Kapitel 26 - Der Schlüsselmeister des Lichts

  • Kapitel 26 - Der Schlüsselmeister des Lichts



    An Bord von Thabit schritt Verrill unruhig auf und ab, während Chiara versuchte die Ducachessa zu beruhigen. In ihrem Zustand war jede Aufregung Gift, denn sie trug das Kind seiner Majestät unter dem Herzen. Mit grimmigem Gesichtsausdruck ließ sich Verrill auf eine der Sitzgelegenheiten nieder. Für die außergewöhnliche

    Bauart von Thabit, hatte die Ducachessa im Moment keine Augen. Ebensowenig für die Technik, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Sie hing ihren eigenen finsteren Gedanken nach.


    Thabit hingegen beobachtete seine Gäste sehr genau, allen vorran Tazio und seine Frau. Er überwachte durch seine Sensoren den Herzschlag des Ungeborenen, denn er wollte nicht, dass Tazios Kind in Gefahr geriet. Die Inbesitznahme schien Verrill gut verkraftet zu haben. Dennoch war Thabit nicht weniger wütend als Verrill, nur aus einem völlig anderen Grund. Er fand es unverantwortlich von Horatio nach dem Leib dieser Frau zu greifen, während sie das Kind von Tazio Ferdinando di Ledvico unter dem Herzen trug.


    Darüber war noch nicht das letzte Wort gesprochen, auch wenn Verrill der Schlüsselmeister von Horatio war. Wer war zur ihrer Rettung geeilt? Wo lebte sie? Welches Land nannte sie Heimat? Sie gehörte Tazio, sie war seine Frau, seine Ducachessa, die Mutter seiner Kinder. Dadurch gehörte sie zur Familie und Thabit würde alles daran setzen, das Ungeborene und sie zu beschützen. Der Leviathan pflügte mit finsteren Gedanken durch die See, Irving spürte jeden einzelnen dieser Gedanken.


    Vianello trat zu Verrill und reichte ihr einen Tee, den sie mit dankbarem Nicken entgegen nahm.


    "Begleitet mich bitte Hoheit, Ihr solltet nicht derart brütend durch das Schiff laufen, Ihr müsst Euch schonen", bat Nello.

    "Da hast Du völlig Recht! Ich muss zu Tazio! Mein Bruder ist nicht ganz bei Sinnen! Er kreidet unserem Schutzpatron an, das Land zu bedrohen? Lächerlich. Seine waghalsigen Aktionen haben unser Land gefährdet, weshalb kam Dunwolf überhaupt nach Souvagne? Weil Ciel ihn zu uns gelockt hat. Bis dato hatten wir nichts mit den naridischen Problemen was Dun-Haru-Mar betrifft zu tun. Er sollte anfangen selbst zu denken, stattdessen plappert er nach, was der Kastrat Alex ihm vorbetet. Wie erbärmlich ist das für einen Princen? Und dieser Tropf von einem Mann soll ein Land regieren? Er?", donnerte Verrill.


    "Hoheit beruhigt Euch bitte, dies ist ein Beruhigungstee. Versucht ihn wirken zu lassen. Atmet tief durch, versucht zu entspannen. All das können wir auch in Harmonie klären. Euer geliebter Bruder hat sicher auch damals versucht, die Welt vor einer Bedrohung zu retten. Und was es mit Horatio auf sich hat, dass kann ich nicht beurteilen. Ich bin nur ein einfacher Leibdiener Hoheit, mir entzieht sich derartiges Wissen. Und offen gestanden bin ich froh darum. Nun kommt bitte und begleitet mich zu Tazio. Er vergeht vor Kummer und Sorge um Euch", bat Vianello und machte eine einladende Geste.

    "Du hast Recht, ich muss zu Tazio, mein Mann wird wissen wie man mit Ciel verfährt. Sich mit Dunwolf verbünden wollen, war er nicht sein Erzfeind? Und nun trinken sie Bruderschaft? Wenn Ciel versucht die Welt zu retten, sollte jeder den Kopf einziehen. Es reicht was ich über die Ältesten weiß Nello. Niemand hat von Dir einen Vortrag über ihre Fähigkeiten verlangt. Und keiner kann alle Ältesten kennen, einige haben Wächter ihres Wissens wie mich, andere nicht. Selbst ich kann nicht alle kennen oder ihre Fähigkeiten, ich kann nur das Wissen verwahren, was mir Horatio zur Verfügung stellt, oder eigenes sammeln", sagte Verrill und schritt durch Thabit in einem Stechschritt das Vianello und Chira Mühe hatten mit ihr Schritt zu halten.


    Verrill enterte die Brücke und warf sich Tazio in die Arme. Sie drückte ihren Mann, als hätte sie vor ihn zu ersticken. Die Wut war schlagartig in Tazios Armen verraucht, sie fühlte sich müde, wach und hilfslos und klammerte sich regelrecht an ihm fest.


    "Tazio wir müssen Ciel aufhalten, bitte. Du weißt nicht, was er anrichten wird. Horatio hat niemanden angegriffen, im Gegenteil er steht unserem Volk seit Äonen von Jahren bei. Ganz ähnlich wie Thabit unserem Ledwick. Ciel hat nicht die geringste Ahnung, er verurteilt Horatio für etwas, dass er nie tat. Schau einst brachte er den Teil einer uralten Magie in die Welt um Almanien zu schützen. Normalerweise ist er neutral eingestellt und ehr ein Beobachter. Er schreitet nur ein, wenn es wirklich sein muss. Er ist ein Forscher, ein Wissenssammler, daher auch die Flamme des Wissens. Unwissenheit zerstört, wenn man etwas versteht, entwickelt man auch Verständnis, so sagt er.


    Als die Rakshaner unsere bekannte Welt in Stücke reißen wollten, als sie die Burgen und Bibliotheken schleifen wollten, da nahm er menschliche Gestalt an und lehrte unserem Volk den Gebrauch eines Magiesplitters. Dieser Zweig einer uralten Magie, das war die Nekromantie.


    ...Und so zogen die Gräul des Krieges über dem Horizont Almaniens auf, geführt von Hunden die auf Hyänen ritten und die Zivilisation selbst angriffen. Horatio der Lichte wusste, dass dass man Schrecken nur mit noch größerem Schrecken besiegen kann. Und was schreckt einen Menschen mehr als der Tod? Der Untod! Und so erhoben sich auf den Schlachtfeldern die gefallenen Feinde und wurden zu Kameraden. Die Wüstenhunde prallten auf einen Wall aus untoten Leibern, geschaffen aus ihrer Armee, geschmiedet aus den Leichen ihrer Kameraden. Gesichter die ihnen einst gelacht hatten, lechzten nun nach ihrem Blut. Und so wendete sich das Blatt, als die einstigen Freunde ihnen das Fleisch von den Knochen schälten und sie verschlangen. Der finstere Untod, dargereicht von dem Lichten trieb die Schergen des Choas zurück in die Wüste.


    Mit dieser Lehre war die erste Ultima Ratio geboren, geschaffen aus uraltem Wissen und der Weisheit, dass es in einem Krieg keine schmutzigen Waffen gibt.

    Noch heute verwahrt der Orden "Blut und Gebeine" die alten Kampfsprüche, auf dass sich der Orden todbringend erhebt, sobald sich der Feind aus der Wüste erheben sollte.


    Vater war nicht im Land, sein Thronfolger war nicht im Land, sogar Ciel war in Ehveros. All das hatte nur eines zu bedeuten, die Zeichen am Himmel standen auf Sturm, obwohl der erste Sturm erst gerade an uns vorübergezogen war. Sie verhandelten in Ehveros mit einer Natter, die schlimmer war als jeder Wüstenhund. Und so tat ich das, was jeder Regent getan hätte, ich rief den Orden Blut und Gebeine im Namen Horatios zusammen und ließ einen weiteren Orden von ihnen ausbilden.


    Die Hand Horatios, so heißt mein Orden, meine nekromantische Eingreiftruppe.

    Es handelt sich um Kampfmagier, ähnlich den Himmelsaugen nur bedienen sie sich der Nekromantie.


    Hätten sich erneut die Rakshaner oder wer auch immer erhoben, wäre jeder Gefallene eine Verstärkung unserer Armee geworden. Sie beschützen Souvagne, sie verteidigen Almanien. Was denkt Ciel sich dabei, genau jenen Mann zu verunglimpfen und herauszufordern, der uns seit dem Anbeginn der Zeit beigestanden hat? Er leitete uns an, teilte sein Wissen und verlangte nichts dafür bis auf die Seelen unserer Feinde.


    Sag was Tazi, ich benötige Deinen Rat. Ich musste uns in die Lage versetzen es mit dem Rest der Welt aufzunehmen um meinen Vater und meine Brüder zu retten oder zu rächen!", erklärte Verrill verzweifelt.

  • Tazio schloss seine Gemahlin in die Arme. Er hielt sie fest und küsste sie, bevor sie anfing zu sprechen. Dann half er ihr, sich bequem zu setzen, ohne dass er sie hernach losließ. Es waren viele Informationen, die sie ihm preisgab und er war nicht sicher, ob sie je für seine Ohren bestimmt gewesen waren. Dass sie diese Staatsgeheimnisse nun an ihn herantrug, zeigte, wie wichtig es ihr war und welche Angst sie hatte.


    "Ihr beide wünscht das Gleiche, meine wundervolle Verrill - die Sicherheit von Souvagne. Nur schwörst du auf den Schutz der Nekromantie, während Ciel auf den Schutz der Bluthexer vertraut. Ist es besser, Feuer mit einem Gegenfeuer zu bekämpfen oder es mit Wasser zu löschen? Nur die Methoden unterscheiden sich. Ein Rat als Duca steht mir nicht zu, ich könnte allenfalls als Schwiegersohn und Freund einmal versuchen, mit eurem Vater zu sprechen, damit er zwischen euch vermittelt. Er kennt euch beide am besten und auch sein Land. Wenn du möchtest, besuchen wir ihn. Ich würde nur gern vorher Alexandre abholen, er muss auch wieder nach Hause gelangen. Bist du einverstanden?"


    Er strich ihr durch das Haar und küsste sie innig. Langsam und mit einem weiteren Kuss löste er schließlich seine Lippen von ihren.


    "Nur bitte versprich mir eines. Wenn es dich in die Ferne zieht und du wandern musst, dann sorge dafür, dass ich erfahre, wo du bist. Ich werde dich niemals aufhalten, nicht einmal jetzt, wo du unseren Sohn unter deinem Herzen trägst."

  • Verrill küsste Tazio und ergriff danach sein Gesicht mit beiden Händen.


    "Tazio ich verlasse Dich nicht, ich benötige Dich an meiner Seite. Wir beide sind so unzertrennlich wie Irving und Thabit. Wir müssen Ciel aufhalten, er wird das zerstören, was uns geschützt hat. Ist das Wissen schlecht, nur weil es von einem Naridier stammt? Würdest Du solches Wissen nicht sammeln? Es geht um alles Tazio, um das verwahrte Wissen und auch um Horatio selbst.


    Alexandre muss hingerichtet werden, er ist ein Unhold sondern gleichen. Er hat den Geist von Ciel mit seinen widernatürlichen Lehren vergiftet. Und Ciel hat Linhard vergiftet. Linhard hat sich ebenso von uns abgewandt Tazio. Er dient Ciel, seine Treue gehört ihm. Vielleicht war es schon immer so.


    Du hättest hören sollen, wie Ciel über Horatio sprach, als wäre er das Übel der Welt. Zeitgleich lobte er seinen einstigen Feind in den höchsten Tönen.


    Tazio, der fremde Schlüsselmeister bat mich um Beistand. Er hat sich von Dunwolf abgewandt und bat um Hilfe. Er weiß was seinem Ältesten schaden kann, wir müssen es ebenso wissen. Denn wenn wir in die Schlacht ziehen, dann müssen wir Dunwolf in die Knie zwingen, damit Horatio obsiegt.


    Möchtest Du in ewiger Finsternis und in einem lebenden Abgrund dahinvegetieren? Möchtest Du als magisches Füllhorn für ihn herhalten, als Bennstoff für seine Sprüche? Thabit kann uns ebenso beistehen, er hat unendliches Wissen. Aber wir benötigen das Wissen aus Dunwolfs Nähkästchen, wir müssen den Schlüsselmeister abgreifen. Ciel hat den Kerl vertrieben, großartig hat er das gemacht.


    Ich schwöre Dir, Ciel war schon immer mit Dunwolf im Bunde. Der ganze Zenober im Herrenhaus diente nur dazu uns zu täuschen, damit er Dunwolf nach Souvagne schleusen kann. Er wurde verfolgt, von wegen er brachte ihn mit. Das Blut eines der Verräter muss durch seine Adern fließen, so sehr wie er seine Familie und sein Land hasst. Und ich habe seine Kinder ausgetragen. Gut es sind meine Kinder. Meine eigenen, er wird sie nicht in seine finsteren Klauen bekommen.


    Wo sind meine Kinder überhaupt?", fragte Verrill nervös.

  • "Sie sind im Palazzo Ducale in Sicherheit", versuchte Tazio sie zu beruhigen, während Irving hereinkam, um ihnen beiden Tee zu bringen. Danach verdrückte er sich wieder. "Möchtest du, dass ich mit Maximilien spreche? Ich kann und darf kein Urteil über einen seiner Söhne, über seine Magier oder über die Sicherheitsmechanismen von Souvagne fällen. Das würde ich mir nicht einmal anmaßen, wenn man mich darum bitten würde, denn um das Detail zu begreifen, muss man das große Ganze verstehen und das tue ich nicht. Allein die souvagnische Krone versteht, wie alles ineinandergreift.


    Dass Linhard sich von uns abgewandt hat, glaube ich nicht, bevor ich es nicht selbst von ihm höre oder in seinen Taten erlebe. Bis jetzt sehe ich keinen Anlass, an seiner Treue und guten Absicht uns gegenüber zu zweifeln. Er ist mein Ehebruder und dein Mann. Er ist Teil der Familie. Er wäre das nicht, hätten du und ich uns nicht einst dafür entschieden, ihm zu vertrauen."

  • Verrill nahm mit dankbaren Nicken den Tee von Irving entgegen und trank einen Schluck.


    "Damit hast Du Recht Tazio, alle Verknüpfungen der Fäden im großen Teppich des Wissens betreffend Souvagne kennt nur Vater. Jetzt verstehst Du sicher auch, warum manche Ältesten Schlüsselmeister haben, ihre Fäden reichen Jahrhunderte oder länger zurück und es ist für sie einfacher, wenn sie das Wissen auf mehrere verteilen. Sozusagen wie Sekretäre die ihnen mit dem Wissen zuarbeiten. Stell Dir vor, all Dein Wissen würdest Du mit Vianello teilen und er kümmert sich ab dato um einen bestimmen Bereich. Dann weißt Du, da kannst Du nichts vergessen. Nello behält das Wissen und Dein Ziel im Auge, damit Du Dich nicht verzettelst.


    Ja rede mit Vater von Schwiegersohn zu Vater und von Duca zu Duc.

    Vater würde auch nicht in die Geschicke von Ledwick eingreifen, ebensowenig ich. Es sei denn unsere Existenz steht auf dem Spiel, dann würde ich es tun und Vater sicher ebenso. Rettung steht über allem.


    Linhard hat sich Ciel angeschlossen Tazio, er kam nicht mit mir mit und er hat Partei für Ciel ergriffen. Ob ich das so einfach verzeihen kann, muss ich mir überlegen. Er hat mich zwar gestützt und beschützt, aber ich hätte gar nicht vor Hector beschützt werden müssen, sondern vor Ciel. So unglaublich das klingt. Hector ist der andere Schlüsselmeister, falls er die Wahrheit sprach.


    Ausgerechnet Ciel hat er den Dolch des Lichten ausgehändigt, damit dieser Dunwolf verletzt. Ciel muss sich ein Ei aus der Hose gelacht haben. Aber gut, wer konnte auch ahnen dass mein Bruder so ein Wendehals ist. Trotzdem hätte Hector den Dolch besser selbst behalten oder mir geben müssen. Wir schlittern gerade von einer Katastrophe in die andere, ich sehe es schon kommen, dass ich Ciel und Linhard erschlagen muss", stöhnte Verrill und nahm noch einen Schluck Tee.

  • "Du hast es gesehen?", fragte Tazio hellhörig. "Möchtest du das erklären? In die Geschicke von Ledwick mischt sich niemand ein, den wir nicht damit beauftragen, auch nicht zu Rettungszwecken, sollten wir entscheiden, dass es untergeht. Es ist unser Land und das wird es sein, so lange es Ledvico heißt."


    Mit Einschätzungen zu Ciel und Linhard hielt er sich nach wie vor zurück. Er war niemand, der schnell ein Urteil über Menschen fällte, er beobachtete sie lange und sehr genau und er mochte sowohl Linhard als auch Ciel und mochte nicht glauben, dass sie beide Verräter waren, nur weil sie ein wenig anders tickten, als der Rest. Dafür hatte er zu viele außergewöhnliche Charaktere in seinem Umfeld, allen voran auch seine geliebte Frau, was er ihr natürlich nicht sagte, oder auch Irving.


    "Was den Teppich betrifft ... so ist er aus Seide?"

  • "Nein das ich Ciel und Linhard niederstrecken muss, habe ich nicht wirklich gesehen. Es ist nur eine Vermutung, bei der mir ganz anders wird. Einst Tazio haben wir uns geliebt und waren uns nah. Möglicherweise zu nah, so dass das Schicksal diesen Knoten gewoben hat.


    Der Teppich von dem ich spreche ist ein Sinnbild, entweder für Wissen oder für die Zeit selbst. Ainuwar webt ihn, wir sind in dem Teppich verwoben und die Fäden, dass ist unser Schicksal. Ciel will diese Fäden durchtrennen, so scheint es mir.


    Ebenso jemand anderes, das habe ich gesehen aber Du wirst es nicht verstehen. Eine Person die jetzt schon existiert, aber nicht das ist was sie einst werden wird. Diese Person wird in ferner Zukunft versuchen den Teppich zu zerstören, alle Fäden zu kappen, um so die Zeit selbst zu töten. Wenn ich ihn sehe, so ist er ein Drache. Der Drache der die Zeit selbst verschlingen will, so wird er genannt. Aber der Drache hat mit all dem hier nichts zu tun Tazio.


    Du hast Recht, die Entscheidung über Ledwick obliegen alleine Dir, dennoch würde ich versuchen Dich zu retten und Vater ebenso. Wir würden doch nicht zuschauen, wenn Du untergehst. Seltsame Wortwahl, denn einem Leone wird das Versinken im Meer nichts ausmachen", sagte Verrill und drehte die Tasse in ihren Händen.


    "Es freut mich dass unsere Kinder in Sicherheit sind. Ich muss die Ruhe bewahren, gerade in dieser schweren Zeit und eigentlich gilt meine vorrangige Loyalität nun Ledwick. Aber mir wurde einst eine Aufgabe überreicht, die nicht ruhen kann. Damit behüte ich nicht nur Souvagne, sondern Almanien. Jedenfalls ist das mein Ziel, ich weiß nicht wie ich handeln soll. Horatio ist gewarnt, er kann sich verteidigen. Jedenfalls gehe ich davon aus. Vielleicht bin ich nur so wütend, weil ich gleichfalls von Ciel und Linhard enttäuscht bin.


    Ich hatte ein anderes Verhalten von beiden erwartet, stattdessen hat mir niemand zugehört. Ein ehemaliger Feind der mich erkannte, stand mir bei. Und mein Bruder und Ehemann die mir beistehen sollten, boten mir die Stirn. Nichts gegen Beistand, aber ich hätte ihn gerne auch von meiner Familie gehabt Tazio.


    Gerettet aus all dem Trubel und dem Wahnsinn den Ciel losgetreten hat, hast Du mich", erklärte Verrill liebevoll und küsste Tazio erneut.

  • Tazio küsste sie liebevoll zurück. In dem Moment hörte er das Signal, dass sie ihr Ziel erreicht hatten.


    "Möchtest du mit dem Luftschiff reisen oder mit dem Prachtadler, wenn wir deinen Vater besuchen?", fragte er und bot ihr den Arm an, um sie nach draußen zu geleiten. Er gab Vianello den Befehl, Alexandre zu holen und den Ruspante, mit dem dieser sich angefreundet hatte, was Irving mächtig stolz zu machen schien. "Ledwick wird nicht versinken, Verrill. Und wenn dann darum, weil wir es so entscheiden und dann wird niemand uns aufhalten. Der Teppich von dem du sprichst, ist aus Seide, ich vermute, von Zeitraupen gesponnen.


    Recht und Unrecht existieren nur dort, wo wir sie definieren. Diese Begriffe sind menschengemacht. In Wahrheit gibt es keine Schuld und niemand sollte sich grämen wegen eines schlechten Gewissens. Ciel und Linhard tun, was sie tun müssen und ob das gut ist, entscheidet der Betrachter. Ich glaube nicht daran, dass sie bewusst Böses tun wollen, genau wie der Zeitfresser, von dem du sprichst. Darum fürchte dich nicht. Am Ende fügt sich alles zusammen, so wie es sich fügen muss. Wäre es anders, wären Sirio und sein Heer noch am Leben. Doch sie mussten vorausgehen, sich auf dem Meeresgrund zur Ruh legen in einemn kollektiven Ritual, um eine verfrühte Ebbe zu schaffen und reinigenden Schlick über Ledwick zu bringen, auf das es erneut erblüht und das fruchtbarer denn je."

  • Verrill faltete die Hände in ihren Schoss und schaute Tazio ernst an.


    "Woraus der Teppich ist, dass kann ich Dir nicht sagen. Sollte er aus Seide sein, dann kühlt er bei Hitze und wärmt bei Kälte. Er wäre hauchfein und von besonderem Glanz. Deine Worte erinnern mich an eine Weisheit, die ein Leon meinem Vater vor langer Zeit sagte.


    Er sagte, es gibt von allen Dingen vier Seiten Riv. Deine Sicht, deren Sicht, die Wahrheit und das was tatsächlich passiert ist.

    Und damit hatte der alte Leibdiener meines Vaters Recht, es kommt auf den Betrachtungswinkel an und auf die Person, die betrachtet.


    Was nützt die größte Weitsicht, wenn sich der Blick durch Wut verengt? Nichts.

    Niemandem ist damit geholfen.


    Jeder folgt seinem eigenen Schicksalsfaden durch den Teppich der Zeit, lebt seine Geschichte. Dort wo er sich mit anderen Fäden verbindet, entstehen Freundschaften, Liebschaften, Kinder, Feindschaften und alles was Menschen verbindet und trennt. Es kann sein, dass alles so geschieht, weil es geschehen muss. Unabhängig davon, ob wir es gutheißen und was wir dabei fühlen.


    Denn anders kann man nicht erklären, warum manches trotz der Ältesten und der Götter geschieht. Aber schaut man auf den Teppich, so sind auch sie dort eingewoben. Denn der Teppich hat nicht nur eine Forderseite das Diesseits, sondern er hat auch eine Rückseite den Nexus. Und wer weiß wieviele Zwischenstufen bis zum eigentlichen Ende der Zeit. Und das Ende der Zeit besagt, das kein Faden lose hängt. Es endet nichts, denn es vergeht und entsteht neu und so werden die Fäden gesponnen und verwoben.


    Bis zu dem Tag, wo der Drache beschließt die Zeit selbst zu töten.

    Ich habe Dir von dem Drachen erzählt, aber ich berichte es Dir gerne erneut. Damit Du weißt, was ich sah.


    Als Schlüsselmeister habe ich eine Aufgabe erhalten, sehen und erkennen. Und so liegt es an mir, jenen in den fernen Zeiten mit den Waffen auszustatten, den heiligen Gobelin der Zeit zu beschützen. Den eines Tages wird er am Himmel erscheinen, der Dämon - der Drache, der die Zeit selbst vernichten will. Diese Pflicht dieses Wesen aufzuhalten ruht auf den Schultern eines Mannes. Er trägt diese Bürde unwissend im Herzen, er trägt sie weise.


    Man kann den Drachen der die Zeit vernichten will auf zwei Arten erschlagen - durch Überzeugung und durch den Tod. Seine Seele ist verloren, sie weilte nie wirklich im Nexus hinter den Sternen, sondern sie fristet ein Dasein in Finsternis, die sich in seinem Herzen vor langer Zeit eingenistet hat. Die Seele des Drachen benötigt zwei Relikte um gerettet zu werden, eine Laterne des heiligen Lichts um ihn aus der Dunkelheit zu führen und ein Schwert von gleicher Machart um sich im Licht zu verteidigen. Oder der Weise selbst nutzt beides, um Erkenntnis zu erlangen und den Drachen mit dem Schwert zu erschlagen.


    Vergesst eines nicht, der Drache ist die Pein, die man ihm einimpfte. Er ist ein Schatten des Chaos, der eine nekrotische Haut trägt. Er trachtet danach, die in dem Leid zu ertränken, dass er selbst erdulden musste. Dadurch wird er etwas anderem den Weg ebnen, der Auflösung von allem und Nichts. Er der den Gobelin der Zeit zerfasern will. Jene die nur einen Blick auf diese Welt haben, vergleichen die Stunden die durch ein Stundenglas rieseln mit der Zeit, die tatsächlich verstreicht. Für den Drachen der die Zeit vernichten will, ist die Zeit selbst der Feind. Können Zeitmessung und wahre Zeit je dasselbe sein? Oder anders gefragt, sind sie wirklich verschieden? Die Antwort darauf kennt nur Ainuwar selbst - oder der Drache.


    Der Drache ist die Frage, die Bedrohung und die Antwort selbst.


    Dem Pfad dem er folgt, von dem muss sich der Weise leiten lassen. Ich spreche als Schlüsselmeister und Meisterin nicht von einem Ort, sondern von einer Zeit, einem Geschehnis, das im ewigen Kreislauf immer wieder erzählt werden wird. Wir alle sind verwoben im Gobelin der Zeit Ainuwars, zugleich innerhalb seiner Geschichte und außerhalb. Eng in seine Fäden gewickelt, während wir zeitgleich versuchen sie zu entwirren - ja zu verstehen. Aber dies steht nur denen zu, die die Welt auf beiden Winkeln betrachten können oder jene, die von Ainuwar mit dem Blick gesegnet sind. Denn Ainuwar ist jener, der den Gobelin der Zeit selbst webt und er ist zeitgleich dessen Fäden.


    Endet der Faden der Zeit jemals, wird nichts mehr existieren - dass weiß der Drache. Wir alle werden untergehen, im Nichts verschwinden, denn wir sind in diesem Gobelin eingewoben. Wir befinden uns stets im Reich der Zeit! Im Reiche Ainuwars.


    Der Drache wart in der Höhle der Finsternis geboren, dennoch trug er Licht im Herzen. Er war vom Schicksal dazu auserkoren, Leid zu erdulden. Und eines Tages, wurde er selbst Teil des Leids und durchtrennte seinen Faden. Seine Seele wurde besudelt, sie blutete, wie blutroter Wein. Und er hörte auf eine Stimme, die ihm die Lösung versprach - ein Wispern, uralt, mächtig und vergessen.


    Und so beschloss der Drache, alle Fäden zu durchtrennen, denn im Nichts existiert nichts - nicht einmal Schmerz. Denn auch dies weiß der Drache, nur aus dem Nichts kann etwas Neues entstehen. Dies beschloss er in der Zukunft, bevor er sich auf den Weg machte, die Welt zu verschlingen und die Zeit zu töten - bevor er sich völlig selbst verlor.


    Was ist mit uns Tazio? Werden wir uns alle verlieren in einem höheren Kampf der nicht der unsere ist? Werden wir wählen müssen zwischen Mann und Bruder? Wie kann das eigene Blut abgewählt werden?", fragte Verrill mit müdem Gesichtsausdruck.


    "Was sieht Irving bei all dem? Sieht er? Siehst Du?

    Und was sieht der Abtrünnige, der im Abgrund geboren wurde und ihn im lebte? Bis zu dem Tag wo ihn die Finsternis verschlang und er das Licht wählte? Was seht Ihr? ", hakte sie nach.

  • Tazio war stehen geblieben, als Verrill so müde dreinschaute. Erneut half er ihr, sich zu setzen, während Vianello sich um die Abreise nach Souvagne kümmern würde.


    "Ich sehe, Verrill, ich sehe. Mehr als mein Geist zu fassen und zu begreifen vermag. Und ich sehe sehr viel, nicht alles davon ist heute schon von Belang. Ich hielt meinen Vater als Kind für krank, da er von einem Schiff sprach, dass ein Loch im Bauch hat und über den Meeresgrund fährt. Ich hatte ein geborstenes Wrack vor Augen. Und nun sag, was ist Argentocoxos anderes als ein Tauschiff, dessen Ausstiegsluke auf der Unterseite liegt?" Er lächelte. "So verhält es sich mit vielen Dingen aus den Prophezeiungen. Sie hören sich an wie klangvolle Bilder und sind am Ende auf merkwürdige Weise wahr.


    Von welchem Abtrünnigen sprichst du, meine Liebste? Was Irving sieht, musst du ihn fragen, er ist ein weiser Mann, auch wenn ihr einen schweren Start hattet. Er half mir, zu verstehen, dass nicht einmal der Tod meines Vaters neutral betrachtet etwas Schlechtes war. Es fiel mir anfangs schwer, das begreifen zu wollen oder mich für diesen Gedanken auch nur zu öffnen. Doch seit ich es tat, ist die Last ein wenig leichter. Denn Ledvico ist noch hier und das ist gut." Er strich über ihren gewölbten Bauch. "Der Leone di Marino sprach: Ich war, ich bin und ich werde immer sein. Und hier bin ich."

  • Verrill streichelte liebevoll Tazios Wange.


    "Der Leone di Marino hat Recht, er ist ewiglich so wie der Schreiadler, der Duca oder der Duc. Es hat immer eine Duca gegeben nicht wahr? Manches was man sieht, erklärt sich erst später. Der Vergleich mit Thabit ist ein gutes Beispiel, Du hast Recht. Ein Schiff das über den Meeresgrund fährt und ein Loch im Bauch hat.


    Der Drache, vielleicht ist er kein wahrer Drache mit Klauen und Schwingen. Oder er ist es doch, ein Mann der ein Flugerät hat, dass einem Drachen ähnelt. Was wissen wir, was zukünftige Generationen noch hervorbringen werden? Und wann die Zeit in der Zukunft jene des Drachen ist?


    Ich denke das der andere Schlüsselmeister der Abtrünnige ist. Er hat Dunwolf den Rücken gekehrt und stand mir bei.

    Tazi ich befürchte, dass ich nicht kämpfen kann, sollte ich für uns alle einstehen müssen. Deshalb bin ich den Bund mit ihm eingegangen. Er wird das Schwert führen, aber nun ist er fort. Wohin dass wissen wir nicht und ich bin nicht in der Lage zu kämpfen. Möglicherweise ist kein Kampf mit Waffen nötig und er verschwand deshalb. Weil es so sein muss, weil genug Blut vergossen wurde.


    Ich muss mit Iriving sprechen Tazio, unser Start mag nicht gut gewesen sein. Aber wenn es drauf ankam, standen wir zusammen. Er half Dir die schwerste Last zu tragen, die Du je stemmen musstest. Vielleicht kann er auch mir helfen", antwortete Verrill etwas beruhigt.

  • "Wo Licht ist, ist auch Schatten, darum bleibe wachsam, wenn jemandes Licht allzu strahlend ist. Das gilt auch für deinen Bruder Ciel, es mag sein, dass sein Wille, Gutes zu bewirken, es ist, was einen langen Schatten wirft. Welche Rolle er spielt, wird sich noch zeigen, doch deine sollte möglichst gering ausfallen zu deiner eigenen Sicherheit und der unseres Kindes. Wenn dieser Schlüsselmeister abtrünnig ist, mag er dir helfen.


    Der Drache könnte auch ein kranker Schreiadler sein. Vieles ist möglich und wenn es geschieht, wird man verstehen. Wenn Irving dir helfen kann, dann wird er es. Sprich mit ihm und komme anschließend nach, wir bereiten derweil die Abreise nach Souvagne vor."


    Mit einem abschließenden Kuss und einem zärtlichen Streicheln über ihren Hals unterhalb des Ohres verabschiedete Tazio sich von seiner Ducachessa.