Der Biss in Spee
Archibald drückte seinen Sohn zur Begrüßung und strich ihm über die Haare. Hector drückte ihn zurück und schaute Nathan abwartend an.
"Hector - Nathan mein Mann, Nathan - Hector mein Sohn. Hört zu Ihr beiden, Nathan Du wirst bei meinem Sohn bleiben, bis ich wieder da bin. Kümmere Dich gut um ihn. Und Du Hec, beschütze Nathan. Er bedeutet mir soviel wie Du. Du weißt was das heißt", erklärte Archibald und machte es sich auf dem Sofa von Hector gemütlich.
Das Grauen setzte sich neben die Bestie und nickte knapp.
"Hier ist er völlig sicher, jeder weiß zu wem er gehört und ich passe auf ihn auf", antwortete Archibalds Sohn umgänglich.
Archi strich ihm durch die Haare und packte ihn am Kinn. Er musterte ihn einen Augenblick, was Hector irritierte.
"Du hast nicht mehr lange Zeit, irgendwann nehme ich Dir die Entscheidung ab Hec", sagte Archi leise.
"Das siehst Du so, ich sehe das völlig anders. Erstens weiß ich nicht, ob ich so ein Leben überhaupt will. Ich könnte nie wieder etwas essen. Ich würde mich von Blut ernähren.
Flüssigfleisch wenn man so will, aber nicht das was mir schmeckt. Der Tag wäre eine tödliche Bedrohung. Nicht das ich sonderlich oft Tagsüber rausgehen würde, aber ab und an muss ich es doch. Oder es ergibt sich auf einer Jagd. Als Mensch ist mir das gleich. Als Vampir nicht mehr.
Und die alles entscheidende Frage ist, inwieweit kannst Du Dich beherrschen?
Hunger.
Wir beide wissen was das bedeutet. Du kanntest ihn als Beisser.
Du weißt wie es ist, sich selbst in der Qual des Hungers und dem Rausch des Fressen zu verlieren.
Selbstkontrolle?
In dem Moment nicht möglich.
Der Durst eines Vampirs soll unseren Hunger noch übertreffen. So sagt man. Sag es mir, ist das so?
Du dürftest mich nicht ganz aussaugen, sondern müsstest den Biss und das Blutsaugen unterbrechen, damit ich als Vampir wiedergeboren werde.
Du hattest Deinen Hunger nie unter Kontrolle, genauso wenig wie ich.
Gleich wen wir in dem Zustand in den Krallen haben, wir fressen ihn bei lebendigem Leib auf. Nur ein einziges Mal dem Hunger widerstehen. Es klingt so einfach, dann beherrsche ich mich.
Nichts dergleichen habe ich getan.
Da war er mein Kleiner, in meinen Armen, so winzig, weich und warm. Er streckte seine Händchen nach mir aus, zeitgleich streckte der Hunger seine Krallen nach mir aus.
Gier, die erregende Erinnerung von Fleisch, Fett und Blut zwischen den Zähnen und den Geschmack auf der Zunge. Purer Genuss gepaart mit leidenschaftlicher Extase, der alles beiseite wischte.
Letzte bewusste Empfindung wie sich meine Zähne in zartes Fleisch graben und saftige, blutige Brocken meine Kehle runterrutschen.
Aus.
Erste bewusste Wahrnehmung nach dem Erwachen aus dem Fressrausch....
Es gibt keine Worte dafür, was ich empfunden habe. Scham, Schuld, Verzweiflung, Wut, Hilflosigkeit.
Er war fort, weil ich ihn nicht fortgeben wollte.
Weil ich mich nicht ein einziges Mal beherrschen konnte. Er hat mir vertraut, niemals lag Angst in seinem Blick. Ich habe ihn geliebt und ich habe ihn gefressen.
Ich erinnere mich nicht daran, dass ich gebrüllt habe wie am Spieß. Aber so musste es gewesen sein, Manfredo versuchte mich zu beruhigen. Irgendwann war die Baronin da und nahm mir seine zerfetzten Überreste aus den Klauen. Ich wollte ihn nicht hergeben, immer noch nicht.
Völlig irrational wollte ich ihn beschützen.
Ich.
Ausgerechnet ich!
Wie lächerlich.
Sie zwangen mir irgendein Gebräu die Kehle runter und ich schlief ein. Wochen lag ich nur noch apathisch im Bett, ich ass nichts ich trank nur Wasser.
Die Baronin redete mit mir, jeden einzelnen Tag stundenlang. Irgendwann hatte ich mich mit dem abgefunden, was geschehen war. Niemand läuft seiner Natur davon. Es war meine Schuld, ich hätte ihn abgeben müssen. Unsere Liebe heißt, unsere Kinder gehen lassen.
Eines Tages stand Ratte vor mir und hielt einen Arashi im Arm. So klein, winzig und weich mit dunklen Haaren.
Was beim Abgrund sollte das? Wollte mich das Weib verhöhnen? Ein Mitbringsel? Ein Geschenk? Ihr Erwachen?
Sie wollte ihn behalten. Aber wieso? Und wieso brachte sie ihn zu mir?
Ich verstand es.
Versuch es erneut. Schau ihn Dir an und lass heute die Zähne aufeinander...
Genau das tat ich, ich schaute ihn an, ich gab ihn Ratte zurück und ich rettete sein Leben. Ich nahm ihn als mein Mündel an.
Und jetzt erzähl Du mir, Du würdest Dich beim Trinken beherrschen. Ernsthaft?", schnaubte Hector.
"Ernsthaft würde ich es versuchen oder Dich von einem Vertrauten beißen lassen.
Weshalb? Weil Du mein Kleiner bist, den ich nicht verlieren möchte. Du bist jetzt auf Deinem Zenit, alt genug für alle Erfahrungen und körperlich fit.
Irgendwann in ein paar Jahren kippt das System. Von Tag zu Tag und Jahr zu Jahr wird es schwieriger den Ist-Zustand zu halten. Und dann kommt die Zeit, wo selbst das beste und härteste Training nichts mehr nützt. Du wirst schwächer, langsamer, älter. Davor will ich Dich bewahren.
Ich bin so gerade noch mit einem blauen Auge davon gekommen. Im Grunde hätte ich mich mit spätestens 45 Jahren beißen lassen müssen. Nun besser spät als nie, aber bedenke, der Tag Deines Bisses ist der Tag ab dem für Dich körperlich die Zeit für immer still steht.
Möchtest Du das als Greis, oder auf Deinem Zenit?
Falls Du nicht weißt was zu tun ist, Dein Papa weiß es und zur Not rettet er Dich. Sogar vor Dir selbst und Deinen Entscheidungen.
Nathan kümmert sich um Dich, wir reden darüber sobald ich wieder zurück bin. Tekuro wird Dich beißen. Mein Geschenk ging an ihn, so soll er es Dir verleihen", antwortete Archibald.
"Archi ich verstehe dass, aber...", setzte Hector an und wurde von seinem Vater direkt unterbrochen.
"Kein aber Hector. Passt auf Euch auf", gab Archibald zurück.
Er küsste Nathan zum Abschied und knuffte Hector, ehe er die Wohnung verließ.
Hector musterte Nathan und klopfte neben sich auf das Sofa.
"Willkommen in der Familie Nathan", sagte er und ließ sich im Sofa herabsinken.
"Hunger?", fragte er mit schrägem Grinsen.