Reine Kopfsache
Der Nebel lichtete sich. Er stand vor einem kleinen, grauen Haus, dass aussah als hätte man zwei riesige Kiesel aufeinander gestapelt. Die beiden oberen Fenster waren mit Papier statt mit Glas ausgekleidet. Die Tür war grob aus Holz zusammengezimmert worden. Auf dem oberen Kiesel stand eine Art Bastbüschel ab, was dem ganzen Konstrukt den Anschein eines steinernen Schneemanns verlieh.
Mit so etwas knuffigem hatte er in dieser Welt nicht gerechnet. Das Steinhäuschen wirkte fast infantil niedlich.
Der Hexer schritt die Wurzelstufen zu dem Häuschen hinauf, öffnete die Tür und trat ein. Die Tür schloss sich hinter ihm und schlagartig stand er in einem kreisrunden Raum, der kaum genug Licht bot um ausreichend sehen zu können.
Zuerst sah er nichts, bis ihm bewusst wurde, dass er etwas riechen konnte. Es stank wie ein frisch exhumiertes Grab nach alter Erde, Schimmel und verrottendem Fleisch.
Der Raum vor ihm war vollkommen dunkel. Dave konnte nur undeutliche Formen erkennen, es war als habe jemand das gesamte Licht aus der Welt gerissen um ihn in absoluter Finsternis zu begraben.
Aber in dieser Welt existierte Geruch und Geräusch. Er konnte die Geräusche von zahlreichen, schlängelnden Leibern hören, die gemeinschaftlich in seine Richtung krochen. Ein feuchtes, schmatzendes Geräusch, bevor es wieder monumental still wurde.
Dann flammte schlagartig Licht auf. Es wurde nicht wirklich hell, sondern die Finsternis verwandelte sich in ein diffuses, schmieriges Grau, dass Sehen erlaubte.
Vor ihm mitten im Raum hockte ein gewaltig fetter toter Mensch auf einem Stuhl. Der Kadaver lag mehr, als dass er saß. Sein Bauchumfang war gewaltig. Seine Haut hatte mittlerweile eine grün-graue Färbung angenommen. Seine Arme und Beine wirkten aufgrund seines Leibesumfangs viel zu klein für so einen mächtigen Körper. Ebenso der Kopf. Sämtliche Proportionen schienen aufgrund der Fettmaßen verschoben zu sein.
Ein plötzliches glucksendes Geräusch ließ den Hexer irritiert innehalten.
Der kahle Kopf mit den leeren Augenhöhlen und dem zu einem stummen Schrei geöffneten Mund rollte zur Seite, was den Magier alarmiert zusammenzucken ließ.
Ohne jede Vorwarnung kam Leben in den gewaltigen Wanst des Toten. Kontraktionen durchzogen seinen Bauch als bewegten sich Fische oder Schlangen unter seiner aufgedunsenen Haut.
Der Bauch schwoll auf eine unglaubliche Dicke an, als etwas mit einem Ratschen die Bauchdecke durchbrach. Wie ein einzelner Dorn starrte eine schwarze, gekrümmte Spitze, ähnlich einer Klaue, aus der Bauchdecke des Toten hervor. Die merkwürdige Klaue verharrte dort einen Sekundenbruchteil, ehe sie die Bauchdecke entlang runterglitt und mit einem saftigen "Flupp" wieder im Bauchraum verschwand.
Es folgte erneut ein Moment der Stille, dann schoben sich langgliedrige, schlanke Finger durch den Öffnungsspalt der Bauchdecke. Die Finger waren so lang und schmal, dass sie bereits wie Waffen - ja wie Stilette aussahen.
Unsicher tasteten die Finger den Rand der Bauchdecke ab. Ungelenke, abgehakte, groteske Bewegungen die den Fingern das Aussehen eines Insekts verliehen.
Mit einem nassen Ratschen schoben sich die Hände ins Freie. Lange starke Finger. Kampfsportlerhände die die Bauchdecke komplett von innen zu einer gewaltigen Wunde aufrissen.
Aus dem Bauchraum erhob sich ein Schleim- und Gewebeüberzogenes undefinierbares Etwas, fern an einen kleinen Menschen erinnernd. Das Ding setzte sich in Zeitlupe auf. Dabei gab es krächzende, leise Laute von sich. Es klang fast als brabbele es flüsternde Obszönitäten auf Demonai.
Dort mitten in dem klaffenden Loch des Bauchraumes des Toten thronte es absolut reglos, so als wäre er überhaupt kein lebendiges Wesen. Der Gestank aus dem offenen Kadaver war unerträglich.
Blitzartig schnellten zwei langen, spitzen Ohren nach vorne. Das Wesen schüttelte sie in einer schlackernden Bewegung und warf so einen Großteil der schleimigen Masse ab die sein Kopf überzog.
Dunkelbraune, eiskalte Augen denen jedes Gefühl fehlte musterten den Magier, während Schleim, Gewebefetzen und geronnenes altes Blut ein gelbes Gesicht hinab liefen, sich an einem spitzen Goblinkinn sammelten und zähflüssig zu Boden tropften.
"Kuck-Kuck Davy", gurrte Jozo.
"Jozo", sagte Dave ruhig.
Er ging auf den gelben Goblin zu um ihn zu berühren. Schlagartig platzte die Haut des Goblins komplett auf, schlangenartige Fortsätze bildeten sich bis der Mann nur noch aus einem Gewimmel von schwarzen Schlangen zu bestehen schien die kein Mensch festhalten konnte.
Sie schossen an, um und über Dave vorbei, so dass diesem ganz schwindlig wurde. Dave konnte nicht einmal mehr sagen, wo überall diese eiskalten Schlangen über seine Haut hinweg gestrichen waren.
Für einen Augenblick verharrte das Wesen und die Schlangen formten erneut sein Goblin-Antlitz.
"Gucken, nicht anfassen!", gackerte es.
In die reglosen Schlangen kam schlagartig wieder Bewegung. Sie knäulten sich vor Daves Augen zu einer gewaltigen Säule zusammen, wurde immer feiner und dichter fast wie ein schwarzer Schatten. Im selben Moment schossen sie in Richtung Decke davon und verschwanden in der alles verschlingenden Dunkelheit.
Als Daves Blick sich von der Decke löste, war der Tote verschwunden. Nur eine ölige, talgige, schwarze Substanz war als Schmierspur auf dem Boden zurückgeblieben. Daves Blick folgte der Spur.
Die Wand des kreisrunden Raumes war nun gespickt mit Türen und auf eine dieser Türen lief die schwarze Schleifspur zu. In einer einzigen schlagartigen Bewegung knallten die Türen auf. Die Spur führte hinter der besagten Tür weiter und verlor sich dort in der Dunkelheit.
Dave folgte der Erinnerung.