Alles Gute zum Geburtstag, lieber Davy! :skorpion:
Süßes Gift
- Die letzten Jahre vor dem Fall -
Prolog
204 nach der Asche, ehemalige Feuerinsel Firasani
Bellamy atmete beim Gehen tief durch und ließ die frische Seeluft durch seine nikotingeschwärzten Lungen strömen. Unter seinen Stiefeln knirschte der schwarze Sand, als er über die von aller Zivilisation leergefegte Insel wanderte. Was er hier suchte, waren nicht die Schätze der besiegten Farisin. Bellamy war auf der Suche nach sich selbst.
Der Krieg war längst vorbei, die gewaltsam entfesselten Wassermassen zur Ruhe gekommen. Bellamy hatte Prince Ciel gebeten, ihn hernach noch einmal auf den in der Azursee liegenden Archipel aus Vulkaninseln zu fliegen. Sein Herr hatte der Bitte stattgegeben, ihn mit seinem Cockatrice persönlich auf der südlichen, kleineren der beiden Hauptinseln abgesetzt und war dann wieder abgeflogen, um sich den gesprengten Krater anzusehen. Das Meer hatte das Loch inzwischen vollständig geflutet, der Sog war zur Ruhe gekommen und das Zentrum des Kraters bildete nun ein dunkelblauer See von ungeahnter Tiefe. Aus Seen wie diesen wob man Legenden.
Bellamy jedoch war der Kratersee egal, ihn rief etwas anderes zurück und es hatte seinen Grund, warum er auf der südlichen, unauffälligeren Insel für sich allein gelassen werden wollte.
Einsam wanderte der ehemalige Palaisin zwischen Palmen, die leise im warmen Wind raschelten. Kokosnüsse lagen wie Findlinge im Unterholz verstreut. Diese Insel gehörte nun seinem kleinen Bruder Boldiszàr als Entschädigung für die Verbrechen, die in der Vergangenheit an ihrer Familie begangen worden waren. Bellamy hatte ein unbeschränktes Recht, die Insel zu betreten und es sich auf ihr gemütlich zu machen. Genau das hatte er für den halben Tag vor, der ihm zur Verfügung stand, ehe Ciel ihn wieder abholen würde. Mit der auf einem Klemmbrett festgemachten Karte in der Hand, die sein Schwager Silvano ihm überlassen hatte und einem Rucksack mit Essen und Getränken und einem Schlafsack wanderte Bellamy durch das tropische Paradies. Bellamy hätte auch ein Haus bauen können, wäre ihm danach gewesen, ohne dass Boldiszàr auch nur hätte die Einzelheiten wissen wollen, um es ihm zu erlauben, doch er wollte einfach nur für sich sein und das Bewusstsein genießen, einen Ort gefunden zu haben, den er zu Hause nennen konnte. Nicht nur ein Grundstück, wie den Rübenhof, sondern ein Stück Land, das als Lehen bewirtschaftet werden konnte. Berzan Ile hatten sie ihr Reich genannt, nach ihrem gefallenen Vater. Und wie sehr der Name dieser Insel passte!
Bemerkenswert waren die Strände der Vulkaninsel, schwarz wie das Haar der Familie Bovier, die Azursee so blau wie ihre stechend hellen Augen. Bellamy hatte sich informiert, Vulkanasche war ein hervorragender Nährboden für Wein. Das warme Klima würde sein Übriges tun, um reiche Ernten zu ermöglichen. Die Farisin waren zu dumm gewesen, dergleichen für sich zu nutzen, alles, was sie getan hatten, war zu brüten, Magmaskulpturen formen und wieder zu brüten. Das machte es für die neuen Eigentümer des Archipels nun einfach, es gab wenig abzureißen und viel Platz, um sich auszubreiten.
Hin und wieder hielt Bellamy inne, markierte etwas auf der Karte und schrieb seine Gedanken dazu an den Rand. Seine Handschrift war grauenhaft und er musste jeden Buchstaben einzeln setzen, damit man sie später noch entziffern konnte. Seine Hände hatten in seinem Leben anderes getan, als sich um solche Feinheiten zu kümmern. Sie schwangen Schwert und stießen die Hellebarde, sie packten zu, verdrehten und würgten. Den Federkiel hielten sie selten und noch nie zuvor hatte er einen Füllfederhalter benutzt, wie Ciel ihm einen geschenkt hatte, damit er ordentlich festhalten konnte, was er wollte. Ein einfacher Bleistift wäre Bellamy lieber gewesen, aber er wusste die Geste zu schätzen und so würde er den Füllfederhalter verwenden, bis die Asche ihn verklebte oder die Tuschekapsel leer war.
Weiter ging es.
Neben der Vorfreude, hier zu wohnen oder zumindest ein Ferienhaus hier zu haben, spielte auch ein wenig Nostalgie in die einsame Wanderung mit hinein. Damals, als die drei Schwesternschiffe Choucas, Mouette und Cygnus die Segel gesetzt und einen Teil der Besatzung inmitten des Schlachtgetümmels zurückgelassen hatten, war Bellamy zurückgeblieben. Und doch war er nicht allein gewesen. Er hatte Sherkal bei sich und, den blau leuchtenden Geist seines Vaters.
Berzan Bovier.
Er war all die Zeit über bei seinem Sohn geblieben, während er festsaß, so lange, bis der nekromantische Zauber sich gelöst hatte und der Geist verschwunden war. Die Wanderung auf familieneigenem Grund und Boden, wo Bellamy so wertvolle Zeit mit seinem Vater verbracht hatte, gab ihm das Gefühl, seine abgerissenen und verrotteten Wurzeln wieder zu spüren.
Und als hätte Ainuwar seine Gedanken gelesen, entdeckte Bellamy in der heranziehenden Dämmerung ein blaues Geisterleuchten. Wie eine Irrlichterschlange kurvte es zwischen den Palmen. Als es sich näherte, wurde seine Gestalt deutlich sichtbar. Bellamy grinste breit. Berzan flog dort, suchend nach seinem Sohn. Wenn da nicht Prince Ciel seiner Seele gelauscht hatte und nicht den Worten, als Bellamy um die Reise gebeten hatte.
Der Geist war da, richtete sich auf und nahm eine stabile menschliche Form an. »Tag, Sohn«, grunzte Berzan und seine Augen waren wie blaue Leuchtfeuer.
»Abend, Papa.« Die Augen seines Sohnes leuchteten kaum weniger vor lauter Freude. Vater und Sohn grinsten über beide Ohren.
»Als ich dich das letzte Mal in die Arme nehmen konnte, da warst du so.« Berzan zeigte in Höhe seines Schlüsselbeins. »Und acht Jahre alt. Boldi war vier und so hier. Ihr wart miniklein, mit Pausbäckchen, weil Mariette euch zu gut bekocht hat. Richtig niedlich saht ihr zwei aus. Und jetzt schau dich an, eine Kante von einem Mann.« Berzan betrachtete seinen ältesten Sohn voller Stolz. »Es ist merkwürdig, den Unterschied zu früher zu sehen, ohne die Jahre dazwischen erlebt zu haben. Vom Kind zum Veteran. Nur fünfunddreißig Jahre sind es letzten Endes, sie sind so rasch vorbei, doch die Welt verändert sich so rasant, dass wir kaum schritthalten können. Als ich so alt war wie du, da war ich gestorben.« Wehmütig schnaufte der Geist.
»Ich werde hoffentlich noch ein paar Jahre mehr haben«, antwortete Bellamy und rang sich ein Grinsen ab. »Warst du schon immer so grenzenlos optimistisch?«
»Klar. Brummi war der Kosename, den meine Frau mir gab, zu etwas anderem hat es nicht gereicht.«
»Erzähle mir von euch«, bat Bellamy. »Warum warst du immer so brummig?«
»Ich war nicht immer brummig«, antwortete Berzan. »Nur meistens. Und vor allem bei meiner Frau. Bevor ich Vater wurde, hasste ich so ziemlich jeden, außer meinen besten Freund, meinen Merci. Wenn ich jemanden nicht hasste, sondern nur ignorierte, konnte der sich schon glücklich schätzen. Ich konnte ein ziemlicher Arsch sein. Kurz gesagt, ich war ein Griesgram und Menschenhasser. Die lange Version ist komplizierter. Willst du sie trotzdem hören?«
»Klar, Papa. Wir haben Zeit.« Bellamy setzte sich gemütlich in den schwarzen Sand, der von der Sonne warm war und sah seinen Vater aufmerksam an.
Und so begann Berzan seinem Sohn die Geschichte zu erzählen von den wenigen Jahren, die sie als Familie gehabt hatten, ehe Verrat und Tod sie auseinanderrissen.