Blutrote See - Kapitel 20 - Leiden, Leben, Lachen, Lieben
Die Offenbarung des anderen Lotos
Patrice Vertcuis
Im Rübenhof war Stille eingekehrt. Nach der Orgie, die sich vor dem Kamin abgespielt hatte, war dies ein angenehmer Zustand. Die Teilnehmer lagen ineinander verknäuelt vor dem Kamin, schliefen oder dösten und wärmten ihre nassgeschwitzte Haut am prasselnden Feuer. Patrice hatte Freizeit und langweilte sich. Nachdem er Ordnung gemacht und die Küche aufgeräumt hatte, zog er sich die Jacke über, nahm er seinen Zauberwürfel und ging ein wenig in den Garten. Eine dünne, matschige Schneeschicht lag auf der Wiese. Da es zu kalt war, um sich irgendwo hinzusetzen, lehnte er sich mit dem Hinterteil gegen den Zaun und begann, am Würfel herumzudrehen, um die Farben auf die zwölf Seiten zu sortieren.
Lotos
Er saß eine ganze Zeit alleine draußen, als er einen Kiesel ins Genick bekam. Eine vermummte Gestalt hockte auf dem Dach und schaute zu ihm herunter. "So allein?", fragte der Mann leise.
Patrice Vertcuis
Das leise Klicken des Zauberwürfels verstummte. Aufmerksam blickte Patrice zum Dach hinauf, wo ein Vermummter herumturnte. »Es könnte sein, dass einige Schindeln locker sind. Wir haben das Dach noch nicht überprüft und der Hof stand einige Jahre verlassen. Was machst du da oben?«
Lotos
"Ich beobachte Dich schon die ganze Zeit. Was hast Du vor? Wirst Du ihm ewig dienen? Der Hof ist meine geringste Sorge, mehr Sorgen bereitest Du mir und die Vampire", sagte er freundlich.
Patrice Vertcuis
Patrice musterte den Mann nun noch aufmerksamer. »Caillou?«, fragte er lautlos, indem er nur die Lippen bewegte. Konnte das denn die Möglichkeit sein? Ja, konnte es theoretisch und es war nicht einmal sonderlich unwahrscheinlich. Laut sagte er: »Komm runter, wir gehen ein Stück. Dann reden wir.«
Lotos
Der Mann sprang zu ihm herab und gesellte sich zu ihm. "Nein nicht Caillou, aber ich rede gerne mit Dir. Gehen wir ein Stück und lass uns reden. Was ist aus Deinem Auftrag geworden? Du erinnerst Dich noch an den Lich und dass er Dir gegenüber machtlos ist? Ich rede vom Ältesten", flüsterte der Mann kaum hörbar.
Patrice Vertcuis
Patrice ließ sich nicht anmerken, wie sehr er erschrak. Früher oder später hatte es so kommen müssen, dass der Orden nachhakte. Sehr lange schon hatte er keinen Bericht mehr abgeliefert und das letzte Gespräch mit Duc Maximilien war dahingehend geendet, dass dieser ihn in ein Sanatorium sperren lassen wollte - die Endstation für alle Lotos, die es zu beseitigen galt. Denn dort starben sie nacht kürzester Zeit durch ein wenig Nachhilfe seitens des Personals. Es war die übliche Vorgehensweise, denn so hatte man gleich einen mit der Biografie verwobenen Abgang und einen vernünftigen Totenschein. »Gib dich zu erkennen, bevor wir weiter reden«, verlangte Patrice, der den Würfel noch mit sich trug. Er blieb stehen, in Hörweite des Rübenhofes, nur für den Fall.
Lotos
"Du hast mich doch eben noch vor einigen Minuten gesehen, in dieser Form nennt man mich seit Jahren Arbogast", sagte der Mann und zog sich die Maske vom Kopf. "Der wahre Arbogast starb vor Jahren. Er starb durch meine Hand, die Macht hinter dem Zirkel, die Macht hinter dem Menschenfresser der das Artefakt stahl für eine Kreatur - eine die Drei ist, einer der seine Kräfte teilen und dadurch verdreifachen kann, dieser "Gott" redet nicht mit jedem. Aber einer seiner liebsten Jünger hat Kinder, sehr viele Kinder und eines seiner Kinder bin ich... ein kleiner Menschenfresser, ein Versager, einer der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann, einer der alles hört, sieht, aber selbst nicht gesehen und gehört wird. Man lacht über ihn, belächelt ihn, nimmt ihn nicht für voll. Wie ein Leibdiener nur unbeliebt, niemand der in meine Richtung schauen will, ein Säufer, ein Spieler, ein Hurenbock, so gut wie tot... ein Vater der ihn hasst, gut so. Er soll nicht genauer hinschauen als nötig. Denn bis dato sah er im Licht nicht so gut, aber nun, als Geschöpf der Finsternis muss ich noch vorsichtiger sein als vorher. Wo ist der Älteste?", fragte den den sie Arbogast nannten.
Patrice Vertcuis
Patrice wurde in seiner Grundfesten erschüttert. Er spürte, wie ein Riss durch ihn ging und der Mann darunter zaghaft durch die Spalten blickte. Er war genau so überrumpelt. Sie waren eine Weile zu zweit gewesen in letzter Zeit, ein Arrangement. Sie konnten durchaus gleichzeitig anwesend sein, doch das war unangenehm, unpräzise und nach Möglichkeit zu vermeiden. Patrice griff sich an die Schläfen, als könne er so verhindern, zu zersplittern. So war das nicht vereinbart gewesen! Der Kontakt zu dem Lotos kam sehr plötzlich und unvorbereitet. »Aber wer ...«, fragte er unnötiger Weise und dachte wieder an Caillou. Patrice kannte Caillou nicht, er gehörte zu Pascals Gedankenwelt. Dieser Gedanke war es letztlich, der ihn beiseiteschob, der dazu führte, dass Pascal sich wieder vollends in ihrem Körper stabilisieren konnte. Er brauchte lange, das Wechseln wurde von Mal zu Mal mehr ein Kraftakt. Früher hatte das nur einen Wimpernschlag gedauert, nun war Patrice wie festgebacken. Ein Mantel, der mit ihm verwachsen zu sein schien. »Darum also nur Nudeln«, stellte Pascal fest und seine Stimme war um anderthalb Töne tiefer als die von Patrice. »Am schwierigsten war es wohl, deinen souvagnischen Akzent zu verbergen oder wurdest du in Nardien ausgebildet?«
Arbogast
"Er hat überall Kinder, denn seine Frau lebte hier. Seine Tochter lebte bis vor kurzen hier, sie ist ebenso eine Mörderin Derya Littneaux, Tochter von Merna Littneaux. Wieso sollte er hier keinen Sohn haben? Er kümmert sich nicht um seine Kinder. Nicht auf die Art, wie es Souvagner tun. Oder übertragen doch. Einst als Arbo ein kleiner Junge war, gab er ihn im Zirkel ab. Es ist lange her. Und erst als jungen Mann von 20 Jahren so rum sah er ihn das erste Mal. Sie sahen sich wenn nur sporadisch, Jahrzehnte dazwischen. Und dann traf er diesen Arbogast hier, genauso so wie einst, ein völliger Versager... Du verstehst? Über ihn kommen wir an den Ältesten und ich an das Artefakt. Dann werde ich Arbogast verlassen und er mich", sagte der Lotos.
Patrice Vertcuis
»Verstehe ... seine Schwäche, sein Herumgestreune, wird zur Waffe gegen ihn. Was hat es mit dem Artefakt auf sich? Und wird es dir schwer fallen, Arbogast abzulegen? Du trägst Tätowierungen. Das ist nicht gut, sie sind unveränderlich.«
Arbogast
"Es wird mir vermutlich verdammt schwer fallen und diese Tätowierungen werde ich behalten oder übertätowieren lassen, je nach dem was oder wen ich dann annehme. Meist waren meine Charakter Personen aus der Unterwelt. Da ist ein derartiges Gemisch, da achtet kaum einer auf den Akzent, es sei denn Du hast einen zu starken, dann wärst Du gegen Deinen Willen der Souvagner. Also der Duc oder seine Söhne oder andere "Urgesteine" könnten sicher nicht verdeckt arbeiten. Jedenfalls werde ich mich wohl nicht in den naridischen Rat einschleusen", lachte Arbo.
Patrice Vertcuis
»Also wohl wieder Unterwelt oder stets hochgeschlossene Kragen. Aber das ist schwieriger auf lange Sicht. Gehört dein Trinken zur Persona oder ist es ein Fehler, der dir unterlaufen ist und der zufällig zur Persona passt? Wozu der Artefakt benötigt wird, hast du mir nicht verraten. Wer bist du?«
Arbogast
"Über das Artefakt darf ich nicht sprechen. In Geheimhaltung wurde es zu einem Juwelier gebracht um es auffrischen zu lassen. Archibald von Dornburg genannt die Bestie hat es gestohlen. Es ist sehr machtvoll. Dabei tötete er fast einen Büttel, der ihn auf frischer Tat ertappte. Zum Glück starb der Mann nicht. Zu noch größerem Glück hat er das Artefakt nicht genau gesehen, sonst hätte ich ihm die Augen schließen müssen. Nein ich trinke und rauche nicht, ich esse sonst auch kein Menschenfleisch es ist eine schrecklicher Charakter, es gibt kaum eine grausamere Rolle als so jemanden darzustellen. Einen Versager, ein Versager vor sich selbst, Du kannst Dir ab und an meinen Selbstekel nicht vorstellen. Und dann reichte mir Tekuro die Hand, bot mir an mich zu heilen, mich als seine Amme anzustellen... mich! Er weiß nichts über mich und dennoch bot mir einer von diesen Abscheulichkeiten jene Hilfe um die ich nie bitten dürfte, aber nach der sich doch jeder von uns manchmal sehnt. Weißt Du noch wer Du bist?", fragte Arbo.
Patrice Vertcuis
»Es wird immer schwieriger. Ich trage Patrice nun schon einige Jahre und er ist sehr einnehmend. Er hat ein Eigenleben entwickelt, gegen das ich manchmal machtlos bin und seine Argumente sind oft stärker als meine. Dann gebe ich bewusst nach. Manchmal aber weiß ich auch nicht mehr, wer von uns beiden nun wirklich ich bin«, gab Pascal zu. »Und es gibt Zeiten, da ist Patrice der Herr dieses Körpers und ich bin nur eine Geisteskrankheit. Dass du mit mir sprichst, erinnert mich daran, dass ich kein Produkt von Patrices Fantasie bin. Was Tekuro anbelangt, so ist er ein unangenehmer Mensch, der einige gute Eigenschaften in seinem Repertoire hat. Und manchmal scheint es, als würde er sich wirklich Mühe geben, ein guter Kerl zu sein. Dann wieder schleppt er dir ein Ohr an, wie eine Katze eine widerliche tote Maus, und erwartet, dass du dich freust. Ich werde dich nicht mehr zum Artefakt befragen, aber magst du mir deinen Namen nennen? Und was ist mit dir in solchen Situationen? Es hört sich so an, als würdest du Arbogast verabscheuen. Hat er dennoch Macht über dich?«
Arbogast
"Ja er hat große Macht über mich, er tötet mich langsam aber sicher wie eine unheilbare Krankheit breitet er sich in mir aus. Nimmt von mir Besitz und zerstört durch seine Süchte dass, was mir lieb und teuer ist. Er kennt kein Limit, nicht im Schlechten. Er hat gute Seiten, genau wie Tekuro, aber Arbogast ist schwach, muss schwach sein und muss schwach bleiben, damit er immer unter der Witterungsgrenze seines Vaters bleibt. Ein zu langer Blick, eine zu genaues mustern und ich könnte auffliegen. Er darf erst gar kein Interesse an mir entwickeln und um das zu erreichen, muss ich um seine Aufmerksamkeit buhlen. Nichts stößt ihn mehr ab als Schwäche und Anbiederung. Willst Du ihn erobern, weiß ihn ab. Dann misst er Dir wert bei, schmeiß Dich an ihn ran und er stößt Dich angwidert weg. Das Artefakt heißt "Der Seelenkoppler" und es wurde vor einiger Zeit im Jahre 165 nach der Asche geborgen von den Himmelsaugen. Die es seit dem verwahrten, falls wir eines Tages seine Macht benötigen sollten. Und dann wurde es Jahrzehnte später zur Auffrischung seiner Hülle fortgegeben und genau dabei gestohlen. Ein seltsamer Zufall. Es wurde vor ungefähr 10 Jahren gestohlen. So genau weiß ich das nicht mehr, ich erinnere mich nicht mehr gut an Zahlen. Aber so um den Dreh muss es gewesen sein. Ich bin Lucio", sagte der Lotos und reichte ihm die Hand.
Patrice Vertcuis
»Pascal«, antwortete dieser und drückte ihm die Hand. Es tat gut, für diese Zeit den Zweifel beiseitezuschieben, ob man wirklich real war. Für die Zeit ihres Gesprächs wusste Pascal, dass er existierte, dass all sein Leben und seine Wünsche, Träume und Hoffnungen keine Einbildung waren, sondern dass sie wahrhaftig existierten. Er, Pascal, lebte und atmete das erste Mal seit langem wieder bewusst die frische Winterluft. »Lucio«, wiederholte er leise. »Was glaubst du, wie lange Arbogast noch hat? Der Seelenkoppler, na ja, uns betrifft das ja nicht. Der Name hört sich aber in der Tat nach einem Artefakt der Himmelsaugen an. Hängt es mir ihrer Schwarmseele zusammen? Wenn das Artefakt zerstört werden würde ...«
Arbogast
"Oder in die falschen Hände gerät, wozu sie es benutzen, ob sie es benutzen und wie, dass kann ich Dir nicht sagen. Ich dürfte es nicht, gut ich dürfte schon, aber dann müsste ich Dich töten", lachte er leise, als Zeichen dass das ein blöder Witz war. "Es scheint aber irgendwie damit zusammenzuhängen. Ich hoffe ich habe noch lange genug um Arbo zu überleben Pascal", sagte Lucio traurig.
Patrice Vertcuis
»So schlimm?«, fragte Pascal, legte einen Arm um ihn und zog ihn an seine Seite. »Hey, Lucio. Ich helfe dir«, sagte er ernst. »Es ist das Trinken, oder? Das Trinken von Arbogast, was dich kaputtmacht. Tekuro wollte, dass du weniger trinkst. Genügt das nicht als glaubhafter Vorwand?«
Arbogast
"Was ist wenn er es nicht glaubt? Aber Du hast Recht, ich könnte es auf Tekuro schieben. Soll der sich doch rechtfertigen und ich sage als Amme darf man nicht trinken, neues Leben und so weiter und so fort. Du kennst es ja auch. Du warst zur Fahndung ausgeschrieben, was hast Du getan?", fragte Lucio und lehnte sich an Pascal an.
Patrice Vertcuis
»Patrice hat sich vor dem Duc zu Wort gemeldet und deutlich gemacht, wie viel Macht er inzwischen gewonnen hat. Seine zerstörerische Kraft ist anderer Natur als die von Arbogast. Das Problem ist ... dass er eine ausgesprochen angenehme Persona ist. Er läuft in seinen Untergang und lächelt dabei. Den ganzen Stress, den ich habe, den macht er sich nicht. Er fühlt sich pudelwohl. Ihn anzulegen ist, wie Urlaub zu haben vom Orden des Stählernen Lotos.« Er hielt Lucio fest. »Wenn du stirbst, ist weder dir noch dem Orden geholfen«, sagte er ernst, aber nicht böse. »Lass es darauf ankommen. Du weißt doch, wie du Tekuro provozieren kannst. Bring ihn notfalls dazu, dich zu schlagen, wenn du wieder trinkst. Dann wird Archibald dir glauben. Auf der anderen Seite - Archibald ist gar nicht da. Was kümmert es dich also?«
Arbogast
"Genau das ist aber mein Problem Pascal, Archibald darf nicht sterben, er darf erst dann sterben, wenn ich das Artefakt wiedererlangt habe. Es ist zum Mäuse melken. Deine Idee ist sehr gut, genauso werde ich es machen. Ich werde sagen, Tekuro Deine Nummer hat mir so viel bedeutet, ich möchte nun doch ein Beißer werden und vom Alkohol loskommen. Lehre mich das Jagen oder irgendso etwas. Fast hätte ich ihn im Sex gebissen, ich! Keine Ahnung wieso, er war auf einmal so nett und ich wollte ihn beißen. Und die drei anderen dort, die haben sich gesucht und gefunden. So kann das Leben auch laufen, zuerst aus dem Ruder und dann rund. Für diese und alle anderen Souvagner geben wir uns auf. Wie jene dort im Dienst genau wie wir Ihr Leben geben. Nur sterben sie wirklich in Gefechten, wir sterben Stück für Stück mit den Personen die wir annehmen. So werden wir immer weniger bis nichts mehr bleibt. Wieviel Lucio ist noch in mir? Ich kann es Dir nicht sagen Pascal. Ich weiß es selbst nicht", gestand Arbogast.
Patrice Vertcuis
»Was ist deine Lieblingsfarbe? Weißt du das noch? Und dein Lieblingsessen? Erzähle es mir«, bot Pascal an und hielt ihn die ganze Zeit fest. »Warum darf Archibald nicht sterben, wofür brauchst du ihn noch? Das Beißen ist ein Alarmsignal, du beginnst dich zu verlieren. Wenigstens das mit dem Alkohol muss besser werden.« Es begann ein wenig zu schneien, dicke, matschige Flocken. »Ja, wir geben uns auf. Sie rauben unsere Leben. Wir sterben, damit andere in Sicherheit leben können, selbst wenn wir noch unter ihnen wandeln. Einige von uns sind wie Ghule, abgestumpft, taub. Die Bezeichnung »Stumpfe«, »Lichtlose«, hat eine traurige Doppelbedeutung, derer man sich erst spät bewusst wird. Ja, Tekuro kann nett sein. Schau nur, wie er mit seinem Vater umgeht oder mit Boldi. Er kann es, wenn er nur will. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Er will gar nicht nett sein, er hat Schiss davor. Drum ist er es nur dann, wenn er jemandem absolut vertraut. Er vertraut sowohl Kazrar als auch Boldi blind, darum kann er so gut zu ihnen sein. Schwierig wird es dann, wenn er einen mag, ihm aber nicht über den Weg traut. Das hat Sacha abbekommen und ich auch. Kürzlich, da hatte er einen guten Tag, aber da warst du unterwegs. Da hat er Patrice geküsst, aber so richtig. Er war danach so glücklich und lieb. Aber das wird wieder nicht lange halten.«
Arbogast
"Meine Lieblingsfarbe war grün, meine ich und ich aß immer gerne Kuchen. Als Kind, daran erinnere ich mich. Kuchen war etwas besonders. Archibald hat es versteckt, er hat es gestohlen aber wo hat er es gebunkert Pascal. Ich muss irgendwie an das Artefakt kommen, ich hoffte er sagt eines Tages, hey bei meinem letzten Cou da habe ich vielleicht was gestohlen und zeigt es mir. Aber er zeigt es niemandem. Wo ist das Ding? Hat er es versetzt? Hat er es getauscht? Bei ihm verliert sich die Spur. Oder hat er es noch irgendwo? Ja wir sind die unsichtbare Mauer, zwischen den guten, ehrlichen Souvagnern und dem Dreck der in unser Land eindringen will. Wir sind mit eines der letzten Bollwerke, aber unsichtbar. Er fürchtet sich vor sich selbst, so wie wir im Grunde Pascal. Er möchte sich so gerne selbst im Spiegel sehen, aber er hat Angst was er da erblickt. Hast Du immer so ausgesehen? Wohl kaum, ich ebenso wenig. Du musst besser auf Dich Acht geben, gut dass sagt der Richtige", schmunzelte Arbo.
Patrice Vertcuis
»Ich habe mein Gesicht verändern lassen«, erklärte Pascal. »Chirurgie und Alchemie. Wenn Leute in der Nähe sind, die einen trotz neuer Persona samt neuer Frisur erkennen könnten und man den Ort nicht wechseln kann, ist das eine gute Möglichkeit. Aber wenn man das zu oft macht oder den falschen Heiler erwischt, dann endet man mit zu schmaler Nase, durch die man kaum atmen kann und Lippen die aussehen wie die eines Karpfens. Wenigstens Tekuro scheint es zu gefallen. Wenigstens einer. Du meinst sicher, dass du so abgekämpft aussiehst, oder hast du dich auch verändern lassen? Wenn du an Archibald selbst nicht herankommst, dann vielleicht über jene, die ihm nahestehen. Könnte Kazrar oder Nori wissen, wo das Artefakt abgeblieben ist?«
Arbogast
"Das versuche ich die ganze Zeit so behutsam wie möglich herauszufinden, aber ich glaube der Älteste hat sicher das Artefakt. Er betet ihn an, was sollte er damit? Ja ich war bei einem Fleischformer, ein Heiler der das Fleisch verändert. Ich hatte nicht immer Segelohren und die Tätowierungen nun die wurden eingestochen. Ich hoffe mit jedem Kampf, mit jedem Einsatz dass es der letzte ist. Wir kämpfen dafür, dass irgendwann keiner mehr kämpfen muss. Dass wir in Frieden leben können, eines Tages wird es so sein, wenn die Mauer völlig abgeschlossen ist hoffe ich. Aber selbst in Friedensheiten wird es Wächter geben müssen, die sich merken, wie wir einst kämpften um diesen Zustand zu erreichen", erinnerte Arbo, scheinbar mehr sich als Pascal.
Patrice Vertcuis
»Niemand wird sich an uns erinnern, Lucio«, sprach Pascal sanft. »Denn niemand kennt unsere Namen und unsere Geschichten. Die unsichtbare Mauer hast du uns genannt und keine Chronik wird von uns unsichtbaren Wächtern erzählen. In den Büchern stehen die Namen der Himmelsaugen, der Generäle und Admiräle und der Mitglieder der Krone. Uns aber, uns wird man vergessen. So, wie wir uns selbst vergessen haben.« Die Schneeflocken schmolzen sich in ihre Jacken. »Der Älteste ist im Keller.«
Arbogast
"Ja Pascal, das hast Du schön gesagt. Aber solange wir vergessen werden und sich kein Souvagner mehr an unseren Namen und unsere Taten erinnert, dann haben wir alles richtig gemacht. Auch wenn es für uns nie eine Zukunft geben wird Pascal, denn wir hatten auch keine Vergangenheit und keine Gegenwart. Wir sind jene ohne Seele, ohne Zeit und ohne Namen. An uns gleitet alles ab, sogar der Lauf der Geschichte".
Patrice Vertcuis
»Es ist, als würde selbst Ainuwar uns übersehen. Es ist schon ein merkwürdiger Zustand. Sag, wenn man dich gefragt hätte, wärst du ein Stählerner Lotos geworden? Oder hättest du einen anderen Weg gewählt.«
Arbogast
Arbo dachte lange über die Frage nach. "Du meinst hätte ich eine Wahl gehabt? Nein ich wäre kein Lotos geworden. Oder sagen wir einmal, nicht sofort. Ich fände es schön, wenn wir all die Dinge einmal sehen dürften, die später unerreichbar bleiben. Aber das denkt vielleicht auch ein Himmelsauge, denn sie werden doch im Grunde auch nur pro forma gefragt. Die einen wünschen es sich, die anderen werden gedrängt. Denn jeder geht davon aus, ein Geistmagier mit Potential, dass wird ein Himmelsauge. Und die Blicke der Verwandten sind stolz und die meisten selbst sind auch stolz. Ich stelle es mir persönlich auch schön vor, immer mit vielen Kontakt zu haben, nie allein zu sein. Vielleicht wünscht man sich oft das Gegenteil von dem was man ist. Wir sind zu lange und zu oft mit uns allein Pascal. Da draußen gibt es vielleicht ein Himmelsauge das gerne mal seine Ruhe hätte. Aber auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass Ainuwar uns übersehen hat. Das was uns fehlt, ist unsere Gabe. Und eine Gabe ist eine Verpflichtung. Die einen sagen dass stimmt nicht, aber ich sage doch Deine Gabe bekamst Du von Gott. Von Ainuwar, er wollte dass Du diesen Weg einschlägst, sonst hätte er sie jemand anderem gegeben. Er weiß, Du kannst diese Bürde tragen und das ist Dein Schicksal - Deine Bestimmung. Drum sind wir Lotos und der Geistmagier wird Himmelsauge. Jene die über uns wachen, am Himmel und am Boden, mit scharfen Augen und Magie. Es ist eine Ehre. Aber es ist auch eine Ehre ein Lotos zu sein, auch wenn die Ehre ein Bleimantel ist, der uns nach unten zieht. Es ist unser Schicksal, wie das eines Mönches, der zum Glauben fand. Daran möchte ich glauben, denn wenn selbst Ainuwar uns verlassen hat Pascal, was wären wir denn dann? Eine Laune? Ein Fehler? Nimm mir nicht dass bisschen, dass ich noch habe", bat er leise.
Patrice Vertcuis
Pascal drückte ihn. »Halt dich von Caillou fern«, bat er, »falls du ihm begegnest. Er würde dir nicht gut tun. Dafür vielleicht Prince Ciel oder Alexandre. Die beiden haben eine ganz ähnliche Sicht auf die Dinge, wie du. Und sie könnten dir erklären, warum der Schmerz dessen, der ihn für andere erduldet, so viel edler ist als der von jenen, die nur für sich selbst leiden. Wir sollten langsam zurückgehen. Der Zugang zum Keller liegt hinter dem Haus. Es ist ein Kohlekeller.«
Arbogast
"Ja vielleicht darf das mein Ende sein, ein Ende in einem Kloster, wo ich nach all den Verstellungen, Theaterstücken, Schauspielerei und anderen Maskeraden einfach nur noch eine Rolle übe - die des Bruder Lucio. Das wäre mein Traum für meinen Lebensabend. Ein kleines Koster und dort bin ich heimisch, mit Menschen die ich Bruder nennen darf. Und niemand verlangt etwas, außer meinen täglichen Pflichten für diese Familie, das Gebet, die Einkehr, Stille und dennoch Gemeinschaft. Das ist mein Traum", sagte Lucio und drückte Pascal fest an sich. "Ich danke Dir, vielleicht sehen wir uns wieder... in einem Tempelgarten, mit grauen Bärten", lachte er leise, zog sich die Kaputze über den Kopf und war so schnell verschwunden wie er aufgetaucht war. Sie waren halt weniger als Schatten, sie waren Lichtlose.
Patrice Vertcuis
Pascal sah auf die Stelle, wo eben noch Lucio gestanden hatte. Seine Fußspuren begannen schon zu zerschmelzen. Dann senkte er den Blick auf den Zauberwürfel in der Hand, den Tekuro Patrice geschenkt hatte. Jedoch war es Pascal, der ganz wild auf das Kleinod war. Er rief nach Patrice, der nur sehr zögerlich nach dem Rechten sehen kam. Pascal hatte heute einen starken Tag. Er musste sich lange konzentrieren, Patrice zu erwecken. Dass es ihm gelungen war, spürte er an seinem wachsenden Appetit auf saure Gurken mit Leberwurstbrot. Er hatte diese Dinge beim Aufräumen in der Küche gesehen und war sicher, dass Tekuro sie für ihn gekauft hatte. Er drückte den Zauberwürfel an sich und marschierte guter Dinge wieder ins Innere des Rübenhofes. Auf den Garten senkte sich Stille und die letzten Fußspuren schmolzen in der Mittagssonne.