Bestrafung

  • Bestrafung


    Urako hätte sich freuen müssen. Es war eine warme, sternenklare Sommernacht und der zunehmende Mond schickte weiße Strahlen in das ansonsten unbeleuchtete Quartier im oberen Stockwerk des Geisterhauses. Vor den angekippten Fensterläden schwang langsam ein Windspiel aus getrockneten Fröschen, dahinter verdeckte eine üppige Baumkrone die Sicht auf die anderen Häuser des Viertels. Ein deutliches Kreuz aus Mondlicht und Schatten lag auf ihrem Doppelbett, worin auch die rosa Socke sich befand, aus der Urako für seinen Gefährten ein kleines Plüschabbild seiner Selbst gebastelt hatte. Die Socke war einer der wenigen Gegenstände, die seinen letzten Wutanfall unbeschadet überstanden hatten.


    Heute hatte Gasmi den Heiratsantrag angenommen und sich Urakos unerbittlichem Regelwerk unterworfen. Ganz oder gar nicht, so hatte das Ultimatum gelautet und der Düsterling hatte sich für Ganz entschieden. Im Gegenzug hatte Urako ihm lediglich versprechen müssen, mit dem Trinken aufzuhören, eine Angewohnheit, die sich mit ein wenig Aufwand leicht verbergen ließ. Heute war also alles genau so verlaufen, wie Urako es sich vorgestellt und aus tiefstem Herzen immer gewünscht hatte; Gasmi war sein, mit Leib und Seele – und doch war er nicht in der Lage, diesen wunderbaren Augenblick zu genießen, in dem sie hier zu zweit in ihrem neu eingerichteten Quartier standen, die Finger ineinander verschränkt wie frisch Verliebte und die ungewohnte Einrichtung begutachten, in der sie heute das erste Mal die Nacht verbringen würden. Die allgegenwärtigen Zweifel nagten an Urakos Seele wie tausend Ratten an den tragenden Balken eines Hauses. Zweifel, die mit purer Willenskraft zu entkräften ihm nicht gelang.


    Gasmis Finger lösten sich von den seinen. Wie immer sah er sofort, das etwas mit seinem Liebsten nicht stimmte. Zärtlich nahm er Urakos grobes, pickliges Gesicht zwischen seine Hände und küsste ihn auf den Mund mit den fehlenden Frontzähnen. Urako schloss die Augen und während sie küssten, schossen Erinnerungsfetzen durch seinen Kopf, von Varmikans Lippen, erst auf seinem Mund und dann auf seinem Körper, zwischen seinen Beinen. Dave, der nackt vor ihnen lag und dessen Allerheiligstes Varmikan und Urako sich abwechselnd brüderlich teilten. Dave sah wirklich gut aus, so wie Gasmi es vor einer Stunde gesagt hatte, niemand wusste das so gut wie Urako. Sein Kopf begann weh zu tun. Gasmi durfte Dave nicht anziehend finden! Urako würde einmal mehr allein enden, wenn er nicht mit aller Macht um ihn und gegen den Rest der Welt kämpfte!


    Urakos Gedanken wechselten im Sekundentakt hin und her zwischen selbstherrlichem Größenwahn, der ihm Recht gab in allen Punkten der seitenlangen Anklage gegen Gasmi und vernichtenden Minderwertigkeitskomplexen, die ihm einen Spiegel vor sein hässliches Gesicht hielten und ihm das Ungeheuer zeigten, dass er selber war. Und während er dies dachte, sah Urako das freundliche Gesicht seines zukünftigen Ehemannes vor sich, der ihn besorgt betrachtete. Der Mond spiegelte sich in seinen großen besorgten Augen. Urako wollte ihn nicht verlieren! Nicht Gasmi! Diesmal nicht! Diesmal würde er es schaffen, würde alles besser machen, worin er bislang versagt hatte! Er musste sich zusammenreißen, durfte seinen zerstörerischen Gedanken keinen weiteren Raum geben!


    „Bestrafe mich“, bat Urako ohne Vorankündigung.
    Gasmi blickte ihn aus großen Augen an. „Was? Soll ich dich aus Spaß bestrafen ... oder richtig?“
    „Richtig.“
    „Dich bestrafen? Aber ... warum?“ Der kleine Dämon verstand die Welt nicht mehr.
    „Das Warum spielt keine Rolle“, erwiderte Urako und blickte zur Seite. „Würdest du es nun tun? Ja oder nein!“
    „Wenn du es verdient hast, dann ja.“
    „Ich habe es mehr als verdient.“
    „Was ist denn passiert? Liegt irgendwo jemand, der uns zu den Geistern führen könnte? Sag mir wo, dann schaffe ich ihn fort und bestrafe dich dann. In Ordnung?“
    Urako schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Es hat nichts mit den Geistern zu tun.“ Er blickte noch etwas weiter zur Seite. „Nicht mit unserer Arbeit. Bestrafst du mich nun oder nicht? Sonst mach ich es selber.“
    „Na gut. Ich mache es. Aber wie soll ich dich denn bestrafen? Sag jetzt nicht, ich soll dich würgen! Das hat Jozo immer gewollt. Das mache ich nicht, das will ich nicht!“
    „Nein, nicht würgen. Es soll weh tun. Mit heißem Wachs oder einer Gerte oder mit Messerschnitten.“
    Gasmi überlegte. Ihm schienen diese Gedanken nicht zu behagen. „Geht auch ein Gürtel?“
    „Nein, der ist zu breit, das ist der falsche Schmerz. Es muss ein scharfer, schneidender Schmerz sein.“


    Urako sah Gasmi nun doch wieder an. Der Anblick des besorgten Gesichts, daser so sehr liebte, tat ihm weh. Es widerlegte alles, was er von ihm hielt und Urako erkannte einen Augenblick lang, dass Gasmi der Spiegel war, in den er blickte. Urako sah in seinem Partner all die Falschheit, all die Skrupellosigkeit, die ihm selbst innewohnte.


    „Ich habe es mir überlegt, Gasmi. Der Gürtel ist doch angemessen. Such es dir aus. Die Entscheidung, wie du mich bestrafst, liegt bei dir.“
    „Dann hole ich eine Gerte, ja?“ Urako nickte und der Düsterling flitzte davon. Kurz darauf kam er wieder, eine gebraucht aussehende Gerte in der Hand.
    „Von wem ist die?“ verlangte Urako zu wissen. Misstrauisch zogen sich seine Brauen zusammen.
    „Die ist von Dave.“
    „Gut.“ Ja, das war gestattet.
    Urako ließ den Lendenschurz herab und stieg aus ihm heraus. Auch seines Oberteils entledigte er sich, um vollkommen nackt seine Strafe anzutreten.
    Gasmi betrachtete ihn ernst. „Bist du bereit?“
    „Warte. Nicht ins Gesicht, nicht auf die Ohren, den Hals, den Bauch oder die Eier. Und nicht auf die Hände und Füße.“
    „Ich bin doch kein Unmensch!“ In Gasmis Stimme schwang Empörung. „Ich will dich bestrafen, nicht verletzen. Ich werde dir den Arsch versohlen, deinen Schinken!“
    Damit war alles geklärt.


    Urako stützte sich nach vorn auf das Bett. Er würde gleich Halt brauchen, wenn Gasmi ihn wirklich so hart bestrafte, wie er es wollte. „Bereit.“
    Ein einzelner kräftiger Schlag klatschte auf sein Hinterteil.
    Urako rollte genervt die Augen. „Mehr“, befahl er. „Nicht so zimperlich! Verdresche mich! Los!“
    Endlich. Eine Salve von harten Schlägen prasselte auf ihn nieder. Es klatschte schnell hintereinander und Urakos Muskeln zuckten rhythmisch zusammen. Bei den letzten Schlägen konnte er ein Winseln nicht mehr unterdrücken. Gasmi hielt sofort inne, als er die Schmerzenslaute vernahm.
    „Das reicht jetzt, Urako. Ich will dich nicht verletzen.“
    „Du verstehst nicht, ich brauche das! Mehr! Bitte!“
    „Also gut, noch zehn Schläge!“
    „Aber feste müssen sie sein! Hau zu so fest du kannst!“
    Zehn knallharte Hiebe fuhren hinab auf Urakos ohnehin schon wundgeprügeltes Fleisch, als würden Blitze in ihn einschlagen. Er scheiterte kläglich bei dem Versuch, seine Schmerzensschreie weiterhin zu unterdrücken, seine Unterarme zitterten und er hatte das Gesicht verzerrt. Kurz vorm Heulen presste er das Gesicht in die Decke. Als der zehnte Schlag ihn traf, sackten seine Knie ein und er sank mit Gesicht und Oberkörper vornüber auf das Bett.
    „Danke“, sagte er gequetscht.
    Gasmi legte die Gerte weg, setzte sich zu ihm und strich ihm über das schweißnasse Haar.
    „Wenn du dich jetzt besser fühlst ...“
    „Ja, ich fühle mich besser.“


    Urako atmete durch, stemmte sich hoch und legte sich der Länge nach ins Bett, um die angenehm pulsierenden Schmerzen nachwirken zu lassen. Er spürte, wie der schwarze Gedankenklumpen in seinem Kopf zu schmelzen begann, der Zorn wich und seine Gedanken sich lichteten. Es war, als würden Gewitterwolken sich verziehen und den Blick auf den Sternenhimmel freigeben. Endlich konnte er die Schönheit des Augenblicks mit seinem Mann genießen. Und tatsächlich glitzerten nun auch draußen neben dem Mond lauter Sterne, die vorher nicht zu sehen gewesen waren. Gasmi kuschelte sich neben ihn.


    „Ich bringe Dave die Gerte dann wieder zurück. Wir können sie uns vielleicht manchmal ausborgen, er braucht sie ja nicht. Sein Pferd hat nicht mal so ein Beißding im Mund, Dave tut ihm nie weh.“
    „Hä? Warum hat er die Gerte dann überhaupt?“
    „Weil er sie hasst! Sie gehörte seinem Vater, darum hat er sie ihm geklaut.“
    Urako kam ein Gedanke in den Sinn, der ihm nicht behagte. „Wurde Dave damit geschlagen?“
    „Du fragst Sachen, schau doch mal in sein Gesicht!“
    Urako wurde ganz anders bei dem Gedanken. Dann aber begann er die Dinge aus einer anderen Sicht zu betrachten. „Wir kehren das Böse um, das in der Gerte schlummert, Gasmi. Dave hat diese Gerte weh getan. Mich aber wird sie heilen.“
    „Das ist eine gute Idee“, freute sich Gasmi mit dem ihm eigenen Enthusiasmus. „Du und Dave, ihr beide solltet euch wirklich miteinander vertragen. Ihr beide seid euch so ähnlich. Ihr solltet miteinander reden und nicht einander hassen.“
    „Ich hasse ihn doch gar nicht. Ich mag ihn, seit wir miteinander … geredet haben.“


    Einen Moment lang glaubte Urako Daves Rosette zu spüren, die sich fest um seinen Schwanz schloss. Das feste Reiben, die schmale Taille, an der er sich mit beiden Händen festkrallte und die muskulösen Hinterbacken, die gegen sein Becken klatschten, als er Dave bei jedem Stoß an sich heranzerrte. Varmi, der das Gesicht des Menschen in seinen Schoß presste und Urako mit perlweißen Zähnen anlächelte, während Urako Dave nahm. Seine unteren Bauchmuskeln zuckten reflexartig.


    Fort mit dieser Erinnerung, er lag hier und jetzt mit Gasmi! Er fuhr sich mit den Krallen quer über seinen wundgeprügelten Hintern, um sich selbst dafür zu bestrafen, dass er seine Gedanken und Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Irgendwann würde er es schaffen, dieses schwache Fleisch gefügig zu machen. Irgendwann würde er Herr über sich selbst sein. Und dann würden sie beide glücklich werden.


    „Nun dann sag ihm dass ruhig mal“, fuhr Gasmi arglos fort. „Sowas hört er gerne. Gut wer nicht, er hört es nur nicht oft. Ich sag ihm das auch“, erklärte er freundlich. „Weißt Du wir sagen untereinander oft viele Dinge, nur die Guten die kommen zu kurz. Drum sollst Du auch nicht weglaufen, ohne dass wir uns am Morgen was Nettes gesagt haben in Ordnung?“ Er knuffte Urako. „Nicht kratzen. Nicht, dass es sich entzündet.“
    Urako ignorierte die Aufforderung und fuhr sich ein zweites Mal quälend langsam über die wunde Haut. Er drückte so stark auf, dass es sich anfühlte, als würden vier flammende Feuerstreifen auf seinem Hinterteil lodern.
    „Ich hab dumme Gedanken, Gasmi, die ich nicht denken will. Das hier hilft mir, sie aus meinem Kopf zu kriegen. “
    „Was denn für Gedanken?“
    „Gedanken, die falsch sind. Oder Erinnerungen. Ich erziehe mich selber. Bringe mein Gehirn unter Kontrolle “
    „Das kann ich auch übernehmen!“ Gasmi grinste.
    Urako betrachtete ihn Ernst. „Würdest du es wieder tun?“
    „Natürlich würde ich das tun. Nicht dass Du Dir was antust!“
    Urako lächelte mitleidig. „Kein körperlicher Schmerz kann so stark sein wie der, den ich in meinem Herzen trage. Das macht mir nichts aus. Fast nichts. Es lindert die Qual in meinem Inneren.“


    Was machte es schon, wenn er aus zahllosen Schnitten bluten sollte oder man seine Brust mit heißem Wachs übergoss und er sich in seinen Fesseln aufbäumte oder wenn man ihn so hart durchnahm, dass er vor Schmerzen ächzte? Das war doch nur eine Hülle! Urako kuschelte sich noch fester an seinen Mann. Lauschte auf den ruhigen Atem und sog den vertrauten Geruch ein. Gasmi war einen Kopf kleiner als er, wog deutlich weniger und hatte sich ihm endlich unterworfen. Der Düsterling war immer freundlich und tat alles für ihn, was Urako sich wünschte. Und doch war Gasmi es, der in Wahrheit der Starke von ihnen beiden war. Ein Baum, der wankte, aber nicht brach, wenn der Sturm über ihn hinwegtobte. Es tat Urako gut, Gasmis Kraft so nah an sich zu spüren, diese scheinbar endlose Geduld, diese innere Ruhe, diesen wahrhaft starken Mann. Wenn es einer schaffte, mit ihm zusammen zu sein, ohne dass einer von ihnen beiden an der Beziehung zerbrach, dann war er es. Und bis dahin würde Urako heilen. Das Monster wieder zum Schlafen bringen, dass dereinst in ihm erwacht war, um ihn vor der Bosheit jener zu schützen die er geliebt hatte - seiner eigenen Eltern. Jetzt hatte er Gasmi. Er brauchte das Monster nicht mehr. Es würde lernen, dass nicht von jedem, den er liebte, Lügen und Gefahr ausging. Gasmi würde ihm nicht weh tun. Gasmi würde es sein, der ihn fortan schützte.


    „Mir fallen die Augen zu, Gas ... danke noch mal für alles.“ Eine wohltuende Müdigkeit legte sich über Urako. Frieden. Nur Frieden und Stille.
    „Immer doch Puschel, das weißt Du doch.“
    „Gute Nacht, Hase.“ Urako drückte ihm mit harten Lippen einen Kuss auf den Mund.
    „Schlaf schön und erhole Dich gut“, erwiderte Gasmi.
    Sie wickelten sich noch fester in die gemeinsame Decke und Urako schloss die Augen. Die Knopfaugen seines kleinen Abbilds aus der Socke hingegen glitzerten noch weiter im Mondlicht. Gasmi zog das Püppchen zu ihnen beiden unter die Decke, ehe auch er einschlief.