Das Buch des Wandels
Das "Buch des Wandels" berichtet davon, wie Asamura mit Gewalt seiner Ursprünge beraubt wurde. Es handelt von der Ankunft der Menschen und ihrem langen Schlaf, der Anpassung des Klimas an ihre Visionen und vom elenden Untergang der Yaigh. Es berichtet auch von den Hoffnungen der Thaldrax, die nichts vom Erwachen der Menschen ahnten, und vom Dekret des Vergessens, welches das Andenken an die Schuld der Menschen und jedwede Reue auslöschte.
Von der Ankunft der Sternenreisenden
Als die Menschen die unberührten Weiten des Planeten betraten, wählten sie den Pfad des Wandels. Sie zogen sich in die Tiefe zurück, in die schützende Umarmung der Erde, und begannen das große Werk des Terraformings. Mit Wissenschaft und Weitsicht gestalteten sie Asamura um, damit es einst ihre Kinder beherbergen könnte. In Kammern des langen Schlummers, umhüllt von der Stille des Kälteschlafs, überdauerten die Menschen die Jahrhunderte. Während sie in ihren Träumen von fernen Sternen und vergangenen Welten wandelten, webten ihre Maschinen Asamuras Schicksal um.
Vom großen Wandel und dem Untergang der Yaigh
Die Yaigh hatten die Menschen zwar bemerkt, die in einer sehr tiefen Schlucht am Südpol landeten, doch die Neuankömmlinge verschwanden in den Höhlenlabyrinthen unter Asamura. Eines der häufigen Beben in dieser Region verschüttete das Sternenschiff Menkalinan, bevor die Forscher der Yaigh den Platz der Landung erreichten. Im Schoß von Asamura waren die Menschen geschützt von kilometerdickem Gestein und für die technischen Möglichkeiten der Yaigh unerreichbar geworden. Nach einer Weile nahmen die Yaigh an, die Neuankömmlinge hätten die Ankunft auf dem Planeten nicht lange überlebt und wandten ihre Aufmerksamkeit anderen Aufgaben zu.
Die Yaigh, die Herren des Planeten, standen jedoch vor einer unerwarteten Bedrohung, die sie weder sahen noch ahnten. Die Neuankömmlinge hatten das Verschwinden ihres Sternenschiffes mit Sorgfalt geplant. Sie suchten keinen offenen Konflikt mit den mächtigen Yaigh, sondern zogen sich zu Fuß in die Tiefen des Taudis zurück, wo sie ihre mitgebrachten Anlagen errichteten und sich hernach in einen langen Kryoschlaf begaben. Während die Menschen in ihren Kammern schlummerten, entfalteten die Maschinen das Terraforming, ein Prozess, der darauf abzielte, die neue Welt an menschliche Bedürfnisse anzupassen. Das Klima und die Atmosphäre Asamuras wandelten sich. Asamura wurde immer erdähnlicher, und die von der Erde mitgebrachte Spezies begannen, die einheimische Flora und Fauna zu verdrängen.
Die Veränderungen, die die Menschen einleiteten, hallten durch die Welt, ein leises Lied, das den Untergang einläutete. Das Terraforming war ein Prozess von unermesslicher Kraft, es veränderte die Luft, das Wasser und damit den gesamten Planeten. Die Yaigh, deren Körper und Geister an die alte Ordnung gebunden waren, fanden sich zunehmend in einer Welt wieder, die ihnen fremd wurde. Ihre Macht, die einst die Geschicke alles Lebendigen lenkte, begann zu schwinden. Die Luft, die sie atmeten, das Wasser, das sie tranken, der Boden, auf dem sie standen – alles begann sich gegen sie zu wenden.
Ihre Städte, gewachsen aus lebendigem Material und biotechnischen Wunderwerken, waren auf das alte Klima abgestimmt. Die hochspezialisierten Strukturen stellten den Stoffwechsel ein und begannen zu kranken und schließlich zu verfallen. Doch es kam noch schlimmer: Die Brut der Yaigh im Ozean überlebte die Abkühlung des Wassers und den sinkenden Salzgehalt nicht; die Eier entwickelten sich nicht weiter, und die Jungen starben an Hunger und Krankheiten. Die erwachsenen Yaigh litten unter Pilzbefall und anderen Leiden, die sie und ihre Städte in faulende Überreste verwandelten.
Trotz ihrer Intelligenz und technologischen Errungenschaften konnten die Yaigh nicht gegen dieses Schicksal ankommen. Ihre Versuche, sich zu retten, waren von Egoismus geprägt, was zum raschen Zusammenbruch ihrer Industrie führte. Jeder war sich selbst der Nächste, bis es niemanden mehr gab, der noch etwas hätte ändern können. Die organischen Materialien, aus denen ihre Städte bestanden, verrotteten, ohne Spuren zu hinterlassen. Die Yaigh, jene alten Herren von Asamura, fanden ihr Ende nicht durch Krieg oder Zwist, sondern durch die stille Veränderung, welche die Menschheit ihnen gebracht hatte.
Doch da die Yaigh bereits die Fähigkeit besaßen, Sternenschiffe zu bauen, waren manche ins All geflüchtet, in der Hoffnung, anderswo zu überleben. Sie kannten viele Welten und einige boten ihnen vielleicht akzeptable Bedingungen. Es bleibt die Möglichkeit, dass Reste ihrer Spezies irgendwo in den Weiten des Universums fortleben und dass die Yaigh eines Tages nach Asamura zurückkehren könnten, um sich ihre Heimat zurückzuholen. Ein Gedanke, der sowohl Furcht als auch Hoffnung in den Herzen jener weckte, die unter ihrer bedrohlichen, aber vertrauten Herrschaft gelebt hatten, bis die letzte Erinnerung an die Yaigh verblasste.
Von der Befreiung der Thaldrax
Als die Yaigh langsam verschwanden und als die Zeit der Menschen noch nicht angebrochen war, wagten die Thaldrax sich aus dem Untergrund hervor. Mit einer Mischung aus Furcht und Hoffnung wurden sie Zeugen, wie ihre alten Götter starben. Das warme Blut schenkte den Thaldrax eine Anpassungsfähigkeit, die den Yaigh verwehrt war.
So traten sie aus der Innenwelt hinaus ans Licht. Asamura lag frei und ohne Zwänge vor ihnen. Es lag jetzt an den Thaldrax, die Welt in ihrem Sinne zu prägen. Nunmehr waren es nicht länger die Yaigh, die ihr Leben bestimmen würden, sondern nur noch sie selbst und die Gesetze der Natur. Im Laufe der Jahrhunderte brachten die Thaldrax vielfältige Kulturen hervor und beherrschten das Land bis zum ersten Ascheregen.
Doch nicht alle Thaldrax suchten das Licht, als die Yaigh verschwanden. In den unergründlichsten Tiefen des Taudis, wo die Luft dünn und die Dunkelheit allgegenwärtig ist, verblieb ein bleicher Schlag von Thaldrax. Sie kannten das Sonnenlicht nur aus alten Geschichten, ihre Haut war angepasst an die unwirtlichsten Ecken ihrer unterirdischen Welt. Die Sorgen der Oberfläche berührten sie nicht, denn ihr Leben war das der Stille und der Tiefe. Die Sorgen der Oberfläche waren ihnen gleichgültig. Als die Yaigh verschwanden und viele Thaldrax, die bisher nahe am Licht gelebt hatten, voller Hoffnung die Höhlen verließen, trafen die bleichen Thaldrax eine andere Entscheidung. Für sie war der Taudis Heimat geworden. Sie fanden Freude in der unterirdischen Weite, die nun ihnen ganz allein gehörte. Über Jahrhunderte hörte man nichts mehr von ihnen und die Erinnerung an sie verblassten, bis man sie - wie die Yaigh - ganz vergaß. Doch im Gegensatz zu den alten Herren der Welt starben diese Thaldrax nicht aus, sondern überlebten, um viele Zeitalter später unter dem Namen Yakani von sich reden zu machen.
Von Nylaxor Lichtfinder
Nur wenige Erzählungen sind aus dem Taudis überliefert. Unter diesen ist die von Nylaxor Lichtfinder, einem Echosänger von unvergleichlichem Mut, dessen Geschichte nicht vergessen werden darf. Sie ist ein Manifest der Hoffnung, dass selbst in den tiefsten Schatten und der größten Not manchmal noch ein Ausweg gefunden werden kann.
Nylaxor wuchs auf mit den Geschichten der Alten, die von einer Welt jenseits des Taudis erzählten, einer Welt des Lichts, die sie nie zu sehen hofften. Dort sollte es Nahrung in Hülle und Fülle geben und so viel Platz, dass kein Thaldrax mit einem anderen mehr darum streiten müsste. Doch ihm war es nicht erlaubt, so hoch zu steigen, denn diese Welt des Überflusses wurde von den Göttern beherrscht, die jeden Sterblichen straften, der es wagte, ihr geheiligtes Land zu betreten. In seinem Herzen brannte eine Flamme der Neugier, die heller leuchtete als die Kristalle, die seine Heimat erhellten.
Er lernte die Kunst der Echosängers. Singend sandte er seine Fragen hinaus in die Dunkelheit und lauschte den Antworten, die der Taudis zu ihm zurücksandte. Oft lauschte er auch schweigend auf die Stimmen des Steins, der unermüdlich arbeitete, und Nylaxor lernte das Lesen der Schwingungen, die durch die Dunkelheit zogen, und was sie bedeuteten. So konnte er seinen Stamm vor Beben und vor Steinschlägen warnen, und wurde schon in jungen Jahren ein geachteter Mann.
Als er in der Mitte seiner Lebenszeit war, veränderte das Gestein seine Stimme. Das Knistern wurde schärfer und lauter. Es wurde kalt im Taudis und viele Thaldrax zogen sich in die heißen Tiefen zurück. Nylaxor aber harrte aus, um das Phänomen zu erforschen. Bald musste er feststellen, dass es ihm schwer fiel, genügend Insekten und Pilze zu finden, die ihn nähren konnten. Es schien, als würden sie unter der zunehmenden Kälte leiden. Nylaxor hüllte sich in warme Kleidung und stieg der Kälte entgegen. Viele Wochen währte seine Reise. Es war Nacht, als er eines Tages die Oberfläche erreichte, dennoch blendeten ihn die beiden Monde und es dauerte seine Zeit, bis seine Augen sich an das ungewohnt helle Licht gewöhnt hatten. Und dort wurde er Zeuge, dass die Götter starben.
Er verbrachte lange an der Oberfläche, um das schockierende Ereignis zu verstehen. Als er genug gesehen hatte, kehrte er in den Taudis zurück und berichtete, dass die geheiligte Außenwelt nun bereit sei, um die Thaldrax zu empfangen, damit sie das sterbende Land anstelle der Götter behüteten, es pflegten und zu einer neuen Blüte führten. Einer seiner Weggefährten, Verchontau mit Namen, stellte sogar infrage, ob es sich bei diesen Wesen überhaupt um Götter handelte, wenn sie der Kälte so hilflos ausgeliefert waren, während sie, die Thaldrax, sich nur in warme Kleidung zu hüllen brauchten, um dem Zeitenwandel zu trotzen. Nicht wenige schlossen sich der Ansicht von Verchontau an.
So folgten nicht wenige Nylaxor an die Oberfläche. Er erhielt den Ehrennamen Lichtfinder und wurde zum Anführer jener Thaldrax, welche den Taudis für immer hinter sich gelassen hatten. Das warme Blut, für das sie von den Yaigh verachtet worden waren, half ihnen, dem neuen Klima zu trotzen. Während die Yaigh starben, entwickelten die Thaldrax Methoden, um an der Oberfläche zu überleben, ohne dem Wechselspiel des Wetters und der Natur hilflos ausgeliefert zu sein. Die Fehler der Yaigh wiederholten sie nicht: Anstelle von Verachtung für alles, was nicht sie selbst waren, ließen sie Ehrfurcht walten und lernten, mit der Natur zu leben und sich selbst an sie anzupassen, anstatt sich die Natur Untertan machen zu wollen, wie die Yaigh es zuvor taten.
Die Erzählung von Nylaxor Lichtfinder ist ein Vermächtnis, das die Thaldrax lehrt, dass kein Schatten zu dicht, kein Labyrinth zu verworren und kein Schicksal zu ungewiss ist, um nicht doch den Weg ins Licht zu finden.
Verchontau aber, der den Ehrennamen "der Zweifler" erhielt, blieb in der Innenwelt, die ihm vertraut war, und er blieb nicht als Einziger zurück.
Vom Erwachen der Menschen und dem Dekret des Vergessens
Als die Menschen erwachten, fanden sie eine Welt, die sich gewandelt hatte. Die Yaigh waren nicht mehr, und Asamura hatte sich entfaltet zu einem Ort, bereit für die Saat der Menschheit. Und doch fehlte etwas sehr Bedeutsames.
Um das Heimweh, das ihre Herzen schwer machte, zu lindern und Asamura vollständig als ihre neue Heimat anehmen zu können, war das Dekret des Vergessens erlassen worden, bevor die Menschen sich in den langen Schlaf legten. Es war ein Akt von unermesslicher Tragweite, ein Beschluss, der tief in das Gewebe des Seins schnitt. Die Erinnerungen an die Erde, an das ferne Blau, das sie einst umhüllt hatte, wurden aus ihrem Bewusstsein gelöscht.
So konnten die Menschen ohne den Schmerz der Vergangenheit in die Zukunft blicken. Sie vergaßen das kostbare Blau, das die Wiege allen Lebens auf der Erde gewesen war, die grünen Täler, die ihre Träume nährten und die Namen der Berge, die ihren Göttern Heimat gewesen war. Sie vergaßen die Lieder, die in den Winden sangen, die Geschichten ihrer Sternbilder und all die gebrochenen Versprechen, die ihnen gemacht worden waren. Sie ließen die Erinnerungen an ihre ersten Schritte auf dem Mond zurück und an den triumphalen Moment, als das erste bemannte Sternenschiff einen anderen Planeten erreichte. Nicht zuletzt vergaßen sie all die Verbrechen, die sie an ihrer Heimatwelt und ihren Bewohnern begangen hatten und das Paradies in eine Hölle verwandelt hatten.
Das Dekret des Vergessens war mehr als nur ein Vergessen; es war ein Neubeginn, ein Versprechen für die Nachkommen der Sterne, um in Frieden unter den neuen Himmeln zu gedeihen. Es war ein Abschied, ein stilles Opfer, das sie brachten, um in der Gegenwart von Asamura Frieden zu finden und eine Zukunft zu gestalten, die frei von der Sehnsucht nach dem war, was einst war und nie mehr sein würde. Es war auch ein Akt der Selbstbefreiung von alter Schuld, ein Befreiungsschlag. Mit diesem Akt wurden die Menschen wahrhaft Kinder Asamuras, verwurzelt in seiner Erde, seine Luft atmend und unter einer Sonne lebend, die nicht länger Sol hieß oder Ra, sondern Alvashek.
Mit fleißigen Händen begannen sie, die Oberfläche zu formen, Städte zu erbauen und die Länder zu kultivieren. Befreit von aller Schuld ihrer Vergangenheit waren sie bereit, ihre Geschichte in den Annalen Asamuras zu schreiben.
Von Relikten aus der Zeit vor der Zeit
Relikte sind die Hinterlassenschaften jener, die durch das All segelten und auf Asamura eine neue Heimat fanden. Verstreut in den Eingeweiden des Planeten harren sie der Entdeckung, vielleicht verloren, vielleicht auch heimlich platziert, trotzend gegen das Dekret des Vergessens, in der Hoffnung, dass die Nachfahren der Sternenreisenden eines Tages die Geheimnisse ihrer Funktionsweise wieder lüften mögen.
Manch mechanisches Wunderwerk harrt noch immer der Inbetriebnahme, robust genug, um ohne die unsichtbare Energie zu funktionieren, die den Sternenschiffen einst Leben verlieh. Bei ihnen bedarf es nur des Wissens um Dampfenergie, um sie zu neuem Leben zu erwecken. Obgleich ihr Zweck und ihre Funktionsweise seit dem Dekret des Vergessens jedem Verständnis entgleiten, können sie dennoch aktiviert und genutzt werden. Jene, die sich zur Aufgabe gemacht haben, die uralten Relikte zu bergen und zu verstehen, nennt man Reliktjäger. Von diesen Wagemutigen, die gefährliche Expeditionen in die Tiefen des Taudis durchführen, soll an anderer Stelle berichtet werden.
Doch es gibt auch Relikte, die sich der Fassungskraft gänzlich entziehen, lebende Überreste der Yaigh-Biotechnologie, die sich als entartete Abscheulichkeiten zeigt. Ohne die Fürsorge ihrer Schöpfer überlebten einige Reste in den unendlich tiefen Abfallgruben, in denen sie entsorgt worden waren, wo sie sich mehrten. Sie sind die stummen Wächter in den Tiefen des Taudis, lebende Wände mit pulsierenden Adern oder schmatzende Gänge, die ein Grauen hervorrufen, das weder zu verstehen noch zu ertragen ist.