Skugga spuckte auf den Boden, um den Geistern des Eisberges zu zeigen, was sie von ihm hielt und die Biester abzuschrecken, so wie sie es an jedem Ort tat, den sie das erste Mal besichtigte.
„Willkommen auf Skille, dem größten schwimmenden Eisberg Tasmerons“, verkündete der Kapitän, als ihre Stiefel den Schnee betraten. Doch wieder irgendwas schwimmendes, kein fester Boden. Noch immer kein Land in Sicht! Skugga hasste Schiffe, Wasser und alles, was damit zusammenhing. Sie schnaubte wütend und aus ihrer Nase stießen zwei weiße Wolken hervor wie Drachenatem. Ohne sich von dem Kapitän zu verabschieden, folgte sie dem ins Eis gehauenen Stollen ins Innere Skilles. Der Mann war nur ein Frostalb und ihr Begleiter Frosch hatte ihn mehr als gebührend bezahlt, also sah sie keinen Grund, auch nur ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln.
Frosch trottete blass und dürr hinter ihr her. Ihm hatte das Leben auf hoher See weitaus schwerer zu schaffen gemacht, als ihr. Zum einen, weil alle Nahrung im hohen Bogen wieder aus ihm herausgeschossen war und zum anderen, weil er derjenige war, der all die Wochen für die Überfahrt hatte schuften müssen. Wie eine Leiche trottete er hinter ihr her, ohne ein Wort zu sagen.
Die Wände des Hafens waren allesamt gerundet, glatte Stollen, vermutlich Wassermagie. Der Ort war eisig und trostlos. Obwohl hier Leben herrschte, wurde nur das Nötigste gesprochen. Die Frostalben, Norkara und Shezem sahen allesamt durchgefroren und halb verhungert aus und alle irgendwie krank. Das Ganze machte mehr den Eindruck einer Sträflingskolonie und in der Tat hatte sie sich sagen lassen, dass Skille als gesetzesfreie Zone ein beliebtes Ziel für Vogelfreie und politisch Verfolgte war. Nicht nur Mitglieder der Fraktion der Kalten Fluten, auch Angehörige anderer Ethnien waren hier zu finden, Hoffnungslose, die keine Zukunft mehr hatten und nur versuchten, irgendwie am Leben zu bleiben. Ein völkisches Kuddelmuddel, vor dem Skugga sich ekelte wie vor einem zusammengewürfelten Eintopf, bei dem man nie wusste, was für eine Widerlichkeit man als nächstes auf dem Löffel haben würde. Wenn es nach ihr ginge, würde man alles, was unorkisch war, einfach ausrotten.
„Heifenkraut?“, fragte ein zahnloser Norkara. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, den Kopf zu schütteln, als sie an ihm vorbei tiefer in den Eisberg stapfte. Ihre zackenbewehrten Steigeisen bohrten sich bei jedem Schritt in das Eis, so dass sie nicht ausrutschte. Jeder hier trug diese und wer sie sich nicht leisten konnte, hatte zumindest Eisenketten um seine Stiefel gewickelt, um Halt auf dem glatten Untergrund zu haben.
„Pfeifenkraut wäre nicht schlecht gewesen zum Aufwärmen“, sagte Frosch kleinlaut.
„Ist dir kalt?“, fragte Skugga.
„Ein wenig.“
„Dann musst du schneller laufen.“ Sie beschleunigte ihren Schritt. Ihr entkräfteter Begleiter kam kaum noch hinterher. Das war die Strafe für sein Gejammer.
„Trockenfleisch?“, fragte ein Shezem. Als einziges Volk hier trugen die Fischleute kaum Kleidung und froren trotzdem nicht. Skugga hatte Sandjäger und Schlinger in den dunkelblauen Fluten um das Schiff herum gesehen. Alles, was oberhalb des Gefrierpunktes lag, war für Shezem warm, nur hier draußen brauchten sie etwas Schutz vor der Kälte. Wenn sie zu sehr froren, sprangen sie ins Eiswasser, um sich aufzuwärmen, als wäre es ein Badezober mit heißem Wasser. Auch diesen Händler ignorierte sie. Es wurde dunkler, das Eis blau beleuchtet von alchimistischen Lampen.
Und endlich, im Dunkel, traf sie auf den wahren Markt. Fisch, Waffen, Kleidung, Alkohol, Drogen und Sklaven wurden hier gehandelt, ein paar ungepflegte Nutten boten ihre Dienste an, jedoch streng bewacht, was darauf schließen ließ, dass sie das Geld nicht behalten durften, was sie einnahmen, sondern dankbar sein konnten, dass man sie nicht tötete und das war auch schon der ganze Lohn für ihre Arbeit. Skugga hatte keinerlei Mitleid. Wer schwach war, hatte es nicht anders verdient.
Der Eisberg war dermaßen ausgehöhlt, dass sich in seinem Inneren ein See gebildet hatte, vermutlich gab es unter Wasser einen direkten Zugang für die Shezem, über den sie ihre Waren hereinbrachten. Soeben zerrte eine Gruppe von Sandjägern einen erbeuteten Riesenkalmar aufs Eis, dessen Kopf allein so groß war wie das Schiff, auf dem die beiden Orks gereist waren. Die Stücken wurden von einem Feuermagier angeröstet, denn natürlich gab es hier im hohen Norden keinerlei Brennmaterial. Alles, was dazu taugen würde, brauchte man für andere Dinge, für Schifsreparaturen vornehmlich.
Skugga kaufte sich einen Tintenfischring, groß wie ein Mühlrad. Frosch musste mit einer handvoll Dörrfisch vorlieb nehmen. Viel Geld hatten sie nicht mehr. Einer der Händler, die um den See herum auf mehreren Stufen ihre Buden aufgebaut hatten, so dass das ganze den Eindruck einer Arena erweckte, bot genau das an, was Skugga suchte – Felle. Und eines davon war ein Eisbärenfell. Sie kaute offenem Mund auf dem kautschukartigen, fischig schmeckenden Fleisch herum und riss dabei rhythmisch das Maul auf, so dass sie ein lautes Schmatzen verursachte und jeder den Inhalt ihres Mundes zu sehen bekam. Frosch hingegen speiste wie eine Ratte, eingerollt und das Trockenfleisch mit beiden Händen umklammert, als würde es ihm jemand wegnehmen wollen. Skugga schlug ihm einmal auf den Hinterkopf, ohne dass sie irgendeine Verhaltensänderung dafür erwartete, es war eine Geste der Gewohnheit, die sie mehrmal täglich zu den unterschiedlichsten Situationen auszuüben pflegte, damit Frosch seinen Platz nicht vergaß.
Skugga überlegte, wie sie an das ausgebreitete weiße Fell herankommen sollte. Sie brauchte es. Sie hatte geschworen, ihrem alten Häuptling Nakra zu beweisen, dass sie es würdig war, seine Hand zu werden. Sie hatte großspurig herumposaunt, sie würde ihm das Fell eines Untiers bringen, eines, wie er es noch nie gesehen hatte. Da brauchte sie nicht mit einem Hyänen- oder Wolfspelz oder etwas derartigem anrücken. So was konnte jeder Goblin besorgen. Sie brauchte etwas Besonderes, ein Eisbärenfell!
Sie stieß Frosch mit dem Ellebogen an und wies mit dem Kopf unauffällig zur Bude. Soeben erkundigte jemand sich nach dem Preis. Bei der Summe, die der Händler nannte, stellten sich Skugga vor Wut die Nackenhaare auf und sie fletschte die Zähne. Sie blickte sich um, auf der Suche nach irgendetwas, dass ihr nützen könnte, um an den beschissenen Pelz zu kommen, ohne dafür zahlen zu müssen.
Da fiel ihr Blick auf ein stattliches Exemplar von einem Orkmann. Sie musterte ihn ungeniert. Er trug auf den ersten Blick keinen Hinweis am Leib, welcher Rotte er angehörte. Hoffentlich war das nicht gerade ein Mader oder ein Blutfalke. Aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen.
Sie tuschelte mit einem Schwarzen Schlinger, der sehnsüchtig das Essen betrachtete und vermutlich kein Geld hatte, um sich etwas zu kaufen. Sie steckte ihm den Rest ihrer Mahlzeit zu und tuschelte weiter.
„Bereit halten“, knurrte sie anschließend zu Frosch. „Wir haben nur einen Versuch. Bei der Flucht hilft uns der Fischkopp hier.“
Ohne weiter zu zögern, ging sie zu der Bude, riss kurzerhand das Eisbärenfell von der Auslage und rannte auf den Schlinger zu in der Erwartung, er würde nun voran stürmen und ihnen mit seiner Wassermagie den Weg in die Freiheit bahnen. Dann gedachte sie, eines der anliegenenden Schiffe zu kapern. Der Schlinger aber verformte sich plötzlich, er hakte seinen Kiefer aus wie eine Schlange, riss sein Maul fensterweit auf und machte Anstalten, Skugga herunterzuschlucken. Die hatte keine Ahnung, dass er ihr damit tatsächlich hatte bei der Flucht helfen wollen, und drosch ihm stattdessen die Faust auf die Nase. Der Knorpel darunter gab ein gutes Stück nach, Skugga spürte, wie ihre Knöchel sich mehrere fingerbreit in sein Gesicht senkten. Der Schlinger stürzte nach hinten, als wäre er gefällt worden. Der bestohlene Händler rannte mit wutverzerrtem Gesicht und erhobener Harpune auf Skugga zu.