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Die Heimkehr des Duca
Tazio Ferdinando di Ledvicco betrat in vollem Ornat den Thronsaal des Palastes. Die Leibgarde nahm Haltung an und salutierte, indem die Männer sich die freie Faust an die Brust hämmerten. In der anderen hielten sie die Hellebarde. In Weiß und Türkis rauschten beim Gehen Unmengen von Stoff um Tazios Körper, der um die Hüfte von einer Schärpe zusammengerafft wurde. Kein Stück Haut war von Tazio zu sehen. Seine Hände steckten in feinen Handschuhen, das Gesicht verbarg eine beinerne Maske, eine enge Kapuze umschloss Haar und Hals. Die Person Tazio lag unter dem Ornat vergraben. Er war die Personifizierung des Amtes geworden, in dem Moment, als man ihm das Insignien seiner Würde angelegt hatte. Zügig durchschritt er die Reihen der Gardisten, noch das Marschieren im Feldeinsatz gewohnt. Fast lautlos waren seine Schritte auf dem dicken Stoff. Fremd fühlten sich die leichten und bequemen Schuhe an, ganz anders als seine Kampfstiefel. Der Wiedereintritt ins zivile Leben erschien Tazio unwirklich. Ein Teppich aus türkisfarbenem Samt teilte den Saal vor ihm in zwei Hälften und er folgte ihm ans andere Ende des Saals, wo der leere Thron auf ihn wartete. Weißes Walbein, mit türkisfarbenem Samt gepolstert, harrte darauf, dass sein rechtmäßiger Herr sich auf ihm niederließ. Nach einigen weiteren Schritten hatte er den Ort seiner Bestimmung erreicht. Er stieg die Stufen hinauf, die zum Thron führten, der erhaben auf einem Podest stand. Bevor Tazio sich niederließ, drehte er sich noch stehend zu den Anwesenden um. Hinter den Leibgardisten warteten Vertreter der nach dem Krieg noch verbliebenen Adelshäuser, namhafte Militärs, geistliche und weltliche Würdenträger. Er sah seine Hochwürden Cosimo di Casteziana in der schwarzen Robe der Ainuwarpriester und seine Exzellenz Giuliano Antomasco als Vertreter der Magier. Näher am Thron standen sein General Samuele di Devolone und Paladino Ezio Rizzoglia. Die Brüder Alessio und Agostino Vendivolone waren weder adlig noch Inhaber einer Würde, sondern als Ehrengäste geladen. Diese und viele andere sahen aufmerksam in seine Richtung, ohne den Blick bis auf Augenhöhe zu ihm zu heben.
»Auf jede Ebbe folgt die Flut«, sprach Tazio mit fester Stimme zu den Anwesenden. In der Stille des Thronsaals hallte sie wieder. »Klar und einfach liegt die Wahrheit vor uns. Ainuwar gab uns dieses Gesetz und der weiße Seelöwe wacht zu allen Zeiten über Ledvicco. Wie weit die Wanderung ihn auch fortgeführt haben und wie viel Zeit verstrichen sein mag, der Leone di Marino kehrt stets an den Ort seiner Geburt zurück. Wer daran zweifelt, zweifelt an Ainuwars göttlichem Willen selbst und sein Leben ist verwirkt. Der Leone di Marino steht heute vor Euch als ein weiterer Beweis für die Wahrheit dieses Gesetzes. Unser gütiger Vater, Ernesto Sirio di Ledvicco, ist gefallen. Ainuwar habe ihn selig. Sein Körper ruht in einem Bett aus Sand in der rakshanischen Steppe, wo er im Kampf fiel. Erinnern wir uns seiner in der selben Liebe, in der er auch uns stets gedachte. Der Krieg ist nun vorbei und der weiße Thron steht nicht länger leer. Leer war er, doch nie verlassen. Die Zweifler an dieser Tatsache werden in diesem Augenblick von unseren Soldaten über die Grenze gejagt. Habt Hoffnung, Ledvigiani! Der Duca die Ledvicco ist heimgekehrt!«
Tazio nahm die schwarze Korrallenkrone von einem Priester entgegen, der sie ihm auf einem Kissen reichte. Er hob sie über sich und senkte sie auf sein Haupt. Fest schloss sich der gepolsterte Reif um Stirn, Schläfen und Hinterkopf. Ihr Gewicht drückte ihn trotz der perfekten Passform und er stemmte seinen Kopf bewusst dagegen. Er nahm das Zepter und das Schwert in die Hände, die Insignien seiner weltlichen Macht. Dann nahm er auf dem Thron als neuer Großherzog von Ledwick platz. Der junge Duca blickte das erste Mal in seinem Leben von diesem Thron aus in die Runde. Mit dem Tod von Ernesto Sirio di Ledvicco war das Amt des Duca auf seinen ältesten Sohn übergegangen und nun war es kraft der Zeremonie auch formell besiegelt. Tazio erhob erneut das Wort, das erste Mal als Duca.
»Habt Hoffnung, Ledvigiani«, sprach er noch einmal laut, nicht ahnend, dass dieser schlichte Ausruf enorme Wirkung unter seinem Volk entfaltete und später zu einem geflügelten Wort werden sollte, das einstmals sogar seine Grabinschrift zieren würde. Dies nicht wissend, fuhr er unbeirrt fort.
»Das Kaisho-Abkommen ist zerbrochen und unsere Verpflichtungen, Evalon im Kampf gegen die Naridier zu unterstützen, haben damit ein Ende gefunden. Almanien ist wieder unabhängig und somit auch Ledvicco. Es ist ein teuer erkaufter Frieden und er stellt uns vor neue Herausforderungen. Niemand von uns weiß, wie es ist, in Friedenszeiten zu leben, denn wir alle sind während des Krieges geboren. Seit 82 Jahren sind unsere Wirtschaft und unsere Politik auf Krieg ausgerichtet. Werden wir dem Frieden gewachsen sein? Glauben wir gemeinsam daran, dass wir Ledvigiani das können! Unsere Altvorderen haben es gekonnt und wir werden es erneut lernen. Wir haben schon ganz andere Probleme überstanden. Wir sind zäh, wir haben fleißige und kluge Menschen in unserem Volk und Ainuwar ist mit uns. Wir halten zusammen und wenn die Welt auch gegen uns ist, haben wir doch stets einander gehabt. Jene, die Zwist in unsere Reihen brachten, wurden des Landes verwiesen und nichts soll unser Volk mehr trennen. Gemeinsam bauen wir unser geliebtes Land wieder auf. Und in nur wenigen Jahren wird Ledvicco bereits in altem Glanz erstrahlen. Die Erinnerung an den Krieg wird nichts weiter mehr als ein flüchtiger Schatten sein und Ledvicco erneut erblühen.«
Es geschah etwas, das nicht oft geschah - Beifall brach im Thronsaal aus. Damit hatte Tazio nicht gerechnet. Hinter der ausdruckslosen, weißen Maske lief eine Träne seine Wange hinab, als sich fragte, was sein Vater wohl zu seinen Worten gesagt hätte, der sonst an dieser Stelle saß. Wäre er stolz auf seinen Sohn gewesen oder hätte er ihn der Feigheit bezichtigt, da Tazio die Truppen heimgeführt hatte, anstatt sein Werk an der Front zu vollenden? Kalt und gefroren ruhte Ernesto in der windgepeitschten Steppe, zusammen mit vielen anderen Ledvigiani, Kriegern aus der Hohen Mark und aus Ehveros. Tazio schluckte den Kloß in seinem Hals herunter. Sein Vater war tot, doch der Duca war nicht gestorben, denn er lebte in seinem Sohn weiter. Der Duca war ewig und so lange es den Duca gab, so lange würde es Ledvicco geben.