I - Das Buch des kalten Blutes

  • Das Buch des kalten Blutes

    Das Buch über die "Zeit des kalten Blutes" berichtet von der Welt wie sie war, bevor die Menschen sie das erste Mal betraten. Es ist das letzte Zeugnis von Asamuras ursprünglicher Natur mit heißen Regenstürmen und flachen Salzmeeren. Es berichtet von den Yaigh , den ersten Herren der Welt, und davon, was sie mit ihrem Wissen schufen. Es erzählt auch vom verborgenen Leben der Thaldrax, die sich nicht entfalten konnten, so lange die Yaigh Asamura beherrschten.


    Von Asamura - wie es einst war


    Bevor die Sternenreisenden Asamura betraten, war die Welt eine andere. Die Luft lag schwer und heiß auf der Welt, wie ein nasser Mantel, der die Schöpfung umhüllte. Alvashek, eine bleiche Scheibe am Himmel, kämpfte vergebens, seine Strahlen durch den dichten Dunst zu senden, der über den gewachsenen Städten und den endlosen Wäldern hing.


    Die allgegenwärtige Hitze band einen großen Teil des Wassers in der Atmosphäre. Die flachen Meere hatten einen hohen Gehalt an Salz, das zu bizarren Skulpturen kristallisierte. Überall lagen milchige Perlen verstreut und bildeten weite Strände aus Salz. Ewiger Nebel stieg aus dem warmen Wasser auf und vermischte sich mit den Wolken. Es regnete selten, aber das Wasser war immer gegenwärtig, ein unsichtbarer Fluss, der alles durchdrang und die Welt in einen Treibhausgarten verwandelte. Wenn die Regenzeit nahte, rollten schwarze Wolken über den Himmel, riesige Blitze spalteten die Dunkelheit und krachender Donner ließ Asamura erbeben. Doch so schnell die Gewitter kamen, so schnell zogen sie auch wieder ab, und zurück blieb die drückende Stille, nur unterbrochen vom Tropfen des Kondenswassers, das von den Blättern der gigantischen Pflanzen fiel.


    Jedes Wesen und jede Pflanze lebte in einer Symbiose, die durch die Jahrtausende perfektioniert worden war. Wo der Evolution Fehler unterlaufen waren, wurde korrigierend eingegriffen. Die Ureinwohner von Asamura hatten ihre Welt so gestaltet, dass sie ihre biotechnologischen Wunderwerke nährte. Ihre Städte waren lebende Gebilde, gewachsen aus der Erde selbst, und in ihrer Kultur verschmolzen die Wunder der Natur mit den Errungenschaften der Biotechnologie.


    So war das Klima in jener Zeit, ein ewiger Kreislauf von Wärme und Feuchte, der das Leben aller Kreaturen Asamuras formte. Ein Klima, in dem eine fortschrittliche Hochkultur gedieh, aber das für die Menschen fremd und unwirtlich war.


    Von den Yaigh - kaltes Blut, das die Welt regiert


    In den Tagen, bevor die Sternenreisenden Asamura betraten, herrschten die Yaigh über die Welt. Sie waren Reptiloide, deren Erscheinungsbild zwar an die Menschengestalt erinnerte, doch ihr Wesen war von einer anderen Natur.


    Die Yaigh waren keine Warmblüter, sondern Reptilien. Ihre Gesichter, menschenähnlich in der Form, bargen doch spitze Zähne, die leicht nach innen geneigt waren, ein Zeichen ihrer räuberischen Natur. Sie bewegten sich nicht auf Fußsohlen, sondern schritten auf den Ballen langgliedriger Zehen, ähnlich den Schreitvögeln, die über die weiten Ebenen wandeln. Ein muskulöser Schwanz unterstützte ihre agilen Bewegungen. Ihre Haut war schuppig, bei den Männern farbenfroh und leuchtend, ein Spiegel ihrer Vitalität und Stärke. Die Frauen hingegen zeichneten sich durch kurze Hornstacheln auf Kopf und Rücken aus, während die Männer lange, biegsame Hörner trugen, die ihr Leben lang wuchsen. Der Schwanz der Männer war lang und endete in einem Begattungsorgan, während der Schwanz der Frauen kurz und fleischig war, mit einer Spalte auf der Unterseite für die Eiablage. Beide Geschlechter besaßen zudem eine Ausscheidungsöffnung, verborgen zwischen den kräftigen Gesäßmuskeln. Kleidung trugen die Yaigh nur aus funktionalen Gründen, wie etwa Raumanzüge, die sie vor den Unbilden des Alls schützten.


    Ihre Kultur, faszinierend in ihrer Komplexität, war dennoch von einer herzlosen Kälte durchdrungen. Alles Leben war für die Yaigh Nutzmasse, selbst ihresgleichen nicht ausgenommen. Nichts war ihnen heilig und ihre Herrschaft über Asamura absolut. Unter ihrem eisernen Griff konnte sich keine andere Kultur entfalten.


    In den Tagen, als die Yaigh Asamura beherrschten, waren Behausungen nicht bloß Konstrukte aus totem Material, sondern lebendige Kunstwerke der Biotechnologie. Ihre Lebensweise war geprägt von der Fähigkeit, das Leben nach ihrem Willen zu formen. Sie ließen Pflanzen zu gigantischen Größen heranwachsen, die nicht nur die Landschaft prägten, sondern auch begehbare Röhren und bewohnbare Schoten formten, durchzogen von zarten, lichtdurchlässigen Membranen, die als Fenster zur Welt dienten. Ihre gewachsenen Städte waren biotechnologischen Wunderwerke, die in perfekter Harmonie mit dem Ökosystem standen und den Yaigh einen angenehmen Lebensraum schufen. Auch ihre Maschinen waren lebende Kreaturen, die auf Berührungen reagierten.


    Doch bevor ein Yaigh sich das Anrecht auf ein lebendes Haus verdienen konnte, um seinen Platz in den Reihen der Weltenherrscher einzunehmen, musste er Jahre der Einsamkeit und Vernachlässigung überleben. Ohne die Bindung von Familien legten sie ihre Eier in das nährende Meer, wo die Natur selbst die Brut umsorgte.


    In den unergründlichen Tiefen Asamuras, wo die warmen Strömungen des Ozeans die Wiege des Lebens sind, begann die Reise eines jeden Yaigh in seinem Ei. Geborgen in der elastischen Hülle, die wuchs und mit fleischigen Auswüchsen Nahrung aus dem Meer filterte, wuchs er lange. Wenn die Zeit reif war und ein heißes Gewitter Asamura erschütterte, schlüpfte er als zierliches Ebenbild eines Erwachsenen, gesegnet mit Flossen und einem Verstand, der bereits hoch entwickelt war. Im Larvalstadium, rein aquatisch, fristeten er und die anderen jungen Yaigh ein räuberisches Dasein, ohne Führung oder Fürsorge. Sie aßen alles, das nicht aussah wie sie selbst, trainierten ihre Reflexe durch Jagdspiele, pfeilschnell und in Schwärmen gefährlich selbst für erwachsene Yaigh. Hauptsächlich atmeten sie über die Haut, doch gelegentlich stießen sie durch die Oberfläche, um einen Atemzug der heißen Luft zu holen. So lebten sie, spielend, tötend und immer hungrig, bis sie bereit waren, das Land zu betreten, ihre Flossen abzuwerfen und sich der Gesellschaft der Erwachsenen anzuschließen.


    In dieser Gesellschaft, die keine Milde kannte, waren die Yaigh von Anbeginn darauf geprägt, sich rücksichtslos durchzusetzen. Ihr Erwachsenenleben begann in der Einfachheit der Arbeit und dem Schlaf unter freiem Himmel, doch diejenigen, die sich durch Fleiß hervortaten, konnten aufsteigen. Durch Schulungen und Lehrgänge, Stufe um Stufe, erklommen sie die Leiter der Gesellschaft, erhielten einen Schlafplatz in einer eigenen Schote und wurden zu angesehenen Spezialisten in einem Leben, das sich über Jahrhunderte erstreckte.


    Die Yaigh, lernbegierig und langlebig, erreichten oft ein hohes Wissen, doch Faulheit war ebenso ein akzeptierter Pfad. Denn nicht jedem war es bestimmt, die höchsten Privilegien zu genießen, und die Welt benötigte mehr einfache Arbeiter als komplexe Denker.


    Die Währung ihres Ansehens war Ruhy, die am ehesten mit Ruhm zu vergleichen ist, gespeist aus Leistung und Ansehen. Das Guthaben schwand nicht, wenn man Leistungen beanspruchte, sondern es waren Mindestkontingente gesetzt, die über Privilegien entschieden, wie Luxusgüter, einem Setzling für ein lebendes Haus oder das Recht, eines der begehrten Sternenschiffe zu kaufen. Der Traum vieler Yaigh, ein eigenes Sternenschiff zu besitzen, wurde nur für wenige Auserwählte zur Wirklichkeit, eine Belohnung für ihre herausragenden Leistungen und ihren Beitrag zum Wohl der Gesellschaft.


    Zu diesem feierlichen Zeitpunkt war ein Yaigh bereits etwa hundert Jahre alt. Seine räuberischen Triebe hatte er jedoch niemals abgelegt und mehrte sein Ruhy neben seiner Arbeit auch durch Trophäenjagd, wozu auch aussätzige Yaigh gehören konnten. Mit dem Anrecht auf ein eigenes Sternenschiff wechselte er oft in ein hauptberufliches Dasein als Sternenjäger und sammelte Wissen und Trophäen von anderen Welten.


    Nur ein geringer Teil der Yaigh-Männer, etwa ein Prozent, erlangte jedoch genug Ruhy, um sich mit einer eitragenden Frau paaren zu dürfen. Für die Frauen hingegen wuchs mit steigendem Ruhy die Auswahl an würdigen Männern, die zur Befruchtung ihres wertvollen Eis bereitstanden. Die Wahl erfolgte penibel, denn die Befruchtung war kein gefühlvoller Akt der Intimität, sondern ein öffentliches Schauspiel am Strand von Crastyll, wo sich alle eitragenden Frauen und auserwählten Männer zu festgelegten Zeiten einfanden. Doch auch abseits dieser Zeremonien suchten die Yaigh Vergnügen, ohne Rücksicht auf Geschlecht oder gesellschaftliche Normen. Zu Befruchtungen kam es dabei nicht, denn eine Frau trug nur selten ein Ei und zu diesen Zeiten färbten sich ihre Haut und ihre Hornstacheln so leuchtend bunt wie die der stets paarungsbereiten Männer, so dass diese Zeit nicht verheimlicht werden konnte.


    Doch die Yaigh waren nicht nur ein intelligentes, sondern auch ein stolzes Volk, und ihre Eigensucht sollte ihr Untergang sein.


    So waren die Yaigh, die ersten Herren von Asamura, deren Erscheinungsbild und Lebensweise nur noch in Legenden fortleben, seit sie dem Wandel der Welt gewichen sind.


    Von den Thaldrax - warmes Blut im Schatten der Yaigh


    In den Tiefen von Asamura, unter dem endlosen Gewölbe des Taudis, lebten die Thaldrax, warmblütige Wesen von uralter Abstammung. Sie waren die Nachfahren der ersten Bewohner dieser Welt und hielten sich verborgen vor den kalten Augen der Yaigh, die über die Welt herrschten. Ihre Haut war grau wie der Stein der Höhlen, in denen sie lebten, grau wie das Zwielicht zwischen Tag und Nacht. Ihre spitzen Ohren lauschten den leisen Echos ihrer unterirdischen Heimat.


    Die Thaldrax ernährten sich von den Rieseninsekten, die in den dunklen Winkeln des Labyrinths gediehen, von Pilzen und von allem, was die kargen Tiefen ihnen boten. Sie waren ein Volk, das selten das Tageslicht erblickte, denn die Oberfläche gehörte den Yaigh, deren Herrschaft unangefochten schien.