“, er hielt kurz inne, um dann noch lauter und schneidender fortzufahren. „Geboren von der Nacht, unserer Mutter, ist ein jeder Dunkelelf ihr zu Treue verpflichtet. Ihr, und ihrem Vertreter auf Erden, unserem Lord. Im Gegenzug erhält er Schutz und Sicherheit und kann darauf vertrauen, dass die Nacht jedes Mal wieder über das Licht des Tages siegen wird.
All‘ jene, die dem zuwider handeln, sind eine Gefahr für das Überleben unseres Volkes! Sie sind eine Schande für unsereins und Noxa nicht würdig.“
Die Gefangenen hatten mittlerweile den Scheiterhaufen erreicht und waren rundherum platziert und angekettet worden.
„Zum Wohle und zur Sicherheit unseres Volkes werden sie brennen und den Zorn unserer hohen Göttin erfahren.“
Erneut hob Lord Xyrius die Hand und dieses Mal schossen augenblicklich Flammen hinauf. Triborin lief es eiskalt den Rücken hinunter, doch er zwang sich, den Kopf gerade zu halten und hinzusehen. Die Flammen zischten und krochen immer näher an die Verurteilten heran. Ganz deutlich konnte Triborin den kleinen Körper des Kindes erkennen. Er schluckte schwer. Dann kamen die Schreie. Erst war es vereinzeltes Stöhnen, gefolgt von Gewimmer und schließlich kreischte und brüllte der ganze Feuerball vor Qual und Schmerz. Triborins Inneres zog sich zusammen. Vor seinem Geiste sah er den kleinen Körper des Jungen, seine vor Panik weit aufgerissenen Augen und den zu einem Schrei geöffneten Mund, ungehört inmitten der anderen, hilflos, zwecklos, atemlos, bis endlich der Tod Erbarmen zeigte und es wieder still wurde. Erst jetzt bemerkte Triborin, dass er aufgehört hatte zu atmen und wie ein halb ertrunkener sog er gierig Luft ein.
Das Knistern und Knacken der Flammen waren die einzigen Geräusche auf dem großen Platz. Niemand rührte sich. Es stand Lord Xyrius zu, die Versammlung aufzulösen.
Triborin drehte den Kopf ein wenig und sah zu seinem Oberhaupt hinüber. Vor Schreck zuckte er zusammen. Die kalten Augen des Lords waren direkt auf ihn gerichtet. Triborins Herz schlug ihm bis zum Hals. Hatte er seine Schwäche erkannt? Sein Mitleid, seine Zweifel? Sowohl Unterwürfigkeit als auch Stärke zeigend, hielt Triborin dem Blick stand, ohne seinem Lord direkt in die Augen zu sehen, was strengstens untersagt war. Die Anspannung zog sich durch seinen ganzen Körper, doch er versuchte jedwede Gefühlsregung aus seinem Gesicht zu verbannen.
Endlich wandte Xyrius den Blick ab. Stumm erhob er sich, nickte knapp in Richtung der versammelten Elfen und setzte sich in Bewegung.
Die Gardisten drehten ab, um ihren Herrscher in die Festung zu geleiten. Noch immer spürte Triborin den harten Blick der purpurnen Augen auf sich, merkte wie seine Hände zitterten. Mutter hatte ihn gewarnt. Xarchavas formte junge Männer wie ein Schmiedehammer. Entweder sie brachen oder sie verhärteten. Triborin verwarf den Gedanken und presste seine Lippen fest aufeinander. Er war nicht schwach. Er war der beste seines Jahrgangs. Bei Noxa, er musste sich zusammenreißen.
Xarchavas gewaltige Fassade wuchs vor ihnen aus dem schwarzen Fels des Gebirges heraus und streckte ihre zackigen Glieder in den Nachthimmel. Das Portal stand offen und die Kaminfeuer dahinter ließen es wie einen feurigen Schlund erscheinen. Ihre Schritte hallten laut in der großen Obsidianhalle, an deren Ende Xyrius Thron platziert war und zu deren Seiten dunkle Gänge und Treppen tiefer in die Festung führten.
Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, schritt Xyrius auf die breiteste der Treppen zu, die in seine privaten Gemächer führte. Mechanisch blieben die Gardisten am Rand des Durchgangs stehen, nahmen Haltung an und warteten, bis Xyrius‘ Schritte verhallten und die Türe seines Kartenzimmers laut ins Schloss fiel.
Triborin hatte den Rest des Tages frei, deshalb machte er sich auf in Richtung der Gewölbegänge, die die Zellen der Gardisten beherbergten. Noch bevor er die Haupthalle verlassen hatte, fing ihn ein Schreiber ab.
„Gardist Taachor?“, fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten. „Seine Lordschaft will Euch sehen. Unverzüglich.“
Das Herz sank Triborin in die Hose. Andere Gardisten warfen ihm Blicke zu, doch keiner sagte etwas. Es gab zu viele Ohren in dieser Halle. Nervös steuerte Triborin auf den Durchgang zu, in dem Xyrius verschwunden war. Zwei Gardisten hatten davor Stellung bezogen und nickten ihm knapp zu. Am Fuß der Treppe hielt er kurz inne. Er war noch nie in diesem Teil der Festung gewesen. Die wenigsten waren das.
Die Stufen waren spiegelglatt und gleichmäßig. An den Wänden führte ein schwarzes Geländer nach oben, wo es sich im Dunkeln verlor. Ein Beamter mit der typischen von Silber durchwobenen Uniform empfing Triborin am oberen Treppenabsatz.
„Gardist Taachor, wenn Ihr mit bitte folgen mögt.“
Er führte Triborin einen breiten Gang entlang, der mit einem dunklen Teppich ausgelegt war und blieb vor einer schweren, schwarz getünchten Doppeltür stehen.
„Bitte“, sagte er und öffnete einen Türflügel.
Triborin nickte und trat mit klopfendem Herzen ein.
Der Raum war leer.
Zu beiden Seiten standen Stühle an der Wand und der hintere Bereich des Zimmers wurde von einem großen Tisch dominiert. Zögerlich blieb Triborin in der Mitte des Raumes stehen. Im Eck gab es keinen großen Ofen mit reichlich verzierten Kacheln, doch es war das Gemälde über dem Tisch, das Triborins Aufmerksamkeit auf sich zog.
Zwei Meter mindestens mochte die Spannweite der Schwingen betragen und irgendetwas sagte Triborin, dass dieses Wesen keinesfalls vergrößert dargestellt war. Das Gefieder war braun und leuchtete an den Spitzen golden und um den kräftigen Leib trug die Kreatur einen hölzernen Harnisch. Obwohl Triborin wusste, dass es sich nur um ein Fabelwesen handeln konnte, verspürte er Ehrfurcht.
„Faszinierend, nicht wahr?“
Triborin zuckte zusammen. Xyrius hatte absolut lautlos den Raum betreten.
„Mein Lord“, Triborin verbeugte sich.
„Ich habe einen Auftrag für dich.“