Darum bemüht, sich bedeckt zu halten, hatte Astroides ihre außergewöhnlich bläulichen Brustflossen fest an den Körper gepresst und bewegte sich hauptsächlich durch das kräftige Schlagen ihrer Schwanzflosse durch das warme Wasser.
Sie hatte es geschafft aus Coralys zu entwischen, einer der Korallenstätte, welche die Giftstachler mitten im Ozean bewohnten.
Es war überhaupt nicht einfach gewesen, sich an den vielen Wachen vorbei zu mogeln, welche die wichtigsten Passagen kontrollierten und auch über der Stadt ihre Runden drehten.
Sie hatte ihren Körper dafür sogar mit Algen eingerieben, um ihren auffällig rot-weissen Hautton dezent zu verstecken. Es würde jedoch nicht lange anhalten, denn das salzige Wasser würde sie bald wieder reingewaschen haben. So hatte sie sich nahe an die Felsen gedrückt und versucht, mit den Schatten eins zu werden.
Und warum der ganze Aufwand?
Weil einige Kilometer entfernt in der Nähe der Rabeninseln Sandjäger gesichtet worden waren.
Bei dem Gedanken verdrehte Astroides genervt die Augen.
Sie hatte bereits viele Geschichten über diese Shezem gehört. Vor allem in der Kinderstube hatten sie meistens von Giftstachler-fressenden-riesen-Ungeheuern mit Zähnen so gross wie Handflächen gehandelt.
Inzwischen hatte sie zwar noch immer keinen Sandjäger aus der Nähe zu sehen bekommen, doch sie wusste immerhin, dass es Haimenschen waren und nicht viel grösser als andere Shezem sein mochten. Ausserdem, dass sie weit entfernt im Eismeer lebten und deshalb wohl kaum eine Bedrohung darstellen konnten.
Natürlich erzählte man sich auch, dass sie einmal im Jahr in wärmere Gewässer zogen, um dort Hochzeit zu feiern.
Doch ein einzelner verirrter Sandjäger bedeutet doch nicht, dass ganz Coralys evakuiert und in einen tranceähnlichen Zustand versetzt werden muss!
Ausganssperre.., pah!
Und das ausgerechnet jetzt, wo doch die Zeit der Ildrius-Muscheln war, einer Muschelart, welche sich nur in äusserst warmen Vollmondnächten öffnete, um ihr wunderschönes Geheimnis in ihrem Innern preizugeben. Man erzählte sich, dass die Perlen so schön waren, wie sonst keine anderen. Dass sie einen bläulichen Schimmer hätten, und wie das Meer im Lichte des Vollmondes glitzerten.
Astroides seufzte bei dem Gedanken verträumt auf. Sie hatte noch nie eine solche Muschel gesehen, doch in jeder Geschichte steckte ihrer Meinung nach ein Kernchen Wahrheit. Und diese Nacht versprach das Meer seine Wärme wie eine Decke um seine Bewohner zu legen und der Vollmond würde so hell erstrahlen, wie schon lange nicht mehr.
Deshalb war es eine Frage des Prinzips, Coralys hinter sich zu lassen und draussen im Riff nach dieser Rarität zu forschen.
Noch durchzogen die letzten Sonnenstrahlen das Meer, und liessen das Wasser in ihrem Licht sanft schimmern. Nachdem die einzigartige Stadt sich langsam aus ihrem Sichtfeld entfernte, entspannte sich Astroides sichtlich. Diese Gegend war ihr vertraut, denn oft durchstöberte sie umliegende Teile des Korallenriffs nach möglichen Fundstücken. Manchmal hatte sie Erfolg dabei, doch immer häufiger wurde sie auch enttäuscht, denn andere Shezem suchten ebenfalls nach Wertstücken, um sie dann an die Landgänger zu verhökern.
Sie verzog bei dem Gedanken das Gesicht.
Gerne würde sie selbst einmal mit den Menschen Handel treiben, doch bis jetzt hatte sie sich nicht getraut ihrer Neugier nachzugeben und den Ozean zu verlassen. Er bot ihr eine gewohnte Sicherheit.
Auch die Metamorphose schreckte sie ab, denn sie hatte diese Art von Magie nie angewandt. Astroides war noch jung, und das Meer bot so viele Wunder, die es ferner zu entdecken gab, dass die Oberfläche vorerst keinen allzu grossen Reiz darstellte.
Vorerst… doch bis dahin genügte es ihr, versunkene Schiffsrümpfe zu durchforsten, um sich ein Bild von den interessanten Landgängern zu machen.
Immer wieder hielt die junge Shezem inne, um einmal einen Doktorfisch zu bewundern, einen kleinen Tintenfisch auf der Lauer zu beobachten oder einen besonders schön geformten roten Schwamm zu umrunden. Diese Welt faszinierte sie immer aufs Neue, obwohl sie bereits 22 Jahre darin lebte. Ihre Fingerspitzen glitten liebevoll am Bauch einer Wasserschildkröte entlang, als diese nur wenig über ihr völlig entspannt ihrer Wege schwamm.
Auf ihrer Suche nach der Ildrius-Muschel entfernte sich Astroides immer weiter von Coralys auf die Rabeninseln zu. Sie folgte keinem besonderen Plan, sondern schwamm dorthin, wo ihre Entdeckungen sie gerade führten.
Das Wasser war herrlich warm und die junge Shezem liess sich von einer sanften Strömung treiben. Ihr Körper leuchtete inzwischen wieder in seinen Farben wie vor ihrem Algenbad und das Wasser streichelte sie bei jeder Bewegung.
Die Sonne war hinter dem Horizont versunken. Da es über dem Meer jedoch keine anderen störenden Lichtquellen gab, wurde der Ozean nun von Mond und Sternen in silbriges Licht getaucht.
Da sie nicht genau wusste, nach welcher Muschel sie Ausschau halten musste, untersuchte sie jede Ecke und Ritze sorgfältig, so dass ihr Nichts verborgen bleiben konnte. Dabei schreckte sie oft kleinere Fische auf, welche dort ihre Wohnstätten bezogen hatten.
Als ihr jedoch eine Muräne mit weit geöffnetem Maul genauso überrascht wie sie selbst entgegenschoss, zuckte sie unwillkürlich zurück. Dabei scheuerte sie mit ihrem linken Arm über die raue Felsformation und erhielt als Belohnung einige blutige Schrammen. Die Muräne funkelte sie herausfordernd an, offensichtlich hatte sie nicht vor, ihr Heim der angeblichen Nesträuberin zu überlassen.
Astroides hatte keine Lust das Risiko einzugehen, sich beissen zu lassen, obwohl Muränen meist eher scheue Tiere waren. Doch Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel…
So schwamm sie immer weiter. Langsam war die Gegend ihr nicht mehr ganz so vertraut. Doch sie wollte nicht zurückkehren, zumindest so lange nicht, wie die Bedingungen perfekt waren.
Der Höhleneingang tauchte urplötzlich als ein schwarzes Loch vor ihr auf. Er war etwas verborgen zwischen den Felsformationen und Korallen, doch gut zugänglich. Langsam wurde sie müde, doch ihr Wille war ungezähmt.
Niemand hatte ihr genau erzählt, wo die Muscheln zu finden waren. Womöglich bevorzugten sie ja Höhlen. Man konnte nie wissen. Schlussendlich war es aber eher ihre Abenteuerlust, welche sie dazu bewog, zum Eingang hinunter zu schwimmen.
Vorsichtig blickte sie hinein, denn sie hatte durch die Begegnung mit der Muräne gelernt. Eine Biegung verhinderte einen weitreichenden Ausblick. Sie musste ihre Brustflossen eng an den Körper pressen, um in den Durchgang hineinzupassen. Sie meinte eine Bewegung des Wasser wahrzunehmen, ein leises Geräusch, doch als sich pfeilschnell ein kleiner Fisch aus der Höhle rettete, glaubte sie, darin den Ursacher erkannt zu haben. Astroides war es gewohnt, sich in Sicherheit aufzuhalten. In Coralys und der nahen Umgebung gab es beinahe nichts, was ihr wirklich gefährlich werden konnte. So achtete sie nicht auf ihre natürlichen Instinkte und Sinne, welche ihr einen Schauer über den Rücken jagten, sondern schwamm zaghaft weiter, bis der Raum sich vor ihr ausdehnte. Alle Warnungen waren vergessen, allein der Augenblick zählte und die Freude über eine neue wundervolle Entdeckung.