Reißen & Beißen

  • Es war kein guter Tag. Es ist nun ein oder zwei Tage her, dass Fallon auf Terry und Fallon getroffen war, doch aus irgendeinem Grund hat er es nicht mehr geschafft, die Beiden erneut anzutreffen, als ob sie vom Erdboden verschluckt waren. Vielleicht wollten sie auch nichts mehr mit ihm zu tun haben, befanden ihn für zu anstrengend oder generell zu unfähig für das Rudel. Genau wissen konnte Fallon dies natürlich nicht, doch die Gedanken zogen ihre Kreise, wenn man sich so allein fühlt. Nach den Träumen um Eorur hatte es ihn traurig gestimmt, so allein zu sein.

    An die Zeit mit seinem alten Meister erinnert zu werden genau so schmerzhaft, wie jetzt allein dazustehen und keinen Platz zu wissen, an den er etwas finden könnte, um zu arbeiten oder einen Unterschlupf zu finden. Allmählich ging ihm das Geld und die Zeit aus. Er musste etwas finden, bevor er ganz obdachlos in Obenza landen würde. Dies hätte zur Folge, dass er in dieser verruchten Stadt schnell Probleme bekommen könnte.


    Aus diesem Grund fand sich Fallon schließlich ziellos durch die Stadt wandernd wieder. Natürlich war es nicht die Beste Art, um sich gezielt einen Job zu suchen, aber die schwarzen Bretter hatten bisher nichts lohnenswertes hergegeben und seine letzte Hoffnung lag darin, irgendwo einen potentiellen Auftraggeber oder eine anderweitige Quelle für Arbeit zu finden. Was blieb ihm schon groß übrig, wenn Hunger und Obdachlosigkeit keine Option für ihn waren? Besser so durch die Stadt wandern, in der er sich notfalls verteidigen konnte, als gar nichts zu tun und einfach zu warten. Sicherlich musste es an diesem Ort irgendwo Arbeit für einen Söldner geben, die sich auch bezahlt machen und ehrenhaft sein würde.


    Mit aufmerksamem Blick wanderte Fallon aus diesem Grund durch die Straßen Obenzas. Die Stadt wirkte wie das letzte Drecksloch, so hatte Fallon sie auch kennengelernt und doch bot sie ihm alle Freiheiten, die er brauchte. Zwar musste man sich mit all dem Gesindel herumschlagen, welches sich durch die Gossen trieb und einem das letzte Hemd ausziehen wollten, aber sie waren aushaltbar.

    Trotzdem musste Fallon zugeben, dass es in weiten Teilen der Stadt einfach stank und weitere Teile schmutzig waren. Vermutlich eine Kombination aus Beiden. Und das einige Verbrecher nicht einmal ansatzweise einen Sinn für Hygiene, Körperpflege oder Ordnung zu besitzen schienen. Das war wohl eines der Markenzeichen der Stadt. Schmutz und Unrat sind keine Seltenheit, auch wenn es in den bessergestellten Vierteln wohl besser sein musste. Zu diesen hatte Fallon allerdings keinen Zugang, womit sein Vergleich vielleicht etwas hinkte.


    So schob er sich auf der Suche nach Arbeit vorbei an Personenmengen. Nicht selten war es, dass man angerempelt wurde und direkt seine Taschen überprüfen musste. Gern wurde man in dieser Stadt entsprechend bestohlen, dass eine gewisse Vorsicht eine lohnende Maßnahme dafür war, um den plötzlichen Verlust von Geld vorzubeugen.

    Mal wieder zog er an ein paar pöbelnden Betrunkenen vorbei, die alles und jeden anschnauzten, was ihnen nicht in den Kram passte. Lustigerweise war es zu diesem Zeitpunkt Mittag, also waren es die Art von Gesellen, welche ihr Leben nicht im Griff hatten und jetzt schon besoffen durch die Straßen zogen. Ein Ort, an dem man sich doch glatt wohlfühlen konnte. Mit ein paar Handbewegungen und dem leichten Herausziehen seines Schwertes aus der Scheide verscheuchte er sie, bevor sie bei ihm noch auf dumme Gedanken kamen.


    Dadurch, dass die stark frequentierten Bereiche der Stadt vermutlich kaum etwas für ihn boten, entschloss er sich in die weniger besuchten, ruhigeren Viertel zu gehen. Besonders in Vierteln, in denen es richtig stank und die Kriminalität boomte, errechnete er sich höhere Chance jemanden zu finden, der ihn anheuern könnte. „So lang sie irgendwie ehrenhaft sind und mich nicht damit beauftragen, Kinder und Alte zu töten, soll mir das recht sein“, sprach er sich selbst den Mut zu, in diese Viertel zu gehen. Am Ende blieb Fallon auch nicht viel übrig.

    Nach seinem Äußeren musste man ihn als Söldner einschätzen können, trug er doch keine offiziellen Zeichen einer Wache oder Armee, aber wirkte durchaus kompetent und wehrhaft. Vielleicht sprach ihn sogar jemand an? Bis das jedoch passierte, musste er wachsam bleiben. Vielleicht findet sich in einer etwas entlegeneren Taverne ein Platz oder ein Auftraggeber, mit dem man reden und einen Job besprechen konnte. Doch bis dahin galt es, sich zwischen den ärmlichen Häusern mit Vorsicht zu bewegen und den misstrauischen Blicken der Einwohner mit genau so viel Misstrauen zu entgegnen.

    Wenn es doch nur einen Ansatzpunkt für Aufträge gäbe, aber Fallons Hoffnung schwand, überhaupt mit Erfolg an diesem Tag etwas finden zu können.

  • Lucian von Dornburg



    Ein Fremder marschierte durch schmale, dunkle Gassen die jeder mit ein bisschen Verstand gemieden hätte. Ein Messer schien hier niemals fern, ein Beutelschneider schien an jeder Ecke zu lauern. Aber so wie bleiche Gesichter aus den Schatten der Häuserzeilen auftauchten, so verschwanden sie auch wieder. Und dann stand er genau vor dem Gebäude, seinem Zuhause, jenes das sein Vater bewachte und regierte - die Himmelsröhre.


    Ein heruntergekommener Hochbau, den nur das Glück vor dem Einsturz bewahrte. Der Tag schien nicht mehr fern, wo er in sich zusammenbrechen und alle die dort wohnten unter sich begraben würde. Die traurigen Gestalten, die den Hochbau bewohnten, gehörten ebenso zur lebenden Tarnung wie das Unkraut, dass dort in jeder noch so kleinen Ritze wucherte.


    Das wahre Leben der Himmelsröhre befand sich nicht in der Höhe, sondern man fand es in der Tiefe. Er schaute aus dem seltsamen Bau auf den Fremden herab, wie ein Panther der tief verborgen in den Schatten auf seine Beute lauerte.An den patschenden Geräuschen und an der klammen Kälte der Luft, spürte er, dass hier überall Wasser sein musste. Obenza selbst war eine klamme,

    nässenden und schwärenden Wunde auf Asamuras Haut.


    Ein Armbrustbolzen aus dem Hinterhalt, war eines der tödlichen Argumente, das sich hier schon so mancher auf Lucians Wacht durch den Kopf gehen lassen musste. Aber heute war nicht der Tag und dieser Mann schien brauchbar zu sein.


    Ein Suchender?

    Falls ja, was suchte er?


    Es gab so einige die vom Zirkel gehört hatten, die meisten hielten ihn für eine dunkle Legende. So manche Mutprobe endete hier, auf der Suche nach einem Ort fernab der Zivilisation und Zeit, in einer Parallelgesellschaft aus der es kein Entkommen mehr gab war man einmal in den Abgrund hinab gezogen worden. Manches blieb besser unentdeckt, wenn man nicht Teil dieser anderen Welt werden wollte.


    Hatte dieser Fremde bereits das besondere Fleisch gekostet? Oder war er nur ein verirrter Wanderer, der versehentlich in die falsche Gasse gestolpert war ohne zu wissen, was ihn hier erwartete? Der Mann war mit einem Schwert bewaffnet, ein Zeichen dafür, dass es sich nicht um einen der üblichen Möchtegerndraufgänger handelte, die hatten nur eine Waffe dabei - alkoholgeschwängerten Atem.


    Lautlos und unsichtbar wie ein Schatten glitt Lucian durch die Dunkelheit hinab auf die Straße. In einiger Entfernung zu dem Suchenden blieb er stehen und musterte diesen mit offenem, neutralen Blick. Er wollte nicht feindseelig wirken, denn das war er nicht. Der Sproß des Grauens, der Sohn von Hector war neugierig.


    "Grüße Fremder, Du bist fernab der normalen Wege. Wen oder was suchst Du?", fragte Lucian. Er war jung, 16 Jahre alt, hatte helle Augen, blasse Haut und kohlrabenschwarzes Haar, wie sein Vater.



    Lucian

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  • Dieses ganze Viertel schien für Fallon am Ende doch keine gute Idee gewesen zu sein. Überall ragten die Armut und der Schmutz der Stadt in den Himmel empor, ganz in Form von heruntergekommenen Gebäuden, Mauern und Ruinen. Es war ein Wunder, dass die Stadt Obenza noch nichts gegen dieses Elendsviertel getan hatte, aber was wusste Fallon schon über die Gepflogenheiten und Wünsche dieser Stadt. So wie er diese bisher erlebt hatte, spiegelte dieser Teil der Stadt Obenza in seiner vollen Gänze wider. Von Schmutz, Verbrechen und Korruption durchfressen, sodass man eine Kontur kaum noch erkennen konnte. Ob es an diesem Ort einmal besser ausgesehen hatte? Das wussten nur die Geschichtsbücher.


    Doch mittlerweile war sich Fallon sicher geworden, dass es an diesem Ort nichts zu holen gab. Im Gegenteil. So wie dieser Teil der Stadt aussah, wirkten die Leute mehr froh darüber, sich überhaupt etwa zu Essen kaufen oder fangen zu können. Letzteres musste widerlich sein, wenn man bedachte, was man in dieser Stadt fangen konnte. Ratten waren wohl die einfachste Beute an diesem Ort, aber Fallon wollte sich auch gar nicht mehr vorstellen, wie man sich ansonsten noch ernähren konnte. Für einen Wolf wie ihn waren Ratten am Ende noch das kleinere Übel.


    Bei diesem Gedanken schauderte es Fallon dennoch. Nicht auszumalen, wozu die Menschen in der Armut bereits sein musste, um ihre Existenz zu waren. Dabei waren selbst sie noch wohlhabenderen Viertel der Stadt ein Beispiel dafür, was man tat, um an Geld zu kommen.


    Drum entschloss sich Fallon dazu, anhand der errechneten Chancen lieber kehrt zu machen und einen anderen Ort der Stadt aufzusuchen. Letzten Endes war es doch eine dumme Idee gewesen, sich diesem Teil der Stadt zu nähern.


    Doch hielt er in seinem Tun inne, als er keine Sekunde später ein oder zwei Schritte hörte, dann aber schon in seinem Sichtfeld eine Person erblickte, die mit diesen Schritten in das Sichtbare getreten war. Dieser Mann schien leise zu sein, so gekonnt wie er sich angeschlichen hat. Ob er eine Gefahr darstellte? Niemand würde sich einfach so anschleichen, wobei der Kerl doch einen gebührenden Abstand wahrte. Also vielleicht doch kein Feind, so wie es seine Miene auch auszudrücken versuchte. Dennoch entschloss sich Fallon, weiter vorsichtig zu bleiben. Er hatte keine Lust mit aufgeschlitzter Kehle in einer Gasse zu enden.


    „Ich grüße Dich ebenso!“, salutierte Fallon dem jungen Kerl zu, dessen Erscheinungsbild ein wenig besorgniserregend war. Er wirkte sehr blass, seine Augen für Fallon fast schon milchig, als ob er krank wäre. Ganz zum Kontrast stand sein rabenschwarzes Haar, welches wiederrum kräftig und gesund schien. Seltsames Auftreten, aber vielleicht war der Kerl einfach so und gar nicht krank.


    „Um ehrlich zu sein bin ich hierhergekommen, um nach Arbeit zu suchen“, erklärte Fallon schließlich, wobei er auf sein Schwert tippte, ansonsten aber eine offene, lockere Haltung beibehielt. Vielleicht war der Jüngling auch ein potenzieller Auftraggeber. Diesen wollte Fallon nicht gleich verschmähen, wobei er es selbst auch nicht angebracht fand, sich direkt Feinde an einem Ort wie diesen zu machen.

    „Du kennst nicht zufälligerweise jemanden, der Aufträge an Söldner vergibt oder dafür sorgt, dass ich nicht mit leeren Magen oder ohne Obdach die Nacht verbringe? Irgendwie war meine Suche hier in diesem Viertel nicht von Erfolg gekrönt.“ Langsam, mit ein paar wenigen Schritten schloss Fallon zu dem jungen Mann auf, kam hm näher, aber ohne dabei bedrohlich wirken zu wollen. Das Einzige was Fallon wollte, war ein Gespräch, bei dem er nicht über eine größere Distanz rufen musste. Also zeigte er auch seine Handflächen nach vorn, locker an seinen Seiten herabhängend und seine Körperspannung entspannt, auch wenn die plötzliche Begegnung seinem Wolfsinstinkt nicht schmecken wollte. Aber was wusste das Tier in ihm schon?

  • Lucian von Dornburg


    Lucian beobachtete jede Bewegung des Neuankömmlings. Er suchte Arbeit und zwar als Söldner. Das hieß, er musste etwas mit der Klinge umgehen können. Er hatte es unversehrt hierher geschafft und bis jetzt lag er nicht blutend in der Gosse. Entweder hatte ihn sein Talent, Glück oder der Ruf der Gegend geschützt. Keiner trieb sich hier herum, der es nicht musste oder wollte.


    Der Zaungast kam näher, zeigte seine offenen Handflächen und erklärte seinen Wunsch, Arbeit, etwas zu Essen und ein Dach über dem Kopf. Lucian witterte nach dem Burschen und nickte dann knapp.


    "Doch ich kenne mehrere Personen, die für Dich einen Auftrag haben könnten. Die Frage ist nur, was bist Du bereit für Lohn und Fleisch zu tun? Kleine wie große Aufträge, auch jene wo Du Dir die Finger schmutzig machst? Dann kann ich Dir möglicherweise helfen", sagte Lucian freundlich.

  • Augenblicklich hellte sich Fallons Miene auf, als der Unbekannte davon sprach, dass er ein paar Personen kenne. Vielleicht doch noch Hoffnung in diesen dunklen Tagen und in diesen dunklen Gassen? Aber kaum sprach er weiter, schürte das ein wenig das Misstrauen Fallons. "Wieso sprach er davon, was ich bereit sei, für Fleisch zu tun? Lohn ist noch ein normales Wort, aber Fleisch?", dachte er nachdenklich, versuchte sich davon aber erst einmal nichts anmerken zu lassen. Generell stellte der Kerl vor ihm aber schließlich ganz normale Fragen, die ein jeder Söldner zu hören bekam.


    Mit einem Schulterzucken, aber in einem genau so freundlichen Ton erwiderte Fallon: "Ich bin bereit für jeden Auftrag, den man mir gibt. Die einzige Grenze liegt für mich bei Kindern. Alles andere mache ich. Sofern die Bezahlung stimmt." Auch wenn Fallon nicht in der Position zwar, um Forderungen oder Bedingungen zu stellen, aber seine Prinzipien durfte er trotz der Not nicht vergessen. Obwohl ein Wolf in der Not auch einen Kadaver aß. Doch Fallon nahm sich erst einmal vor, es auf diese Weise zu versuchen.


    Bevor Fallon jedoch jede Manier vergaß, reichte er dem Fremden seine Hand: "Mein Name ist Fallon Düsterwind. Söldner. Wolfswandler. Geschickt mit der Klinge und den Fängen."

  • Lucian von Dornburg



    Lucian hörte dem Suchenden aufmerksam zu. Scheinbar war der Mann wirklich dass, wonach er aussah und zwar ein Söldner. Warum es ihn ausgerechnet in diesen Teil Obenzas verschlagen hatte, wusste Lucian nicht. Aber das konnte man ändern. Der Mann war höflich und er suchte Arbeit. Er war allem Anschein nach gesund, jung und laut eigener Aussage sogar ein Gestaltwandler. Jemand der gut unwissend dem Zirkel dienlich sein konnte, mit ihm als Zwischenboten. Oder jemand, der ein hochinteressanter Köder war. Schon manch einer hatte versucht den Zirkel ans Licht zu locken. Ein Probeauftrag und ein wenig Kennenlernen könnten bei der korrekten Einschätzung Abhilfe leisten, dachte sich Lucian.


    Der Söldner stellte sich sich vor, Fallon Düsterwind und reichte ihm die Hand. Lucian betrachtete sie fasziniert, er hatte schon von den Bräuchen der Gabad und Andersweltler gehört. Er selbst verließ das Nest nur für die Jagd und die Wacht und somit hatte ihm noch niemand die Hand gegeben. Lucian nahm die Hand von Fallon entgegen und schüttelte sie. Die Geste fühlte sich witzig an. Ein lustiger Brauch fand er.


    Sobald sein Vater und sein Bruder zurück von ihre Reise wären, würde er ihnen von dem Erlebnis berichten. Lucian war jung und neugierig. So manche seltsame Endteckung in der Anderswelt hatte er schon gemacht. Heute war wieder so ein Tag.


    "Mein Name ist Lucian und ich bin ebenfalls geschickt mit der Klinge und den Zähnen", grinste er freundlich und entblöste sein Haifischgebiss.


    "Du bist also ein Wolfswandler Fallon, dass finde ich hochinteressant. Deine Instinkte müssen in Deiner anderen Form beeindruckend sein. Würdest Du Dich zur Demonstration einmal verwandeln? An Aufträgen könnte ich zur Zeit folgendes bieten, es gibt einige Gefallen einzufordern, Schulden einzutreiben und seichte Abreibungen zu verteilen - nur Verstümmelungen, nichts weiter.


    An was hättest Du Interesse? Sieh mich als Vermittler zwischen den Welten. Solltest Du die Aufträge zur Zufriedenheit meiner Bekannten erledigen, wirst Du nach einiger Zeit bessere und lohnendere Aufträge erhalten. Aber vorher musst Du zeigen, was Du drauf hast. Das ist überall so, sogar in Obenza", grinste Lucian.

  • Ein wenig seltsam schien es, als Lucian Fallons Hand fasziniert betrachtete. Dieser junge Mann schien keine Gepflogenheiten in diesem Sinne kennen, was Fallon jedoch verwunderte. Das war ein üblicher Brauch unter Menschen, wie der junge Mann zumindest zu sein schien. Doch betrachtet er die Hand, als ob sie ein außerweltliches Phänomen wäre. Das wirkte für den ersten Moment surreal, doch Fallon schloss von der Umgebung auf den jungen Mann, dass es hier nicht üblich sein musste, solche Gesten auszutauschen. Vielleicht war Fallon selbst auch viel zu förmlich oder höflich, als dass es für diesen Ort angebracht. Generell wusste Fallon Lucian noch nicht einzuschätzen, doch hoffte er, dass es sich in den nächsten Minuten ändern würde.


    Jedoch wurde Fallons Vermutung bestätigt, kaum stellte sich Lucian vor und lächelte. In seinem Mund ragten spitze Zähne ineinander, gaben ihm das Aussehen eines Hais, welcher nur zu gern seine Zähne in Fleisch seiner Beute vergrub. Ob man ihm vertrauen konnte? Sicherlich war er Angehöriger einer hiesigen Bande, ein Gestaltwandler oder Beides. Doch das sollte Fallon für das Erste nicht davon abhalten, einen Job von ihm anzunehmen. Er versprach letzten Endes Obdach und Essen. So lang die Aufträge nicht zu schmutzig würden, wäre es sicherlich etwas, womit sich Fallon arrangieren konnte – notfalls beendete er die Zusammenarbeit.


    Zumindest schien dieser Lucian für das Erste ein freundlicher Zeitgenosse zu sein, sein Äußeres hin oder her, schließlich sollte man danach nicht zwangsweise urteilen. Trotzdem machten Fallon Lucians Aussagen ein wenig stutzig. Er wollte sehen, wie er sich zum Wolf wandelte? Und die Aufträge die er ansprach, schienen eine weite Bandbreite abzudecken. Also hier ging es wohl um große Geschäfte, für die man eine Klinge mietete, aber das Versprechen von Essen, Obdach und Geld waren für Fallon schon die größten Argumente, es sich nicht mit dem jungen Mann zu verscherzen. Wer wusste schon, wohin das Ganze führen würde?


    “Nun, um ehrlich zu sein bin ich mit Ausnahme der Verstümmelungen für alles zu haben. Ich bin kein großer Freund der Folter. Zumindest nicht auf diese Art”, meinte Fallon schließlich freundlich und ehrlich. Es mochte vielleicht sein, dass man als Söldner keine Prinzipien haben sollte, doch Fallon blieb vorsichtig. Trotzdem schob er noch hinterher: “Außer die betreffende Person hat es nicht anders verdient und ihre Verbrechen rechtfertigen eine solche Tat. Dann stehe ich natürlich gern zur Verfügung.”


    Neugierig musterte Fallon Lucian, wie dieser reagierte, aber er wartete auch nicht zu lang, als er mit einem Grinsen fortfuhr: “Aber ich denke, dass ist eher das Geringste, was dich im Moment interessiert. Du scheinst an meinen Wandlerfähigkeiten ebenso interessiert zu sein, also werde ich dir den Gefallen tun. Zwar ist es nicht meine Art, es auf offener Straße zu tun, aber ich denke hier sollte ich dafür eh keine Probleme bekommen.” In Fallons Bauch regte sich ein kleiner Widerstand. Er begab sich in Gefahr, machte sich verwundbar, wenn in seiner Tierform war er vielleicht auch gefährlich, aber nicht ansatzweise so sehr wie in seiner menschlichen Form. Zumal er entsprechend seine Ausrüstung und die Kleidung ablegen musste. Doch Letzteres störte ihn, ausgenommen seiner Schutzlosigkeit in dem Moment, schließlich auch nicht so sehr. Bei seiner Vergangenheit kein Wunder.


    Prüfend blickte sich Fallon um, schaute, dass keine weitere Person zuschaute, ehe er sich Lucian wandte und grinsend sagte: “Dann schau zu.”


    Kaum sprach er diese Worte, legte Fallon seine Ausrüstung ab. Auch die Rüstung und im nächsten Moment die Kleidung darunter legte er neben sich ab, bis er nackt vor diesen jungen Mann stand. Der ganze Prozess ging schnell, war seine Rüstung doch auf solche Sachen angepasst. Nichtsdestotrotz ließ er seine Wandlung langsam vollziehen, damit er die Schmerzen so gering wie möglich hielt. Zur Vorbereitung begab er sich vor Lucian direkt auf alle Viere, ehe er tief durchatmete und den Wolf in sich rief. Dieser, der schon lang nicht mehr an der Oberfläche war, folgte nur zu gern dem Ruf.


    Die Wandlung kam plötzlich und doch kontrolliert, als Fallon zu spüren begann, wie sein ganzer Körper kribbelte. Fell begann auf jedem Teil seines Körpers zu sprießen. Ein schwarzer Mantel mit silbernen Streifen, edel anzusehen und Fallons Meinung nach wirklich hübsch als Wolf, begann seine menschliche Haut einzunehmen. Seine Finger bildeten sich zurück, während die Hände zu Pfoten und die Gelenke zu Läufen wurden. Das gleiche Schicksal ereilte auch seine Beine, welche sichtbar kürzer wurden, aber durchaus sehniger. Sein Schweif, immer vorhanden in der menschlichen Form, streckte sich aufmerksam empor, während sich seine Ohren nach oben schoben, auf sein Haupt und sein Haupthaar sich verfärbte.


    Während des ganzen Prozesses knackten seine Knochen, sein kompletter Körper veränderte sich, doch aufgrund der ganzen Transformation passierte dies größtenteils schmerzfrei. Ein Nebeneffekt war, dass Lucian die Wandlung genau betrachten konnte. Fallon hatte keine Ahnung, was der Typ vorhatte, konnte auch nicht auf ihn achten, war er doch zu sehr auf seine Wandlung bedacht. Sein Rücken und sein gesamter Körperbau wandelte sich zu dem eines Vierbeiners. Der krönende Abschluss war schließlich geschaffen, als nun auch sein Gesicht nachzog, seine Nase sich schwarz verfärbte und seine Kiefer sich zu einem Maul eines kräftigen Wolfs entwickelten.


    Während des Prozesses hielt er seine Augen geschlossen, doch kaum spürte er, wie die Wandlung vollendet war, stand er dort, richtete sich zur vollen Größe auf und schaute mit zwei eisblauen Augen zu Lucian. Mit seinen 1,10m erreichte Fallon eine stattliche Höhe, die begleitet von dem kräftigen Körperbau eines Wolfes war. Das Einzige was fehlte, was sein liebgewonnenes Halsband, welches aber in seinen Sachen verborgen lag. Ein Fremder musste dieses Detail nicht gleich zu sehen bekommen.

  • Lucian von Dornburg


    Der junge Beisser hörte Fallon aufmerksam zu. Der Mann war vorsichtig, aber Vorsicht war eine gute Eigenschaft. Wäre er zu vertrauensvoll gewesen, hätte er sich Gedanken gemacht.


    Falle oder ein Beutegreifer der Beisser fraß? Es war wider der Natur und pervers, wenn Jäger gejagt wurden. Aber die Welt außerhalb des Nestes war nicht nur voller Gabad, Beute, Sklaven und Fleischsäcke, es gab auch unbekannte Gefahren.


    Gerade jetzt wo ihr Schlüsselmeister nicht anwesend war, mussten sie besondere Sorgfalt walten lassen. Das taten sie immer, Raubtiere waren vorsichtig und scheu, aber in dieser Zeit mehr denn je.


    Lucian hatte Fallon angegrinst, dessen Blick konnte er nicht deuten. Unter Seinesgleichen war es höflich, sich die Zähne zu zeigen. Ein zahnloses Lächeln mit geschlossenen Mund galt der Beute. Aber davon wusste Fallon nichts, so wie er das Handschütteln nicht gekannt hatte.


    "Was die Aufträge angeht, unser Familienoberhaupt bestimmt darüber. Wir sind ein sagen wir mal Familienunternehmen. Nur das Wort der Alten gilt was mehr, der Omma sozusagen.


    Verdient? Also danach richten wir uns nicht Fallon. Wir sind keine Richter die die Bewohner Obenzas in Schuldige und Unschuldige einteilen.


    Wer mit uns Geschäfte macht, hält sich an den Pakt. Dann ist alles gut, wir halten uns ebenfalls daran.

    Wer seinen Pakt einseitig bricht, wird zur Rechenschaft gezogen. Je nachdem welchen Handel er mit uns abgeschlossen hat, sieht die Bestrafung aus.


    Ein Schuldner wird sofort zahlen müssen, wenn er mit einer Rate im Rückstand ist. Ein Betrüger der unsere Ware schlecht redet, dem wird der Zahn gezogen oder die Zunge.


    Und wer mit Leihgut anders umgeht, als es der Pakt erlaubte, bekommt entweder seine eigene Behandlung an sich zu spüren oder er wird verstümmelt.


    Das ist keine Folter, das ist Teil des Deals. Kurzum Hand ab oder eben was betroffen sein könnte...


    Wir haben einen... Lebensmittelhandel mit Bringservice. Hier vielleicht nicht zu vermuten, aber das Geschäft läuft schon seit Generationen wunderbar.


    Jeder ehrliche Kunde war bis jetzt zufrieden und hat sein kulinarisches Glück bei uns gefunden. Bei uns sind Sonderwünsche kein Problem und sogar Teil der Geschäftsbasis.


    Was isst Du denn so am liebsten?", fragte Lucian.


    Als sich Fallon begann auszuziehen musterte ihn Luc mit unverhohlerner Neugier. Der Wolfswandler schien so wenig Scheu zu haben, wie er selbst, was Nacktheit anging.


    Als Fallon sich verwandelte betrachtete Lucian ihn aus aller nächster Nähe, damit ihm kein Detail entging. Die Knochen von Fallon formten sich um und neu. Jedes Zwischenstadium hatte seinen optischen Reiz für den jungen Beisser.


    Dann war die Verwandlung vorbei und vor ihm stand ein riesiger Wolf. Lucian grinste wie ein Kind über beide Ohren und zog sich die Handschuhe aus. Fallon sah, dass sein Gegenüber scharfe Krallen trug.


    Behutsam legte Lucian ihm die Hände auf den Kopf und streichelte sein Fell.


    "Der Beweis gilt als angetreten", sagte er gut gelaunt.

  • Natürlich hatte Fallon Lucian zugehört, doch dessen Worte wollte er erst einmal sacken lassen, darüber nachdenken, damit er nicht die falsche Entscheidung mit seinem Arbeitgeber traf. Generell schien es für das Erste dasselbe zu sein, wie bei jedem Kaufmann oder jeder Händlerfamilie, die Muskeln brauchten, um die Konkurrenz auszuschalten oder ausdrückliche Botschaften an nichtzahlende Kundschaft zu schicken. Auch wenn man als verwerflich ansehen konnte, insbesondere wenn diese Geschäftsmodelle Selbstjustiz beinhaltete, waren sie dennoch sehr verständlich, wenn man so vorging. Jedes Händler und jeder Betrieb musste schauen, wo er blieb. Ob Fallon eine zustimmende Antwort geben würde? Dies war für ihn in diesem Moment nicht von Belang.


    Unter anderem gerade deshalb, weil er gerade als Wolf vor Lucian stand, in voller Pracht, und diesen noch immer mit seinen Augen musterte, was der Jüngling tun würde. Gerade in dem Augenblick hatte Fallon bemerkt, wie nahe dieser gekommen war und er hatte wohl jedes Detail der Verwandlung begutachtet, als ob Fallons Fähigkeiten etwas waren, was man studieren müsste. Auf eine gewisse Art fühlte sich Fallon dadurch aber auch geehrt, schließlich konnte er jemanden zeigen, dazu noch einem potentiellen Arbeitgeber, dass er halten konnte, was er versprach. Selbstverständlich würde das erst vollständig geschehen, wenn er die ersten Aufträge erledigte. Denn im Geiste, je länger er darüber nachdachte, klang das Angebot gar nicht so schlecht. Ganz im Gegenteil.


    Überraschend war jedoch etwas Anderes, was erst zu Tage trat, als Lucian die Handschuhe auszog. Krallen wie bei einem Wandler zierten die Hände Lucians. Ungewöhnlich. Vielleicht war er doch ein Wandler und hatte einfach nur sehen wollen, was ein Artgenosse konnte? Nicht ungewöhnlich, waren Wandler dennoch allgemein verpönt. Also doch ein Vertrauenstest.

    Ein Vertrauenstest, den Lucian auf ein ganz anderes Level hob, als dieser seine Hände auf Fallons Kopf legte. Dabei erschrak dieser kurz, doch es war ein seltsames Gefühl, was Lucian tat. Es löste in Fallon etwas aus, was er lang nicht mehr gespürt hatte. Fast schon zutraulich schloss er die Augen, ließ seinen inneren Wolf übernehmen, als er zuerst seine Ohren aufstellte, genau zu Lucian horchte, dann sein Haupt den streichelnden Händen entgegendrückte, während er die Schnauze unten hielt. Seine Rute hielt Fallon dabei ruhig, seine Körper blieb entspannt, er machte nur einen weiteren Schritt auf Lucian zu.


    Bis ihm nach einiger Zeit bewusst wurde, was in diesem Moment eigentlich geschah. Trotzdem konnte er dieses gewisse Gefühl der Unterwürfigkeit nicht unterdrücken, auch wenn er es beiseite schob, um sich aus den streichelnden Händen zu lösen. Mit einem Schritt zurück signalisierte Fallon, dass er sich wieder zurückverwandeln würde, was er im nächsten Augenblick auch tat.

    Der gesamte Prozess spielte sich rückwärts ab. Die Schnauze bildete sich zurück, die Läufe wurden wieder länger und die Finger kehrten aus den sich verdickenden Handansätzen wieder zurück. Einzig die Krallen blieben, genau wie das schwarze Fell an den Unterarme und unteren Beine. Die Ohren zogen sich wieder an die Seiten seines Kopfes zurück, blieben jedoch so spitz wie bisher, während sie dennoch an ihrer Behaarung verloren und das normale Haar Fallons kehrte zurück. Auch die Rute blieb bestehen.

    Schließlich kniete auf allen Vieren ein nackter, menschlicher Fallon vor Lucian, welcher sich aber wieder erhob und sofort anzukleiden begann.


    Ihm schoss das Gefühl durch den Kopf, welches er bei dem Streicheln empfunden hatte, wobei er versuchte es sich anmerken zu lassen, dass es ihm peinlich war. Zwar begehrte sein innerer Wolf dagegen auf, gab ihm das Gefühl, dass es doch völlig in Ordnung sei, aber als Mensch würde Fallon wohl kaum von seinem neuen Auftraggeber ernst genommen werden, wenn er sich wie einen unterwürfigen Hund gab.


    Drum lenkte Fallon schnell von der Thematik ab, als er die gesprochenen Worte Lucians aufgriff und reflektierte: "Also eine Händlerfamilie mit der Spezialisierung auf Nahrungsbeschaffung. Klingt vernünftig. In dem Fall kann ich wohl auch davon ausgehen, dass jedem Paktbrecher die gerechte Strafe zugeführt wird. Also auch entsprechend durch meine Hand. Das sollte wiederrum kein Problem sein, habt ihr doch dann einen guten Grund dazu und als Lebensmittellieferanten solltet ihr euch auch das Recht rausnehmen dürfen."


    Mit einem Grinsen erklärte der mittlerweile wieder angezogene Fallon: "Ich bin dabei. Das hört sich wirklich gut an! Die Arbeit scheint ehrlich und ist gerechtfertigt. Kein Problem."


    Schließlich kam noch die Frage Lucians in Fallons Sinn, als er einen kurzen Moment überlegen musste. Was aß er am liebsten? Auch wenn es Fallon nur ungern zugab, seine Lieblingsspeisen waren sehr klischeehaft die eines Wolfes. "Wild und Huhn, wenn du das meinst. Muss nicht unbedingt mit Beilage sein, aber hauptsächlich lecker zubereitet. Dann fühle ich mich wohl. Wieso fragst du?"


    Ein offener Blick an Lucian gerichtet legte bloße Neugierde an ihn gerichtet frei. Bezüglich des jungen Mannes hatte Fallon schlagartig keinerlei Bedenken mehr. Wie weggeblasen schienen sie. Mit ihm konnte man sich unterhalten und das kurze Intermezzo zeigte Fallon, dass er auch vertrauenswürdig war. Ansonsten wäre Fallon vermutlich schon längst tot oder in unfreiwilliger Gefangenschaft. Das sah für das Erste schon sehr vielversprechend aus.

  • Lucian von Dornburg


    Der junge Beißer wartete ab, bis Fallon wieder als Mensch vor ihm stand und zwar bekleidet. Er wollte nicht unhöflich sein. Die Verwandlung wie die Rückverwandlung hatte er genossen, ebenso das weiche Fell unter den Fingern.


    "Ganz genau, wir jagen und wir bereiten das Wild auch zu. Manche möchten das Fleisch lieber selbst zubereiten und ordern es roh. Andere wiederum sind froh, wenn sich Spezialisten der Küche darum kümmern und daraus einen Gaumenschmaus zu bereiten. Bei uns gibt es keinen offenen Betrieb wie in einer Taverne oder einem Restaurant, wir liefern ausschließlich.


    Manche unserer Kunden kaufen ihr Wild sogar noch lebend, Du kennst sicher den Brauch die Neujahrsfische lebend zu kaufen und erst am Tag des Festes zu schlachten. So halten es viele Endverbraucher ebenso. Bei dem Versand ist natürlich Obacht und Fingerspitzengefühl gefragt. Aber das Hauptgeschäft ist frisches Fleisch und fertige Mahlzeiten.


    Ich fragte danach was Du gerne isst, da ich Dir einen Lohn und Fleisch versprochen habe für Deinen Auftrag. Folglich soll Dir Dein Essen auch schmecken. Ich esse gerne in Salzsoße eingelegtes Rindfleisch, oder saftiges Krebsfleisch gesotten am besten", lachte Lucian und rieb sich den Bauch.


    "Ach ehe ich es vergesse zu erwähnen, die Verwandlung war... spektakulär, so etwas habe ich noch nie gesehen. Schmerzt es sehr wenn Du Dich verwandelst? Oder spürst Du dabei keinen Schmerz? Erkennen konnte ich es nicht. Wir hatten auch mal einen Hund in der Familie, er wurde alt sein Gemälde hängt heute noch an der Wand. Hunde sind ja bekanntlich die Nachfahren der Wölfe. Gut er vielleicht weniger", grinste Luc.


    "So Du wartest hier, ich verziehe mich und komme gleich mit einem Auftrag für Dich wieder. Gedulde Dich, ich meine es ernst. Ich weiß nicht wie lange die Verhandlung dauert", sagte der junge Beißer.


    Lucian verschwand so schnell in den Schatten wie er aufgetaucht war und Fallon hatte sich zu gedulden. Sobald Lucian zurück war, würde er über Arbeit und eine Mahlzeit verfügen.

  • Tatsächlich schien Lucian nicht wirklich auf das Erlebte über die Verwandlung hinaus einzugehen. Dafür war Fallon auch für den ersten Moment dankbar, auch wenn eine kleine Stimme in seinem Kopf ihm sagte, dass er es sich durchaus gewünscht hätte. Schließlich kitzelte das immer seine Instinkte und es fühlte sich einfach gut an, aber er musste sich auch bewusst bleiben, dass Lucian dennoch eine völlig fremde Person war. Aus dem Grund war es eher angebracht, solche Gedanken und Regungen in sich zu unterdrücken, waren sie doch kaum angemessen.


    Drum war Fallon insgeheim sehr dankbar, dass Lucian schließlich wieder auf seine Familie und deren Geschäft zu sprechen kam. Interessante Geschäftsfelder bediente die Familie, so dachte Fallon, kannte er doch kaum ein Gewerbe oder hatte er Erfahrung darin. Natürlich hatte er als Wolf schon einmal selbst gejagt, was aber auch nicht bedeutete, dass er sich damit brüsten konnte Erfahrung zu besitzen. So nahm er die Erfahrungen und Erzählungen eines Mannes aus dem Bereich mit, auch wenn er selbst wohl nie in diesem Bereich arbeiten würde. Aber immerhin konnte er so besser verstehen, für wen er arbeitete und was es bedeutete. Fürs Erste schien nichts Illegales oder Verwerfliches in dem Geschäft zu liegen. Natürlich war der Umgang mit der Konkurrenz schroff, doch wer griff an diesen Tagen nicht auf solche Mittel zurück?


    "Ah, lieben Dank!", erwiderte Fallon schließlich, als Lucian erklärte, wieso er die Frage nach dem Essen gestellt hatte. Würde er wirklich eine Möglichkeit bekommen, an solch ein leckeres Essen zu kommen, wenn er einen Auftrag erfüllte? Allein bei dem Gedanken lief ihm bereit das Wasser im Munde zusammen. Da konnte er schlecht widerstehen, ja zu sagen, zumal er die letzten Tage eher mäßige Kost zu sich genommen hatte. Lucians favorisierte Speise hörte sich aber auch sehr schmackhaft an!


    Dennoch kam Fallon etwas konzentrierter zurück zum Geschäft: "Das hört sich nach einem langlebigen und vor allem lukrativen Geschäft an. Jeder braucht etwas zu Essen und vor allem Fleisch wird ja sehr gern gesehen. Sehe ich an mir selbst. Wenn ich mich nicht täusche können wir darauf wohl eine lang anhaltende Geschäftsbeziehung aufbauen." Mit einem zufriedenen Lächeln untermalte Fallon seine Worte, war er sich doch selbstbewusst genug, sich den anstehenden Aufgaben gewachsen zu fühlen, auch wenn er nichts wusste, was anstand.


    Als Lucian schließlich erneut zu der Wandlung kommt und Erfahrungen anhand eines Familienhundes heranzog, musste Fallon doch schon lachen. "Es ist auch schön, mit einem Familienhund verglichen zu werden." Mit einem Augenzwinkern garnierte Fallon seinen Spaß, seine Züge wurden aber schließlich wieder ruhiger, als er zu erklären begann: "Also generell ist eine Verwandlung schmerzhaft. Es ist eine Frage, wie sehr man es erzwingt und wie schnell es vonstatten geht. Wenn ich, der sich gerade Zeit gelassen hat und auch nicht unter Stress stand, mich auf diese Art verwandle, ist sie nahezu schmerzfrei. Vielleicht ein Ziepen oder Zwicken, aber keinesfalls betäubender Schmerz. Wenn man jedoch unter Stress steht oder sich das innere Tier nach außen drängt, ganz plötzlich und die Wandlung damit explodierend daherkommt, kann das fürchterliche Schmerzen verursachen. Der Körper ist nicht darauf vorbereitet und eingestimmt, wodurch du deinem Körper einen Zwang aussetzt, der ihm Stress bereitet."


    Die Erklärung schien Lucian schließlich zufriedenzustellen, so wie er über beide Ohren grinste und seine scharfen Zähne zeigte. Noch hatte er nicht verraten, dass er ebenso ein Wandler zu sein schien, also hielt er sich zurück oder war tatsächlich keiner, sondern nur ein Träger eines Statussymbols. Für den Moment konnte dies Fallon auch egal sein. Er bekam Arbeit und zu Essen. Mehr wollte er für das Erste nicht.


    Daher freute es ihn zur hören, dass es Ernst wurde. "Natürlich, ich warte hier und gedulde mich für deine Rückkehr." Fallon beobachtete noch, wie Lucian wieder im Schatten verschwand, ehe er sich selbst zurückhielt. Ganz entspannt lehnte Fallon an der Häuserwand, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute zum Horizont und dem Himmel. Für Obenza typisch zogen die Möwen ihre Kreise, während von irgendwoher der Gestank von Müll und Unrat herzog. Dieses Viertel war definitiv nicht ansehnlich, noch weniger wohnlich, doch für manche die letzte Grundlage einer Existenz.


    Deswegen war es schon seltsam, dass sich ein Lebensmittelunternehmen an diesem Ort angesiedelt haben soll. Es ist und bleibt ein wenig seltsam, aber Lucian scheint nett. Mit ihm sollte ich es mir nicht verscherzen, auch wenn die ganze Situation etwas ungewöhnlich ist. Vielleicht kommt am Ende mehr bei herum, als ich mir erhoffe? Ruhig ließ Fallon seine Gedanken schweifen und die Zeit vergehen. Reflektierend über die Begegnung mit dem Scharfzahnigen musste Fallon noch einige Schlüsse für sich ziehen. Das würde noch mit der Zeit kommen, so empfand er, aber man konnte schon einmal beginnen, sich darüber Gedanken zu machen.

  • Lucian von Dornburg


    Lucian durchquerte die Himmelsröhre, also das eigentliche Gebäude, dass man mit dem Namen verband. Er lief einige Etagen nach oben, stöberte hier und dort, verzog sich in dunkle Ecken. Wartete, witterte, lauschte und setzte seinen Weg fort. Eine gute Dreiviertelstunde später, trat er den Heimweg an, da ihm niemand gefolgt war. Nichts wäre schlimmer als während der Abwesenheit seines Vaters eine Gefahr ins Nest zu locken.


    Selbstverständlich waren die Beißer in der Lage sich zu verteidigen und allen voran hockte dort eine der mächtigsten Nekromantinnen die Asamura kannte. Aber nur weil sie anwesend war, hieß das noch lange nicht, dass sie helfend oder schützend eingreifen würde. Das hatte Archibald seinem Enkel beigebracht, vertraue niemandem, außer Dir selbst. Sein Vater sah das nicht ganz so streng, er vertraute den meisten Nest- und Zirkelgeschwistern.


    Nachdem er hinab in die klamme Kälte gestiegen und die Tür samt dem "alten Mann" passiert hatte, trabte Lucian in den Aufenthaltsraum. Auf dem Weg dorthin grüßte er den einen oder anderen Bekannten und ließ sich von Erna etwas Leckeres zustecken.


    "Nabend Manni", grüßte Lucian und hockte sich neben den Wächter, der gerade sein Frühstück einnahm.

    "Solltest Du nicht Wache schieben?", fragte der alte Haudegen und schob den Teller in die Mitte, so dass sie beide vom Fleisch essen konnten.


    Wie üblich aß Manfredo am Morgen zarte und in Soße gewälzte Fleischstreifen, die sich auch Lucian gerne schmecken ließ. Dankbar griff er zu und aß genüsslich, ehe er gut gelaunt grinste.

    "Wir haben einen Gast, er wartet draußen. Ungefähr 20 - 25 Jahre alt, Söldner, arbeitswillig und suchend. Und jetzt das Beste er ist ein Gestaltwandler. Fallon heißt der gute und er kann sich in einen Wolf verwandelt. Ich habe die Verwandlung gesehen, sogar Schritt für Schritt. Ich habe mich zu erkennengegeben, also als Person nicht als der, der ich bin. Und ich habe ihm unser Geschäftsmodell erklärt", sagte Lucian.


    Manfredo hielt mitten im Kauen inne und musterte den Jungspund scharf.

    "Du hast was?", fragte Manni.


    "Ich habe ihm von unserem Restaurant erzählt, dass ausschließlich Lieferservice betreibt. Wir liefern pure Kochzutaten, allen voran Fleisch oder ganze Gerichte. So ist es doch", antwortet Lucian schmatzend.

    "So ist es", grinste Manfredo kopfschüttelnd, "und Du möchtest, dass der Wolf für uns arbeitet?"


    "Er macht einen durchaus fähigen Eindruck. Als Wolf müsste er jagen können und seine Nase wird trotz allen Trainings unsere übersteigen. Jedenfalls vermute ich das. Eine Fährte durch regennasse Straßen zu verfolgen, bekommen die wenigsten Beißer hin, oder durch Geruchsintensive Orte. Ein Wolf wäre da von Vorteil", schlug Lucian vor.

    "Einige Beißer sind dazu durchaus in der Lage, nach jahrzehnte langem Training, dass schlichtweg der ständigen Übung geschuldet ist. Ein richtiger Vorteil wäre ein Bluthund, sie spüren jeden auf. Ob der Gabad durch Wasser floh, einen Fluß überquerte, sich durch Schlamm wälzte, ein Bluthund würde ihn aufspüren. Inwieweit ein Wolf dazu in der Lage ist, kann ich Dir nicht sagen. Aber letztendlich ist er der Vorfahre der Hunde und müsste somit ebenfalls sehr gut riechen können. Vielleicht nicht so ausgezeichnet wie ein Bluthund, aber gut genug. Ein Testlauf würde mehr darüber in Erfahrung bringen.

    Ist er ein Erwachter? Hat er schon vom Fleisch gekostet? Hört er den Ruf und erkennt er die Zeichen?", hakte Manfredo nach.


    "Den gleichen Gedanken bezüglich Wolf und Hund hatte ich auch. Ob er erwacht ist, weiß ich nicht. Aber ich vermute dass ist er nicht. Ergo hat er weder vom Fleisch gekostet, noch hört er den Ruf des Blutes. Jedenfalls noch nicht. Ich habe ihm Arbeit versprochen, ein Testlauf wäre gut", stimmte Luc zu.

    "Er bekommt zuerst einen ganz normalen Auftrag, wie unsere Boten. Alles weitere später Luc, am besten sobald Dein Vater zurück ist. Sollte sich das noch etwas hinziehen, halte ich Rücksprache mit Rojo und der Baronin. Was mich gerade irritiert ist, dass dieser Mann ein Wolfswandler ist. Im Volksmund nannte man sie einst Werwölfe. Mann und Wolf in einem, die sich auf grauenerregende Art in eine Mischung aus beidem verwandeln und unschuldige Bürger fressen.


    Die Bestie die sich ihre Bahn aus dem Manne bricht. Das sind Legenden, die versuchen etwas zu erklären, was Gabad nicht verstehen. Aber an jeder Legende ist auch ein Funken Wahrheit. Ein Wolf ist ein Raubtier, er ist ein Fleischfresser. Dieser Wandler bewegt sich unter Menschen, unerkannt und unentdeckt. Was also frisst er? Grünkohl? Wohl ehr nicht.


    Also weshalb hat er nie vom Fleisch gekostet?

    Was hielt ihn davon ab?

    Oder lügt er?


    Ein Wolf hätte keine Scheu einen Menschen zu reißen, für ihn ist das nichts weiter als Futter auf zwei sehr langsamen Beinen. Die ganzen Ammenmärchen der Ardemia-Anhänger, ein Wolf würde den Menschen scheuen und sich zurückziehen, sind für den Arsch. Ein Wolf fürchtet keinen Menschen und ein Rudel Wölfe ist nicht nur Nahrungskonkurrenz, sie sind eine ernste Bedrohung. Die Angst vor dem Wolf, ist fest verankert im menschlichen Blut. Es gibt tausend Märchen, wie der Wolf den Menschen angriff. Da können Ardemias Spinner behaupten was sie wollen. Die tragen schließlich auch Gras in den Sandalen um sich der Natur näher zu fühlen.


    Von daher, warum frisst Dein Wolf, keine menschlichen Schäfchen? Fühl der Bestie auf den Zahn. Also Deinem Gast, nicht Deinem Opa. Bei Deinem Opa steht einwandfrei fest, dass er Menschen frisst. Ich schaue kurz ins Buch und sage Dir welcher Auftrag offen ist. Lass es langsam angehen und schau zu wie der Mann arbeitet. Ansonsten schnapp Dir einen Quasselsplitter aus Papas Fundus und frage ihn, wie zu verfahren ist. Andernfalls kann ich das auch später machen. So mal schauen", sagte Manni, verschwand kurz aus dem Aufenthaltsraum und kam mit dem dicken Geschäftsbuch wieder.


    Lucian geduldete sich derweil und wartete ab, während Manfredo den dicken Wälzer durchstöberte.


    "Sooo... hmm... jaa... hier, klein, fein, nichtssagend aber wichtig. Damit verraten wir noch nichts. Mormimer Dagor hat noch 527 Taler offen stehen, für den letzten Monat. Die sind einzutreiben. Entweder das Geld oder wie Dein Papa vermerkte, ein Pfund Fleisch. Hoffen wir das Dagor flüssig ist, sonst wird er es", lachte Manni, was auch Luc losprusten ließ.

    "Mormimer Dagor, Amboß und Hammer, in Sturmfels, 527 Taler oder ein Pfund Lebendmasse", las Luc aus dem Buch ab.


    "Wir erledigt Manni, bis später man sieht sich", sagte Luc knuffte den Ledvico und verschwandt wieder nach draußen, nicht ohne sich noch eine Streifen Fleisch in den Rachen zu stopfen.


    Knapp eine Stunde später stand Lucian wieder vor Fallon.


    "So da bin ich wieder in voller Pracht und Schönheit, nur Spaß. Dein Auftrag heißt Mormimer Dagor, er arbeitet im Amboß und Hammer in Sturmfels, seine offene Rechnung beläuft sich auf 527 Taler. Rücken wir ab", schmunzelte Lucian.

  • Gemütlich lehnte Fallon gegen die steinerne Wand eines verfallenen Gebäudes. Wenn er genauer darüber nachdachte, bekam er das Gefühl, dass sein Gewicht allein schon für den Zusammensturz des Hauses sorgen könnte, aber er war vielleicht auch nur etwas zu kreativ, wenn ihm langweilig wurde. Generell wartete er nun seit einer ganzen Weile an diesem Ort. Lucian hatte sich bis jetzt noch nicht blicken lassen, was natürlich ein paar Zweifel in Fallon aufkommen ließ. Meinte der Typ es ernst mit ich? Im Zweifelsfall hatte er sich vor einem fremden Mann entblößt, diesem vermutlich einen saftigen Anblick seiner Fähigkeiten und seines Körpers beschert, nur damit dieser dann mit den Bildern im Kopf davonziehen konnte.


    Doch solch eine Böswilligkeit wollte Fallon Lucian nicht unterstellen. „Er hat ja gesagt, dass es länger dauern könnte. Er wird sicher wiederkommen“, sprach sich Fallon selbst Mut und Geduld zu, was am Ende nur mäßig funktionierte. Irgendwann ging er dazu über, durch die Straße auf und abzulaufen, während er nebenbei einige illustre Gestalten bei ihrem Tun beobachtete. Da war einmal ein Mann, in zerschlissenen Klamotten, sehr ärmlich wirkend und doch tätowiert bis hoch zum Hals. Für einen kurzen Moment hatte sich Fallon gefragt, ob dieser Typ überhaupt eine freie Stelle unterhalb seines Halses hatte, doch am Ende wollte er es sich gar nicht so genau vorstellen.

    Dann noch eine alte Frau, deren Haare ihr bis zu der Brust wuchsen. Was an sich schön wirken konnte, wurde schnell dadurch unansehnlich, dass die Haare nur büschelweise wuchsen und zudem fettig schienen. Mal von der Frau selbst abgesehen, die aus einem Gruselkabinett hätte kommen können. Als sie gesehen hatte, wie Fallon sie anschaute, fauchte sie ihn an wie eine Katze und huschte weg wie eine Ratte. Seltsame Gestalten, die an diesem Ort herumliefen. Hoffentlich würde das Angebot eines Obdaches seitens Lucian etwas – freundlicher ausfallen. So war zumindest Fallons Hoffnung, auch wenn er selbst wohl kaum all zu wählerisch sein sollte.


    Nach einer gefühlten Ewigkeit und der schwindenden Geduld, vernahm Fallon erneut die leisen Schritte, die ihm zuvor schon aufgefallen waren. Da drehte er sich gerade um, stand Lucian mit einem Schmunzeln im Gesicht fast schon direkt vor seiner Nase. Etwas erschrocken und zeitgleich fasziniert hörte er dem jungen Mann zu, der etwas von einem Auftrag in Sturmfels sprach. Geld von einem Schuldner eintreiben. Eine gängige Aufgabe, die er als Söldner schon häufiger machen musste. Dabei hoffte Fallon immer insgeheim, dass die betreffende Person das Geld hatte und er dieser Person nichts tun müsste. Doch leider entsprach dies selten der Realität. Einer der Gründe warum sich Fallon schon zu diesem Zeitpunkt an den Gedanken gewöhnte, Gewalt anwenden zu müssen.


    Doch schließlich sagte er schulterzuckend: „Dann wissen wir schon einmal wo der Typ ist und müssen nicht durch die halbe Welt reisen, nur um ihn zu finden.“ Nichts war schlimmer, als nach einer Person zu suchen, die vor einem floh. Also nahm sich Fallon jetzt schon vor, so unauffällig wie es nur möglich sein sollte zu bleiben, damit das Ziel nicht einfach floh und sie hinter dem Geld im wahrsten Sinne des Wortes herlaufen mussten.


    „Na dann, worauf warten wir! Lass uns losgehen!“, verkündete Fallon stolz, als er schon strammen Schrittes in eine Richtung marschieren wollte. Bis ihm einfiel, dass er keine Ahnung hatte, wo Sturmfels ist.


    Da blieb er wie angewurzelt stehen, hob den Zeigefinger in die Luft und machte auf dem Absatz kehrt. Mit einem fast trotteligen Gesichtsausdruck, einer hochgezogenen Augenbraue und einem Einatmen, welcher er für wenige Sekunden hielt, schaute er schließlich Lucian an. Schließlich stellte er mit seiner eingeatmeten Luft seine Frage: „Wo genau ist Sturmfels und wie kommen wir da hin?“


    Just in diesem Moment fiel Fallon auch auf, wie blöd diese Frage war. Damit machte er auf alle Fälle keinen kompetenten Eindruck, würde man doch sicherlich von ihm erwarten solche Dinge zu wissen oder zumindest allein in Erfahrung bringen zu können. Stattdessen fragte er seinen Auftraggeber weniger als einer Minute nach Beginn des Auftrags, wo sie hinmüssten. Ein wenig peinlich war es Fallon dann doch schon, als auch eine leichte Röte in seine Wange stieg und er sich mit der anderen Hand am Hinterkopf kratzte. Sein unsicheres Lächeln sprach alle Bände.

  • Lucian von Dornburg



    "Ungefähr zwei Tage Fußmarsch westlich von Obenza an der wunderschönen Mondlagune der Sturmsee gelegen, dort liegt Sturmfels. Wir haben dort Verwandte, ich könnte auf eine Stippvisite vorbeischauen. Wir wären natürlich schneller unterwegs, wenn wir mit Pferden reisen würden. Schade das mein Vater nicht Zuhause ist, er könnte mir seinen Hengst leihen. Der Hengst ist schnell wie der Wind. So müssen wir eben auf Schusters Rappen nach Sturmfels kommen. So weit ist es ja nicht", erklärte Lucian gut gelaunt.


    Die leichte Röte die sich in Fallons Gesicht gebildet hatte, als er nach dem Weg fragen musste, ignorierte Luc. Es gab genug Personen die ein Leben lang in Obenza verweilten, sie kamen niemals aus dem Moloch heraus. Die Stadt die ihre Kinder fraß, hielt sich auch in einer eisernen, eisigen Umklammerung gefangen.


    Der Zirkel, das Nest der Himmelsröhre bildete hier eine Ausnahme. Sie waren der Anemonenfisch der zwischen den giftigen Tentakeln seiner Gastgeberin umherschwamm. Auch der Zirkel war wie dieser Fisch eine Symbiose mit seiner Wirtin eingegangen und sie beide profitierten davon. Sie genossen den Schutz der unendlichen Stadt und meißelten selbst deren Namen in Blut, Fleisch und Knochen, so dass sich niemand in Obenza jemals sicher fühlen konnte. Sie verbreiteten die Botschaft ihrer Stadt und des Zirkels gleichermaßen.


    Lucian kämmte mit den Fingern seine langen, schwarzen Haare zusammen und knotete sie zu einem Zopf. Er überprüfte kurz seine Umhängetasche, tätschelte liebevoll einen türkisfarbenen, faustlangen Kristall und stopfte seine Trockenfleischration tiefer.


    "Mir nach", sagte er und gab den Weg durch die dunklen Gassen Obenzas vor.


    Lucian bewegte sich durch die Straßen mit einer Selbstsicherheit, die nur jemand vorweisen konnte, der eine halbe Ewigkeit an so einem Ort gelebt hatte. Oder sein ganzes, junges Leben. Er wirkte ausgelassen, fast fröhlich, dennoch schwang etwas anderes in seiner Erscheinung mit. Die Bettler und Beutelschneider wichen in die dunkleren Schatten zurück, sie wussten wer hier ihren Weg kreuzte und dass man es sich besser nicht mit diesem Wanderer verscherzte.


    Luc schaute zu den Sternen empor und atmete einmal tief durch.


    "Wir haben noch gut und gerne 8 Stunden Dunkelheit, da werden wir ein gutes Stück voran kommen. Sobald der Morgen dämmert, suchen wir und einen Unterschlupf. Den Tag verschlafen wir bis zur Dämmerung, dann geht es weiter", erklärte Lucian.


    Sicheren Schrittes führte er Fallon durch den Rotlichtbezirk, vorbei an der Müllkippe in deren Hintergrund der alte Leuchtturm thronte, direkt auf die Küstenregion zu. Die Wellen brandeten an die Steilküste, schmutzig grau spiegelten sie den dunklen Nachthimmel. Lucian schlug den Weg entlang der Küstenroute ein.

  • Zu seinem Glück ging Lucian nicht auf Fallons Schamgefühl ein. Im Gegenteil, er ignorierte es einfach und blieb bei einem freundlichen Lächeln, welches durch die gefeilten Zähne ein wenig absonderlich wirkte, nicht aber unfreundlich. Vielleicht etwas befremdlich, aber das sollte nicht Fallons Bier sein. Letztend Endes war der junge Mann eine freundliche Persönlichkeit. Außerdem sollte Fallon nichts sagen. Wenn er nicht gerade eine Rüstung trug, sah er aus wie ein Mensch-Wolfs-Hybrid, der jeden Menschen Angst machte und ihn als wilde Bestie bezeichnen ließ. Warum auch immer Fallon so wahnsinnig gewesen war, sich auf diese Weise gegenüber Lucian zu zeigen, am Ende hatte es sich dann aber doch gelohnt.


    "Danke für die ausführliche Info! Das ist dann aber doch ein kleiner Marsch, aber das sollten wir schaffen. Am besten gehst du voran und zeigst mir den Weg. Ich bin stets hinter dir", erwiderte Fallon schließlich mit einem ebenso zufriedenen Lächeln. Dabei konnte er auch beobachten, wie sich der junge Mann vor ihm vorbereitete und noch einmal seine Tasche prüfte. Den Moment nutzte Fallon ebenso, um seine Rüstung zu überprüfen. In dessen Zuge konnte er auch noch einige lose Schnalle befestigen, die er zuvor in der Eile übersehen hatte. Am Ende saß alles wieder an seinem angestammten Platz, es konnte losgehen.


    Da kam auch schon direkt die entsprechende Divise seines Auftraggebers, der Fallon selbstverständlich Folge leistete. Auf dem Weg heftete sich Fallon an Lucians Fersen, wobei er sich in dessen Schatten sonnte. Es war ein seltsamer Anblick, fast schon einschüchternd, mit welcher Selbstverständlichkeit Lucian durch diese Gassen schritt. Immer wieder konnte Lucian sehen, wie die Mensche Platz machten. Wenn Fallon es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass sie Angst hätten. Doch vor Lucian? Entweder hatte man begriffen, das man sich nicht mit dessen Familie anlegen sollte oder es gab etwas, was Fallon über ihn nicht wusste. Im Grunde war dies eine Menge, aber Fallon war sich fast sicher, dass da etwas war, was er hätte vorher wissen müssen. Doch nun war es zu spät und im Grunde kümmerte es ihn nicht. Wenn er es genau betrachetete, war es sogar ein Vorteil, nicht wie ein Schaf durch den Wolfsdschungel Obenza laufen zu müssen. Allein sähe dieses Bild sicherlich anders aus. Ein Grund mehr, sich an seine neue Begleitung zu halten.


    Trotzdem behielt Fallon seine Hand an seinem Schwertheft, sollte es doch jemand wagen, ihnen zu nahe zu kommen. Seine Augen huschten durch die Umgebung, achteten auf Gefahren, während er in höchster Alarmbereitschaft blieb. So blieb er für das Erste auch wortlos, bis sie gemeinsam auch die schmutzigsten Ecken Obenzas zu Gesicht bekamen, ehe sie in der Dunkelheit die schützende Stadt verließen und über ihnen nur noch der Nachthimmel und sie die frische Luft des Meeres umgab. Erst dann war der Moment, für Fallon einen Moment aufzuatmen und sich zu entspannen.


    Dann war für Fallon auch der rechte Moment, die Worte von Lucian aufzugreifen: "Wir sind also in der Nacht unterwegs und am Tage schlafen wir? Nun, das entspricht zwar nicht ganz meinem Schlafrhythmus, ist aber besser als am Tage von jemandem abgefangen zu werden. Also sollte das kein Problem darstellen. Wenn ich das richtig rechne, sollten wir also übermorgen am Morgen ankommen." Das würde ein anstrengender, aber nicht unmöglicher Weg werden. Eigentlich wirklich positiv, wenn man bedachte, dass er die Zeit ausnutzen könnte, um Lucian näher kennenzulernen.


    "Wie sieht es eigentlich aus? Wie ist denn deine Familie so drauf? Ich meine, ihr geht konsequent mit euren Schuldnern um. Bercehtigterweise. Aber wie sind sie sonst, auf persönliche, nicht geschäftliche Weise?", plappert Fallon drauf los. "Wie kommt es eigentlich dazu, dass du solche gefeilten Zähne hast? Bist du auch ein Wandler?"


    Erst im nächsten Augenblick bemerkte Fallon, wie aufdringlich er sich verhalten musste. Ihn hatte einfach die Neugierde gepackt. "Natürlich brauchst du nichts davon beantworten. Ich will dir auch nicht zu nahe treten oder so! Aber ich dachte mir, wenn man schon so lang gemeinsam unterwegs ist, könnte man sich kennenlernen. Entschuldige."

  • Lucian von Dornburg



    Lucian hörte Fallon aufmerksam zu und deutete ihm an, neben ihm zu laufen.


    "Unser Weg führt die Küste entlang, damit wir nicht durch den ganzen Slum laufen müssen. Das ist angenehmer für die Nase, hier in direkter Nähe zum Meer riecht die Luft trotz allem Dreck immer etwas sauberer. Zudem gefällt mir der alte Leuchtturm. Der Weg ist gut zu schaffen, dazu muss man nicht mal im Stechschritt gehen. Die Route an der Küste ist natürlich ein klein wenig länger, als auf direktem Weg auf Sturmfels zuzuhalten. Aber dafür haben wir eine schöne Aussicht und die paar Stunden mehr sind den Umweg wert.


    Ja wir sind Nachts unterwegs, wir sind nachtaktiv, das ist eine Eigenart meiner Familie. Genauso wie die Tradition des Zahnfeilens. Das ist ein uralter Brauch der seit einer Ewigkeit bei uns praktiziert wird. Uns wird niemand in Obenza oder in Sturmfels abfangen. Und falls doch, dann muss die Person entweder sehr mutig oder sehr dumm sein. Meine Familie nimmt Angriffe auf ihre Mitglieder sehr ernst. Was auch Deine Frage beantwortet, wie meine Familie so ist. Wir halten fest zusammen, dass ist unser Familienmotto. Wir stehen für einander ein", beantwortete Lucian Fallons Fragen freundlich.


    Er selbst wandelte zwar selbstsicher durch die Gegend, dennoch behielt er alles wachsam im Auge. Ihr Ruf eilte seiner Familie voraus, aber manchmal musste man ihn doch hier und da in Stein meißeln. So manch einer hatte versucht es mit seiner Familie aufzunehmen. Aus Dummheit, aus Verzweiflung, manche aus einer Mutprobe heraus, es gab so viele Gründe wie Tote.


    Lucian schenkte Fallon ein Grinsen.


    "Alles gut, warum sollten wir uns die Zeit nicht mit ein bisschen Plaudern versüßen? Eine Vier-Tage-Reise ist doch nicht lang Fallon, zwei Tage hin und zwei Tage zurück. Manche Reisen dauern Wochen oder gar Monate. Wegen Deiner Frage, nein ich bin kein Wandler. Seit wann besitzt Du diese Gabe? Schon seit Deiner Geburt? Und warum bist Du teilweise Wolf? Ist das generell bei Wandlern so? Ich habe davon gehört, dass es solche Wesen gibt, aber einen echten Wandler habe ich noch nie gesehen. Oder ich habe ihn nicht erkannt. Das kann natürlich auch sein", sagte Lucian.


    Die Zeit verstrich während sie der Küstenlinie Richtung Sturmfels folgten. Die Lichter Obenzas verblassten hinter ihnen und die Natur um sie herum nahm stetig zu und erwachte zu ihrem geheimnisvollen nächtlichen Leben. Wo andere rasteten und in eine Taverne einkehrten, zogen sie los.


    Lucian führte sie von der schmalen Straße herunter, über einen schmalen Pfad der sich durch dichtes Unterholz schlängelte. Es ging einen Hügel herab, dann wieder hinauf und nochmals hinab. Der Weg folgte der Kluftartigen Landschaft und man musste aufpassen wohin man trat. Lucians Augen schienen die Dunkelheit gewöhnt zu sein. Das was er Fallon erzählt hatte über die Nachtaktivität war somit keine Lüge gewesen.


    Die Dunkelheit verschluckte sie und das Meer war nur noch als Richtungweiser rechter Hand zu hören. Einige Stunden später sahen sie die ersten Lichter eines kleinen Dorfes, dass auf ihrem Weg lag.

  • Es war ein malerischer Spaziergang sondergleichen. Fallon war selten an der Küste entlangelaufen, hatte sein Leben doch bis jetzt nur aus Söldnerlager und Obenza bestanden. In dem Fall war er nicht viel herumgekommen. Die Missionen, die er für die damalige Kompanie erledigt hatte, hatten meist nur aus einfacher Aufklärung und vielleicht einem kleinen Gefecht bestanden, aber niemals etwas, wofür man weit oder lang reisen musste. Dementsprechend war Fallon fasziniert und angetan von der Reise, die er auf diese Weise so noch nicht erlebt hat. Ein entspanntes Laufen zwischen Städten, die freie Natur und die frische Luft. Besonders letzteres freuten seinen inneren Wolf, die in seinem Kopf freudig mit der Rute wedelte und das Draußen genoss. Zwar kratze er auch an Fallons Verstand, weil er heraus wollte, doch in dem Augenblick war nicht die Zeit dafür.


    Stattdessen genoss Fallon selbst die malerische Szenerie. Das Rauschen des Meeres, aber auch die sanfte Brise trieben ihm Entspannung in den Leib, die er nur aufgrund seiner Erfahrung in Schach halten konnte. Somit blieb Fallon aufmerksam. Auch wenn es sehr schwer war, sich nicht der Ruhe und der angenehmen Gesellschaft hinzugeben, so viel stand fest. Ganz nebenbei hörte Fallon Lucian zu, wie dieser von seiner Familie berichtete. So wie dieser sie beschrieb, wirkte sie sehr eigenartig. Fast wie Vampire oder ein Haufen Ghule, aber Fallon wollte nichts Böses hineininterpretieren. Noch immer galt, dass er ansonsten die Hand biss, die ihn fütterte. Das war das undenkbar Dümmste, was er hatte machen können.


    "Ah, du also eine sehr loyale und verantwortungsvolle Familie. Wenn ich das richtig verstehe, habt ihr euch aber auch um diese Treue entwickelt. Genau wie um das Geschäft", ging Fallon auf das Gesagte ein, wobei er immer wieder den Blickkontakt zu Lucian suchte. "Im Grunde seid ihr auch nichts Anderes als eine Söldnerkompanie, die ihre Eigenarten und Dynamiken entwickelt hat. Nur das ihr in einem anderen Bereich tätig seid. Klingt einleuchtend. Genau wie deine Familie recht umgänglich scheint. Hört sich gut an! Ich wünschte nur, ich könnte eine solche Familie vorweisen. Oder überhaupt eine Familie." In den letzten Sätzen mischte sich ein wenig Trauer in die Worte, die Fallon jedoch sofort wegzufegen versuchte.


    Schließlich blickte Fallon den jungen Mann neben sich, wobei er grinste. "Auf alle Fälle beweist sich der gute Geschmack eines Familienmitglieds ziemlich deutlich. Du hättest keine bessere Route auswählen können als diese. Ich kenne das so gar nicht. Ist echt schön hier, auch bei Nacht. Ich frage mich, wie die See wohl aussieht, wenn darüber die Sonne aufgeht. Dieser Umweg ist es wirklich wert."


    Es war beruhigend für Fallon, dass Lucian es sogar positiv aufnahm, dass er sich mit ihm unterhalten wollte. Nicht jeder war wirklich willig auf einer Reise sich dem Gesprächspartner zu widmen. Manche genossen einfach nur die Stille, wenn man unterwegs war. Die Natur, die Geräusche in ihr, aber kein menschliches Geplapper. Bis zu einem gewissen Grad konnte Fallon das auch verstehen, wie in diesem Falle, aber es würde ihm zu schnell langweilig werden, wenn er nicht mit seiner Reisebgeleitung sprechen könnte. Mal ganz abgesehen von der peinlichen Stille.


    Drum war Fallon auch erfreut daraüber, dass Lucian von sich auf Fragen zu stellen begann. Offensichtlich hatte der Junge tatsächlich noch nie einen Wandler zu Gesicht bekommen. Wie er dann selbst bestätigte, konnte er dann auch keiner sein. Scheinbar war Lucian aber lange Reisen gewohnt. Was für Fallon schon lang war, schien dem Kerl nichts auszumachen oder für ihn eher wie ein Nachmittagsspaziergang zu sein. Da konnte sich Fallon gar nicht vorstellen, so lang unterwegs zu sein. "Mehrere Monate auf Reise? Hui, ich bekäme ziemlich schnell Heimweh. Kommt vermutlich aber immer darauf an, wohin man reist und was man tut. Dann kommt einem es am Ende vielleicht nicht so lang vor."


    Bei den Fragen Lucians zögerte Fallon dann einen kurzen Moment. Nicht, dass er seine Fragen nicht beatworten wollte, aber für ihn stand im Raum, ob er Lucian mit unnötigen Details nervt. Am Ende wollte er seine Reisebegleitung nicht langweilen, andererseits gab es sonst nicht zu viel zu tun. Seine Gedanken mit einem Schulterzucken abschließend, erwiderte Fallon schließlich: "Also generell ist es so, dass man als Wandler geboren wird. Es wird von Generation zu Generation von der Mutter weitergegeben, es kann aber auch mal vorkommen, dass eine Generation übersprungen wird. Sprich, die Mutter ist keine Wandlerin. Wenn sie nichts von der Gabe ihrer eigenen Mutter weiß, wird sie niemals damit in Kontakt kommen - bis sie ein eigenes Kind bekommt."


    Melancholisch dachte Fallon an seine Mutter und an das zurück, was ihm widerfahren war, als er aufwuchs. Es war ein fruchtbares Los, wenn man von Leuten umgeben war, die das nicht verstanden. Ohne zu zögern erzählte Fallon daher: "So wie es bei mir der Fall war. Meine Mutter und mein Vater wussten nichts von den Genen, die meine Mutter in sich trug und schließlich an mich weitergab. Da wir Wandler schneller wachsen und erwachsen werden, fiel es bei mir schnell auf und ich wurde nach einer langen Zeit des Misstrauens und der Verachtung schließlich davongejagt. Also, von meinen Eltern und ihren Leuten. Es ist nicht selten, dass ein Wandler als wilde Bestie dargstellt wird, die einfach die Kontrolle verliert und ein Blutbad anrichtet. Ein weit verbreitetes Vorurtei ausgelöst durch jene, die ihrer animalischen Seite keine Leine anlegen wollen. Aber jene sind die Ausnahme. Zuminest ist es das laut den Aufzeichnungen, die ich über Wandler finden konnte und welche nicht aufgrund von Hass oder Angst verfasst worden waren."


    Es löste in Fallon das reine Grauen aus, wenn er darüber nachdachte, wie man mit den Dingen umging, die man nicht verstand - so auch mit den Wandlern. Nur wenige hatte sich damit befasst, wirklich ausführlich und objektiv, um erkennen zu können, dass Wandler keine wilden Besten waren, die nur durch ihre Instinkte gesteuert wurden. Es ist und blieb eine Schande, dass es noch immer so viele gab, die diese Thesen unterstützten und lebten. Allein der Gedanke daran ließ Fallon einen Schwall von Übelkeit spüren.


    "Auf alle Fälle orientiert sich die Tierform eines Wandlers an der seiner Mutter beziehungsweise seiner Familie. In manchen Fällen kann es auch abweichen, aber da ich zum Beispiel nicht weiß, welches Gen in meiner Familie weitergereicht wurde, habe ich auch keine Ahnung ob ich einem Wolfsstamm entspringe. Aber ich schätze mich glücklich, ein Wolf zu sein. Besser als eine Schildkröte oder eine Ratte oder so.

    Aber um auf deine Frage zurückzukommen, was das teilweise Wolf betrifft, da gibt es eine Eigenart bei uns Wandlern. Je häufiger und länger wir uns in unsere Tiergestalt wandeln, desto mehr Züge nehmen wir von unserem inneren Tier an. Das kann teilweise soweit gehen, je nachdem wie exzessiv man sich wandelt, dass man sich gar nicht mehr rückverwandeln kann, oder aber ein Tier auf zwei Beinen wird. Quasi ein menschlicher Wolf. Ein Werwolf, wie man ihn aus den Geschichten kennt.

    Manche, die sich ihrer Fähigkeiten nie oder nur selten bedienen, übernehmen wenn nur minimal ein paar Eigenschaften in der Physis, fast nie welche in der Psyche. Daher können wir Wandler unter uns haben, die sich auch dessen bewusst sind, aber niemals ihre Wandlungen nutzen. Bei bestimmten Tierformen kann ich es auch verstehen.

    Mich persönlich stört der wölfische Anteil meines Körpers nicht, es macht aber vielen Angst. Wobei ich ehrlich gestehen muss, dass es eine Gefahr gibt. Umso mehr man sich seinem animalischen Ich annähert, desto mehr übernimmt man auch dessen Verhaltensweisen und Instinkte. Das ist auch der Grund, warum uns viele als Gefahr sehen. Denn es ist bereits vorgekommen, wenn auch selten, dass ein Wandler den Bezug zu seiner Menschlichkeit verloren hat und somit ganz zum Tier wurde. Besonders bei Raubtieren kann das gefährlich werden.

    Meiner Erfahrung nach kann das aber auch nur passieren, wenn man sein inneres Tier nicht unter Kontrolle hat und sich zusätzlich noch der Wandlungen freiwillig hingibt. Soweit ich das einmal verstanden habe, muss sich ein Wandler letzten Endes bewusst dafür entscheiden, sich diesen Trieben hinzugeben, um seine Menschlichkeit zu verlieren. Ansonsten kann nichts in dieser Hinsicht passieren."


    Fallon war plötzlich in einen solchen Redefluss geraten, dass er gar nicht mehr darauf geachtet hatte, ob es seinen Gegenüber noch immer interessierte. Neugierig, auch ein wenig entschuldigend, blickte Fallon Lucian an. "Entschuldige, dass ich dich so sehr damit zutexte. Aber ich habe bei dir einfach das Gefühl, dass du da keine Hemmungen hast und es dich sogar faszinieren könnte. Du musst bloß sagen, wenn ich die Klappe halten so."


    Inzwischen waren sie ein gutes Stück voran gekommen, doch die Szenerie hatte sich nie zum schlechten gewandt. Noch immer umgeben von Meer, Strand und Wald, genoss Fallon den Spaziergang sehr und wenn er sich ehrlich eingestand, auch die gemeinsame Reise mit Lucian. Der Kerl schien wirklich in Ordnung, zudem hatte er ihn nicht dafür verurteilt für das, was Fallon war. Allein dafür war Fallon schon dankbar, doch offenbar zeigte sich der junge Mann auch noch interessiert an Fallon und seinem Schicksal.


    Derweilen beobachtete Fallon Lucian genauer. Dieser hatte offenbar keine Schwierigkeiten damit, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Fallon hatte es aufgrund seiner tierischen Gene auch etwas einfacher, doch Lucian schien bei weitem besser darin zu sein. Was Fallon bewundernswert fand. Lucians Worte fanden in diesem Phänomen ihre Wahrheit. Das machte Fallon selbstverständlich neugierig, weswegen er direkt fragte: "Wie kommt es eigentlich, dass ihr nur in der Nacht tätig seid? Ich meine, ich will mich nicht beschweren oder zu neugierig sein, aber ist ein Handel mit Lebensmitteln am Tage nicht einfacher oder besser?"


    Nach einer ganzen Weile erreichten sie ein kleines Dort. Die Lichter jenes Dorfes standen wie ein Leuchtturm auf dem Festland. Für Fallon zogen diese Lichter an wie eine Motte. Ein warmes Bett, Essen und die Wärme lockten sicherlich nicht nur ihn in so eine Ortschaft. Allein wie der Rauch sich in den Lichtern zeigte, wie er Wärme versprach, war für Fallon eine reine Einladung. Ein Blick an den leicht rötlichen Horizont verriet, dass es bald die ersten Sonnenstrahlen geben würde, auch wenn die Finsternis noch immer über das Land herrschte.


    Dennoch spürte Fallon langsam die Müdigkeit in ihm hochkriechen, hatte er das letzte Mal doch vor circa einem Tag geschlafen. Drum wandte er sich ein gutes Stück vor dem Dorf an Lucian: "Rasten wir in dem Dorf, schlafen und essen etwas, oder was hast du in dieser Hinsicht geplant?" Langsam machte sich die Reise zu Fuß bemerkbat. Zumindest für Fallon, der zwar einiges gewohnt war, aber dennoch die Ermüdung einer solchen Reise zu spüren bekam.

  • Lucian von Dornburg


    Lucian genoss ebenso wie Fallon die Wanderung durch die Natur. Es war ein seltsamer Kontrast, Obenza in ihrem Rücken, eine Stadt in der scheinbar alles dem Verfall und dem Tod preisgegeben war und nur einige Schritte vor den Toren dieses Molochs fand man unberührte Natur. Bis hierher hatte sich Obenza noch nicht vorgefressen, aber es würde geschehen, da war sich Lucian sicher. So wie die Beißer, so kannte auch Obenza keine Gnade. Was es verschlingen wollte, landete eines Tages in dem Rachen der ewig hungrigen Stadt.


    Fallon erzählte frei heraus, was Lucian gefiel. Er lernte den Wandler von Wort zu Wort besser kennen. Manche Dinge konnte Lucian nachvollziehen, andere wiederum nicht. Aber das machte ja gerade den Reiz einer Unterhaltung aus. Man lernte andere Sichtweisen kennen.


    "Man könnte sagen, meine Familie hat sich ganz ihrer Leidenschaft verschrieben. Passionierte Jäger deren Kunden Wildfleisch zu schätzen wissen. Es bleibt also alles in einer Hand, der gesamte Weg der guten Küche ist nachzuvollziehen. Und ich denke, dass schmeckt man auch. Ob etwas mit Liebe zubereitet wurde, mit Herzblut oder ob jemand einem einfach nur etwas auf den Teller klatscht. Es kommt wie überall im Leben auf die Leidenschaft an die dahinter steckt. Ohne Leidenschaft kann die schönste Handlung und das schönste Erlebnis zu grauer Belanglosigkeit herabgewürdigt werden.


    Die besten Köche sind nicht geworden was sie sind, weil sie 100 Rezepte mehr kennen als andere, oder weil sie noch frischere Zutaten kennen. Nein, deshalb nicht. Sie sind so meisterlich geworden, weil sie mit Leidenschaft kochen. Weil man herausschmeckt, wie dieser Koch sich für dieses Mahl bemühte. Weil er eine Botschaft damit zu seinem Gast transportieren möchte. Jedes Gericht hat seinen ureigenen... nenne ich es mal Lebenslauf. Und das soll man schmecken.


    Allein schon beim Fleisch. Den Wind den das Wild auf der Haut spürte, die Nahrung die es in Freiheit aß, der letzte Moment des Lebens als es den Funken aushauchte. All das überliefert das Mahl und zeigt dem Gast, was er dort isst - Kunst.


    Es ist ein Gemälde, eine Komposition die nicht allein aus den tatsächlichen Bestandteilen der Zubereitung besteht. Vielleicht mag der Hauch Zimt auf gerösteter Schwarte Dich zum Nachdenken anregen, woher dieser zarte, warme Geschmack kommt. Viel wichtiger ist doch, was löst dieser Geschmack in Dir aus? Woran erinnerst Du Dich? Was schmeckst, fühlst und spürst Du? Deine Erinnerungen, die Komponenten und die Leidenschaft des Koches gehen einen unvergleichenlichen Verbund ein.


    Und genau das liefern wir", erklärte Lucian mit einer Inbrunst, die jedem klar machte, wie ernst ihm dieses Thema war.


    "Ohne Familie ist man ein Nichts, ohne schützendes Nest steht man allein der Welt gegenüber. Du bist ein Wolf ohne Rudel Fallon, ein vermutlich einsamer Wolf. Wenn ich mir die Beurteilung erlauben darf und wenn nicht... sie ist schon draußen. Hast Du nie versucht daran etwas zu ändern?", fragte Luc und blieb einen Moment stehen um sich umzuschauen.


    Scheinbar war alles in Ordnung, denn er lief weiter.


    "Wie die See aussieht, wenn die Sonne darüber aufgeht?", wiederholte er die Frage und dachte darüber nach.

    "Keine Ahnung, einen vollen Sonnenaufgang habe ich nie gesehen. Erstes Morgenrot... ja, aber mehr nicht", antwortete Lucian ehrlich.


    Bei dem Thema Heimweh grinste Lucian Fallon an.


    "Nun es kommt natürlich auch darauf an, mit wem Du unterwegs bist. Allein ist etwas anderes, als mit einem Familienmitglied. Oder mit jemand anderem. Von daher ist es von Reise zu Reise unterschiedlich. Manche Reisen haben eine tiefere Bedeutung, als nur einen neuen Ort zu erreichen Fallon, man erreicht einen anderen Zustand.


    Das wäre zum Beispiel die freiwillige Hingabe an Deine Gabe, genau wie wir uns unserer Passion hingeben. Wir nennen es das Erwachen. Zum ersten mal die Wahrheit der Welt zu schmecken, zieht einem den Schleier von der Seele und man erwacht vollständig. So lebt sonst immer noch ein Teil der Seele in einem anderen Daseinszustand, sie ist kindlich, infantil, geschützt, da sie noch nicht ihr volles Potential ausschöpfen kann.


    Aber wie könnte die kleine Seele dies auch? Sie lebt in süßer Unwissenheit, erst wenn man vom wahren Leben gekostet hat und erwacht ist, kann man seine wahren Fähigkeiten völlig entfalten. Siehe es wie die Raupe und den Schmetterling. Man muss eine Menge Fressen um sich zu verpuppen. Dann schläft man und erwacht in völlig neuer Gestalt, geistig wie körperlich. Das ist die Metamorphose, das ist der Weg des Erwachens und der Passion.


    Warum fürchtest Du Deinen inneren Wolf?

    Glaube mir, ich kann Dir versichern, wenn er ähnlich unserer Leidenschaft ist, dann fürchtest Du Dich schlichtweg vor einem Teil von Dir selbst. Er gehört zu Dir, wie der Rest Deines Körpers und Deiner Seele. Fürchtest Du Dich vor Deinen Ohren? Wohl kaum, warum fürchtest Du Dein inneres Raubtier. Hast Du niemals vorgehabt es zu... umarmen? Eins mit ihm zu werden?


    Nein Du sollst nicht die Klappe halten, die Erklärung war sehr genau und detaliert. Danke dafür. Zudem habe ich Dich ja gefragt. Das Du von Deiner eigenen Familie davongejagt wurdest, nur weil Du bist wer Du bist, dass tut mir leid Fallon. Nichts ist schlimmer, als wenn sich die Familie gegen einen wendet.


    Ach was Fallon gegessen wird zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und gerade die Nachtmärkte Obenzas oder anderer Städte sind derart gut besucht, Du würdest Dich wundern. Viele Nachtschwärmer haben den gleichen Lebensrythmus wie wir. Darunter gibt es ebenso viele Kunden wie Verkäufer. Das wirst Du in Sturmfels sehen. Das hier ist Naridien, ein Land das nie schläft, vielleicht wird es abends an manchen Orten ein klein wenig leiser. Aber schweigen tut es nie.


    Obenza und Daijan hingegen sind Städte, die zu jeder Tages- und Nachtzeit vor Leben pulsieren, auf allen Ebenen. Einer meiner Brüder lebt in Daijan. Warum wir nur nachts tätig sind? Warum sind denn andere tags tätig? Also das ist ja eine Frage.


    Tja lass mich mal nachdenken... vermutlich, weil das einfach unser Lebensrythmus ist? Es war immer so, ich kenne es nicht anders. Ich habe es nie hinterfragt, muss ich gestehen. Klar als kleines Kind war ich auch mal wach, bis der Tag hereinbrach. Aber mein Ziehpaps hat mich nur selten so lange wach bleiben lassen. Ausnahmen waren bestätigen die Regel, wenn was besonders anlag", sagte Lucian und blieb einen Moment stehen, um das Dorf genau zu mustern.


    "Scheckenhoffen... Paps sagt aus Spaß immer Schreckenhoffen, einer Dorf mit Charme im Sektor der naridischen Almanen. Gut, gastlich, gemütlich und ein wenig anders. Ja wir rasten im Dorf, im Gasthaus "Zum Schecken", dass ist ein gepunktetes Pferd", schmunzelte Luc und gab den Weg vor.


    Je näher sie dem Dorf kamen, je heller wurden die Lichter. Warm und gemütlich luden sie ein, dass Dorf zu betreten. Es waren noch erstaunlich viele Leute auf der Straße, allerdings hatten die meisten davon die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Lucian führte Fallon zu einem kleinen Gasthaus, auf dessem Schild ein Pferd mit bunten Punkten prangte.


    Lucian betrat das Gasthaus, schaute sich einen Augenblick sichernd um ehe er zum Tresen trabte.


    "Clement", grüßte Luc und grinste.

    "Luc", grüßte Clement zurück, neigte leicht das Haupt und grinste ebenso Reißzahnstarrend.


    "Mein Begleiter und ich nehmen die Sieben und ein Betthupferle", bestellte der junge Beißer.

    "Alles klar, hier schon mal der Schlüssel. Essen wird gleich gebracht", gab Clement zurück und händigte Lucian den Schlüssel aus.


    Lucian grabschte den Schlüssel, führte Fallon eine Holztreppe nach oben, die bei jedem Schritt schauerlich quitschte. Lucian schien seine Freude daran zu haben, da er bewusst auf jeden Fuß viel Gewicht setzte, damit sie noch grausiger knartze. Ihr Zimmer lag linker Hand und dann noch einmal um eine kleine Ecke gebogen. Es war vom Flur aus somit nicht einzusehen, falls sie die Tür öffneten. Luc schloss auf, schob Fallon hinein und steckte von innen den Schlüssel ins Schloss.


    Der Raum war gemütlich und zweckmäßig eingerichtet. Zwei große Betten standen dort, ein Tisch mit Stühlen, eine große Truhe und ein kleiner Kamin. Zudem waren einige Bilder an den Wänden aufgehangen, die Personen in geradezu abstrakter und entstellter Weise darstellten.


    "Die hat mal mein Opa gemalt", sagte Lucian stolz.

  • Als Lucian schließlich mit einer ausführlichen Erklärung andeutete, dass sie in diesem Dorf übernachten würden, war Fallon insgeheim dankbar, eine Pause einlegen zu können. Die Müdigkeit wurde immer schlimmer, sein Körper hingegen war noch fit, aber es machte sich bemerkbar, dass ihm der Schlaf fehlte. Drum entfuhr ihm auch ein herzhaftes Gähnen, als sie den Weg ins Dorf beschritten. Ein Weg, der nicht langweilig wurde, hatte er bei Lucian doch einen sehr ausgiebigen und gesprächigen Reisepartner gefunden. Aus diesem Grund hörte er genau zu, was dieser von sich gab und wie er die Dinge beschrieb. Vorweg konnte Fallon sagen, dass der junge Kerl sich sehr malerisch ausdrücken konnte. Es lag eine gewisse Poesie in seinen Worten, welche schlichtweg beeindruckend war.


    "Bei eurer Berufung macht ihr keine halben Sachen, wie ich es heraushöre", lachte Fallon schließlich, aber in einem freundlichen, vielleicht etwas neckenden Ton. Sein Blick wurde jedoch wieder ernster, als er fortfuhr: "So wie du es mir beschreibst, hört es sich so an, als ob deine Familie und du eure Arbeit zu einer Kunstform erhoben habt. Ich meine, ich selbst und vermutlich viele andere hätten euch, wenn man euch nicht besser kennt, als ein Familienunternehmen eingeschätzt. Einfach nur ein paar Leute mit ein paar Eigenarten, die ihr Ding machten.


    Doch das, was du mir hier gerade beschrieben hast, geht viel weiter über das normale Handwerk der Lebensmittelherstellung hinaus. Für euch scheint wirklich jeder Schritt eurer Arbeit heilig und wichtig zu sein, egal wie sehr man dafür etwas machen oder arbeiten muss. So lang das Essen am Ende danach schmeckt - und zwar liebevoll bereitet, sollte alles passen. Für mich hört sich das wirklich gut an, ehrlich! Ich habe großen Respekt vor einer solchen Einstellung und der Leidenschaft, die dahinter stecken muss."


    Das waren auch ehrliche Worte seitens Fallon. Noch nie in seinem Leben hatte er einen menschen auf diese Weise über seinen Beruf sprechen hören, wie es Lucian tat. Vermutlich war der Rest seiner Familie genau so eingestellt, dass man im großen Ganzen einen Familienbetrieb hatte, der hinter dem stand, was er auch tat. Es hörte sich fast schon beneidenswert an, musste man doch viel Liebe dazu aufbringen, was man tat, um auf diese Weise darüber sprechen zu können.


    Doch kaum war Fallons Antwort über die Lippen gekommen, zog Lucian eine Aussage und eine Frage aus dem Hut, mit der Fallon nie in seinem Leben gerechnet hätte. "Ich ... äh ... Familie?", fragte er völlig verdutzt. Das war eine sehr direkte Frage und eine noch dazu, über die sich Fallon nie Gedanken gemacht hat. Im Gegenteil. Es war eine Thematik, die er schon vor sich hergeschoben hat, um ihr aus dem Weg zu gehen. Doch da lief er nun neben Lucian, bekam zu hören, er wäre ein einsam und ein Nichts, wenn er keine Familie hätte. Einfach aus dem Blauen heraus. Das überraschte Fallon gar so sehr, dass er für den ersten Moment erwidern musste: "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich dir darauf antworten soll. Lass mich einen Moment nachdenken und uns anderen Themen widmen."


    Zum Glück wandelte sich das Thema schnell darin um, dass Lucian noch nie einen Sonnenaufgang gesehen hatte. Perplex schaute Fallon seine Begleitung dabei an, zog eine Augenbraue nach oben und schaute auf Lucians Gesichtszüge, ob er ihn gerade verarschen wolle. Doch in seinem Gesicht stand der blanke Ernst. "Du hast noch nie einen Sonnenaufgang gesehen? Hui, dann hast du aber ordentlich etwas verpasst. Das müssen wir beide mal nachholen, wenn sich die Zeit dazu ergibt! Du verpasst echt einen guten Anblick, wenn du es nicht einmal gesehen hast." Sollte seine Anstellung bei der Familie länger anhalten, dann hatte Fallon schon einmal einen guten Plan, was er mit dem Spross machen würde.


    Noch immer schwebte in Fallons Gedanken das Thema der Familie herum. Natürlich war er auf der Suche, wollte sich endlich Zuhause fühlen, doch war ihm das nicht so sehr bewusst. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt. Lucian hatte etwas hervorgeholt, was begraben war, spätestens seit Eorur aus seinem Leben verschwunden war. Für das Erste ging es aber auch um andere Themen, wobei sich Fallon schließlich wieder der poetischen Seite Lucians gegenüber sah. Dieser Junge schien wirklich viel im Kopf zu haben, wenn er sich ausdrückte und solche Einstellungen vertrat. Auch wenn er mit manchen Dingen seltsam war, aber wer war das schon nicht?


    "Ja, Reisen kann ich mir als heilsamen Prozess für Körper und Seele vorstellen - sofern du nicht zur nächsten Schlacht oder dem nächsten Krieg ziehst. Aber eine Reise würde ich niemals mit meinem inneren Wolf oder meiner Gabe vergleichen. Das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Aber generell stimme ich dir in dem Punkt des Erwachens zu. Manchmal braucht es einen zündenden Funken, eine Idee oder eine Tat, um sich aus dem Alten zu schälen und zu etwas zu werden, was deine Umschreibung von der Raupe zum Schmetterling gut trifft. Wir wachsen anhand dessen und erblühen, aber man auch bereits sein, diese Seiten zu akzeptieren und zu umarmen. Da gebe ich dir völlig Recht.


    Da habe ich auch keine Hemmung oder Ängste. Ich umarme meine Gabe, meinen inneren Wolf, weil er mir Dinge ermöglicht, mich stärker macht und mir Selbstvertrauen gibt, wo es sonst nie hätte sein können. Vor ihm Angst habe ich nicht. Vielmehr habe ich Respekt und eine hohe Ehrfurcht von ihm. Ich bin bereits eins mit dem Wolf in mir und auch verdammt stolz darauf!" Breit grinsend schlug sich Fallon mit der Faust auf die Brust, wobei er seine vorderen Reißzähne entblößte.


    "Aber dennoch gilt es, vorsichtig zu sein. Ja, ich umarme meine Gabe und ich habe auch keine Angst vor ihr, aber bei uns Wandlern ist das Vereinen mit dem inneren Tier gleichbedeutend mit dem Verlust der menschlichen Form und des menschlichen Verstandes. Sobald ein Wandler sich mit seinem Tier vereint, stirbt die Person und zurück bleibt nur ein Tier, gefangen in der Tierform und ohne jegliche menschliche Intelligenz. Und ich würde gerne noch ich bleiben."


    Allmählich erreichten sie das Dorf. Das Leben schien ruhig dort. Nichts im Vergleich zu Obenza, auch wenn ein paar fragwürdige Gestalten die Gegend durchwanderten, aber das hatte man wohl an jedem Ort der Zivilisation. Das, was Fallon von außen schon gesehen hatte, strahlten die Lichter und Häuser des Dorfes nun deutlicher aus. Völlig zufrieden genoss Fallon die ruhige Atmosphäre in dem Weiler. Schon jetzt freute er sich auf eine warme Mahlzeit, auf der ein gemütliches Bett folgen sollte.


    "Naridien, ein Land das nie schläft", wiederholte Fallon die Worte Lucians. Im Grunde hatte der junge Kerl recht. Vielleicht war Fallon nicht viel durch das Land gereist, aber er hat genug mitbekommen, um den Worten zuzustimmen. "Ja, das stimmt. In diesem Land ist immer etwas in Bewegung, genau so wie wir beide, nicht wahr? Normalerweise bin ich es gewohnt aus meinem Leben, dass das Leben am Tage stattfindet, während nachts der Schlaf kommt. Doch für dich ist es andersherum. Kommt vermutlich auch auf den Beruf an, in dem Fall wo die Jagd bei dir, die in der Nacht wohl einfacher ist, als am Tage. Aber vielleicht verbringt man ja auch mal gemeinsam einen Tag, wenn du es dir wünschst. Da kann man auch sehr viel anstellen, abseits von Beruf und Familie." Neckend knuffte Fallon den Jüngeren schließlich. Aus irgendeinem Grund freute sich Fallon über seine neue Bekanntschaft sehr. Er hatte das Bedürfnis, Lucian all diese Dinge die er nicht kannte einmal zu zeigen und zu demonstrieren, dass auch der Tag seine schönen Seiten haben konnte.


    Schließlich kehrten sie in das Gasthaus Zum Schecken ein, ganz passend zum Namen des Dorfes Scheckenhoffen. Zwar verstand Fallon nicht ganz, was daran so witzig und wo die Eigenart liegen soll, aber sicher hatte er es noch nicht erblickt. Oder kannte sich schlichtweg zu wenig aus. Allein aufgrund Letzterem hielt sich Fallon dann doch für das Erste zurück. Er ließ Lucian reden und alle Nötige herrichten. Für den Moment war Fallon nur dazu da, um neben Lucian gut auszusehen und Eindruck zu schinden. Zumindest noch, aber zu diesem Zeitpunkt gab es nichts sonderlich zu tun, als dem Wirt freundlich zuzunicken und Lucian brav zu folgen.


    Im Zimmer schließlich angekommen, konnte man glatt meinen, dass es ein völlig normales Zimmer war. Die Betten wirkten gemütlich, der Kamin einladend und das Zimmer generell sehr entspannt. Allerdings fielen Fallon erst beim zweiten Blick die Bilder an den Wänden auf, welche doch sehr speziell waren. Musternd blickte Fallon diesen entgegen, dachte darüber nach, was sie bedeuten konnten, doch es schien, dass die Besitzer dieses Hauses einen gewissen Geschmack hatten. Einschlägig war jenes Wort, was es für Fallon am besten beschrieb. Offenbar war Lucian aber gezielt in dieses Zimmer gegangen, musste also den Wirt kennen. Dementsprechend musste die Familie mit dem Besitzer des Gasthauses etwas zu tun haben, doch was genau, entzog sich ein jeder Fallons Vermutung.


    Zumindest wurde es untermalt, als Lucian stolz davon berichtete, dass sein Opa diese Bilder gemalt hätte. "Sie treffen jetzt vielleicht nicht meinen Geschmack, aber ich kann sehen, dass sein Opa da doch einen gutes Augen für Kunst hat. Recht außergewöhnliche Bilder, will ich meinen", erklärte Fallon höflich, aber nicht gestelzt. Er brauchte ja nicht lügen, nur weil ihm die Bilder nicht gefielen.


    Fallon selbst machte es sich aber erst einmal auf einem der Betten gemütlich. In Sicherheit dieses Zimmers kam ihm schließlich ein Gedanke: raus aus der Rüstung. Gedacht, getan. In nur wenigen Momenten hatte er seine Ausrüstung abgelegt, wobei er diese am Fußende seines Betts verstaute. In normaler, dünner Kleidung saß er nun auf dem Bett. Seine animalischen Aspekte waren so deutlich sichtbar, allem voran die mit Fell bewachsenen Unterarme, seine generelle Körperbehaarung, aber auch die Rute, die hinten aus seiner Hose ragte und ganz ruhig auf dem Bett lag.


    Seine Gedanken wanderten jedoch schnell wieder zum Thema Familie. Immer wieder hatte er auf dem Weg zum Gasthaus darüber nachgedacht, um eine angemessene Antwort auf die Frage zu finden. "Du, wegen vorhin, was du gesagt hast. Wegen der Familie", begann Fallon zu sprechen, sich aber unsicher seiend, wie genau er vorgehen musste. Drum atmete er tief durch. Lucian hatte etwas erkannt, obwohl sie sich nicht einmal einen Tag kannten, wovor der Wolf weggelaufen war: der Einsicht, allein zu sein.


    Sein Schweif legte sich an seine Seite, während sich Fallon selbst nach vorn beugte und seinen Oberkörper mit den Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln abstützte. Dabei spielte seine Hände mit den Krallen an seinen Fingerspitzen. Sein Blick ging auf dem Boden, auch wenn er immer wieder versuchte zu Lucian zu blicken. Schließlich überwand sich Fallon und begann: "Mir war es nicht so wirklich bewusst, bis du es angesprochen hast. Also im Grunde, im Grunde bin ich einsam. Das zog sich bis jetzt immer durch mein Leben. Zuerst meine Familie, dann die Bauernfamilie, bei der ich als Hund lebte, bis ich schließlich doch das eigene Glück suchte. Dann Eorur, meinem damaligen Geliebten in der Söldnerkompanie, oder in Obenza, das Rudel der Aschehunde. Im Grunde habe ich sie meist verloren, aus welchen Gründen auch immer. Was es bei meiner Familie war, habe ich dir ja erzählt. Genau so wie mit der Bauernfamilie, aber Eorur habe ich verloren, als die Söldnerkompanie in die Schlacht gezogen ist und wie vollständig aufgerieben wurden. Ich war einer der letzten Überlebenden. Eorur ist vermutlich tot. Dann die Aschehunde, bei denen ich mir einen Platz erhofft hatte, aber sie kamen so schnell in mein Leben, wie sie schließlich wieder gingen. Vermutlich war ich nicht geeignet oder dergleichen.


    Aber ja, die meisten Rudel habe ich verloren, durch welche Umstände auch immer und ich ziehe wie ein einsamer Wolf durch die Gegend, weil ich keine Wahl habe. Natürlich habe ich es versucht, wie du an den zahlreichen Versuchen sehen kannst, doch nichts ist auf Dauer, fürchte ich. Vermutlich hast du Recht. Das macht mich zu einem Nichts. Ein Niemand. Wenn ich sterbe, wird niemand meinen Tod beweinen."


    So genau wusste Fallon nicht, warum er das Lucian einfach so erzählte. Doch seit dem Moment, in dem er sich vor seinen Augen verwandelt und durch seine Hand gestreichelt wurde, hatte Fallon ein tiefes Vertrauensverhältnis zu dem jungen Mann, den er nicht einmal einen Tag lang kannte. Für jeden logischen Verstand klang da naiv, beinahe sogar nach einem Todeswunsch, doch Fallon spürte einfach, dass Lucian richtig war. Der Richtige, um ihn zu vertrauen und das seine Hand sich nicht gegen Fallon richten würde. Im Gegenteil. Sie streichelte eher das Haupt des stolzen Wolfes, welcher ein braves Hündchen unter der Streicheleinheit geworden war.


    Ein licht beängstigender Gedanke, aber am Ende kümmerte es Fallon nicht. Schließlich sackte sein Körper zusammen und er musste wie ein kleines Häufchen Elend wirken, aber selbst dabei hatte er keine Bedenken, es offen gegenüber Lucian zeigen. Es wirkte, als ob dieser schon lang so vertraut wäre.

  • Lucian von Dornburg



    Lucian legte seinen Reisemantel ab, zog seine Schuhe und Lederrüstung aus und setzte sich aufs Bett. Er machte seinen Dehnübungen und hörte dabei Fallon aufmerksam zu. Kaum dass er mit seinen Übungen fertig war, klopfte es auch schon an der Tür. Mit einer fließenden, geschmeidigen Bewegung die eine räkelnde Katze erinnerte, rollte er sich aus dem Bett und huschte zur Tür. Ein junger Bursche brachte ihnen ein Tablett mit zwei großen Schüsseln Eintopf, dazu jeweils einen Humpen mit einem unbekannten Getränk. Lucian nahm alles entgegen, stellte es auf dem Tisch ab und verschloss hinter dem Jüngling wieder die Tür. Danach reichte er Fallon eine der beiden Schalen und einen Humpen.


    "Wohl bekommts", sagte er freundlich, setzte sich im Schneidersitz auf sein Bett und ließ sich seinen Eintopf schmecken.


    "Jeder ohne Familie ist einsam Fallon, wie kann man ohne Familie bestehen? Man kommt vielleicht einige Zeit gut durch, aber irgendwann hört man den Ruf der Einsamkeit. Es gibt die goldene Regel, dass man im Notfall völlig allein klarkommen muss. Aber der Notfall sollte nicht zum Dauerzustand werden. Deine Vita ist verdammt traurig und einsam. Du warst immer nur Zaungast in den jeweiligen Familien, sogar in Deiner Geburtsfamilie.


    Das niemand Deinen Tod beweinen wird, kannst Du ändern. Du solltest aber vor dem Tod an das Leben denken. Das Leben kann wunderbar sein, aber man muss halt ein bisschen was dafür tun Fallon.


    Ich wurde von einem Ziehvater großgezogen, aber das ist in unserer Familie normal. Mein leiblicher Vater war immer für mich da, aber er konnte sich nicht derart um mich kümmern, wie man sich um ein Kind kümmern muss. Die Geschäfte, also übernimmt das jemand bei uns aus der Familie, bis das Kind alt genug ist, um in die Geschäfte eingeführt zu werden. Klingt etwas kompliziert, ist es aber nicht. Stell Dir den Ziehvater als Amme oder als Betreuer vor, dass ist vielleicht eine bessere Bezeichnung", erklärte Lucian freundlich.


    Der junge Beißer zog seine Tasche aufs Bett, kramte darin herum und beförderte einen türkisen Kristall zum Vorschein. Lucian zückte seinen Dolch, schnitt sich in den Handballen und schmierte den Kristall mit seinem Blut ein. Er wartete einen Augenblick, bis dieser sanft leuchtete und nahm ihn zur Hand.


    "Dandi nahur sahar narar Nadgur (Vater ich benötige Deine Hilfe)", sprach er zu dem Stein.

    Womit Fallon auch immer gerechnet hatte, damit sicher nicht, denn der Stein antwortete.


    "Etmi lasar narar Lucian? (Was willst Du Lucian)?", fragte eine verzerrte, raue Stimme freundlich Retour.

    "Paps ist Ezio Zuhause? Ich bin bald in Sturmfels. Wann bist Du wieder Zuhause? Hast Du was von Jus gehört?", hakte Lucian nach.


    "Ja habe ich. Jus benötigte eine Übersetzung. Danach habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ezio müsste Zuhause sein, sei vorsichtig. Habt Ihr etwas von Dun gehört?", kam die Antwort aus dem Stein.

    "Nein haben wir nicht, auch Oma hat nichts über ihn verlauten lassen. Wartest Du auf eine Info?", wollte Lucian wissen.


    "Jein", kam die lachende Antwort.

    "In Ordnung, pass auf Dich auf und liebe Grüße an Kakko und Kiri", sagte Lucian mit Wehmut in der Stimme.

    "Mache ich Kurzer, versprochen. Die Grüße richte ich aus, halt Deine Klinge scharf und die Zähne schärfer. Subaho Luc", klang es aus dem Stein, ehe er dunkel wurde.


    Lucian wischte den Stein sauber, drückte ihn kurz an sich und stopfte ihn wieder vorsichtig in die Tasche.


    "Hey Fallon, iss Deinen Eintopf, er wird Dir gut tun. Und er schmeckt sogar ziemlich lecker. In Sturmfels ist mehr los als in diesen kleinen Dörfern, ich denke es wird Dir dort gefallen", sagte Lucian aufmunternd und aß den Rest seines Eintopfs aus und spülte ihn mit dem Humpeninhalt herunter.


    Luc musterte Fallon und hoffte dass sich dieser wieder fing. Die Müdigkeit überwältigte ihn ebenso, so dass er sich lang auf dem Bett ausstreckte und in seinen Reiseumhang hüllte.