Über die Niederlage der Almanen vor Tamarant

  • "Ich will in Tamarant Antwort geben!" soll Cassio gesagt haben, als er nach Rakshanistan zog. Der Beginn des Feldzugs, bei dem er tief nach Rakshanistan vordrang, verlief durchaus positiv. Hier kam ihm der Überraschungseffekt zugute.


    Der große Fehler war, sich über den Winter wieder zurückzuziehen und den Feldzug im nächsten Jahr weiterzuführen, denn dann waren die Rakshaner darauf vorbereitet und hatten über den Winter die "Bestrafung" vorbereitet. Eigentlich war es kein Fehler sondern übliches Prozedere. Kriegssaison war eben der Sommer bis in die Erntezeit hinein, doch hier glich es einem Todesstoß.


    Cassio hatte besonderes Pech, weil sein Gegner ausschließlich Kavallerie einsetzte. Das war nicht immer so, normalerweise verwendeten auch die Rakshaner Infanterie, und die war der almanischen kaum gewachsen. Da die Rakshaner im ersten Kriegsjahr die Schlacht vollkommen vermieden, verschätzte er sich im Hinblick auf die Lage fatal. Vielleicht glaubte Cassio, dass es so weitergehen würde und er nur nach und nach alle wichtigen Städte erobern müsse.


    Seine beiden verbündeten Feldherren hatten es nur geringfügig besser: Tanno hatte das Problem, den falschen Verbündeten zu haben, der sich als verräterisch erwies. Aber immerhin schützten ihn auf dem Rückzug die Berge vor den feindlichen Reitern. Sein militärischer Ruhm gründete sich darauf, dass es ihm gelang, sich abzusetzen und die Grenze zu halten.


    Raitan hingegen kam ein innerrakshanischer Bürgerkrieg zugute.


    Cassio jedoch erlebte die völlige Vernichtung. Letztlich war sein Heero für die Schlacht einfach ungeeignet: Die almanische Armee bestand hauptsächlich aus Infanterie, die der Rakshaner hingegen aus berittenen Bogenschützen und schwerer Kavallerie. Auch die eigene Kavallerie nützte nichts: Die almanische Kavallerie war eher Nahkampfkavallerie, die noch schlechter gegen Beschuss geschützt war als ein Infanterist. Ein Schlachtfeld, auf dem sich die Fernkampfkavallerie perfekt ausnutzen ließ, tat das Übrige. Ein rascher Rückzug besiegelte das Ende aller nachsetzenden Almanen.


    Wie Cassio dem hätte entgegentreten sollen, ist bis heute Gegenstand zahlreicher strategischer Gedankenspiele unter Offizieren.


    Das Flussdelta war eines der am dichtesten besiedelten rakshanischen Territorien, aus dem die Rakshaner recht schnell Truppen und Reserven mobilisieren konnten. Tausend Kamele sollen die Rakshaner sie mit frischen Pfeilen versorgt haben.


    Die Almanen verloren den Mut, als sie das sahen. Als Cassio befürchtete, von den Rakshanern umzingelt zu werden, schickte er seinen Sohn mit einem Teil des Heeres aus, um die Umzingelung zu vereiteln. Er sollte einen Kampf erzwingen. Dass dieser von den Rakshanern weggelockt und vernichtet wurde, war für den Vater nicht zu erahnen gewesen.


    Als man ihm den abgeschlagenen Kopf seine tapferen Sohnes brachte, verlor er komplett die Fassung und kapitulierte. Sein fähiger Unterfeldherr Tanno hat sich mit einem Teil des Heeres retten können und hat gezeigt, dass der Untergang der Streitmacht nicht unvermeidbar gewesen wäre. Wie man Rakshaner besiegt, zeigte Jahre später sein Nachfolger. Nicht durch ihre Waffen bereiteten die Rakshaner ihren Gegnern solche Probleme, sondern durch ihre Taktik - die Beweglichkeit ihrer Reiter, das Manöver des vorgetäuschten Rückzugs, ihre Fähigkeiten in der psychologischen Kriegsführung, und so weiter.


    Cassio aber sah sich hilflos der Übermacht gegenüber. Zu seiner Ehrenrettung sei beigetragen, dass nicht vergessen werden sollte, dass dies die erste große Schlacht gegen die Rakshaner und ihren ungewohnten Kampfstil war, so dass es den Almanen an Erfahrungswerten fehlte. Zudem war der Feldzug innenpolitisch höchst umstritten.


    So saß er mit zehntausend Mann in der Wüste fest und igelte sich mit einem Schildwall ein. Dort harrte man der Ereignisse in der Erwartung, dem Gegner ginge irgendwann die Pfeile aus. Dafür wurde er oft der Feigheit bezichtigt. Doch wenn man hauptsächlich mit infanteristischen Kräften in offenem Gelände berittenen Fernkämpfern gegenübersteht, ist einigeln noch das Sinnvollste, was man tun kann.


    Einen Rückzug braucht man in so einer Situation nicht zu versuchen, jedenfalls nicht so lange die Sichtverhältnisse gut sind und damit eine Verfolgung ohne weiteres möglich ist, als Infanterie kannn man sich von verfolgender Kavallerie, wennn man nicht gerade irgenndwelche Brücken hinter sich abbrechen oder wege andarweitig sperren kann nicht absetzen.


    Und einen infanteristischen Angriff auf berittene Schützen braucht man ebenfalls nicht zu versuchen, die werden einfach zurückweichen und auf Distanz bleiben.


    Das so ziemlich Einzige was man in diesem Fall machen kann, ist sich einzuigeln um für denn Moment nicht ohne weiteres angreifbar zu sein und nach Einbruch der Dunkelheit, wenn Verfolgung wegen der Sichtverhältnisse sehr viel schwieriger ist versuchen auszubrechen und sich abzusetzen und dabei zu hoffen, dass man, bevor man eingeholt wird, irgendein Gelände erreicht, wo man die Wege für die Verfolger blockieren oder die eigenen Spuren effektiv verwischen kann.


    Der Mann hatte kein vernünftiges Kartenmaterial von der Gegend, in der er kämpfte, und keine Erfahrung mit dieser Weise Krieg zu führen, zudem eine Streitmacht, deren Zusammenstellung von Anfang an nachteilig war, die aber einmal der almanischen Praxis von Kriegsführung entsprach, außerdem erwiesen sich Verbündete als illoyal. All das wird man ihm zugestehen müssen bei der Wertung der Ereignisse.


    Als ein rakshanischer Bote ihm den Kopf seines Sohnes brachte, verlor Cassio die Fassung und jedweden Kampfesmut.


    Ein rakshanischer Reiter mit 200 Pfeilen müsste allein zwei Zentner an Munition mit sich führen. Das entsprach der Trageleistung von einem kompletten Packpferd, allein für Munition. Da sie während einer Schlacht jedoch üblicherweise nicht dazu kamen, so häufig zu schießen, wurden weniger Pfeile mitgeführt. Dennoch brauchte es drei Pferde pro Nase. So ein Krieger brauchte auch Lebensmittel, er hatte Gepäck, er wollte Beute machen. Eine stark organisierte Logistik war dafür unabdingbar.


    Dass die Rakshaner mit einer eigenen Transporttruppe Pfeile und weiteren Nachschub in Massen herbeischafffen ließ, war für die Almanen ein völlig unerwarteter Zug. Jedoch fand die Auseinandersetzung im rakshanischen Machtbereich statt.


    Vergebens hofften die Almanen darauf, die Rakshaner würden ihre Munition aufbrauchen. Doch warum hätten sie das auch tun sollen?


    Die Almanen standen mit einer schwerfälligen infanterielastigen Streitmacht in einem Gelände, in dem sie sich anscheinend weder decken, noch längere Zeit selbst versorgen konnten, einem Gegner gegenüber, der über die deutlich überlegene Reiterei verfügte und damit ihre Nachschub- und Rückzugswege bedrohen konnte.


    Damit war ihre Situation von Anfang an unhaltbar.


    Sie konnten aus dieser Situation heraus weder effektiv die mobileren Verbände der Rakshaner angreifen, noch sich längere Zeit irgendwo verschanzen und auf Hilfe von außen oder Rückzug auf das eigene Territorium hoffen, das ließ die eigene Versorgungslage in dieser Position nicht zu.


    Insofern mussten die Rakshaner von ihrer Ausgangslage her die Almanen eigentlich nicht im Feld schlagen, dass hätten binnen kürzester Zeit wahrscheinlich Hitze und Wassermangel von alleine bewirkt. In erster Linie mussten sie einen geordneten Rückzug verhindern und gerade angesichts des Umstands, dass die Almanen ohnehin feststeckten und offensiv nichts tun konnten, wäre es ziemlich dumm gewesen, die leichte Reiterei für eine Verfolgung durch Munitionsmangel mehr oder weniger unbrauchbar zu machen, dass hätte nur den Almanen geholfen.


    Taktische Bedeutung berittener Bogenschützen


    Man sollte dabei berücksichtigen, dass die Effektive Reichweite, auf die ein Reflexbogen einen Schild oder eine Rüstung wirklich effektiv penetrieren konnte deutlich geringer war als die theoretische Reichweite. Diese betrug höchstens hundert Meter, doch die optimale Kampfdistanz war weitaus kürzer.


    Es herrschte Einigkeit darüber, dass berittene Bogenschützen feindliche Reihen aufbrechen und ihre Moral zermürben sollten. Es kam nicht darauf an, möglichst viele Männer zu töten, das übernahmen andere Truppenkörper. Die berittenen Bogenschützen wurden in Almanien als Feiglinge verunglimpft, doch vielmehr handelte es sich um eine hochwirksame Elitetruppe.


    Für die Masse an Gefallenen waren sie jedoch nicht verantwortlich: Mindestens ein Drittel der rakshanischen Reiter trug immer einen leichten Panzer und war mit Blankwaffen für den Nahkampf gerüstet.